1.151 (lut2p): Nr. 320 Der Reichsverkehrsminister an Staatssekretär Kempner. 20. März 1926

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[1224] Nr. 320
Der Reichsverkehrsminister an Staatssekretär Kempner. 20. März 1926

R 43 I /734 , Bl. 318-320

[Luftfahrtverhandlungen in Paris]

I.Vertraulich!

Nachdem die Delegationen der verschiedenen Mächte aus Genf zurückgekehrt sind, müssen die Luftfahrtverhandlungen wiederaufgenommen und mit dem äußersten Nachdruck zum Abschluß getrieben werden. Für das letzte Stadium der Verhandlungen erscheint es notwendig, die Willensmeinung des Reichskabinetts hinsichtlich der unserer Delegation mitzugebenden Richtlinien festzustellen.

II.

Die bisherigen Verhandlungen haben folgende positive Ergebnisse gehabt:

1. Von einer Weiterverfolgung der Knebelungsnote der Botschafterkonferenz vom 24. Juni 19251, die von der Deutschen Regierung bisher nicht beantwortet worden ist, hat die Gegenseite Abstand genommen.

1

S. Anm. 18 zu Dok. Nr. 170.

2. Zurückziehung des Interalliierten Luftfahrt-Garantiekomitees.

3. Fortfall sämtlicher technischen Hemmungen für zivile Flugzeuge und Motore.

4. Möglichkeit, auch solche Flugzeuge, welche in keiner Beziehung mehr zur zivilen Luftfahrt stehen, sondern nach ihren technischen Merkmalen den Charakter reiner Jagdflugzeuge haben, in einem Umfange zu bauen und in Betrieb zu setzen, wie es zur Teilnahme an internationalen Wettbewerben und öffentlich kontrollierten Rekorden sowie an den Vorbereitungen dazu notwendig ist.

(Bemerkung:

Ziffer 3 und 4 bedeuten die konstruktive Freiheit hinsichtlich jedes beliebigen Typenbaues).

5. Unbeschränkte Freiheit im Luftschiffbau.

6. Kostenlose Rückgabe der gesamten gemäß Artikel 202 Versailler Vertrag im Besitz der Entente befindlichen sogenannten „internationalen“ Hallen an Deutschland.

7. Verzicht auf Zerstörung der Zeppelinhalle in Friedrichshafen und deren Freigabe.

8. Verzicht auf zahlenmäßige Beschränkungen materieller und personeller Art auf dem gesamten zivilen Luftfahrtgebiet.

[1225] 9. Grundsätzliches Zugeständnis des Inkrafttretens der bisher suspendierten deutschen Luftgesetzgebung – also auch Überflugsrecht – im besetzten Gebiet.

10. Fallenlassen des ursprünglich von der Gegenseite vertretenen Prinzips, nach welchem eine flugsportliche Betätigung von Reichswehrangehörigen generell verboten sein sollte.

11. Grundsätzliche Anerkennung der Berechtigung der deutschen Reichswehr, den Luftschutz von der Erde aus in Deutschland zu organisieren.

12. Beschränkung der Forderung, nach welcher die Reichswehr keine Beziehungen zur Luftfahrt unterhalten sollte, auf solche Beziehungen, welche dem Artikel 198 Versailler Vertrag zuwiderlaufen.

Diesen positiven Ergebnissen steht auf zivilem Gebiet im wesentlichen nur die Bindung gegenüber, daß die reine Sportfliegerei nicht aus öffentlichen Mitteln des Reiches, der Länder oder der Gemeinden subventioniert werden soll. Nicht betroffen wird durch diese Bindung die Ausbildung der für die bestehende oder in Aussicht genommene Handelsluftfahrt erforderlichen Flugzeugführer. Ferner sind solche Geldmittel nicht in die Bindung einbegriffen, welche von der öffentlichen Hand für die Finanzierung von Wettbewerben sportlicher Art zur Verfügung gestellt werden.

An sonstigen Bindungen ist noch erwähnenswert, daß sich Deutschland verpflichtet, den Bau bewaffneter, gepanzerter und solcher Flugzeuge zu verbieten, welche ohne Führer fliegen können. Immerhin ist in der Frage der führerlosen Flugzeuge die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung zugesichert.

