2.212 (mu21p): Nr. 212 Der Reichsbankpräsident an den Reichskanzler. Paris, 27. Mai 1929

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Nr. 212
Der Reichsbankpräsident an den Reichskanzler. Paris, 27. Mai 19291

1

StS Pünder sandte das Schreiben am 28. 5. nach Magdeburg, wo sich der RK während des SPD-Parteitags aufhielt (R 43 I /287 , Bl. 172).

R 43 I /287 , Bl. 168-170

[Betrifft: Stand der Sachverständigenkonferenz.]

Sehr geehrter Herr Reichskanzler

Darf ich zunächst verbindlichen Dank sagen für die Herrn Kastl und mir mit Telegramm des Auswärtigen Amtes Nr. 297 vom 24. d. M. gewährte Handlungsfreiheit2. Diese Entschließung der Regierung hat uns ermöglicht, noch an einigen weiteren Möglichkeiten, die zu einer Verständigung führen können, mitzuarbeiten. Sie wollen daraus ersehen, daß wir bis zum letzten Augenblick bemüht sind, alle Möglichkeiten, die zur Abfassung eines einheitlichen Berichtes führen können, zu erschöpfen. Da die Vorschläge und Möglichkeiten nahezu[691] alle Stunde wechseln, so ist es ganz unmöglich, Sie mit allen Einzelheiten bekannt zu machen. Wir glauben aber, in dem Sinne des Vertrauens, das die Regierung in uns setzt, zu handeln, wenn wir den letzten Schritt, nämlich die Herbeiführung eines getrennten Berichtes, erst als letzten Ausweg ins Auge fassen3.

2

Siehe dazu Dok. Nr. 210. Der Satz ist vom RK an- und unterstrichen worden.

3

Hierzu berichtete Pünder in seinem Anschreiben an den RK: „Das Bild, das Herr Präsident Schacht in diesem Brief hinsichtlich des gestrigen Tages zeichnet, ist offensichtlich auch heute noch das gleiche, […] es scheint, daß die deutsche Delegation hinsichtlich des Termins des Inkrafttretens des neuen Plans zu einigem Nachgeben bereit ist, im übrigen aber hinsichtlich der Youngschen Zahlenreihe in voller Übereinstimmung mit der RReg. nach wie vor fest bleibt. Es wurde uns als besonders bemerkenswert heute aus Paris durchgegeben, daß nunmehr auch der ‚große‘ Morgan, der anscheinend immer ungeduldiger wird, jetzt mit seinem starken Einfluß, mehr in Erscheinung zu treten beabsichtigt. Alles in allem scheint sich stimmungsmäßig die Lage gebessert zu haben, ohne daß aber etwas Konkretes erzielt wäre“ (28. 5.; R 43 I /287 , Bl. 172).

