2.136 (mu11p): Nr. 136 Der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen an den Reichskanzler. Königsberg, 11.6.1920

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[329] Nr. 136
Der Oberpräsident der Provinz Ostpreußen an den Reichskanzler. Königsberg, 11.6.1920

R 43 I /1848 , Bl. 149 f.

Betrifft: Verstärkung der Sipo-Ostpreußen1.

1

Bei einer Besprechung in Königsberg am 6.5.20 war von den preußischen Provinzialbehörden bereits die Forderung erhoben worden, daß sowohl Reichswehr wie grüne Sicherheitspolizei vermehrt werden. Dabei sollte die Sicherheitspolizei, auf deren Vergrößerung besonderer Wert gelegt worden war, zu jeder Abteilung eine weitere Hundertschaft erhalten (R 43 I /1848 , Bl. 49-51). In einem Bericht über die Sicherheit Ostpreußens hatte der Reichs- und StKom. Borowski dem PrMinPräs. mitgeteilt, bei einer Verringerung der Reichswehr von 200 000 auf 100 000 Mann seien ihre Kräfte für Ostpreußen derart gering, „daß eigentlich nur von dem Vorhandensein einer kaum den Bedürfnissen genügenden Polizeitruppe gesprochen werden kann“ (R 43 I /1848 , Bl. 129-133). Der RWeM teilte dem StSRkei am 24.5.20 mit, für Ostpreußen werde bei der Heeresverminderung eine der sieben Divisionen des 100 000 Mann-Heeres vorgesehen (R 43 I /1848 , Bl. 88).

Im Anschluß an mein heutiges Telegramm, betreffend Verstärkung der Sipo Ostpreußen und den von mir am 10.6.20 […] eingereichten, begründeten Antrag, betone ich nochmals die dringende Notwendigkeit einer Vermehrung der Sipo2.

2

In seinem Telegramm hatte der OPräs. zur Bewahrung von Ruhe und Ordnung zusätzliche Verstärkung der Sipo „um 6 unberittene, 12 berittene, 1 technische Hundertschaft sowie einen Abteilungsstab“ gebeten. „Reichswehrverstärkung kann notwendige Sipoverstärkung nicht ersetzen“ (R 43 I /1848 , Bl. 137).

Für Eingriffe bei inneren Unruhen, überhaupt für jede polizeiliche Aktion ist die Sipo unentbehrlich. Die Sipo hat sich bereits in der kurzen Zeit ihres Bestehens das Vertrauen aller ordnungsliebenden Kreise der Bevölkerung – und zwar in weitem Maße auch das der linksstehenden Schichten und der Arbeiterbevölkerung – dahin erworben, daß es ihr in keinem Falle um militärische Machtproben, auch nicht um Aufrichtung einer militärischen Diktatur, sondern lediglich um Aufrechterhaltung von Ruhe und Sicherheit zu tun ist. Ihre Zusammensetzung und die besondere Schulung für polizeiliche Zwecke gewährleistet erheblich größere Erfolge in innerpolitischem Sinne3. Ihre enge Angliederung an die Zivilverwaltungsorgane erleichtert den Einsatz, nimmt zugleich jeder Aktion der Sipo den rein militärischen Charakter. Auf Grund meiner Erfahrungen, die zuletzt noch bei der raschen Erledigung der recht unangenehmen[330] Wirren im Kreise Pr. Eylau4 bestätigt wurden, wird gerade der Sipo aus so weiten Kreisen der Bevölkerung Unterstützung zuteil, daß sie in ganz anderer Weise für die Aufrechterhaltung verfassungsmäßiger Zustände im Innern geeignet ist, wie die Reichswehr, die vielfach auf die Arbeiterbevölkerung wie rotes Tuch wirkt. Bei der Reichswehr ist eine große Zahl von sehr jugendlichen Soldaten vorhanden. Sie wären tatsächlich für ein Auftreten als einzelne Patrouillengänger nicht geschult und können auch die mit solchen polizeilichen Einzel- oder Doppelpatrouillen verbundenen Schwierigkeiten infolge mangelnder Erfahrung nicht überwinden. Die Reichswehr kann meiner Ansicht nach nur in Verbänden, von einer Kompagnie aufwärts verwendet werden. Damit scheidet sie für die vielen kleinen Einzelaufgaben aus. Besonders bei der Ausdehnung des flachen Landes in Ostpreußen muß bei der geringen zulässigen Zahl der militärischen und polizeilichen Kräfte ein sehr hoher Prozentsatz – mindestens die Hälfte – solcher Leute vorhanden sein, die ich in kleinen und kleinsten Abteilungen, notfalls als Doppelpatrouillen, verwenden kann. So hohen Anforderungen kann aber nur die Sipo mit ihren stark gesichtigten Beamtenmaterial genügen.

