2.55.1 (lut1p): [Aufwertung; Sicherheitspakt, Militärkontrolle, Räumungsfrage]

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Die Kabinette Luther I und II (1925/26), Band 1.Das Kabinett Luther I Bild 102-02064Reichspräsident Friedrich Ebert verstorben Bild 102-01129Hindenburgkopf Bild 146-1986-107-32AStresemann, Chamberlain, Briand Bild 183-R03618

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[Aufwertung; Sicherheitspakt, Militärkontrolle, Räumungsfrage]

Reichskanzler Er hätte die Herren hergebeten, da er es für erforderlich halte, die Unstimmigkeiten, die sich gezeigt hätten, mit größtmöglicher Beschleunigung zu beseitigen. Er gehöre keiner Partei an, daher sei es umso wertvoller und nötiger für ihn, daß er ein wirkliches Vertrauen bei den Parteien, insbesondere bei der Deutschnationalen Partei genieße, nicht nur das Vertrauen, was formal nach der Verfassung notwendig sei.

Zu dem Brief der Deutschnationalen Fraktion1 müsse er sagen, daß er in seinem gesamten Zusammenhang inhaltschwer sei. Der Absatz von der „Fortführung der Politik im gleichen Geist“ sei so bedeutungsvoll, daß man in dieser Besprechung zu einer Klärung kommen müßte. Einzelheiten seien hierzu nicht angeführt, so daß man den Eindruck gewänne, der Passus bezöge sich auf das Gesamtbild der Außenpolitik. Für diese aber trage er, der Kanzler, die Verantwortung, so daß der Passus sich eigentlich auch gegen seine Person richte. Nun stände andererseits in dem Schreiben allerdings drin, daß der Kanzler auf die Geschäfte der Außenpolitik einen stärkeren Einfluß ausüben solle. Hier läge ein gewisser Widerspruch zu dem Vorhergesagten, um dessen Klärung er bitte.

1

Die DNVP hatte mit Schreiben an den RAM vom 21. 3. u. a. schwere Bedenken gegen die Verhandlungsführung der RReg. in der Sicherheitsfrage erhoben und gefordert, „daß die ferneren Verhandlungen im engsten Einvernehmen mit dem Herrn Reichskanzler gemäß Art. 56 der Reichsverfassung und im vollen Einverständnis mit den Vertrauensmännern der Fraktionen geführt werden.“ Für den Fall „der Fortführung der Verhandlungen im gleichen Geiste“ müsse sie sich vorbehalten, „ihre Zustimmung zu etwa abzuschließenden Verträgen zu versagen.“ (R 43 I /162 , Bl. 87-89).

Zur Aufwertung wolle er bemerken, daß die Darstellung der Vossischen Zeitung falsch sei. Richtig sei, daß in der Sitzung mit den Parteiführern über die Aufwertungsfrage einzelne Dinge ausdrücklich verabredet worden seien, u. a., daß der Antrag auf Außerkraftsetzung der 3. Steuernotverordnung am 31. Mai im Plenum abgelehnt werden müsse. Daher sei er sehr überrascht über den Antrag Hergt gewesen, der die Aufhebung für den 30. Juni festsetzt2.[204] Dieser Antrag widerspreche dem Sinne der Verabredung unter den Parteiführern. In diesem Zusammenhang teile er mit, daß nach diesem Vorfall die Deutsche Volkspartei eine Abordnung zu ihm, dem Kanzler, geschickt habe, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß eine gemeinsame Arbeit in dieser Weise nicht möglich sei. Die Abordnung hätte ferner gesagt, nach ihr gewordenen Mitteilungen bestände in der DNVP, besonders bei Abg. Hergt, die Absicht, nach Vorlegung der Gesetze einen Antrag auf Erhöhung der Aufwertungsquote von 25 auf 33% zu stellen3. In einer solch wichtigen Frage sei ein Vorstoß einer einzelnen Partei ohne Fühlung mit der Regierung und den anderen Parteien nicht möglich. So etwas müsse zu dem Wettlauf der Parteien führen, der gerade vermieden werden sollte.

2

S. Dok. Nr. 51, dort auch Anm. 16.

3

Es handelt sich um die Aufwertungsquote bei Hypotheken, die nach den vorangegangenen Kabinettsbeschlüssen (s. Dok. Nr. 24, P. 8 und Nr. 48, P. 1) 25% betragen sollte. Dieser Aufwertungssatz war von Vertretern der Koalitionsparteien am 18. 3. als „geeignete Verhandlungsgrundlage“ anerkannt worden (s. Dok. Nr. 51).

Durch diese Ereignisse sei er, der Kanzler, recht beunruhigt worden und habe gestern im Kabinett gesagt, daß er vor Vorlegung der Entwürfe an den Reichsrat die Sicherheit haben müsse, daß keine Partei aus der Reihe tanze4.