Was die Telegramme 299 vom 25. d. M. und 300 und 301 vom 26. d. M. anlangt, so war es mir bisher, da ich unter möglichster Schonung des Vorsitzenden vorgehen mußte, nur möglich festzustellen, daß die Behauptung des Herrn Gilbert, er habe im Namen Owen Youngs eine Mitteilung zu machen, nicht den Tatsachen entspricht4. Diese Feststellung ist mir durch den amerikanischen Mitarbeiter des Vorsitzenden, Herrn Sarnoff, heute gemacht worden mit dem Hinzufügen, er, Young, möchte mich gelegentlich in dieser Angelegenheit sprechen. Gleichzeitig erfahre ich, daß Herr Young Herrn Gilbert nach Paris zurückzitiert hat. Herr Young befindet sich, wie bereits aus meinen früheren Mitteilungen hervorgeht, in einer körperlichen und geistigen Verfassung, die auf der einen Seite für mich die Notwendigkeit vorsichtigster Behandlung ergibt, auf der anderen Seite es aber durchaus möglich erscheinen läßt, daß die Einflußnahme Gilberts in der belgischen Markfrage bei ihm vielleicht nicht ganz diejenige Zurückweisung erfahren hat, die ich selbst, wie ich Herrn Sarnoff mitgeteilt habe, für angebracht gehalten hätte. Schon die früheren Escapaden des Herrn Gilbert auf dem politischen Parkett zeigen ja nicht gerade eine große Gewandtheit, und es scheint mir, daß Herr Gilbert auch in dieser Frage einen Übereifer entwickelt, der mit Vorsicht aufgenommen zu werden verdient. Herr Francqui hat inzwischen dem Vorsitzenden das abschriftlich mitgeteilte Schreiben zugehen lassen, von welchem mir im Auftrage des Vorsitzenden Kenntnis gegeben worden ist5. Ich fasse dieses Schreiben in Übereinstimmung[692] mit meinen Kollegen eher als einen Rückzug auf. In jedem Falle halte ich dieses Schreiben für den Fall eines Abbruchs der Konferenz oder eines getrennten Berichtes deswegen für außerordentlich wertvoll für uns, weil es mit unbestreitbarer Deutlichkeit den politischen Charakter zum mindesten dieses belgischen Experten kennzeichnet. Herr Francqui weigert sich danach, sich an einem Sachverständigengutachten zu beteiligen, weil eine politische Angelegenheit zwischen der belgischen und der deutschen Regierung nicht vorher erledigt wird. Ich glaube, daß Herr Francqui sich damit in eine für die Schlußunterzeichnung des Expertenberichtes völlig unmögliche Position hineinbegeben hat, und glaube, daß wir die weitere Entwicklung dieser Frage noch abwarten können bis es entschieden ist, ob wir uns noch in letzter Minute mit den Franzosen über einen gemeinsamen Bericht verständigen können6.

4

In diesen Telegrammen war mitgeteilt worden: Parker Gilbert habe im Auftrag Owen Young erklärt, daß nach dessen Ansicht „eine Regelung der Markfrage erfolgen müsse, wenn ein Sachverständigenbericht erfolgen solle“. Young schlage baldige Verhandlungen mit der belgischen Regierung vor. Außerdem habe der belgische Gesandte mitgeteilt, Hymans sei über Schachts Bestreben, über die Markfrage und territoriale Angelegenheiten nur gemeinsam zu verhandeln, verwundert. Ohne Regelung der Markfrage könne Belgien den Sachverständigenplan nicht unterzeichnen (Telegramm Nr. 299; Pol.Arch.: Büro RAM 5 Bd. 25). Weiterhin war Schacht ermächtigt worden, seine Autorisation zur Verhandlung über die Markfrage zurückzugeben. Falls der Bericht der Sachverständigen anders nicht zustande komme, werde die RReg. gesonderte Verhandlungen über die Markfrage führen (Telegramm Nr. 300; Pol.Arch.: Büro RAM 5 Bd. 25. Das Telegramm Nr. 301, das von v. Schubert im Namen Pünders abgesandt worden war, hatte den gleichen Inhalt; R 43 I /287 , Bl. 166).

5

Francqui hatte schriftlich den Standpunkt der belgischen Delegierten wiederholt, den er bei einer Unterredung Owen Young am gleichen Tag vorgetragen hatte: „[…] ils ne pourront participer à la rédaction d’un rapport ni lui donneur leur assentiment que s’ils obtiennent satisfaction sur la question des marks belges“ (27. 5.; R 43 I /287 , Bl. 171).

6

Daß Aussichten hierzu bestanden, hatte bereits ein Telegramm v. Hoeschs erkennen lassen, in dem der Botschafter berichtet hatte, „daß Poincaré den Abschluß ernstlich wünsche und erstrebe“ (Telegramm Nr. 396 vom 24. 5.; R 43 I /287 , Bl. 159 f.).

Ich halte mich in dieser Frage mit dem Herrn Botschafter von Hoesch hier in dauernder Fühlung und werde sofort Nachricht nach dort geben, sobald eine Äußerung der deutschen Reichsregierung erforderlich wird. Mit ausgezeichneter Hochachtung Ihr sehr ergebener.

Dr. Hjalmar Schacht

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