1.172.1 (bru2p): [Wirtschaftliche und finanzielle Fragen]

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[Wirtschaftliche und finanzielle Fragen]

Der Reichskanzler stellte die gesamte finanzielle und wirtschaftliche Lage zur vertraulichen Erörterung. Die Auffassungen müßten sich dadurch klären.

Frankreich sei nicht gewillt und nicht in der Lage, Deutschland langfristige Anleihen ohne England und die Vereinigten Staaten zu geben. Die französischen Sparer würden nicht zeichnen. Der Crédit Lyonnais habe in kurzer Zeit 1 Milliarde an Devisen verloren, die zinslos in die Banque de France geflossen seien, weil die Sparer fürchteten, daß er sich an einer deutschen Anleihe beteiligen könnte. Der Zusammenbruch einer Kolonialbank habe die Angst der Bevölkerung gesteigert. Der Wert des Umlaufs von Banknoten betrage in Frankreich bereits 13½ Milliarden Mark. Die kleineren Leute hamsterten Noten oder brächten ihr Geld zur Banque de France. Frankreich habe zwar keine Bedingungen gestellt, aber die Vorschläge, die es von Deutschland gewünscht habe, könnten von keiner Regierung gemacht werden2.

2

Vgl. hierzu Dok. Nr. 398 und Dok. Nr. 408, P. 2.

Weder England noch die Vereinigten Staaten seien in der Lage, sich an einer Anleihe für Deutschland zu beteiligen. Das gelte mindestens für die nächsten drei Monate. Technische Vorbereitungen würden den gleichen Zeitraum in Anspruch nehmen. Die Pressepolemik für Verständigung mit Frankreich sei deswegen äußerst bedenklich3. Sie laufe auf eine Beeinflussung der Volksstimmung zur Kapitulation ohne Gegengabe hinaus.

3

Vgl. Dok. Nr. 411, P. 1.

Nicht allein deswegen seien außerordentliche Aufgaben zu lösen. Selbst wenn eine außerordentliche Auslandsanleihe käme, müßten die erforderlichen Vorbereitungen getroffen werden. Es sei besser, dies aus eigener Entschließung zu tun, als sie sich als Bedingungen aufzwingen zu lassen.

Die Geldgeber würden nicht nur eine Finanzkontrolle über die öffentliche Hand fordern, sondern auch Sicherungen dagegen, daß die deutsche Wirtschaft Fehlinvestierungen mache. Für diese Sicherheit müsse erst ein Weg gefunden werden. Die deutsche Wirtschaft habe durch den Zusammenbruch des „Nordwolle“-Konzerns[1484] und die Bankschwierigkeiten in den letzten vier Wochen außerordentliche Verluste an Prestige erlitten. Es werde jahrelange Arbeit bedürfen, um sie wieder auszugleichen.

Notwendig sei restlose Wahrheit in den Haushalten der öffentlichen Hand, aber auch in der privaten Wirtschaft. Nur dadurch könne neues Vertrauen entstehen.

Deswegen müsse das Kapital der deutschen Großbanken in ein richtiges Verhältnis zu den kurzfristigen Krediten und zu dem Gesamtumsatz gebracht werden.

Ein großer Teil der Industrieunternehmungen sei überkapitalisiert. Sie seien oft durch private Bindungen, besonders für hohe Gehälter und Löhne, im Übermaße belastet. Würden die Löhne und Gehälter und damit die Lebenserhaltung der Masse aber weiter sinken, so würde eine verzweifelte politische Stimmung entstehen.

Durch die geplante Aktienrechtsreform4 sollten Sicherungen gegen Mißstände geschaffen werden. Die Erledigung sei sehr dringlich.

4

S. Dok. Nr. 465, P. 1.

Eine Reihe großer Unternehmungen sei allerdings gut geführt und genieße volles Vertrauen.

Es müsse damit gerechnet werden, daß die ausländischen Kredite weiter sammenschmölzen, die Arbeitslosigkeit würde dadurch vermehrt, auch die Tendenz in der ganzen Welt gehe dahin. Der öffentliche Haushalt aller Instanzen käme dadurch in schwierige Lage. Dies gelte insbesondere bei den Ländern, Gemeinden, Kreisen und Provinzen. Die Kreditschwierigkeiten der Gemeinden müßten in Angriff genommen werden. Die Rheinische Landesbank sei in größeren Schwierigkeiten, weil die Gemeinden ihre kurzfristigen Kredite nicht zurückzahlen könnten.

die Gemeinden hätten die Sparkassen in Anspruch genommen. Sie seien im stärksten Maße bankmäßig tätig. Der Betrag der täglich fälligen Gelder sei übermäßig groß. Weitere erhebliche Sparmaßnahmen für Länder und Gemeinden würden nicht zu umgehen sein.

Die Hauszinssteuer müsse durch die Umsatzsteuer ganz oder zum größten Teil ersetzt werden. Die Lage der zweiten Hypotheken sei bedenklich; auch bei den ersten beginne eine gewisse Unsicherheit. Pfandbriefe würden zu äußerst niedrigen Preisen gehandelt. Käme auch in den Hypothekenmarkt Mißtrauen, dann sei kein Ausweg zu finden. Erhöhung der Umsatzsteuer würde jetzt kaum Preissteigerungen zur Folge haben, weil zwangsläufig Deflationspolitik betrieben würde.

Weitere Sparmaßnahmen seien erforderlich. Die Beamtengehälter seien auch in andern Ländern der Welt wesentlich gesenkt worden. Die deutschen Gehälter lägen noch über den französischen.

Die landwirtschaftliche Erzeugung und Preisbildung müsse berücksichtigt werden. Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten seien im Gange wegen eines zweijährigen Kredits für Rohstoffe und den Weizenexport. Dieser Weg[1485] sei sicherer als jeder andere. Die Zinsfestsetzung werde den Kredit Deutschlands auf eine günstigere Basis stellen.

Der Reichsminister der Finanzen erläuterte die Lage der öffentlichen Finanzwirtschaft. Das Reich hätte seit dem Bankenschluß5 230 Millionen Steuerausfall gehabt. Seit Erlaß der Verordnung über die Zinszuschläge zu den rückständigen Steuern6 sei der Eingang der Steuern wieder normal. Von den 230 Millionen Rückständen sei aber bisher nichts hereingekommen. Der Bankenschluß könne Grund hierfür sein. Auch die kleineren Steuerzahler wollten ihr Geld erst zurückbehalten, um nicht zu verhungern.

5

Gemeint sind die Bankfeiertage vom 14. und 15.7.31.