III.

In den letzten Wochen vor Genf haben die Verhandlungen2 sich fast unausgesetzt um einen Punkt gedreht, dem von der Gegenseite offenbar außerordentliche Bedeutung beigemessen wird. Es ist versucht worden, diesen Punkt durch unmittelbare Besprechungen zwischen den leitenden Staatsmännern in Genf zu bereinigen. Auch diese Bemühungen sind erfolglos geblieben3. Es handelt sich um die Frage, in welchem Ausmaße eine flugsportliche Betätigung von Reichswehrangehörigen möglich sein soll. Mit einer sehr kleinen Zahl flugsportbeflissener Reichswehrangehöriger würde sich die Gegenseite abfinden, wenn die Deutsche Regierung sich dazu verpflichtete, daß die Ausbildung auf eigene Kosten stattfindet und daß ihnen keine Subvention und kein besonderer Urlaub bewilligt wird (dienstfreie Zeit wird nicht als Urlaub angesehen). Besonderen Anstoß erregt beim Reichswehrministerium die offenbar nur sehr[1226] niedrige Zahl, welche uns die Entente zugestehen will. Die Entente stützt ihre Argumentation darauf, daß sie eine größere Zahl als Vorstoß gegen die Artikel 178 und 198 Versailler Vertrag ansehen müßte.

2

Vgl. Dok. Nr. 301, 307 und 309, P. 1.

3

In Genf war die Luftfahrtfrage bei Unterredungen zwischen v. Schubert und Massigli am 10. und 16. 3. kurz erörtert worden. Dabei wurde deutlich, daß die Botschafterkonferenz dem dt. Vorschlag, jährlich 12 Militärpersonen zur Pilotenausbildung zuzulassen (vgl. Anm 7 zu Dok. Nr. 309), nicht zustimmen, sondern sich lediglich mit einer Gesamtzahl von 12 flugberechtigten Reichswehrangehörigen einverstanden erklären würde. S. hierüber die telegrafischen Berichte v. Schuberts in: ADAP, Serie B, Bd. I, 1, Dok. Nr. 149 und 167.

Auf Grund einer Chefbesprechung, welche am 19. Februar 1926 unter dem Vorsitz des Herrn Reichskanzlers stattgefunden hat4, wurde die Delegation angewiesen, einige verhältnismäßig schwierige zivile Fragen, in denen aber eine erträgliche Einigung wohl möglich erscheint, in der Schwebe zu lassen, um für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen das Odium auszuschließen, als ob der Abbruch lediglich wegen der die Reichswehr berührenden Fragen erfolgt sei. Diese hemmende Instruktion, welche – wie sich auf Grund der Genfer Besprechungen jetzt übersehen läßt – das Zustandekommen der gesamten Vereinbarung unmöglich machen würde, läßt sich m. E. jetzt nicht länger aufrechterhalten. Der außerordentliche Fortschritt, der in technischer Beziehung als erreichbar erscheint und der weit über das hinausgeht, was man vor einem halben Jahr noch für möglich hielt, wiegt m. E. zu schwer, um ihn wegen der von mir durchaus gewürdigten flugsportlichen Reichswehrinteressen aufs Spiel zu setzen.

4

Vgl. Anm. 26 zu Dok. Nr. 284.

IV.

Ich bitte, eine Entscheidung des Reichskabinetts darüber herbeizuführen, ob der Delegation für die Fortsetzung der Verhandlungen folgende Weisung mitgegeben werden kann:

1.

Die restlichen zivilen Punkte sind so schnell wie möglich zu klären und zu formulieren.

2.

In den die Reichswehr berührenden Fragen ist eine bestmögliche Formulierung zu erstreben.

3.

Die Gesamtformulierung des Notenwechsels ist „ne varietur“ abzuschließen und dem Reichskabinett zur Annahme oder Ablehnung des Ganzen vorzulegen.

Da die Delegation am Dienstag, dem 23. März 1926, abreisen muß, bitte ich im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, die Angelegenheit am 22. März 1926 auf die Tagesordnung einer Kabinettssitzung zu bringen.

[…]

Dr. Krohne

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