4

S. Dok. Nr. 53.

Abg. Schultz bittet, die Aufwertungsfrage zurückzustellen, da hierzu Exzellenz Hergt gebraucht würde, den er herzurufen bitte.

Reichsminister des Innern Schiele hält es gleichfalls für nötig, daß Abg. Hergt kommt. Bei den in diesen Fragen zu fassenden Beschlüssen sei aber auch der Fraktionsvorsitzende bzw. sein Vertreter nötig. (Abg. Hergt wird telefonisch gerufen).

Der Reichskanzler stellt die erörterten außenpolitischen Fragen5 zur Diskussion.

5

Bezieht sich offenbar auf das Schreiben der DNVP an Stresemann vom 21. 3. (vgl. Anm. 1). Darin wurde um Bestätigung der folgenden Erklärungen gebeten, die der RAM in einer Besprechung mit DNVP-Führern am 20. 3. (Unterlagen hierzu nicht in R 43 I) zur Sicherheitspolitik der RReg. abgegeben habe: 1) die RReg. sei bereit, die Westgrenze des VV zu garantieren. Gegenleistung der anderen Seite: Befreiung des linken Rheinufers. Die RReg. lehne jede Garantie der dt. Ostgrenze ab. 2) Das dt. Sicherheitsangebot (s. Anm. 6 zu Dok. Nr. 43) sei von England und Frankreich als Grundlage weiterer Verhandlungen akzeptiert. Dtld. sei jetzt empfangsbereit. 3) Dtld. werde nicht in den Völkerbund eintreten, bevor nicht Klarheit über den Sicherheitspakt bestehe. 4) Die Räumung der Kölner Zone sei Voraussetzung für den Abschluß des Sicherheitspakts. 5) Verhandlungen mit dem Ziel der Räumung der 2. und 3. Zone nach Abschluß des Sicherheitspakts seien notwendig. 6) Das Saargebiet sei nicht durch den Sicherheitspakt betroffen, aber Verhandlungen über die Beseitigung der vertragswidrigen Behandlung der Bevölkerung und über die Sicherung einer unbeeinflußten Volksabstimmung 1935 müßten geführt werden. 7) Die dt. Antwort auf die Note des Völkerbundes (s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 50) werde Aufklärung verlangen über Unklarheiten im Punkte der militärischen Exekutive aus Art. 16. 8) Ein Antrag auf Eintritt in den Völkerbund sei nicht in Aussicht genommen. An den dt. Vorbehalten gegen Art. 16 der Völkerbundssatzung (s. dazu Anm. 1 und 2 zu Dok. Nr. 43) werde festgehalten.

Abg. Berndt: In seiner Fraktion seien in der Tat schwerwiegende Bedenken gegen einzelne Punkte der beabsichtigten außenpolitischen Regelung laut geworden, insbesondere in der Frage Elsaß-Lothringens und der Frage der zu erlangenden Gegenleistungen. Für so schwerwiegende Dinge sei eine Zusage der Räumung Kölns zu wenig. Er erinnere in diesem Zusammenhang an die[205] geplanten Investigationen6 und die Räumung der übrigen rheinischen Zonen. Der Außenminister habe seinerzeit hierzu erklärt, hier lägen auch seine Ziele und er würde in diesen Dingen etwas zu erreichen suchen7. Es habe den Anschein, als ob in dieser Richtung jetzt nichts geschähe. In seiner Fraktion sei die Meinung, daß das Auswärtige Amt in diesen Dingen, ohne das Kabinett zu fragen, sehr aktiv geworden sei.

6

S. dazu Anm. 2 und 3 zu Dok. Nr. 50.

7

S. die Ausführungen Stresemanns vor Pressevertretern am 7. 3. und vor dem Auswärtigen Ausschuß am 11. 3. in: Stresemann, Vermächtnis, Bd. II, S. 64 ff. und 73 ff.

Durch den Brief seiner Fraktion an den Außenminister hätten sie sich bestätigen lassen wollen, daß ihre Auffassung der Ausführungen des Außenministers richtig sei. Es sollte eine mündliche Aussprache darauf folgen.

Der Reichskanzler Der wesentliche Punkt sei für ihn, wie er sich zu dem Passus mit dem „gleichen Geist“ stellen solle. Der Passus werde so interpretiert werden, daß entweder er, der Kanzler, seine eigene Regierungserklärung nicht eingehalten habe, oder daß die D.N.V.P. sich in Zukunft an diese Regierungserklärung in der Außenpolitik nicht mehr halten wolle.

Reichsminister des Innern Schiele: In dem Brief der D.N.V.P. sei das nicht enthalten, was anscheinend der Kanzler daraus entnommen hätte. In der Fraktion habe niemals ein Mißtrauen gegen den Kanzler bestanden. Wohl aber herrsche bei einzelnen Abgeordneten das Gefühl vor, daß das Auswärtige Amt in etwas geheimnisvoller Weise die Außenpolitik betreibe. Auch gegenüber dem Minister Stresemann sei nur eine Besorgnis geäußert worden. Die Fraktion habe den aufrichtigen Wunsch, mit den anderen Parteien und der Regierung loyal mitzuwirken und mitzutragen.

