2.32 (ma11p): Nr. 32 Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion Müller-Franken an den Reichskanzler. 18. Dezember 1923

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Nr. 32
Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion Müller-Franken an den Reichskanzler. 18. Dezember 1923

R 43 I /2704 , Bl. 17

[Aufhebung des Ausnahmezustandes]

Sehr geehrter Herr Kollege!

Wie ich heute hörte, hat der Reichsrat in dem zuständigen Ausschuß heute mit 16 gegen 3 Stimmen bei einer Stimmenthaltung einen Antrag angenommen,[134] der die Reichsregierung ersucht, die Umwandlung des militärischen Ausnahmezustandes1 in den zivilen bei dem Herrn Reichspräsidenten zu erwirken.

1

Durch VO des RPräs. vom 26.9.23 war der militärische Ausnahmezustand für das gesamte Reichsgebiet verhängt worden (RGBl. I, S. 905 ). Eine VO des RPräs. vom 8.11.23 hatte die vollziehende Gewalt dem Chef der Heeresleitung, Gen. v. Seeckt, übertragen (RGBl. I, S. 1084 ).

Ich hatte bei früheren Besprechungen schon Gelegenheit, im Auftrage der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion dem Herrn Reichskanzler darzulegen, daß die Aufhebung des Ausnahmezustandes dringend geboten ist. Die sozialdemokratische Fraktion geht also in ihrem Petitum über das hinaus, was der Reichsratsbeschluß wünscht. Zur Begründung unserer Auffassung will ich in aller Kürze nur darauf hinweisen, daß die täglichen Eingriffe der Militärbefehlshaber in Dresden und Weimar eine geordnete Regierungstätigkeit der Landesregierungen geradezu unmöglich machen. So hat z. B. der Militärbefehlshaber in Weimar, Herr Generalleutnant Hasse, das Staatsministerium durch Verfügung vom 9. Dezember 1923 angewiesen, in Zukunft grundsätzlich vor Erlaß von Verfügungen über Besetzung freier Beamtenstellen, Versetzungen, Beförderungen, Amtsenthebungen und Verabschiedungen von Beamten aller Gehaltsklassen mit ihm Fühlung zu nehmen2. Der Militärbefehlshaber in Dresden, Herr Generalleutnant Müller, hat für die kommenden sächsischen Gemeinderatswahlen durch Verordnung der Völkischen Freiheitspartei, den Nationalsozialisten, den Kommunisten, der Allgemeinen Arbeiter-Union usw. einfach die Teilnahme an der Wahl verboten, indem er angeordnet hat, daß bereits eingereichte Wahlvorschläge für die Wahlorgane unbeachtlich seien. Damit wird durch Verfügung des Generals den betreffenden Parteien das passive Wahlrecht entzogen3.

2

Die angezogene Verfügung konnte in den Akten der Rkei nicht ermittelt werden. Am 30. 11. hatte Genlt. Hasse das thür. StMin. um Auskunft gebeten, welche Schulräte, Schulleiter, Staatsanwälte, Polizeioffiziere usw. nach dem 7.10.21 ernannt worden seien und ob bei den Ernennungen parteipolitische Gesichtspunkte eine Rolle gespielt hätten. Dazu erklärt der thür. MinPräs. Frölich in einem Schreiben an den RK vom 3. 12.: „Wir vermögen nicht einzusehen, daß die vollziehende Gewalt dem Militärbefehlshaber das Recht gibt, Auskunft über Maßnahmen der Regierung zu fordern, für die sie verfassungsmäßig allein dem Landtage verantwortlich ist. Wir erblicken in diesen Anfragen einen neuen unerhörten Übergriff des Militärbefehlshabers, gegen den wir uns nachdrücklichst zu schützen bitten.“ (R 43 I /2314 , Bl. 202 f.).

3

Hierzu hschr. Randvermerk „aufgehoben!“. Vgl. Dok. Nr. 42, Anm. 5.

Ich beschränke mich auf die Anführung dieser beiden drastischen Beispiele, bin aber in der Lage, auf Grund von Denkschriften der sächsischen und der thüringischen Regierung das Material über die Eingriffe der Militärbefehlshaber sehr umfangreich zu vermehren.

Es erscheint meiner Fraktion ganz selbstverständlich, daß diesen militärischen Eingriffen gewehrt wird, die das deutsche Verfassungsleben vor den Augen der ganzen Welt auf das schärfste kompromittieren müssen, weil sie mit den Verhältnissen eines Rechtsstaates unverträglich sind.

Was in letzter Zeit fortgesetzt der sächsischen und der thüringischen Regierung passiert ist, kann zu einer anderen Zeit jedem anderen Staat passieren. Aus diesem Grunde erscheint es vor allem dringend notwendig, daß dem Reichstage[135] baldigst ein Gesetz vorgelegt wird, das die Ausführung des Artikels 48 der Reichsverfassung in den Grenzen garantiert, die der Gesetzgeber gezogen hat, als die Weimarer Verfassung verabschiedet wurde.

Jedenfalls ersuchen wir die Regierung um schleunige Aufhebung des militärischen Ausnahmezustandes, für dessen Aufrechterhaltung in den heutigen deutschen Verhältnissen die Grundlage fehlt4.

4

Auf dem Schreiben vermerkt MinDir. Kempner am 19. 12.: „Minister Geßler, Gen. v. Seeckt u. Min. Jarres kommen am 20. 12. um 12.30 zur Besprechung.“ (Aufzeichnung hierüber nicht ermittelt). StS Bracht fügt am 4.2.24 hinzu: „Durch obige Besprechung und mündl. Mitteilung an SPD erledigt.“

Ergebenst

Der Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion

Müller-Franken

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