1.192.2 (bru2p): Anlage 1:

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Text

RTF

[1566] Anlage 1:

R 43 I /1451 , S. 345–361 Durchschrift

Übersetzung aus dem Englischen.

Der Berichtsentwurf enthält zunächst historisch statistische Übersicht, deren drahtliche Übermittlung ich unterlasse, da sie keinerlei Stellungnahme erfordert. Bestimmte Anträge sind in dem Entwurf nicht enthalten. Die Formulierung soll offenbar erst erfolgen, wenn der Ausschuß über den Inhalt zu machender Vorschläge schlüssig geworden ist. Dagegen sind die wirtschaftlich-finanziellen Schlußfolgerungen aus dem statistischen Material bereits gezogen. Sie lauten wie folgt:

Ob es unter normaleren Bedingungen für Deutschland möglich ist, seinen Gesamtbedarf an Kapital für die innere Entwicklung aus eigenen Ersparnissen zu bestreiten und außerdem ganz oder zum Teil seinen kommerziellen und staatlichen Verpflichtungen auswärtigen Ländern gegenüber nachzukommen, oder auch ob es die in den letzten 7 Jahren zu seinem internen Kapitalbedarf einen Zuschuß vom Auslande haben muß, wie auch das Leihen derjenigen Beträge, die notwendig sind, um seinen gesamten ausländischen Verpflichtungen nachzukommen, ist nicht eine Frage, um deren Entscheidung wir ersucht worden sind. Wir möchten nur betonen, daß, wenn das System der letzten Jahre beibehalten wird, damit eine ständig wachsende Zinslast auf die kommerzielle Schuld verbunden ist, und wenn ein beträchtlicher Teil dieser Schuld kurzfristig geliehen wird, wird dadurch Deutschland in zunehmendem Maße Krisen derart gegenüber verwundbar werden, wie es sie jetzt durchmacht. Es ist indessen nicht notwendig, diese Frage mit der Schätzung des unmittelbaren Kreditbedarfs Deutschlands zu beantworten, da seine Zahlungsbilanz von der Zahlung der Reparationen für eine Zeit von 12 Monaten befreit worden ist. Die Punkte, auf die wir besonders unsere Aufmerksamkeit gerichtet haben, sind folgende: erstens, ob es möglich ist, weitere Zurückziehung von Kapital aus Deutschland zu verhindern und jene kurzfristigen Kredite, die fällig geworden sind, zu ersetzen und zweitens, ob es notwendig ist, das bereits zurückgezogene Kapital ganz oder zum Teil aus ausländischen Quellen zu ersetzen. Bezüglich des ersten Punktes haben wir uns mit den Bankgruppen in Verbindung gesetzt, die mit Deutschland über die Bedingungen verhandelt haben, unter denen die Stillhaltung erfolgen sollte. (Hier kommt noch ein Paragraph hinzu, der sich mit den Bedingungen für den bei den Stillhaltevereinbarungen in Frage kommenden Betrag befaßt.) Was den Ersatz des zurückgezogenen Kapitals anbelangt, so ist es klar, daß die innere Wirtschaft Deutschlands weiterhin unter äußersten Druck bleiben wird, bis sich die Lage der Reichsbank gebessert hat und mindestens ein Teil des umlaufenden Kapitals, das plötzlich aus Deutschlands Wirtschaft zurückgezogen worden ist, ersetzt worden ist. Es gibt zwei Wege, auf denen Deutschland dieses Ziel ohne fremde Hilfe erreichen kann. Der erste ist der des weiteren Verkaufs einiger deutschen Aktiven im Auslande. Nach den im Anhang mitgeteilten Zahlen beliefen sich diese Ende Juli noch auf 9 bis 10 Milliarden Mark. Indessen sind bereits die kurzfristigen[1567] Aktiven im Auslande um ungefähr die Hälfte verringert, und es muß daran erinnert werden, daß beträchtliche Bankguthaben im Auslande nötig sind, um die internationalen Handelsoperationen normalerweise durchzuführen. Es verbleiben also 7 bis 8 Milliarden Mark langfristiger Anlagen. Viele dieser langfristigen Anlagen sind indessen nicht von der Art, daß sie schnell realisiert werden können, und Dr. Melchior lenkte die Aufmerksamkeit des Ausschusses auf die Tatsache, daß diese Anlagen Unternehmungen einschlossen, wie Zweigstellen deutscher Industrien, die in auswärtigen Ländern errichtet wurden wegen der Zolltarife oder für die Führung des deutschen Handels. Der Ausschuß ist nicht der Ansicht, daß ein Plan, der sich auf der Mobilisierung der deutschen Aktiven im Auslande aufbaut, praktisch ist oder eine Hilfe zur wirtschaftlichen Gesundung Deutschlands bieten würde. Die einzige andere Möglichkeit besteht für Deutschland in einer Politik während der nächsten Monate, Devisen dadurch zu erwerben, daß es die Einfuhr in drastischer Weise vermindert und seine Ausfuhr aufrecht erhält. Dr. Melchior legte uns eine Schätzung des deutschen Handels für die letzte Hälfte des Jahres 1931 vor, die auf die Erreichung dieses Zieles abgestellt ist. Das deutsche Statistische Amt ist der Ansicht, daß es für Deutschland möglich sein dürfte, seine Einfuhr auf 2½ Milliarden Mark für die sechs Monate zu vermindern, während es für 4½ Milliarden Mark ausführt. Ein Vergleich dieser Zahlen mit den letzten Jahren ergibt folgendes Bild. Alle Ziffern in Milliarden Mark:

Einfuhr

Ausfuhr

Überschuß

1929

13,6

13,6

1930

10,6

12,1

1,5

1931

(erste Hälfte)

3,8

4,5

0,7

1931

(zweite Hälfte Schätzung)

2,5

4,5

2

1931

(geschätztes Gesamtergebnis)

6,3

9

2,7

Schätzung des deutschen Außenhandels in Milliarden Mark

Dr. Melchior fügte hinzu, daß die Einfuhren, für die während der 2. Hälfte 1931 gezahlt werden müsse, möglicherweise um mehr als 1 Milliarde Mark weiterhin eingeschränkt werden würden, wenn der Vorschlag ausgeführt würde, daß Deutschland beträchtliche Mengen von Waren, wie Weizen und Baumwolle, gegen langfristigen Kredit kaufen solle (dreijähriger Kredit). Das würde Deutschlands Devisenlage erleichtern, indem nämlich die Ausfuhr auf einen Überschuß von 3 Milliarden Mark erhöht wird, und nur 1½ Milliarden verbleiben, die jetzt auf die Einfuhr zu zahlen sind. Aber selbst wenn diese Möglichkeit außer acht gelassen wird, sollte bemerkt werden, daß ein Ausfuhrüberschuß von 2 Milliarden bei einer Gesamtausfuhr von 4½ Milliarden ein viel größeres Mißverhältnis zwischen Einfuhr und Ausfuhr einschließt, als der Fall sein würde, wenn sowohl Einfuhr wie Ausfuhr auf einem viel höheren Niveau[1568] wären. Die Aufrechterhaltung der Ausfuhr (von der auf alle Fälle ein Teil aus den bestehenden Vorräten gemacht werden würde) zu den zur Zeit bestehenden scharfen Konkurrenzbedingungen bedingt den Verkauf von Waren zu sehr niedrigen Preisen, während die Verminderung der Einfuhr in der vorgeschlagenen Weise einen geringen Verbrauch in Deutschland voraussetzt. Es ist also eine Politik fortgesetzter Verarmung und hoher Arbeitslosigkeit, die durch die Krediteinschränkung hervorgerufen ist. Es würde auch die Weltdepression in klarer Weise betonen, und zwar durch die Verminderung der Verkäufer anderer Länder an Deutschland und durch Schaffung einer intensiven Konkurrenz, die durch Deutschlands Ausfuhren an anderen Plätzen hervorgerufen wird. Wir erachten es in hohem Maße für unerwünscht im allgemeinen Interesse, daß Deutschland zur Annahme einer so drastischen Lösung gezwungen werden sollte. Wir kommen deshalb endgültig zu dem Schluß, daß es sowohl im allgemeinen Interesse, als auch im Interesse Deutschlands notwendig ist, erstens, die ausländischen Kredite Deutschlands in dem bestehenden Umfang aufrecht zu erhalten und zweitens, daß auf alle Fälle ein Teil des zurückgezogenen Kapitals aus ausländischen Quellen ersetzt wird. Es ist indessen augenscheinlich, daß Deutschland, wenn sein zusätzlicher Kapitalbedarf in der Form von kurzfristigen Krediten gegeben würde, einer noch größeren Schwierigkeit gegenübergestellt würde wie sie gegenwärtig besteht, wenn es sich darum handelt, seine Verpflichtungen zu begleichen, die in sechs Monaten fällig werden, wenn die Zeit der Prolongation der bestehenden Kredite zu Ende geht. Unter diesen Umständen ist es unwahrscheinlich, daß derartige zusätzliche Kredite aus privaten Quellen kommen. Dr. Melchior ersuchte in der Tat nicht um eine derartige Ausdehnung, aus Furcht, Deutschlands Verlegenheit damit zu vermehren. Wir sind deshalb der Ansicht, daß die zur Sicherung der finanziellen Stabilität Deutschlands vorgesehenen zusätzlichen Kredite die Form einer langfristigen Anleihe haben sollten, und daß diejenigen Teile der bestehenden kurzfristigen Schuld, die hierfür geeignet sind, in langfristige Obligationen umgewandelt werden sollten. Der zweite Teil unseres Programms fordert von uns die Möglichkeit für Deutschland zu prüfen, eine langfristige Anleihe aufzunehmen. Werden Geldgeber aufgefordert, eine Anleihe dieser Art zu zeichnen, so werfen sie unter