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VO des RPräs. über Zuschläge für Steuerrückstände vom 20.7.31 (RGBl. I, S. 385 ).

Der Hoover-Plan bedeute eine Ersparnis für die Reichskassen von 80 Millionen im Monat. Ausprägung von Silbermünzen bringe gewisse Erleichterung7.

7

Vgl. Dok. Nr. 396.

Die Länder und Gemeinden seien in sehr schwieriger Lage. In Preußen seien die Einnahmen und die Überweisungen des Reichs ausgeblieben. Die Steuern blieben bei den Gemeinden stecken.

Die Gemeinden kommen nach ihren Angaben mit den für die Erwerbslosen vorgesehenen Mitteln, 600 Millionen, nicht aus; sie brauchen 1 Milliarde 40 Millionen. Der Fehlbetrag belaufe sich bei ihnen auf 800 Millionen. Zur Aufnahme von Darlehen seien sie nicht mehr in der Lage. Sie bitten um Hilfe. Ein Weg hierfür sei aber nicht zu sehen.

Geheimrat BücherBücher gab einen Gesamtüberblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse vom Standpunkte der Industrie.

Auch bei großer Geldzufuhr aus dem Ausland würden die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland nicht gebessert, wenn nicht die Gesamtwirtschaft auf eine andere Basis gestellt würde.

70% der Wirtschaft seien unrentabel. Soweit noch eine Rentabilität bestehe, beruhe sie auf Monopolen und ähnlichen Verhältnissen. Im übrigen beruhe die Unrentabilität darauf, daß die Wirtschaft ihre Kapazität nicht ausnützen könne und im Übermaße belastet sei.

Nach seinen Feststellungen entfallen auf 100 Millionen Investitionskapital 7 Millionen Steuern, 7 Millionen soziale und andere Abgaben und 7 Millionen Zinsen und Amortisation für ausländische Gelder. Da das Betriebskapital mit der doppelten Summe des Investitionskapitals angenommen werden müsse, betrügen die Lasten von diesem durchschnittlich 10%. Das könne keine Wirtschaft auf die Dauer tragen.

Das Lohnproblem sei schwierig. Kein Unternehmer könne es mehr verantworten, die Löhne der unteren Arbeiter und Angestellten zu kürzen. Angestellte in Tarifklasse I hätten am 1. Juli 1930 190,– RM bezogen, an Lohnsteuer und sozialer Versicherung und Krankenkasse seien 17,45 RM abgezogen worden, so daß ihm 172,55 RM verblieben seien.

Am 1. Juli 1931 hätte er 177,– RM bezogen. Die Abzüge seien bei Arbeitskürzung auf 37,95 RM gestiegen, so daß ihm nur noch 139,05 [RM] verblieben.[1486] Am 1. August hätten sich Kurzarbeiter auf 131,10 RM netto gestanden. Das Existenzminimum würde bald unterschritten.

Dies besonders auch wegen der Mietverhältnisse. Ein Hilfsarbeiter mit 150,– RM Einkommen zahlt 35,– RM Miete. Für seine Frau und Kinder blieben also nach den Abzügen kaum 80,– RM zum Leben. Die Wohnungsfrage sei für den Lebensstandard der breiten Masse entscheidend.

Auch qualifizierte Arbeiter zahlten ein Viertel bis ein Drittel und manchmal mehr ihres Einkommens für Mieten.

Einkommen von 200 000,– bis 300 000,– RM im Jahr seien ein Widersinn. Die Gehälter seien bei der Industrie niedrig, die Tantiemen machten höhere Beträge aus. Von den hohen Einnahmen seien 62 oder 67% an Steuern abzugeben. Bei 200 000,– RM 124 000,– RM. Der Empfänger stehe sich besser, wenn er 100 000,– RM Einnahme habe und 10% Steuer zahle. Die Entwicklung habe sich überschlagen. Die Grundlage der Auffassung von Versorgung und Sicherheit sei unrichtig. Ein geringeres, aber sicheres Teileinkommen sei vorzuziehen. Niemand glaube mehr an die Sicherheit seiner Existenz.

Unhaltbar sei auch die Lage des ländlichen Grundbesitzes. Ein Gut, das vor dem Kriege 2 Millionen wert gewesen sei und mit 500 000 RM Schulden zu 10% belastet sei, könne die Löhne der Arbeiterschaft nicht mehr aufbringen. Notverkäufe seien erforderlich, Zinsen und Amortisation könnten nicht mehr aufgebracht werden.

Der Verkauf sei nicht möglich für den Wert der 1. Hypothek. Würde das Gut auch zu einem niedrigeren Preise übernommen, so wäre noch immer die Rentabilität fraglich. Die Einnahmen deckten die Unkosten nicht.

Es habe keinen Sinn, ein fiktives Kapital zu besitzen, wenn Zinsen und Amortisation nicht geleistet werden könnten. Kapital und Zinsen müßten herabgesetzt werden. Fiktives Kapital sei ohne Funktion, ohne Rentabilität und der Hauptgrund für die schwierigen Zustände.

Erforderlich sei, die Verhältnisse an die des Auslandes anzugleichen, einen Ausgleich auch im Innern vorzunehmen und das Investitionskapital an die Lage anzugleichen. Löhne und Gehälter müßten der Staat, Länder und Gemeinden sowie private Unternehmen den wirtschaftlichen Möglichkeiten anpassen, anderenfalls sei das Einkommen jedes einzelnen unsicher, weil keine Rente herausgewirtschaftet werde.

Es sei zu überlegen, ob ein Angleichungsgesetz nach diesen Gesichtspunkten gemacht werden könne.

Der Realbesitz müsse wieder Wert erlangen. Er sei durch die Hauszinssteuer entwertet, die in ihrem Ertrage von 1,5 Millionen 1930 auf 1,2 und 1,3 1931 zurückgegangen sei und deren Ertrag 1932 auf 900 Millionen geschätzt werde.

Die günstigen Wirkungen eines Erlasses der Hauszinssteuer schienen wesentlich größer als ihre Erträge.

Vor dem Kriege habe der städtische Grundbesitz einen Wert von rund 130 Milliarden gehabt, jetzt werde er auf 60 Milliarden geschätzt. Die Hauszinssteuer beruhe auf schätzungsweise 12 Milliarden Mieteinnahmen nach Abzug aller Lasten.

[1487] Eine gleichmäßige Besteuerung müsse die Hauszinssteuer ersetzen. Hunderttausende von Arbeitern würden dann wieder beschäftigt, wenn der Grundbesitz die notwendigen Reparaturen ausführen ließe. Es sei absurd, aus Mitteln der Hauszinssteuer neue Wohnungen zu bauen und dazu beizutragen, daß die alten verfielen.

