2.211 (mu21p): Nr. 211 Der Reichsbankpräsident an den Reichskanzler. Paris, 24. Mai 1929

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Nr. 211
Der Reichsbankpräsident an den Reichskanzler. Paris, 24. Mai 19291

1

Dieses Schreiben wurde dem RK durch StS Pünder nach Magdeburg nachgesandt, wo der Parteitag der SPD stattfand (R 43 I /287 , Bl. 161).

R 43 I /287 , Bl. 142-145

[Betrifft: Markfrage und Stand der Sachverständigenkonferenz.]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler

Darf ich zunächst mit bestem Dank Ihren Brief vom 18. d. M. bestätigen und anliegend Abschriften beifügen, 1) eines Briefes von Francqui an mich und 2) meines heutigen Briefes an Herrn Sarnoff2, der zur Zeit innerhalb der amerikanischen Delegation der eigentlich aktive Mann ist, nachdem Young so gut wie zusammengebrochen ist. Aus dem Punkt 2 der Bemerkungen, die wir heute Herrn Sarnoff für die Fortsetzung der Konferenz-Diskussion übergeben haben und deren Abschrift ebenfalls hier beiliegt, werden Sie ersehen, daß ich die Bereitwilligkeit erklärt habe, Sie, sehr geehrter Herr Reichskanzler, um Rücknahme meiner Verhandlungsautorisation zu bitten, wenn die Verbindung zwischen Experten und Unterhändler die weitere Verfolgung dieser Angelegenheit stören sollte3. Ich nehme an, daß Sie gegen diesen Modus nichts einzuwenden[689] haben werden und würde bitten, mich zu ermächtigen, die Autorisation an Sie zurückzugeben, wenn dies im weiteren Verlauf der Besprechungen angezeigt erscheinen sollte.

2

Francqui hatte nochmals seinen Standpunkt bekräftigt, daß er die von Schacht vorgelegten Dokumente zur Verbindung der Markfrage mit den Verhandlungen über Eupen-Malmedy nicht anerkenne. „Je ne puis que vous le confirmer encore, en mettent fin à cette correspondence qui n’a aucune raison de s’enterniser“ (R 43 I /287 , Bl. 148). Im Schreiben an Sarnoff hatte sich Schacht in gleicher Weise wie gegenüber dem RK über den belgischen Delegierten Francqui geäußert. Außerdem hatte der RbkPräs. erklärt, daß die politische Regelung des Eupen-Malmedy-Komplexes nichts mit den Reparationen zu tun habe (R 43 I /287 , Bl. 146 f.).

3

Dieser Punkt lautete: „Dr. Schacht is authorized by this Government to discuss this question [Markfrage] with accredites respresentatives of the Belgian Government, with a view to arriving at a settlement, if possible. However such discussion, if undertaken by Dr. Schacht must be in this capacity as a special respresentative of this Government, and not as a member of the Independent Expert’s Comitee. – The German Group does not regard the question of the Belgian mark settlement as within the terms of reference of the Independent Experts’ Comitee. If this is considered that discussion of this question would be facilitated if undertaken by others than those now members of the Experts’ Comitee, Dr. Schacht is prepared to relinquish his special authorization from this Government in connection with this matter, and to offer no objection to his being substituted by someone else for this purpose“ (Memorandum of position of German group as stated by Dr. Schacht with reference to Draft Report C may 21. 1929 submitted by creditor groups. R 43 I /292 , Bl. 157-161, hier: Bl. 157).

Was die Behandlung der Frage selbst anlangt, so ist mein persönlicher Eindruck der, daß die ganze Angelegenheit eine Frage des persönlichen Prestiges von Herrn Francqui ist. Ich habe den Eindruck, daß Herr Francqui durch die früher von ihm selbst angeregte Verbindung mit der Eupen-Malmedy-Frage sich nachträglich geniert fühlt und daß er nun gewissermaßen mit der ihm eigenen Brutalität versucht, die Sache wieder einzurenken. Ich bin aber der festen Überzeugung, daß an dieser Frage unter keinen Umständen die Konferenz scheitern wird. Daß die belgische Regierung nach Unterzeichnung des Experten-Gutachtens die Frage ihrerseits wieder anschneiden wird, bevor sie den definitiven politischen Reparationspakt zeichnet, ist selbstverständlich. Wir können diese Möglichkeit, die Sache auf dem Wege der politischen Verhandlungen auszutragen, durchaus den Belgiern offen lassen, ohne uns irgendwie in der Frage selbst zu binden, oder jetzt irgendwelche Versprechungen zu machen. Ist einmal das Expertengutachten unter Dach und Fach, so wird die Wichtigkeit dieses Punktes bedeutend abnehmen, und wir können dann immer wieder in den politischen Verhandlungen an das Schreiben des Herrn Delacroix anknüpfen4.