Abg. Schultz-Bromberg: Die Fraktion wolle die Leitung des Kanzlers in der Außenpolitik.

Reichskanzler Seiner Zuständigkeit unterlägen die Richtlinien der Außenpolitik. Um es so auszudrücken, habe er also nur die Strategie, nicht die Taktik zu beeinflussen. Er sei darin weit gegangen und habe die betreffenden Akten des Auswärtigen Amts eingehend gelesen8. Er nehme an, daß der Passus „im gleichen Geiste“ dasselbe bedeuten solle, was im letzten Absatz des Schreibens ausgedrückt sei, nämlich, daß die D.N.Fraktion fordere, daß die im Gange befindlichen wichtigen außenpolitischen Verhandlungen im engsten Einvernehmen mit dem Reichskanzler und im vollen Einverständnis mit dem Kabinett und den Vertrauensmännern der Fraktionen geführt würden. Er frage nun, ob diese Auffassung als richtig bestätigt würde.

8

Vgl. dazu Dok. Nr. 116, dort bes. Anm. 3.

Abg. Schultz-Bromberg: Die Vertrauensleute der Fraktionen müßten in Zukunft darüber Bescheid wissen, was an wichtigen Dingen in der Außenpolitik vorginge.

Reichskanzler wiederholt seine letzte Frage.

Abg. Berndt bejaht diese Frage für seine Person. Die entstandene Schwierigkeit könne ausgeräumt werden, wenn so verfahren würde, wie es im letzten Absatz ihres Schreibens gewünscht sei9.

9

S. zuvor Anm. 1.

[206] Reichskanzler Auf welche Weise könne ihm eine solche Erklärung abgegeben werden?

Reichsminister des Innern Schiele: Der Passus mit dem „gleichen Geist“ könne von der D.N.Fraktion entsprechend interpretiert werden.

Abg. Berndt: Die ganze Angelegenheit könne dahin erläutert werden, daß es der D.N. Fraktion auf die Form des Verfahrens ankäme, und zwar auf die im letzten Absatz ihres Schreibens niedergelegte.

Reichskanzler Eine eingehende Besprechung mit den Vertrauensleuten im Kabinett über die Frage der Außenpolitik würde unabhängig von der gestrigen Kabinettsbesprechung10 erfolgen11. Hierbei müsse allerdings eine gewisse Vorsicht obwalten, denn es dürften keine Minister zweiter Ordnung geschaffen werden. Andererseits seien die großen außenpolitischen Fragen zu delikat, als daß sie in einem Kreise von 12 Männern bis ins einzelne erörtert werden könnten. Es würde sich aber eine Form finden lassen, durch die diesen beiden Gesichtspunkten Rechnung getragen würde.

10

S. Dok. Nr. 53.

11

S. unten Anm. 18.

Hierauf berieten die Herren der Deutschnationalen Fraktion unter sich.

Demnächst nahm der Reichskanzler in Anwesenheit der inzwischen erschienenen Herren Abg. Exzellenz Hergt und Reichsminister des Auswärtigen Dr. Stresemann an der Besprechung wieder teil.

Der Reichskanzler verliest den Entwurf eines von ihm zu schreibenden Antwortbriefes an die D.N.Fraktion.

Dem Brief wird allgemein zugestimmt12.

12

In seinen Antwortschreiben, ausgefertigt unter dem 23. 3., stimmt der RK der von der DNVP vertretenen Auffassung zu, „daß auch die Angelegenheiten der Außenpolitik in ihren Richtlinien gemäß Art. 56 der Reichsverfassung der Verantwortung des Reichskanzlers unterliegen.“ In diesem Sinne sei die Außenpolitik bisher von ihm und dem RAM geführt worden. Luther unterstreicht sodann die Notwendigkeit, „gemäß dem Aufbau der jetzigen Reichsregierung auch über die wichtigen Fragen der Außenpolitik eine enge Verbindung mit den Vertrauensmännern der in der Regierung vertretenen Reichstagsfraktionen“ herzustellen. Er schlägt schließlich eine erneute Aussprache über die Grundsätze der Außenpolitik vor, in der auch die von der DNVP mit Schreiben an den RAM aufgeworfenen Fragen (s. zuvor Anm. 5) erörtert werden könnten (abschrl. in R 43 I /441 , Bl. 58-60). Zu dieser Besprechung, die am 2. 4. stattfindet, s. Dok. Nr. 62.

Reichskanzler Er nehme an, daß nach Absendung dieses Briefes ein vertrauensvolles Mitarbeiten der D.N.Fraktion gesichert sei.

Abg. Hergt bestätigt dies.

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