Jeder Deutsche müsse weniger verbrauchen als bisher. Dadurch würde die Aufblähung der Wirtschaft verschwinden. Die Folge dieser Bereinigung wäre kein Konsumschwund. Dasselbe Volumen würde weiter zirkulieren.

Der Kanzler dankte für diese Ausführungen. Die Deflationspolitik mit Senkung der Löhne und Gehälter verringere die Einnahmen der öffentlichen Hand. Es frage sich, an welchem Punkte haltgemacht werden solle. Von dort aus müsse sich die Politik neu orientieren. Für Deutschland sei es schwierig, innerhalb der Weltkrise allein zu einer Besserung zu gelangen. Der Schrumpfungsprozeß werde weitergehen, bis sich die Preise wieder heben. Vorher sei nicht an eine Besserung zu denken. Es frage sich, welche Maßnahmen sich daraus für die Gesetzgebung und die Haushaltsführung ergäben. Die Entwicklung werde bei manchen Institutionen zu einer Beeinträchtigung ihres eigenen Zweckes führen.

Die Arbeitslosen-, Krisen- und Wohlfahrtsunterstützten ständen an die Einkommen der unteren Gruppen der Arbeiter und Angestellten bedenklich nahe heran. Könnten sie Schwarzarbeit leisten, so ständen sie sich besser als diese. Vielfach könnten sie die Miete nicht mehr bezahlen. Zum Teil würde sie von den Unterstützungsstellen begleichen. Es besteht die Gefahr, daß der Prozentsatz der Miete am Gesamteinkommen gemessen immer weiter steige. Die Abschaffung der Hauszinssteuer würde dem Hypothekenmarkte und den öffentlichen Haushalten zugute kommen, die Mietszuschläge zahlen. Die Steuer müßte abgeschafft, die Mieten müßten gesenkt und die erste Hypothek geschützt werden8.

8

StS Schäffer stellte in seiner Aufzeichnung über die Besprechung (IfZ ED 93, Bd. 12, Bl. 507–518) die Äußerung Brünings folgendermaßen dar: „Irgendwo muß man in dem Deflationsabbau haltmachen. Man darf dann an dieser Stelle nicht weitergehen. In der gesamten Weltkrise können wir durch Initiative nicht viel beitragen. Wir müssen mitgehen, bis zu einem Punkte, wo die Preise sich wieder fangen (das bedeutet, bis die Preise so niedrig sind, daß der Konsum wieder zu steigen beginnt). Wir müssen mit einem gewissen Abschnitt zwangsläufig rechnen. Wir müssen uns sagen, daß ganze Institutionen auf eine falsche Bahn gebracht werden, die diese Institutionen ihres Sinnes und Zweckes vollständig beraubt. Die Arbeiter kommen in eine verzweifelte Nähe zu den einzelnen arbeitslosen Kategorien. Wenn wir nicht an die Hauszinssteuer herangehen, werden die Mieten nicht mehr gezahlt, und der Hypothekenmarkt bricht zusammen, oder der Prozentsatz der Mieten am Einkommen wird viel geringer (muß wohl heißen: ‚höher‘)“ (IfZ ED 93 Bd. 12, Bl. 509–510).

Ähnliche Schwierigkeiten beständen bei der Landwirtschaft. Die hohen Preise könnten nicht auf die Dauer gehalten werden. Durch die Isolierung vom Weltmarkt-Preisniveau spitze sich die Lage der Konsumenten zu.

Bei vielen gewerblichen Unternehmungen werde es nicht möglich sein, ohne Kapitalzusammenlegung durchzukommen. Die nominellen Beträge, die investiert seien, könnten nicht mehr zu normalen Zinssätzen verzinst werden.

[1488] Fehlinvestitionen fänden noch dauernd statt. Handelshäuser legten Kapital in dauernd stillgelegten Werken an. Andere Betriebe müßten deswegen eingestellt werden. S. würde auch dauernd Kapital wieder vernichtet.

Geheimrat SchmitzSchmitz führte aus: In den nächsten zwei Jahren werde kaum mit finanzieller Hilfe zu rechnen sein, wenn nicht bei Eingehung einer langfristigen Anleihe eine Finanzkontrolle und eine Garantie gegen Fehlinvestierungen zugestanden würden. Bei diesen schwierigen Verhältnissen werde eine gewisse Planwirtschaft nicht zu vermeiden sein, eine Wirtschaftszentrale mit Kommissaren, denen weitgehende Vollmachten zu geben wären. Die Lage sei ähnlich wie im August 1914 und erfordere ähnliche Maßnahmen. Die Wirtschaft würde mitmachen.

Die erste Aufgabe sei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, insbesondere im Hinblick auf den kommenden Winter. Aufhebung der Hauszinssteuer würde in dieser Richtung wirken. Im übrigen sei ein Wirtschafts- und Finanzplan vorzulegen, der binnenwirtschaftliche Tendenzen hätte.

Dr. MelchiorMelchior hielt es deswegen für notwendig, sich nicht auf längere Frist binnenwirtschaftlich einzustellen. Der Ausschuß für die Umwandlung kurzfristiger in langfristige Kredite werde sich ein Bild der gegenwärtigen deutschen Verhältnisse machen. Die Gläubigerinteressen der Einfuhrländer würden dabei eine ebenso große Rolle spielen wie für Deutschland das Interesse an den Ausfuhrländern. Ob ein Ausschuß nach dem Plan von Geheimrat Schmitz bestimmt werden soll, sei mindestens zweifelhaft. Maßnahmen könnten nur auf drei bis sechs Monate getroffen werden und dürften nicht auf eine Planwirtschaft ausmünden.

Der Reichskanzler erklärte, daß von einer Planwirtschaft keine Rede sein könne. Nur müßte mehr Systematik und Planmäßigkeit aus eigener Entschließung der Wirtschaftsführer in die Wirtschaft hineinkommen, damit Fehler vermieden würden. Hierzu sei ein Plan nötig, der aber die freie Initiative und Unternehmungslust nicht beschränken dürfe. Das läge außer dem Bereich jeder Diskussion.

Zunächst handle es sich darum, die Fehlerquellen in der Wirtschaft zu bereinigen. Keine Anleihen dürften aufgenommen werden, wenn nicht Sicherheit über ihre zweckmäßige Verwendung gegeben sei. Es frage sich, auf welchem Wege dieses Ziel erreicht werden könne.

