2.42 (ma11p): Nr. 42 Die kommunistischen Reichstagsabgeordneten Höllein, Bartz und Herzfeld an den Reichskanzler. 29. Dezember 1923

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Nr. 42
Die kommunistischen Reichstagsabgeordneten Höllein, Bartz und Herzfeld an den Reichskanzler. 29. Dezember 19231

1

Dieses Schreiben wird von den Abgeordneten dem RK am 29. 12. persönlich übergeben und noch am gleichen Tage von StS Bracht sämtlichen Reichsministern abschr. für die Kabinettssitzung am 31. 12. (Dok. Nr. 43, P. 1) zugestellt (Schreiben Brachts in R 43 I /2333 , Bl. 9).

R 43 I /2333 , Bl. 2 f.

[Wahlfreiheit]

Herr Reichskanzler!

In Sachsen sind zum 24. Januar 1924 Gemeindewahlen2, in Thüringen zum 10. Februar 1924, in Mecklenburg-Schwerin zum 17. Februar 1924 Landtagswahlen ausgeschrieben.

2

Die sächs. Gemeinderatswahlen finden am 13.1.24 statt.

Ich wurde am 27. Dezember d. Js. von der Kommunistischen Fraktion des Mecklenburg-Schwerinschen Landtags beauftragt, als Abgeordneter zum Preußischen Landtag für Pommern folgende Fragen zur Klärung zu bringen. Ich legte sie am 27. Dezember d. Js. dem Wehrkreiskommando II in Stettin vor, nämlich:

1.

Wird das Wehrkreiskommando kommunistische Wahlvorschläge zulassen?3

2.

Wird das Wehrkreiskommando die Bildung von Vereinigungen zur Betreibung kommunistischer Wahlen zulassen?

3.

[178]Wird das Wehrkreiskommando die Verbreitung von kommunistischen Druckschriften, insbesondere die Herausgabe der verbotenen „Volkswacht“ als Wahlzeitung gestatten?

4.

Wird das Wehrkreiskommando den kommunistischen Wählern im gleichen Maße wie den übrigen Parteien Versammlungsfreiheit einräumen?

3

Durch VO des Inhabers der vollziehenden Gewalt, Gen. v. Seeckt, vom 20.11.23 waren die Organisationen und Einrichtungen der KPD, der Deutschvölkischen Freiheitspartei und der NSDAP verboten worden; die VO wurde am 23.11.23 verkündet (Text in R 43 I /2708 , Bl. 229; nach der Veröffentlichung in der Tagespresse abgedr. in: Huber, Dokumente zur dt. Verfassungsgeschichte, Bd. 3, Dok. Nr. 316, S. 337 f.; Ursachen und Folgen, Bd. 5, Nr. 1206, S. 502 f.).

Das Wehrkreiskommando verneinte diese sämtlichen Fragen. Es treffe in diesen Fragen alle Entscheidungen auf Grund der Erlasses des Generals v. Seeckt vom 7. Dezember d. Js.4. In diesem Erlaß, der mir vorgelesen wurde, wird gesagt, daß Wahlvorschläge, Wahlversammlungen, Druckschriften und Pressepropaganda der verbotenen Parteien oder von Organisationen, die zu ihnen in irgendeiner Beziehung stehen, unter allen Umständen zu verhindern seien, weil dies eine Betätigung verbotener Parteien sei. Meine Einwände, daß dieser Erlaß durch die in Sachsen anläßlich der Gemeindewahlen getroffenen Anordnungen5 sowie durch die Beschlüsse des Rechtsausschusses des Reichstags6 hinfällig geworden sei, wurde dahin beantwortet, neuere Anweisungen des Generals v. Seeckt lägen nicht vor, es müsse deshalb vom Wehrkreiskommando II nach dem Erlaß vom 7. Dezember d. Js. auch fernerhin entschieden werden. Dementsprechend werde man keine kommunistischen Wahlvorschläge noch Versammlungen und Druckschriften zu Gunsten kommunistischer Kandidaten zulassen und die vom mecklenburgischen Landtagsabgeordneten Wenzel-Rostock bereits beantragten Wahlversammlungen usw. verbieten.

4

In den Akten der Rkei nicht ermittelt.

