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München, den 11.1.33

Euer Kaiserlichen Hoheit

erlaube ich mir einen Bericht zur Lage zu übersenden. Ich bitte die Schrift mit Bleistift gütig zu entschuldigen, aber ich diktiere solche Dinge sehr ungern und schreibe sie auch nur von Zeit zu Zeit zur Klärung meiner eigenen Meinung. Aus letzterem Grunde muß ich sogar befürchten, daß solche Berichte Euer Kaiserliche Hoheit Zeit nur unnötig in Anspruch nehmen.

Mit Straßer habe ich nach seinem Berliner Aufenthalt5 noch nicht sprechen können. Dagegen ersuchte der Privatsekretär Hitlers, Herr Hess, einen meiner Bekannten, durch mich eine Besprechung mit Straßer zu erlangen. Dieses Ersuchen fand unmittelbar nach der Kölner Tagung statt. Ich messe ihm eine Bedeutung trotzdem nicht bei und bewerte es nur als eine zeitliche Schiebung.

5

Gregor Straßer war noch vor Weihnachten von seinem Italienaufenthalt nach Deutschland zurückgekehrt (vgl. dazu Dok. Nr. 35, Anm. 3). Brüning berichtet in seinen Memoiren, daß er am 28.12.1932 mit Straßer in Freudenstadt zusammengetroffen sei und dabei von dem bevorstehenden Hitler-Papen-Kontakt in Köln erfahren habe. Er will Straßer, der auch von Kabinettserweiterungsplänen Schleichers berichtete, gebeten haben, den RK hinsichtlich der Papenschen Aktivitäten zu warnen (Heinrich Brüning: Memoiren 1918–1934. S. 639 f.). Straßer traf den RK Anfang Januar in Berlin. Wie aus einer Nachkriegserklärung des Berliner Zahnarztes Elbrechter hervorgeht, will dieser die Kontakte geknüpft und auch den einführenden Empfang Straßers in Begleitung des RK beim RPräs. in der ersten Januarhälfte 1933 angeregt und vermittelt haben (Udo Kissenkötter: Gregor Straßer und die NSDAP. S. 205 f.). Papen verlegt den „in großer Heimlichkeit“ stattfindenden Empfang, über den v. Schleicher das RKab. nicht unterrichtet habe, auf den 4. 1. (Franz v. Papen: Vom Scheitern einer Demokratie. S. 338 f.). Nach Meissners Bericht hatte der RPräs. an Straßers „politischen und sozialen Auffassungen nicht Revolutionäres zu beanstanden“ und erklärte sich vorerst noch mit Schleichers Vorschlag, ihn zum Vizekanzler und RArbM zu ernennen, einverstanden (Otto Meissner: Staatssekretär unter Ebert-Hindenburg-Hitler. 251 f.). Die Öffentlichkeit erfuhr durch eine in der Presse erst am 12. 1. verbreitete Mitteilung von diesem Gespräch (Horckenbach 1933, S. 18), das in den Reihen der NSDAP-Führung erheblich zur Verunsicherung beitrug, wie Goebbels mit einem auf den 11. 1. bezogenen Tagebucheintrag vom 13. 1. belegt: „Alles noch in der Schwebe. Straßer wühlt. War bei Hindenburg. So stell ich mir einen Verräter vor. Ich habe immer klar gesehen. Hitler ist sehr bestürzt. Alles hängt nun von Lippe ab. [Donnerstag, 12. 1.:] Spät noch mit Ley über Straßer debattiert. Der durchschaut ihn nun auch. So ein Schubiack. Jetzt querzuschießen. Ein Verbrechen an der Bewegung.“ Am Vorabend der den Nationalsozialisten einen relativen Wahlerfolg bescherenden LT-Wahlen in Lippe heißt es bei Goebbels: „Abends spät am Kamin. Göring kommt. Er ist nett. Thema Straßer. Der ist im Begriff, uns an Schleicher zu verraten. Pfui Duibel! Aber er wird seine Lehre erhalten [?].“ (Nachl. Goebbels , Nr. 6, S. 58 ff.)

Eurer Kaiserlichen Hoheit bleibe ich ergeben

gez. Unterschrift

[222] Abschrift.