Bisher habe die Wirtschaft an der öffentlichen Hand starke Kritik geübt. Am 14. und 15. Juli hätte sie an den Staat Forderungen gestellt, die dieser nicht erfüllen konnte9. Aus dem Zwange, der auf der Wirtschaft ruhe, ergäben sich für die öffentlichen Haushalte weittragende Folgerungen. Die Rationalisierung sei an der Steigerung der Arbeitslosigkeit nicht unbeteiligt, die den Unterhalt von Millionen aus öffentlichen Mitteln erforderlich mache. Daraus wieder ergebe sich eine Steigerung der Realsteuern und anderer öffentlicher Abgaben. Dies sei der circulus vitiosus.

9

Vgl. Dok. Nr. 385 und Dok. Nr. 387. Vgl. auch Brüning, Memoiren, S. 314–319.

Dr. VöglerVögler stimmte im allgemeinen mit den Ausführungen des Reichskanzlers überein, bestritt aber, daß das Arbeitslosenproblem mit der Rationalisierung[1489] in so engem Zusammenhang stände, wie meist angenommen würde. Die Rationalisierung sei in erster Linie eine Selbstkostenfrage.

Die Unternehmen seien überlastet worden, hätten sich einschränken und Leute entlassen müssen. Meist läge keine Überkapazität vor, wenn es gelänge, die Arbeitslosen wieder in die Betriebe einzustellen. Der Absatz müsse so steigen, daß sie wieder beschäftigt werden könnten.

Bei Zusammenlegung des Aktienkapitals handele es sich um die Beseitigung eines Schönheitsfehlers. Er hätte mit Arbeitslosenbeschäftigung nichts zu tun, auch nicht mit den Selbstkosten.

Die deutsche Wirtschaft müsse sich nur aus eigener Kraft helfen. Auslandsverhandlungen würden nur schaden. Er sei Gegner jeder Anleihe des Auslands. Sie wäre nur ein Hindernis dafür, daß das Haus der deutschen Wirtschaft wieder normal ausgestaltet würde.

Die Devisenfrage bedeute einen starken Druck. Systematische Kontrolle über die Einfuhr sei deswegen nicht zu vermeiden. Sonst wären die Devisen nicht aufzubringen, die gebraucht würden. Alle Kräfte müßten dahin wirken, im Einkauf unabhängig zu werden. Allerdings bestände dabei Gefahr auch für den Export.

S. sei es nötig, die Einfuhr zu drosseln, um die Ausfuhr möglichst wenig zu stören. Die Industrie müsse einen Plan entwerfen, um dieses Ziel zu erreichen.

Das Arbeitslosenproblem würde sich lösen, wenn die Selbstkostenfrage gelöst würde. Bei Mehrarbeit, die auch die Folge des Wegfalls der Hauszinssteuer sein könnte, würden insbesondere die Handwerker stärker Beschäftigung finden. Ob weitere Arbeiten in Angriff genommen werden sollen, bedürfe wohl noch der Erörterung.

Die Werke müßten wieder verdienen, dann würden sie wieder vernünftig Geld ausgeben. Gewisse Versprechungen innerhalb der Unternehmer seien notwendig, insbesondere zur Berücksichtigung der Kapazitätsfrage, zur Vornahme von Verbesserungen und technischen Fortschritten. Jetzt seien die Ausgaben hierfür auf 1/10 der früheren Jahre zurückgegangen.

Auch der Verbrauch auf den Kopf der Bevölkerung sei erheblich geringer als vor dem Kriege. Der Verbrauch von Eisen habe damals 240 kg auf den Kopf jedes Einwohners betragen; jetzt belaufe er sich nur auf 30–40 kg im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen der Rückgang bei weitem nicht so stark gewesen sei. Das Inland sei zu teuer geworden. Die Belastungsfaktoren müßten denen des Jahres 1913, wenn auch unter Berücksichtigung der Kriegsfolgen, angeglichen werden, dann würde die Arbeitslosigkeit aufhören. Daß die Rationalisierung die Arbeitslosigkeit verschuldet habe, sei ein Trugschluß. Die Leute, die eingespart seien, seien in anderen Betrieben beschäftigt worden, die für die Rationalisierung gearbeitet hätten. Beispielsweise hätte die Mechanisierung der Kohlenbergwerke mehr Leute in den mechanischen Werkstätten beschäftigt, als durch die neuen Einrichtungen freigesetzt worden seien.

Die Kostenersparnis der Rationalisierung sei durch Löhne und Abgaben aufgezehrt worden. Technisch und rationell sei die Produktionswirtschaft in[1490] Ordnung; sie sei aber mit Unkosten im Übermaße belastet, etwa mit 300–500% mehr als 1913.

Der Reichskanzler erwiderte hierauf: Auf die Tonne Kohle bezogen, müßte jede Einsparung an Arbeitern die sozialen Lasten automatisch steigern. Die Rationalisierung habe so eine starke Mehrbelastung der Industrie gebracht. Die Selbstkosten müßten verringert werden. Die Herabsetzung habe bei den Löhnen im Durchschnitt 16% betragen. Die Beiträge zu den sozialen Institutionen seien allgemein niedriger geworden. Es seien immer wieder neue Lasten aufgenommen worden, um alte abzutragen.

Eine weitere Lohnsenkung vorzunehmen, wie die Arbeitgeber wünschten, sei nicht möglich, ohne neue Mehrbelastung durch öffentliche Abgaben zu schaffen. Die Wirtschaft würde sofort entlastet, wenn es möglich wäre, ihr die Ersparnisse aus dem Hooverplan zuzuführen. Der Betrag müsse aber benutzt werden, um kurzfristige Schulden zu bezahlen und die Wirtschaft mit Staatshilfe zu unterstützen, wo es notwendig sei. Mit 6 Milliarden lasse sich die deutsche Wirtschaft sanieren.

Würden die Löhne weiter gekürzt, dann könnten die Mieten nicht mehr bezahlt werden und würden zum großen Teil auf die öffentliche Hand entfallen. Dadurch entstände eine Gefahr für den Hypothekenmarkt. Die Frage müsse gelöst werden. Der Weg sei noch nicht zu erkennen. Andernfalls würde das System sich totlaufen.

Der Preußische Ministerpräsident sprach sich gegen weitere Auslandsgelder aus. Zuletzt hätten sie größere Beträge ausgemacht, als hätten verwertet werden können und hätten die Wirtschaft durch hohe Zinssätze belastet. Die Volkswirtschaft hätte aus diesen Investitionen seit Jahren bereits keinen Vorteil mehr gehabt.