5

Der Militärbefehlshaber in Sachsen, Genlt. Müller, hatte durch Bekanntmachung vom 12. 12. den auf Grund des Ausnahmezustandes verbotenen Parteien (s. Anm. 3) die Aufstellung von Wahlvorschlägen für die sächs. Gemeinderatswahlen untersagt. In einem Schreiben an den RK vom 14. 12. verlangte der sächs. MinPräs. Fellisch die sofortige Aufhebung dieses Verbots mit der Begründung, daß das verfassungsmäßig garantierte Recht auf freie Teilnahme an Wahlen nicht durch Maßnahmen nach Art. 48 RV aufgehoben werden könne (R 43 I /2309 , Bl. 386 f.). Am 19. 12. hob Genlt. Müller sein Verbot wieder auf und gab zugleich eine Erklärung des RWeMin. bekannt, daß auch den verbotenen Parteien die Aufstellung von Wahlvorschlägen erlaubt sei (nach DAZ Nr. 587 vom 19. 12.). RegR Wienstein vermerkte hierzu am 20. 12.: Nach Mitteilung MinR Kaisenbergs (RIMin.) hätten der Bekanntmachung Genlt. Müllers vom 12. 12. rechtliche Bedenken entgegengestanden. Der Militärbefehlshaber sei bei seinen Anordnungen „an die Grundsätze der RV gebunden, soweit diese nicht auf Grund des Art. 48 außer Kraft gesetzt würden. Zu diesen suspendierbaren Artikeln gehöre aber nicht der Art. 125, der die Wahlfreiheit und das Wahlgeheimnis gewährleiste. Demnach könne der Militärbefehlshaber eine Organisation verbieten, das Verbot dürfe aber nicht eine Beeinträchtigung der Wahlfreiheit zum Gegenstande haben.“ In diesem Sinne habe StS Zweigert (RIMin.) in der Sitzung des Rechtsausschusses des RT vom 19. 12. Ausführungen gemacht, und der Ausschuß habe sich mit Mehrheit auf den Standpunkt gestellt, daß das Verbot des Militärbefehlshabers mit der RV nicht vereinbar sei (R 43 I /2309 , Bl. 388).

6

Der Rechtsausschuß des RT hatte am 22. 12. einstimmig beschlossen: „1) Vom Tage der Ausschreibung der Wahlen bis zu ihrer Beendigung ist auch für verbotene Parteiorganisationen die Gründung von Vereinigungen ausschließlich zur Betreibung der Wahlen zulässig. Versammlungs- und Pressefreiheit unterliegen auch für sie nur den allgemeinen strafrechtlichen und polizeilichen Beschränkungen. 2) Die RReg. zu ersuchen: Die Prüfung der Schutzhaftbefehle auf das äußerste zu beschleunigen und dafür Sorge zu tragen, daß eine möglichst große Zahl Schutzhaftgefangener noch vor den Festtagen zu ihren Familien zurückkehrt.“ (Abschr. in R 43 I /2333 , Bl. 4).

Schulz, Abg.

Zu der vorstehenden Schilderung des Abgeordneten Schulz-Neukölln haben wir allgemein zu bemerken:

[179] Der Artikel 125 der Reichsverfassung gewährleistet ausdrücklich die Wahlfreiheit. Diese Wahlfreiheit kann auch, wie von Regierungsseite bereits zugestanden ist, durch den Ausnahmezustand nicht suspendiert werden. Sie bildet ferner die Voraussetzung für die Veranstaltung gültiger Wahlen.

Wahlfreiheit setzt aber die Möglichkeit für alle Wählergruppen voraus, für ihre Ideen und Ziele in Wort und Schrift zu werben.

Dieser Auffassung ist der Rechtsausschuß des Reichstags in seiner letzten Sitzung vom 22. Dezember 1923 einstimmig beigetreten7.

7

S. Anm. 6.

Der Militärbefehlshaber hat aber bisher keinerlei Anordnungen zur Sicherstellung der Wahlfreiheit für alle Parteien getroffen.

Da, wie bereits erwähnt, die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg schon ausgeschrieben sind, bedeutet die Verhinderung von Wahlvorschlägen, Wahlversammlungen und von Druckschriften-Verbreitungen einen Verstoß gegen die Reichsverfassung, der, wenn er nicht alsbald behoben wird, unbedingt die Ungültigkeit der Wahlen nach sich ziehen muß.

Wir bitten den Herrn Reichskanzler als den verantwortlichen Träger der Reichspolitik, im Kabinett umgehend eine bindende Entscheidung in den vorliegenden Fragen herbeizuführen8 und zu veranlassen, daß diese Entscheidung unverzüglich überall übermittelt und befolgt wird.

8

S. Dok. Nr. 43, P. 1.

Emil Höllein, M. d. R.

Wilh. Bartz, M. d. R.

Dr. Herzfeld, M. d. R.

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