Am 4.1.33 fand die bereits am 26.12.32 zu erkennende Besprechung Papen – Hitler statt6. Vorher hatten schon einleitende Besprechungen der Mittelspersonen stattgefunden7.

6

Der ungenannte Informant hatte mit Schreiben vom 27.12.1932 den Kronprinzen informiert: „In Berlin scheint sich eine Front zu bilden StülpnagelPapen – Hitler mit dem Ziel, den Kanzler über den Präsidenten zu stürzen und zwar noch vor Neuwahlen.“ (Sichtparaphe und hschr. Vermerk v. Schleichers „Hierzu Stülpnagel hören“ vom 1.1.1933 auf dem Anschreiben des Kronprinzen vom 29.12.1932; Nachl. v. Schleicher , Nr. 23, S. 44–46a) – Der Brief, der auch einen Hinweis auf ein Gespräch mit Straßer am 27. 12. enthält, ist abgedruckt bei Volker Hentschel: Weimars letzte Monate. S. 153 f.; eine Stellungnahme zu diesem Brief bei Franz v. Papen: Vom Scheitern einer Demokratie. S. 349 f.

7

Der wesentliche Briefwechsel zu den seit September 1932 laufenden Bemühungen Kepplers, v. Schröders u. a., in der Frage der Regierungsbeteiligung der NSDAP oder der Regierungsübernahme durch Hitler zu einer auch für den RPräs. annehmbaren politischen Lösung zu kommen, befindet sich im Bundesarchiv Koblenz in: NS 20/76 und NS 51/14; weitergehende Quellensammlung bei Eberhard Czichon: Wer verhalf Hitler zur Macht? Aus der Sicht des Beteiligten neben Papens Memoiren Carl Vincent Krogmann: Es ging um Deutschlands Zukunft 1932–1939. S. 15 ff. Zusammenfassende Quellenanalyse bei Thilo Vogelsang: Reichswehr, Staat und NSDAP. S. 352 ff. und neuerdings Ernst R. Huber: Dt. Verfassungsgeschichte. Bd. VII, S. 1205 ff.; darüberhinaus, aus den Vorarbeiten zu dieser Edition erwachsen, Heinrich Muth: „Das Kölner Gespräch am 4. Januar 1933“, demnächst in: GWU 37 (1986).

Als Ziel der Besprechung galt auf der H.seite durch die Vermittlung Papens den Reichspräsidenten zu bewegen vor den Neuwahlen dem Kanzler das Vertrauen zu entziehen und ihn durch irgendeine Kombination zu ersetzen. Diese Seite zeigt sich befriedigt von der Kölner Besprechung8.

8

Vgl. dazu u. a. Otto Dietrich: Mit Hitler in die Macht. S. 169 f. und Joseph Goebbels: Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei. S. 235 f.; kein diesbezüglicher Tagebucheintrag in Nachl. Goebbels , Nr. 6.

Das Ziel Papens entzieht sich der Beurteilung. Er gilt als intimer Freund des Kanzlers. Wenn dem so sein sollte, dann mußten Einleitung und Gespräch dem Kanzler zuvor durch Papen bekannt gewesen sein9.

9

Papen behauptet, das Gespräch als „ehrlicher Makler“ zwischen der RReg. und der rechtsradikalen Opposition geführt zu haben. Die Vorabsprachen seien so „vage“ gewesen, daß es ihm „unnötig“ erschienen sei, den RK zu unterrichten (Franz v. Papen: Der Wahrheit eine Gasse. S. 255 f.; ders.: Vom Scheitern einer Demokratie. S. 336 ff.). Der RK scheint dennoch mittels der ihm zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten über das für das Schicksal seiner Reg. schließlich mitentscheidende Gespräch in Umrissen informiert gewesen zu sein (vgl. oben Anm. 5 und 6). Zu dem über den Chefredakteur der „Täglichen Rundschau“, Hans Zehrer, laufenden Informationsstrang vgl. Ebbo Demant: Hans Zehrer als politischer Publizist. S. 104 ff. – Ein Brief, den Papen noch am Abend des 4. 1. an den RK geschrieben haben will, ist nicht erhalten; ein mündlicher Bericht an den RK erfolgte am 9.1.1933 in Berlin (Presseverlautbarung und Kommentar der DAZ dazu vom 10.1.1933 bei Schultheß 1933, S. 7 f.). Gegenüber einem Düsseldorfer WTB-Mitarbeiter äußert sich v. Papen am 5.1.1933: Die Aussprache vom Vortag habe sich „ausschließlich“ um die „Frage der Eingliederung der NSDAP in eine nationale Konzentration“ gedreht (Aktennotiz mit Sichtparaphe Plancks vom 5.1.1933 in: R 43 I /2684 , S. 833).

