1.188.1 (mu22p): Fortsetzung der Aussprache über den Haushalt 1930 und die Deckungsvorschläge.

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RTF

Fortsetzung der Aussprache über den Haushalt 1930 und die Deckungsvorschläge1.

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Siehe Dok. Nr. 434, P. 3 und Dok. Nr. 437.

Der Reichsminister der Finanzen berichtete über den bisherigen Verlauf der Verhandlungen mit den Finanzsachverständigen der Fraktionen über die Ausgestaltung des Etats 1930. Er erklärte, daß die Besprechungen sich bisher überwiegend mit der Frage der Entlastung des Etats von den Zuschüssen zur Arbeitslosenversicherung befaßt hätten und noch kaum darüber hinaus gelangt seien. Eine Einigung auf diesem Gebiete sei noch nicht gelungen. Er sei auf Grund einer Besprechung zu einem Vermittlungsvorschlag gelangt, den er durch das Kabinett zu billigen bitte. Sein Vorschlag halte an dem Grundsatz fest, daß der Haushaltsplan von den Zuschüssen der Arbeitslosenversicherung entlastet werden müsse. Die Zuschüsse sollten in Zukunft nicht mehr aus laufenden Reichsmitteln gewährt werden. Statt dessen solle der Erwerbslosenversicherung für das Jahr 1930 ein fester Reichszuschuß in Höhe von höchstens 150 Millionen RM gewährt werden. Im Jahre 1931 solle der Zuschuß höchstens 100 Millionen betragen. Die Regelung in den späteren Jahren solle einstweilen außer Betracht bleiben. Dieser Zuschuß solle durch den Verkauf von Reichsbahnvorzugsaktien, die sich im Besitz des Reiches befinden, an die Invaliden- und Angestelltenversicherung gewonnen werden. Er denke es sich für das Jahr 1930 etwa so, daß die Invalidenversicherung 50 Millionen nehme und die Angestelltenversicherung 100 Millionen. Das Reich behalte sich bei dem Verkauf ein Rückkaufsrecht vor, vor allem für den Fall, daß die Sozialversicherungen dazu übergehen sollten, die in ihren Besitz übergegangenen Reichsbahnvorzugsaktien weiterzuveräußern. Da die Zuschüsse von 150 Millionen und 100 Millionen zur Abdeckung des Finanzbedarfs der Arbeitslosenversicherung nicht ausreichen, solle das Präsidium der Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung weitgehende Rechte erhalten, durch eigene Beschlüsse die erforderlichen Mittel zu beschaffen entweder durch Senkung der Verwaltungskosten oder durch Kürzung der Leistungen oder durch Verbesserung der Exekutive oder durch vorübergehende Beitragserhöhung.

[1457] Auf Grund der anschließenden Aussprache wurde der Reichsminister der Finanzen ermächtigt, auf der Grundlage dieses Vorschlages mit den Parteien weiter zu verhandeln2.

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Über diese Aussprache notierte Schäffer in seinem Tagebuch, Wissell habe die Ausführungen des RFM abgelehnt. „Reichskanzler glaubt nicht, daß man bei den Parteien durchkommen würde. Wir waren vor einem Jahr fast mit den Finanzsachverständigen aller Parteien ([…]) einig, daß das Budget von Vorstößen der ALV befreit werden muß. Wir müßten sonst auf der Einkommenseite einen variablen Faktor haben, der entsprechend steigt. Das Schreiben vom Dezember 1929 ([…]) ist in dieser Hinsicht sehr unangenehm, aber wir haben auch das Parlament in kurzer Zeit vor einen veränderten Standpunkt gestellt. Beitragserhöhung ist an sich berechtigt. In allen Parteien sind auch die Angestellten am stärksten dagegen. Die Finanzsachverständigen wollen die Beiträge nicht in Steuern aufbringen. Stegerwald: Es handelt sich um zwei ganz verschiedene Versicherungsträger (Arbeitslosenversicherung und Invalidenversicherung). Bei der Invalidenversicherung, zu der das Reich 400 Mio Zuschüsse leistet, ist die Sache nicht schlecht, zumal die Beiträge erst im Kalenderjahr 1931 zu leisten sind. Sollte man nicht überlegen, den Wohnungsmarkt, der sonst in drei Jahren abfällt, schon allmählich etwas zu dämpfen. Wissell bleibt bei seiner Meinung. Severing: Wie wäre es, wenn wir dem Finanzminister erklärten, daß wir in seinem Vorschlag eine geeignete Verhandlungsgrundlage erblicken. Der Plan wird aber wohl die Bauarbeiter aufregen. Das sollte man nach Möglichkeit nicht tun. Kanzler: Für die Beitragserhöhung ist keine Mehrheit mehr zu haben. Für die Deckung durch Steuern ist wahrscheinlich auch keine Mehrheit zu erzielen. Es bleibt also nur der Weg des Finanzministers ([…]). Wissell: Es bleibt nicht nur dieser Weg. Ich habe auch einen anderen gewiesen. Weil nur der eine Weg vom Finanzminister in Vorschlag gebracht worden ist, bitte ich zu Protokoll zu nehmen, daß ich auch diesen für unmöglich halte. […] Minister: Der Weg der Beitragserhöhung ist auch bei meinem Weg nicht ausgeschlossen. – Beschlossen ([…]), mit allen Stimmen gegen Wissell. Kanzler: Ich bin der Auffassung, daß es richtig ist, daß der Finanzminister sich geweigert hat, den Parteien den Etat herauszugeben“ (13.2.30; Institut für Zeitgeschichte ED 93).

Der Reichsminister der Finanzen erklärte sodann weiter, daß er hoffe, das nach Absetzung der Zuschüsse zur Arbeitslosenversicherung verbleibende Haushaltsdefizit von rund 450 Millionen um weitere 150 Millionen auf etwa 300 Millionen senken zu können. Bei seinem bisherigen Plan sei er davon ausgegangen, im Jahre 1930 nicht nur die volle Summe des Schuldentilgungsgesetzes mit 450 Millionen zu decken, sondern darüber hinaus auch das Defizit des Jahres 1928 mit 154 Millionen abzutragen. Er habe sich nunmehr mit dem Reichsbankpräsidenten Schacht, auf dessen Verlangen das Schuldentilgungsgesetz zustande gekommen sei, dahin geeinigt, daß das Defizit des Jahres 1928 nicht neben dem Schuldentilgungsgesetz getilgt werde, sondern in das Schuldentilgungsgesetz einbegriffen werde.

[Der „Streichungsvorschlag“ des RFM für das RWeMin. beträgt 30 Mio RM. Im Etat des RArbMin. sollen die Wochenhilfe von 32 auf 5 Mio RM und die Zuschüsse für die Invalidenversicherung von 40 auf 20 Mio RM herabgesetzt werden. Die Zuschüsse für die wertschaffende Arbeitslosenfürsorge will der RFM von 55 auf 30 Mio RM und die Kapitalabfindung für Kriegsbeschädigte von 88 auf 63 Mio RM senken. Gegen die Absicht des RFM, die Saargänger-Unterstützung zu streichen und keine Mittel für den Westfonds vorzusehen, während dem Osten geholfen werde, erhebt der RMbesGeb. Einspruch. Nach einer Aussprache, an der sich der RJM, der RIM und der RPM beteiligten, wird die Weiterberatung auf den 17. Februar vertagt.]3

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Siehe Dok. Nr. 449, P. 3.

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