Das Vertrauen im Inland habe stark gelitten. Darauf beruhe die unwirtschaftliche Zurückziehung von Kapitalien aus der Wirtschaft. An sich hätte sie nicht zu wenig Kapital oder zu wenig Zahlungsmittel. Würde das Vertrauen wiederhergestellt, so würden diese Mängel behoben; dann würde auch das Ausland wieder Geld anbieten. Die Sparsamkeit in den öffentlichen Körperschaften und in der privaten Wirtschaft müsse durch den Druck der Not zusammenführen. Denn je schlechter es der Wirtschaft gehe, desto größer würden die Aufgaben und Lasten der Öffentlichkeit. S. wäre die Arbeitslosenverwaltung nicht nötig, wenn die Arbeitslosen beschäftigt wären. Liege die Wirtschaft danieder, so stiegen die Ausgaben des Staates, Sparmaßnahmen bedeuteten Lähmung der Wirtschaft. Wenn bei Lohnsenkungen, wie vorausgesagt, Besserung der Lage eintrete, so hätte die Arbeitslosigkeit auf Grund der bisherigen Herabsetzungen der Löhne nachlassen müssen. Das sei aber nicht geschehen, sie habe im Gegenteil zugenommen. Könne durch Lohnsenkung eine Besserung im Laufe von zwei bis drei Jahren erreicht werden, so wäre er bereit, bis zu 50% der Löhne mitzugehen. Er glaube aber nicht daran.

Die Hoffnung auf einen großen Erfolg des Wegfalls der Hauszinssteuer würde täuschen. Die Mittel würden nicht für Reparaturen aufgewendet werden,[1491] die Zinssätze seien noch zu hoch dazu. Die öffentliche Wirtschaft würde schwer geschädigt; es sei fraglich, ob der Ausfall durch Umsatzsteuer zu decken wäre.

Die Hauszinssteuer möchte bestehen bleiben, die Umsatzsteuer aber könnte gleichwohl erhöht werden.

Zunächst müsse in die gesamte Finanzgebarung Vertrauen gesetzt werden, dann würden die Gelder zurückfließen, und die Schwierigkeiten würden nicht in dem befürchteten Ausmaße eintreten. Würden die Sparkassen die Guthaben in Fünfmarkstücken auszahlen, so würde diese Unbequemlichkeit zum Rückfluß der Gelder beitragen. Die weitere Aufgabe sei es dann, die Wirtschaft rentabel zu machen.

Reichsminister a. D. DernburgDernburg schloß sich den Ausführungen von Dr. Melchior an, wies auf die Weltwirtschaftskrise und die Enquêten hin, die in den Kulturstaaten insbesondere auch hinsichtlich der Arbeitslosigkeit durchgeführt würden. Das englische Budget sei aus dem Gleichgewicht, das Defizit betrage jährlich 120 Millionen £.

Die Preise müßten in der Welt erhöht werden, es wäre in gewissem Sinne eine Inflation. Wenn aber mehr Geld für die Waren in der Welt angelegt würde, dann würde der Auftrieb kommen; anders gebe es keine Hilfe.

Deutschland könne nicht aus seiner weltwirtschaftlichen Verflechtung herausgenommen werden. Der Versuch, höhere Preise durchzuführen, wäre nur nach längeren diplomatischen Vorbereitungen möglich.

Das Auslandsgeld sei billiger als das Inlandsgeld. Fehlinvestitionen auch in der Hausbaupolitik, Verwendung von Hauszinssteuer dabei, hätten viel Kapital brachgelegt. Die Baukosten seien gestiegen, weil im Übermaß gebaut worden sei. Das deutsche Sparkapital sei unwirtschaftlich verwirtschaftet worden. Es habe in fünf Jahren etwa 35 Milliarden betragen. Für jeden Deutschen, der ins Leben trete, müsse mit einem Kapital von 8000–10 000 M gerechnet werden. Das habe die Wirtschaft nicht aufgebracht für die 7 Millionen Menschen, die seit 1925 in Erscheinung getreten seien. Das sei der Hauptgrund der Arbeitslosigkeit. Verbrauch und Export seien nicht ausreichend gestiegen. Notwendig sei die vermehrte Kapitalbildung. Die Hauszinssteuerfrage sei bedeutsam. Es fehle bereits an Leuten, denen Vertrauen geschenkt werden könne. Wenn der Hausbesitz entwertet würde und die Unterlagen für die Hypotheken ins Wanken kämen, würde das Mißtrauen ins Ungemessene steigen. Es sei die Frage des Mittelstandes, nicht nur des Hausbesitzes. Ob die Nominalkapitalien herabgesetzt würden, sei gleichgültig; Zinsabschreibungen und Erneuerungen könnten dadurch nicht berührt werden. Kein Unternehmen sei mehr wert als die Rente, die es abwerfe. Zusammenlegungen würden nötig sein wegen des Anleihebedarfs. Die Bilanzierung müsse jeweilig labil sein. Steuern und übrige Abgaben müßten heruntergehen, dadurch würden neue Geldbedürfnisse entstehen.

Bei einer Steigerung des Konsums würde sich die Stimmung heben. Ein Arbeitsbeschaffungsprogramm könne nur mit großen öffentlichen Mitteln durchgeführt werden. Dann würden immer nur verhältnismäßig wenig Leute neue Beschäftigung erlangen.

[1492] Die Beziehungen zwischen den Ländern müßten verbessert werden, die durch Zollmauern und andere Hemmungen beeinträchtigt seien. In diesem Sinne bedürfe es einer Förderung der Exportindustrie.

Selbstdisziplin, Abstandnahme von Thesaurierung und übermäßiger Lebenshaltung müßten helfen. Das Gefühl der Zusammengehörigkeit müsse praktisch wirksam werden. Die Depositen betrügen 27 Milliarden, die Umlaufmittel 4 Milliarden. Daraus zeige sich die Unmöglichkeit, jedem sein Geld zurückzuzahlen. Es handele sich schließlich um das Kapital, aus dem er selbst seine Bezüge empfange.

Die Realsteuern müßten, soweit möglich, gesenkt werden. Alle Steuern, die nicht auf den Erfolg abgestellt seien, wirken verderblich.