Ist Papen Freund und ehrlicher Mitspieler Schleichers, dann mußte sein Ziel sein, H. klein zu kriegen, vor den Wagen des Kanzlers zu spannen. Gelungen ist ihm das nicht. Den Pressemeldungen, daß H. Reichswehrministerium, Innenministerium, prß. Präsidentenschaft verlangt habe, ist kein Glaube zu schenken, schon weil die Bewilligung dieser Forderung aus mehr als einem Grunde eine sicher nicht vorhandene Kopflosigkeit der Regierung verriete. Es[223] scheint aber auch nicht das Ziel gewesen zu sein, da die Generaldirektoren, welchen eine Kombination zwischen dem „sozialen“ General und dem „sozialistischen“ Strasser nicht in dem Kram paßt, mit in das Spiel eingriffen10.

10

Nach dem Kölner Treffen hatte v. Papen sofort mit der Bildung der lt. gemeinsamem Pressekommuniqué mit Hitler vereinbarten „großen nationalen politischen Einheitsfront“ (Schultheß 1933, S. 6) begonnen. Bis über den 20. 1. hinaus scheint er dabei versucht zu haben, den führenden Einfluß der bürgerlichen Gruppen sicherzustellen und die NSDAP in die Rolle des „Juniorpartners“ zu drängen (so v. Papen an Springorum, 20.1.1933). Es ist anzunehmen, daß bereits das am Abend des 4. 1. stattfindende Zusammentreffen mit Silverberg (vgl. Reinhard Neebe: Großindustrie, Staat und NSDAP. S. 171 ff.) und das am 6.1.1933 in Essen mit Mitgliedern des Deutschnationalen Katholikenausschusses geführte Gespräch diesem Zweck dienten (vgl. Schultheß 1933, S. 7). Mit Sicherheit läßt sich dies für ein weiteres Gespräch nachweisen, zu dem v. Papen am 7. 1. in Dortmund mit Krupp, Vögler, Reusch und Springorum zusammentraf. In Presseberichten über das als „privat“ bezeichnete Gespräch wurde als bekannt herausgestellt, daß „die Westindustrie und die anderen industriellen Kreise das Wirtschaftsprogramm v. Papens vollauf gebilligt“ hätten und nun besorgt darüber seien, „daß diese Grundlinien neuerlich verlassen werden könnten“. Mit besonderer Skepsis würden die Gerekepläne verfolgt (Schultheß 1933, S. 7). Ein späterer Brief Springorums an v. Papen erlaubt die Rekonstruktion der Stoßrichtung des Gesprächs. Springorum verspricht hier, von sich aus „alles zu tun, um den Zusammenschluß der bürgerlichen Kräfte in der Richtung der nationalen Konzentration zu fördern. Bei unserer letzten Unterredung hatte ich aber den Eindruck, daß auch Sie mit uns allen der Auffassung waren, daß eine solche Zusammenfassung der bürgerlichen Kräfte am besten durch Ihren persönlichen Eintritt in die DNVP gefördert werden könnte. […] Ich sehe […] in Ihrem Eintritt in die DNVP eine große Chance und glaube, daß durch Ihre aktive Mithilfe in der Führung dieser Partei die Sammlung alles dessen möglich ist, was um sie und neben ihr gruppiert ist. So kann eine starke nationale Bewegung entstehen, die die Gewähr für eine stabile nationale Regierung mit Einschluß der NSDAP bieten würde.“ (Springorum an v. Papen, 24.1.1933; Hoesch-Archiv Dortmund, B 1a–82). Das Gespräch war bereits vor Papens Treffen mit Hitler vereinbart worden (Springorum an v. Papen, 23. und 27.12.1932 und v. Papen an Springorum, 29.12.1932; ebd.). – Zum Gesamtzusammenhang vgl. auch Henry A. Turner: Die Großunternehmer und der Aufstieg Hitlers. S. 366 ff.