4

Delacroix hatte am 21.7.26 ein Schreiben an Schacht gerichtet, auf Grund dessen am 24. 7. in Berlin zwischen ihnen Verhandlungen aufgenommen wurden, „aus denen sich ergab, daß die belgische Regierung die Möglichkeit als gegeben ansah, die Kreise Eupen-Malmedy mit Ausnahme einiger Gebietsteile rein wallonischen Charakters gegen eine angemessene finanzielle Gegenleistung an Deutschland zurückzugeben“ (Aufzeichnung v. Schuberts, 14.3.29; R 43 I /54 , Bl. 3-6, hier: Bl. 4).

Was den Stand unserer Konferenz-Verhandlungen hier anlangt, so werden Sie aus der oben schon erwähnten Anlage entnehmen, welche Punkte, abgesehen von den Ziffern, noch offenstehen5. Unsere gestrige Nachmittagsunterhaltung mit den alliierten Vertretern und die Reaktion auf die von uns vorgebrachten Argumente scheint mir die Hoffnung offen zu lassen, daß nahezu alle unsere Bedingungen angenommen werden. Dagegen wird es wahrscheinlich nicht möglich sein, zum Abschluß zu gelangen, wenn wir in den Zahlen nicht noch etwas nachgeben, und zwar kann es sich dabei um einen Betrag von maximal 50 Millionen pro Jahr handeln6. Wäre die amerikanische Delegation nicht innerlich so gespalten in ihren Empfindungen und wäre der Vorsitzende eine willensstarke Natur, so könnte man vielleicht auf einen Erfolg auf Basis der Youngschen Ziffern rechnen. So aber stehen wir zwar äußerlich[690] mit den Amerikanern zusammen, innerlich aber können wir nicht auf eine entscheidende Aktion bei ihnen rechnen.

5

Vgl. dazu Dok. Nr. 210. Gemeint ist hier als Anlage das Memorandum der deutschen Gruppe vom 24. 5.

6

Diesen Satz kommentierte Pünder: „Bezüglich des Standes der gesamten Konferenzverhandlungen sind die Schachtschen Forderungen […] nach unserer allgemeinen Auffassung recht bemerkenswert. Es ist nach unserer Auffassung ein psychologisches Rätsel, wie Herr Schacht in diesem Brief sich bezüglich der etwaigen Erhöhung doch noch recht entgegenkommend äußern konnte, während wenige Stunden darauf in dem Fernspruch von 9 Uhr abends eine völlig ablehnende Haltung eingenommen wurde [siehe Dok. Nr. 210]. Immerhin muß man sich aber wohl an diese letzte Meinungsäußerung von 9 Uhr abends halten, so daß hinsichtlich dieses Punktes der vorangegangene Brief als überholt anzusehen ist“ (Anschreiben zum Schreiben des RbkPräs.; 25. 5.; R 43 I /287 , Bl. 161 f.).

Wie Herr Kastl und ich uns entscheiden werden, vermag ich im Augenblick noch nicht zu sagen. Sie wissen, daß ich bisher die deutsche Delegation in einem Geist geführt habe, der die politischen Notwendigkeiten des Deutschen Reiches stark in Rechnung gezogen hat. Ich fürchte, daß ich schon ein gutes Stück meiner Reputation in der Heimat aufs Spiel gesetzt habe. Sie wissen aber auch aus früheren Unterhaltungen, daß ich für die staatspolitischen Notwendigkeiten ein starkes Verständnis habe und gegebenenfalls große persönliche Opfer zu bringen willens bin. Wir stehen jetzt auf dem Punkt, wo es m. E. nahezu gleich übel ist, ob man annimmt oder ablehnt. Sollten Herr Kastl und ich uns entscheiden, nicht zu unterzeichnen, so würden wir Ihnen dieses vorher mitteilen7 und Sie keinesfalls vor ein fait accompli stellen. Ich bitte jedoch die deutsche Regierung, uns nicht nach der einen oder anderen Seite zu drängen, sondern uns die Aktionsfreiheit zu lassen. Wir werden in jedem Falle versuchen, noch das Äußerste herauszuholen und der deutschen Regierung die Möglichkeit, andere Herren unterzeichnen zu lassen, nicht verbauen.

7

Darüber von Pünder notiert: „Im Fernspruch von gestern 9 Uhr erfolgt“.

Darf ich Sie bei dieser Gelegenheit daran erinnern, daß ich mir in meinem Schreiben vom 10. Mai erlaubt hatte, Sie zu bitten, mir die Gilbertschen Aufzeichnungen über seine Unterhaltungen mit den deutschen Ministern abschriftlich zugehen zu lassen. Mit größter Hochachtung verbleibe ich, sehr geehrter Herr Reichskanzler, Ihr sehr ergebener

Dr. Hjalmar Schacht

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