Bei Wiederherstellung des Vertrauens würde der Kredit verbilligt. Gegen Auslandsanleihen dürfe keine ablehnende Haltung eingenommen werden. Die Ersparnisse betrügen höchstens die Hälfte dessen, was die Wirtschaft brauche. Eine Besserung werde eintreten, wenn sich die allgemeinen Wirtschaftsverhältnisse der Welt bessern würden. Über ein gewisses Notprogramm dürfe nicht hinausgegangen werden. Die Banken hätten Fehler gemacht, es müsse sich aber auch bei ihnen nur um provisorische Maßnahmen handeln. Die Industrie leide unter dem Übermaß der festen Gestehungskosten. Ihre Sozialisierung würde den Stillstand des Wirtschaftslebens zur Folge haben. Alle Deutschen müßten an der Überwindung der Schwierigkeiten mitarbeiten, aber jede Planwirtschaft oder Diktatur sei abzulehnen.

Mangel an Kapital, übermäßige Zinsen, unzureichender Export, übermäßige Verschuldung seien zu überwinden. Es bestehe allerdings die Gefahr einer Verstaatlichung des Risikos der Wirtschaft.

Dr. VöglerVögler trat der Auffassung entgegen, daß die deutsche Krise mit der Weltwirtschaftskrise untrennbar verbunden sei. Die deutsche Ausfuhr sei nur um 10% zurückgegangen, während die der anderen Länder in weit stärkerem Maße gesunken sei. Der Zusammenbruch des Binnenmarktes sei der Grund der Arbeitslosigkeit. Die Arbeiter könnten auf die Dauer die hohen Abgaben nicht entrichten. Die soziale Frage müsse anders geregelt werden. Wegfall der Hauszinssteuer, produktive Arbeiten insbesondere bei der Eisenbahn würden dann Fortschritte bringen. Notwendig sei auch eine radikale Senkung der Reichsbahntarife.

Der Reichskanzler wies auf die geringen Unterschiede zwischen den Bezügen der Arbeitslosen und der Entlohnung der Arbeiter nach Abzug aller sozialen und sonstigen Verpflichtungen hin. Eine weitere Annäherung der Löhne an die Bezüge der Arbeitslosen, Mietsunterstützten und Wohlfahrtsempfänger sei nicht möglich, zumal diesen noch ein Teil ihrer Miete von der öffentlichen Hand gezahlt würde. Zu beantworten sei die Frage, wie die Selbstkosten gesenkt werden könnten, ohne den völligen Zusammenbruch der Wirtschaft herbeizuführen. Weiter sei zu erörtern, wie das allgemeine Vertrauen wiederhergestellt werden könne, das durch die Vorgänge bei den Banken und bei großen deutschen Firmen im Inlande und draußen schwer gelitten habe, wie der Arbeitslosigkeit zu begegnen sei und wie es möglich sei, aus der Notgesetzgebung[1493] herauszukommen und bis zum Frühjahr stabile Verhältnisse zu schaffen. Darüber hinaus müsse geprüft werden, wie sich die Wirtschaft in den nächsten zehn Jahren zu gestalten habe.

Nach einer Unterbrechung wurden die Beratungen fortgesetzt.

Der Reichsminister der Finanzen berichtete über die Verhandlungen, die inzwischen in einer Ministerbesprechung wegen der Wiederingangsetzung des Zahlungsverkehrs stattgefunden hatten10.

10

S. Dok. Nr. 423.

Der Reichskanzler wies darauf hin, daß es sich dabei um ein Kompromiß mit der Reichsbank gehandelt habe, die den vollen Zahlungsverkehr erst Donnerstag, den 6. August, habe freigegeben sehen wollen.

Der Reichsarbeitsminister hielt es für notwendig, die Preise und Mieten zu senken. 40 Millionen alten Wohnungen ständen 2 Millionen Neubauwohnungen gegenüber. Reparaturen würden eine wesentliche Belebung des Arbeitsmarktes zur Folge haben. Erlaß der Hauszinssteuer dürfe aber nicht allein dem Hausbesitze zugute kommen. Die Wirtschaft habe eine größere Widerstandsfähigkeit gezeigt, als angenommen worden sei. Seit März habe die Arbeitslosigkeit bis Mitte Juli abgenommen im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und England. Käme es zu einer Kürzung der Löhne und Gehälter, so müßten auch die Mieten gesenkt werden und müßte der Erlaß der Hauszinssteuer auch den Gehalts- und Lohnempfängern zugute kommen. Aus der gedrosselten Wirtschaft könnten die Gehälter und Abgaben nicht herausgeholt werden. Es sei notwendig, einen Wirtschaftsausschuß einzusetzen, der die Fragen prüfen und in Einklang bringen müßte.

Professor WarmboldWarmbold hielt es für unmöglich, sich auf Binnenwirtschaft einzustellen. Der Export dürfe nicht beeinträchtigt werden. Endlösungen seien jetzt nicht möglich. Es handele sich nur um Übergangsfragen, die zentral bearbeitet werden müßten.

Die landwirtschaftlichen Verhältnisse müßten auf längere Sicht gesehen werden. Es sei nicht möglich, nur die augenblickliche Not zu bekämpfen. Die Lage in Deutschland sei von der der anderen Länder durchaus verschieden. Lösungen, die dort versucht würden, könnten nicht in Deutschland angewandt werden.

Die erststelligen Hypothekarkredite müßten unbedingt sichergehalten werden. Sonst wäre es nicht möglich, den Kredit je in Ordnung zu bringen.

Dagegen sei der zweistellige Hypothekarkredit herabzusetzen entsprechend dem Ertrage.

Häufig würden bei der Landwirtschaft bereits erststellige Hypotheken aus geliehenem Geld verzinst, weil der Ertrag dazu nicht ausreiche. Das sei eine unhaltbare Lage. Die Gefahr einer Krise des erststelligen Kredites könne nach Überwindung der Krise der kurz- und mittelfristigen Kredite in die Erscheinung treten. Der Umfang der Erzeugung von Lebensmitteln dürfe nicht verringert werden. Damit stehe die Devisenfrage in Zusammenhang. Trotz der Verschlechterung der Wirtschaftslage sei die Erzeugung gesteigert worden, auch in anderen Ländern. Die Preise hätten als Regulator versagt. Das Sinken der[1494] Preise habe nicht zur Einschränkung der Erzeugung geführt. Die Einfuhr an Getreide sei wesentlich zurückgegangen, die an tierischen Erzeugnissen auf 3% herabgesunken. Mit der landwirtschaftlichen Produktion stehe die Erwerbslosenfrage in engster Verbindung. Noch immer zeige sich eine schwache Abwanderung vom Lande. Grund sei vermehrte Anwendung von Maschinen und Traktoren sowie Lohnersparnisse.

