1.206 (bru2p): Nr. 458 Reichsminister Treviranus an den Reichskanzler. 29. August 1931

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RTF

[1637] Nr. 458
Reichsminister Treviranus an den Reichskanzler. 29. August 1931

R 43 I /1810 , Bl. 295–2961762

1762

Dieses Schreiben wurde laut handschriftlichem Vermerk von ORegR Pukaß erst am 23.10.31 vom RK in den Geschäftsvorgang der Rkei gegeben (R 43 I /1810 , Bl. 295).

[Umgestaltung der Osthilfe]

Die Untersuchungen der letzten 14 Tage haben ergeben, daß in absehbarer Zeit auf eine Befriedigung der Gläubigeransprüche und daher auf eine Schuldnersicherung im laufenden Entschuldungsverfahren nicht gerechnet werden kann. Die Industriebank geht zu starken Kontingentierungen der Mittel über, verlangt überdies die Herabsetzung der bisher geltenden Richtpreise für die landwirtschaftliche Bewertung und die Ermöglichung einer Ausleihung auf erste Hypotheken, um die Rangstelle für ihr Zweckvermögen zu verbessern.

Die in meinem Bericht vom 8. Juli ds. Js.1763 dargelegte Schwerfälligkeit der Organisation der Oststelle und die sich daraus ergebenden fortgesetzten Schwierigkeiten vor allen Dingen in personellen Fragen – die Kommissare von Königsberg und Oppeln wechseln im Laufe des Septembers, für Köslin muß ein neuer Vertreter ernannt werden – lassen mir nicht die Bewegungsfreiheit, die nötig wäre, wenn ich die politische Verantwortung für die Osthilfe tatsächlich tragen soll. Die Stimmung der Kommissare wie der Sachbearbeiter ist angesichts der aufreibenden, immer nutzloser erscheinenden Tätigkeit so bedrückt, daß sich die Urlaubs- und Ablösungsgesuche wegen Überarbeitung häufen.

1763

Richtig: Bericht vom 8. Juni 1931 (R 43 I /1810 , Bl. 26–30). In diesem Schreiben hatte Rkom. Treviranus wegen der Ausdehnung der Osthilfe auf Sachsen, Mecklenburg und Anhalt eine Änderung der Organisation der Oststelle gefordert; die Zuständigkeit Preußens sollte auf pr. Staatsgebiet beschränkt und den drei anderen Landesregg. sollte eine nur lose Mitwirkung zugestanden werden. Treviranus beklagte die unzureichende pr. Mitarbeit, die eine rasche Abwicklung der Geschäfte wesentlich aufhalte. Es liege völlig in der Hand der pr. Herren, jede wichtige Entscheidung durch die Art ihrer taktischen Behandlung hinauszuzögern und jede Entscheidung, die ihnen nicht genehm sei, zu verhindern oder durch Verzögerung illusorisch zu machen. Nach den Vorstellungen des Rkom. für die Osthilfe sollte die Mitarbeit Preußens auf die Mitzeichnung bei gesetzgeberischen Maßnahmen und Ausführungsbestimmungen beschränkt bleiben, während bei allen einzelnen Verwaltungsbehandlungen die Entscheidung des Rkom. maßgebend bleiben sollte. „Bei meinem Vorschlag beabsichtige ich keineswegs die Mitarbeit der sehr sachkundigen preußischen Herren in der Oststelle auszuschalten; er soll nur den Zweck haben, das liberum veto der preußischen Herren auszuschalten“ (Zitat R 43 I /1810 , Bl. 29). Die Organisationsänderung der Oststelle sei auch deshalb berechtigt, weil Preußen seiner Verpflichtung, sich mit 100 Mio RM an der Finanzierung der Osthilfe zu beteiligen, nicht nachgekommen sei (vgl. dazu auch den Vermerk des RegR Krebs vom 18.6.31, R 43 I /1810 , Bl. 63–64 und Dok. Nr. 148, Anm. 37).

Ich habe mir pflichtgemäß in den letzten Tagen die Frage vorgelegt, ob ich unter solchen Umständen das Recht habe, auf meinem jetzigen Posten zu bleiben, wenn ich der schleichenden Krise nicht Herr werden kann. Dazu ist allerdings Voraussetzung, daß ich verantwortlich entscheiden kann. Der Leidensweg[1638] der Pflichtarbeit gemäß § 91 des Arbeitslosengesetzes1764 wie des freiwilligen Arbeitsdienstes1765 in der Ressortmühle spricht ja für sich. Sie haben zu wiederholten Malen im Kabinett die Zustände gegeißelt, geändert hat sich praktisch nichts.

1764

S. § 91 AVAVG in der Fassung vom 24.9.29 (RGBl. I, S. 174 ).

1765

Vgl. Dok. Nr. 151, Anm. 6 und Dok. Nr. 272, P. 1.

Die Siedlung ist nach den alten Methoden völlig festgefahren, obschon die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Reich und Preußen seit der Gründung der Siedlungsbank, die leider völlig mittellos ist, beseitigt sind. Eine Entschuldung der östlichen Betriebe ist nur möglich, wenn der abzustoßende Landvorrat tatsächlich aufgenommen wird. Das ist heute bei den Nebeneinanderarbeiten von Siedlungsgesellschaften und Treuhandstellen nicht möglich. Die Siedlungsgesellschaften müssen bilanzieren und auf Gewinn bedacht sein und sind daher nur zögernd zu bewegen, ein Objekt zu versiedeln, das nicht einen sicheren Zwischengewinn abwirft. In diesem Schneckentempo werden wir mit der Not des Ostens und der Menschenflucht nicht fertig, während es auch technisch durchaus möglich ist, wenn man nur rücksichtslos genug durchgreift, die Erwerbslosennot durch eine Rohsiedlung in weitem Maße zu lindern. Ich habe mit Herrn Dietrich heute früh diese Sorge in allem Ernst durchgesprochen. Er ist bereit, die notwendigen Schritte seinerseits zu tun. Wir haben den Sommer mit dem Reden über diese Dinge allerdings schon verloren. Jetzt steht der Winter vor der Tür, aber 6 Wochen könnten genutzt werden, wenn sofort durchgegriffen würde. Ich bin bereit, wenn die Sache dadurch gefördert wird und Preußen dadurch zum Zuge kommt, um Enthebung von meinem Amte zu bitten, weil ich der Überzeugung bin, daß man uns alle später für die Versäumnisse dieser Wochen verantwortlich machen würde1766.

1766

Am 5.9.31 übersandte Treviranus dem RK die Abschrift seines Schreibens an den PrFM vom gleichen Tage, in dem er Höpker Aschoff daran erinnerte, daß Preußen die nach § 18 als Osthilfegesetz vom 31.3.31 (RGBl. I, S. 120 ) vorgesehene Bürgschaft noch nicht übernommen habe. Treviranus drohte mit seinem Rücktritt, wenn weiterhin preußischerseits Bedingungen für das Umschuldungsverfahren gestellt würden, von denen bislang nie die Rede gewesen sei (Schreiben an den RK und Abschrift des Schreibens an den PrFM in R 43 I /1810 , Bl. 239–241). Zur Umgestaltung der Osthilfe s. Dok. N. 529.

Treviranus

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