Ist Papen nicht der Freund des Kanzlers, dann liegt die Annahme vor, daß das Ziel auf beiden Seiten dasselbe war. In diesem Fall entscheidet den Spielausgang der Reichspräsident, bezw. seine Umgebung. Das Spiel erscheint aber auch in diesem Falle etwas unzulänglich begonnen zu sein, da sowohl Deutsch-nationale als auch Zentrum, denen der Sturz des jetzigen Kanzlers als erwünscht unterstellt wird, bisher nicht am Spiel beteiligt wurden.

Gibt aber der Reichspräsident nach, dann ist ein geschichtlicher Augenblick sehr reizvoll zum Handeln da – wenn man Pläne hat und seine Kräfte kennt11. Die Gefahr besteht, Wunsch und Wirklichkeit zu verwechseln.

11

Der RK trug unmittelbar nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Vorgänge (Zeitungsausschnittsammlung im Bundesarchiv, Sign. ZS 103/8626; Horckenbach 1933, S. 13 f.; Schultheß 1933, S. 5 f.) dem RPräs. mündlich eine Beschwerde über das illoyale Sondierungsgespräch seines Vorgängers vor, ohne bei Hindenburg mit seiner Forderung durchzudringen, „von Papen derartige politische Aktionen für die Zukunft zu untersagen und ihn künftig nur noch in seiner, des Kanzlers, Gegenwart zu empfangen“ (Otto Meissner: Staatssekretär unter Ebert – HindenburgHitler. S. 261 f.; dort auch ein Hinweis auf den ansonsten nicht belegbaren Geheimauftrag des RPräs. an den früheren RK vom 9.1.1933, eine Neubildung der RReg. unter seiner Führung und unter Einbeziehung Hitlers vorzubereiten; Franz v. Papen: Vom Scheitern einer Demokratie. S. 348).

Gibt der Reichspräsident nicht nach, so ist die Lage der Regierung des Kanzlers keineswegs schlecht. Entweder die Parteien, deren innere Festigkeit recht rissig geworden ist (Zentrum ausgenommen) und deren Kampfdynamik merklich nachgelassen hat, klappen psychisch und intellektuell ab, oder sie führen[224] den Formalkampf mit parlamentarischen Mätzchen. Im ersten Falle hat der Kanzler ein leichtes Wagen, ebenso aber auch im zweiten Fall. Auflösung und Neuwahlen? Gut. Ergebnis: Anwachsen der Roten und zwar Ganzroten. Die Weißen und Grauen werden dann schon gefügiger und das letzte Tänzchen mit den Kommunisten [ist] nur sowieso eine Frage der Zeit.

Es besteht kein Grund für den Kanzler irgendwie jetzt die Ruhe zu verlieren. Sein Gegenspieler – die Parteien – ist innerlich mürbe.

Notwendig zum Gewinn des Spieles ist, daß das Kabinett arbeitet in den aktuellen Fragen, deren drängendste die Krisenbekämpfung (leider bis jetzt nur durch Arbeitsbeschaffung à la Gereke12) ist. Luther hat Brüning bereits sabotiert, v. Papen falsch beraten und hinterher den Rat verleugnet, er hat auch bereits dem (übrigens nicht begeisternden) Gereckeplan die Stoßkraft genommen13. Von dieser Seite droht dem Kanzler sachlich die größte Gefahr. Nach bisherigen Erfahrungen ist zu befürchten, daß diesem aalglatten Mann und seiner Bürokratie niemand gewachsen ist.

12

Einzelheiten s. Dok. Nr. 3.

13

Zu der angedeuteten Kontroverse vgl. Dok. Nr. 32 und Dok. Nr. 67, Anm. 1.

In dieser Lage ist die Figur Straßer nicht ausschlaggebend. Bedeutsamer wird sie erst bei Neuwahlen. Immerhin ist diese Persönlichkeit so stark, daß eine sachliche Übereinstimmung mit ihr und eine Zusammenarbeit wünschenswert erscheint14.

14

Zum Fortgang s. Dok. Nr. 56.

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