Die landwirtschaftliche Bevölkerung werde weiter zurückgehen müssen. Die schlechten Böden könnten nicht mehr in Kultur gehalten werden. Dadurch vermehre sich die Arbeitslosigkeit, die auch bei Hochkonjunktur in Deutschland etwa 1 Million Menschen erfassen würde.

Es frage sich, ob es billiger sei, die Abwanderer zu vermehren oder die Verhältnisse auf dem Lande so zu verbessern, daß die Abwanderung unterbleibt. Die Lebensmittelpreise spielten dabei eine bedeutsame Rolle. Das Brot sei in Deutschland mindestens um 6 Pfennig zu teuer. Herabsetzung des Brotpreises würde 200 Millionen ersparen.

Der Preußische Minister der Finanzen ging auf die Fragen der Hauszinssteuer ein. Während vor dem Kriege dem Eigentümer etwa die Hälfte der Mieten als Überschuß über die von ihm zu zahlenden Zinsen verblieb, sei jetzt der Gewinn nach Abzug der Zinsen und weiteren Abgaben nur gering. Abgaben und Reparaturen hätten sich gesteigert. Die Lage des Hausbesitzes würde kritisch, wenn er Mietausfälle habe. Besonders ungünstig sei auch die Lage der Eigenhausbesitzer, zumal viele durch Verlust ihres Kapitals in Vermögensschwierigkeiten geraten seien.

Es sei unmöglich, die Hauszinssteuer ganz zu beseitigen. Freilassung des Inflationsgewinnes wäre eine soziale Unrichtigkeit. Aber Senkung der Hauszinssteuer sei geboten, schon wegen der höheren Verzinsung der Aufwertungshypotheken vom 1. Januar 1932 an11, die etwa ein Fünftel des Hauszinssteuereinkommens betragen würde. Die Staffelung der Hauszinssteuer könne schwerlich aufrechterhalten werden. Sie schwanke zwischen 15% der Friedensmiete bis 28% bei hoch belasteten Häusern.

11

S. dazu Dok. Nr. 43, P. 3 und Dok. Nr. 66, P. 2.

In Frage käme, die Hauszinssteuer in eine Reallast oder in eine Hypothek umzuwandeln mit dem Recht, sie mit etwa dem 12- bis 15fachen ihres Betrages abzulösen. Jedenfalls sei eine Senkung der Hauszinssteuer um Zweifünftel erforderlich. Dann werde für Neubautätigkeit kein Zuschuß mehr geleistet werden können. Die Wohnungsnot würde schnell überwunden, weil die Mieter wieder enger zusammenrückten. Hauszinssteuermittel müßten wieder für die Wiederinstandsetzung der alten Wohnungen verwendet werden. Ein erheblicher Betrag müsse für Länder und Gemeinden übrigbleiben.

Würden die Löhne gesenkt, dann müßten auch die Mieten herabgesetzt werden. Geschehe dies auf Kosten der Hauszinssteuer, so würde von ihr nicht viel übrigbleiben.

Das Verhältnis der Neubaumieten zu den Mieten der alten Häuser sei schwierig, die Senkung bei ersteren mit großen Bedenken verbunden. Die Hauszinssteuerhypotheken würden bereits nur mit 1% verzinst. Sie würden wohl[1495] abgeschrieben werden müssen. Ähnlich würde es den 1b-Hypotheken der Gemeinden gehen. In die Verschuldung der Gemeinden würde dadurch tief eingegriffen werden. Deswegen sei die Senkung der Mieten unter Verwendung der Hauszinssteuer bedenklich.

Die Länderetats seien 1928 ausgeglichen gewesen. In Preußen bereits 1927. Die guten Einnahmen hätten den Anlaß zur Besoldungsordnung gegeben. 1930 sei der Rückschlag eingetreten. Die Länderetats hätten mit Defizits abgeschlossen; in Preußen mit 131 Millionen. Die Bewegung würde sich verstärken mit Rücknahme der Hauszinssteuer. Es bliebe nur der Weg einer Senkung der Personalausgaben.

In einzelnen Gemeinden sei die Lage noch ungünstiger. Teilweise hätten sie übermäßigen Aufwand getrieben. Durch Steigerung der Erwerbslosenausgaben sei ihre Lage wesentlich erschwert. Auch bei Kürzung der Personalausgaben könne bei ihnen das Gleichgewicht nicht mehr hergestellt werden. Es sei zu erwägen, daß zu einer Entlastung die Reparationsersparnisse herangezogen werden müßten. Löhne und Preise könnten nicht allgemein herabgesetzt werden. Sie wären in ein gewisses Verhältnis zu denen des Auslandes zu bringen.

Geheimrat BücherBücher sprach sich gegen einen Reichskommissar für Wirtschaftsfragen aus. Die Reaktionen der Wirtschaft würden von selbst eintreten. Es sei notwendig, bei der Betrachtung der Verhältnisse von den einfachen Funktionen der Ware und des Geldes auszugehen.

Die Arbeiterschaft werde bald die Mieten nicht mehr bezahlen können; dann sei es gleichgültig, wie sie festgesetzt würden. Je weniger der Arbeiter Miete zahle, desto mehr wüchse seine Kaufkraft.

Dr. HilferdingHilferding wies darauf hin, daß die Weltwirtschaftkrise am stärksten in den Ländern wirkte, in denen keine sozialen Lasten zu zahlen seien. Die Devisenlage sei noch nie so günstig gewesen wie jetzt. Die deutschen Handelsbilanzen seien um eine Milliarde aktiv. Die Zinsen, die an das Ausland zu zahlen seien, betrügen 800 bis 900 Millionen.

Wenn das Ausland stillhalte, sei der Devisenbedarf Deutschlands ausreichend gedeckt. Die Kreditlage müsse bereinigt werden.

Die Lage erklärt sich weniger aus ökonomischen, als aus Gründen des Vertrauens und der Politik. Dies gelte besonders für den Zusammenbruch des deutschen Bankwesens. Eine Rückkehr zu den Zuständen vor dem Kriege sei nicht möglich. Auf Industrie und Finanz müsse stärkerer Einfluß gewonnen werden. Es handele sich dabei um ein Dauerproblem. Nachdem der Staat den Kaufpreis für die Aktien der Danatbank vorschieße, handele es sich darum, wie die Bank weiter ausgestaltet werden solle, ob als Depositenbank oder Finanzierungsinstitut und wie lange der Staat auf die Bank Einfluß behalten müsse. Es müsse ein einheitliches System gemacht werden, eine Leitung müsse über den Banken stehen und auf sie maßgebenden Einfluß ausüben.