3

Über die Stellung und das Ansehen der Sipo in Ostpreußen berichtete der Königsberger Polizeipräs. Lübbring dem PrIM: Die Arbeiterschaft Ostpreußens lehne die Reichswehr als verfassungsfeindliches und unzuverlässiges Element ab und werde sich über den Antrag in Spa, es bei einem 200 000 Mann-Heer für Deutschland zu belassen, empören. Demgegenüber genieße die Sipo das allergrößte Vertrauen: „In Ostpreußen hat die Sipo infolge ihres taktvollen aber entschiedenen Auftretens sogar das Vertrauen der unabhängigen Sozialdemokratie erworben. Das Bewußtsein, daß die Sipo eine Truppe zum Schutz der Republik ist und sich unter keinen Umständen für reaktionäre Zwecke mißbrauchen läßt, hat dieses Vertrauen noch gesteigert.“ Lübbring kam zu dem Schluß, daß die Stärke der Sipo 100 000 Mann betragen solle: „Ruhe, Ordnung und Sicherheit aller Staatsbürger werden durch die Sipo garantiert, und damit ist auch der Grund für eine langsame Genesung unseres Landes und Volkes gelegt“ (R 43 I /1848 , Bl. 156 f.).

4

In Pr. Eylau war am 31. 5. ein Generalstreik der Stadt- und Landarbeiter ausgebrochen (Bericht des StKom. für öffentliche Ordnung vom 31.5.20; R 43 II /398 , Bl. 43-47), als den Gewerkschaften nicht, wie gefordert, die Waffen der Einwohnerwehren übergeben worden waren, um sich gegen einen Rechtsputsch zu schützen (Bericht des StKom. vom 1.6.20; P 135/ 11760).

Ich will naturgemäß die Reichswehr nicht herabsetzen und würde mich freuen, wenn in Spa eine möglichst große Truppenzahl von Reichswehr, die allerdings für innere Unruhen nur in allerletzter Linie herangezogen werden darf, sich durchsetzen ließe. Die Aufgaben von Sipo und Reichswehr liegen aber auf ganz verschiedenen Gebieten. Wenn aber insgesamt nur 200 000 Mann etwa durchgesetzt werden können, so bin ich entschieden dafür, hiervon etwa 100 000 Mann auf die Sipo entfallen zu lassen5.

5

Vom PrIM wurde zu diesem Schreiben, das ihm am 12. 6. zugeleitet worden war, erklärt: „Täglich laufen bei mir dringende Anträge auf Vermehrung der Sipo aus allen Teilen des Reiches ein. – Bevor ich nicht klar sehe, welchen Standpunkt die Reichsregierung in Bezug auf Stärke der Sipo im Gegensatz zur Reichswehr in Spa vertreten wird, bin ich nicht in der Lage, den dringenden Bitten – so berechtigt sie auch sind – zu entsprechen.“ (15.6.20; R 43 I /1848 , Bl. 152).

Wir müssen meines Erachtens für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung solche Hilfskräfte an die Hand bekommen, die in den breiten Schichten der Bevölkerung nicht als Gegner, sondern als notwendige Organe der Sicherheit betrachtet werden. Deshalb warne ich vor anderen Schritten und rate dringend, meinen Vorschlägen zu folgen6.

6

Vgl. Anm. 218 der Einleitung.

Siehr

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