Die Banken müßten ihre Liquidität steigern. Die schlechten Forderungen dürften nicht restlos eingezogen werden. Sonst würde sich der Druck auf die guten Konten steigern und würde die Wirtschaft geschädigt. Die Reichsbank[1496] müsse verhindern, daß in diesen Richtungen Irrwege gegangen würden. Sie müsse die Großbanken überwachen und besonders ihre Kreditgebarung. Personell und statutarisch müßten sie reformiert werden12. Das Abziehen der 3 Milliarden ausländischer Gelder könne überwunden werden ohne dauernde Schädigung des Wirtschaftslebens, wenn es gelinge, den Zahlungsverkehr und das Kreditwesen richtig zu leiten.

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Nach Schäffers Eintragung hatte Hilferding gesagt: „Welche Kreditpolitik soll getrieben werden? Gefahr, daß die Banken gerade die guten Debitoren kündigen. Um das zu verhüten, ist eine ganz bestimmte Reichsbankpolitik notwendig. Dazu ist eine personelle Änderung im Direktorium und Generalrat notwendig“ (IfZ ED 93 Bd. 12, Bl. 518).

Auch Industriebilanzen seien zu bereinigen. Die Höhe des Aktienkapitals sei nicht gleichgültig für die Kreditwürdigkeit der Firma.

Selbsthilfe sei zwar möglich, aber auf die Dauer sehr kostspielig, wenn sich die deutsche Wirtschaft von der Weltwirtschaft ablöse.

Reichsminister TreviranusTreviranus machte längere Ausführungen über das landwirtschaftliche Kreditwesen, insbesondere im Osten. Er fürchtete, daß einzelne landwirtschaftliche Kreditinstitute dort notleidend würden. Vielfach hätten sie auf Zwangsverwaltung ihrer Schuldner verzichten müssen, weil diese Maßnahme zu teuer würde.

Eine große Anzahl von Betrieben könnten nicht mehr zum Preise der ersten Hypothek rentabel gestaltet werden. Es werde von der Finanzierung abhängen, ob die Zinsen für die ersten Hypotheken gezahlt werden könnten.

Die Fürsorge für die Getreidewirtschaft sei vordringlich. Der Plan wegen einer Senkung des Brotpreises müßte im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft bald zur Entscheidung gebracht werden.

Der Preußische Minister für Volkswohlfahrt hielt es für möglich, die Hauszinssteuer durch die Umsatzsteuer zu ersetzen. Mittel für die Bautätigkeit könnten aber nicht mit einem Schlage abgelehnt werden. Dann würden auch die notwendigen Neubauten aufhören. Preußen bedürfe für Kleinstwohnungen 1 Milliarde. Er schlüge vor, die Hauszinssteuer für steuerliche Zwecke wegfallen zu lassen und sie durch andere zu ersetzen, aber die Hauszinssteuer soweit weiter zu erheben, wie sie für Bauzwecke notwendig sei.

Der Preußische Ministerpräsident sprach sich gegen die Bildung eines Wirtschaftsausschusses aus.

Die Landwirtschaft müsse wieder rentabel gestaltet werden. Die Zwischenspannen der Preise seien übergroß. Es werde notwendig sein, ein Getreidemonopol einzuführen.

Auf die Dauer werde die Landwirtschaft eine Verzinsung ihrer Schulden von 7 bis 8% nicht zahlen können. Es müsse der Versuch gemacht werden, mehr Menschen als bisher auf dem Lande zu beschäftigen. Hierzu sei es nötig, zu einer anderen Betriebsordnung zu kommen.

Bei der Reform des Bankwesens müsse die öffentliche Hand die Aufsicht führen, wenn sie Garantien übernähme. Das Aktiengesetz sei zu ändern. Der umfassende Vorschlag werde aber wohl nicht im Wege der Notverordnung erlassen werden können.

[1497] Der Reichskanzler führte abschließend aus, der Umfang der Probleme habe sich im Laufe der Unterhaltungen abgezeichnet. Die Verhandlungen müßten im gleichen Kreise, am Montag, dem 3. August, nachmittags 4 Uhr13, fortgesetzt und abgeschlossen werden, insbesondere unter Behandlung folgender spezieller Fragen:

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S. Dok. Nr. 427.

Ausgleich des Fehlbetrages bei Ländern und Gemeinden in Höhe von 800 Millionen.

Ablösung der Hauszinssteuer.

Ihre Herabminderung würde nur eine geringe Wirkung auslösen. In zwei bis drei Jahren würde sie dann an sich verschwinden. Würde sie nicht herabgesetzt, so würden die Mieten zum großen Teil nicht mehr gezahlt werden können. Dann entstehe die Gefahr einer Krise am Hypothekenmarkt. Weitere Maßnahmen würden dann nicht zu umgehen sein.

Das Bankenproblem.

Steigerung des Aktienkapitals würde ihre Struktur verbessern. Bisher habe sich die personelle Verbindung zwischen Stadtverwaltung und Banken bisweilen bedenklich ausgewirkt. Es müsse versucht werden, kurzfristige Kredite der Gemeinden flüssig zu machen.

Entscheidung über die Reform des Aktienrechts werde am Montag getroffen werden müssen. Mit einer Teillösung werde kaum über die Schwierigkeiten hinwegzukommen sein. In der nächsten Woche müsse die Grundlage errichtet werden für die gesamte Struktur der Wirtschaft und Finanzen. Das Vertrauen der Bevölkerung sei wieder herzustellen. Dann würde der Anreiz des hohen Zinsfußes in Deutschland ausreichen, um in kurzer Zeit wieder Gelder zu schaffen.

Der Reichskanzler dankte den Teilnehmern an der Sitzung für ihre Mitarbeit14.

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Schäffer resümierte die Besprechung in seinem Tagebuch: „Ergebnis: Wenn Wirtschaftler über Allgemeines reden, kommt meistens Unsinn heraus. Nach all den Äußerungen bittet mich der Kanzler mit leichter Ironie, die ‚Ergebnisse‘ in eine Notverordnung zu bringen. – Was will der Kanzler mit der ganzen Sache?

1. Entweder einen Kandidaten für das Wirtschaftsministerium?

2. Oder Annäherung zwischen der Wirtschaft und Otto Braun?

3. Oder beweisen, daß alle Diktaturpläne Unsinn sind?

4. Oder sich nachweisen lassen, daß man sich mit Frankreich verständigen muß?

5. Oder alles zusammen?

6. Oder etwas ganz anderes?“ (IfZ ED 93 Bd. 12, Bl. 518).

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