anderem einen Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage des in Frage kommenden Landes, auf seine Handelsbilanz, um zu sehen, ob es den Anleihedienst aus eigenen Hilfsmitteln sofort oder in einer angemessenen Zeit leisten kann, und schließlich einen Blick auf die Lage des Haushaltes, um sich zu überzeugen, daß die Geldlage stabil ist. Was nun Deutschland anbetrifft, so sind diese drei Faktoren keineswegs ungünstig. Die Londoner Konferenz gab ihrer Meinung dahin Ausdruck, daß der Mangel an Vertrauen in Deutschland, der die Zurückziehungen veranlaßte, die die gegenwärtige Krisis beschleunigt haben, „durch die wirtschaftliche Lage des Landes nicht gerechtfertigt wird“. Der beste Anzeiger hierfür, der diese Ansicht unterstützt, die wir teilen, ist der rapide Aufschwung von Deutschlands Außenhandel in den letzten Jahren. Bezüglich der Handelsbilanz zeigen die von uns bereits angeführten Statistiken, daß Deutschland in der Lage war, einen Einfuhrüberschuß[1569] im Jahre 1929 zu balancieren und im Jahre 1930 einen Ausfuhrüberschuß zu schaffen, desgleichen in der ersten Hälfte des Jahres 1931, obwohl dieses in den späteren Stadien eine Senkung des Verbrauchsstandards mit sich brachte. Was die öffentlichen Finanzen Deutschlands anbelangt, so haben diese von Zeit zu Zeit Kritiken erfahren, die ihren Ausdruck in dem Bericht des Dawes Committee’s und später in den Berichten und Mitteilungen des Generalagenten für Reparationszahlungen gefunden haben. Die einzige Bemerkung, die wir zu diesem Gegenstand in diesem Stadium machen müssen ist die, daß die gegenwärtige Regierung den Beweis geliefert hat, daß sie in schwierigen Umständen entschlossen ist, Deutschlands öffentliche Finanzen auf eine gesunde Grundlage zu stellen, und daß sie mit diesem Tun vielen dieser Kritiken entsprochen hat. Es ergibt sich indessen klar aus den Preisen, zu denen Deutschlands Wertpapiere auf den Weltbörsen quotiert werden, daß ohne Wiederherstellung des Vertrauens auf die finanzielle Zukunft Deutschlands, worauf auch die Londoner Konferenz Bezug nahm, es unmöglich ist, eine langfristige Anleihe aufzunehmen lediglich auf den Kredit Deutschlands hin. Die Fundierung der übermäßigen kurzfristigen Verschuldungen würde auch dazu beitragen, die Lage zu bessern. Aber zwei fundamentale Schwierigkeiten bleiben übrig, wie, offen gesagt, zugegeben werden muß. Die erste ist das dabei bestehende politische Risiko. Wenn nicht die eng miteinander verbundenen Fragen der inneren politischen Lage Deutschlands und seiner Beziehungen zu anderen Mächten auf eine zufriedenstellendere und stabilere Grundlage gestellt werden, so kann keine Versicherung für einen weitergehenden friedlichen Fortschritt des Landes gegeben werden. Dieses ist die erste und fundamentalste Bedingung für die Kreditwürdigkeit. Die zweite Schwierigkeit betrifft die auswärtigen Verpflichtungen Deutschlands. Solange diese Verpflichtungen sowohl die privaten wie die öffentlichen derart sind, daß sie entweder ein lawinenartiges Anwachsen der auswärtigen Schuld Deutschlands oder auch ein derartiges Mißverhältnis zwischen seiner Einfuhr und Ausfuhr mit sich bringen, daß die gute wirtschaftliche Lage anderer Länder bedroht wird, ist es unwahrscheinlich, daß der Geldgeber die Lage als stabil oder dauerhaft ansieht. Es handelt sich hierbei nicht um Sachen, über die der Ausschuß gebeten worden ist, Empfehlungen zu machen, aber es ist unsere Pflicht, darauf hinzuweisen, daß die gegenwärtigen oder in Frage kommenden Geldgeber Deutschlands, solange sie nicht in der Lage sind, vorauszusehen, welcher Art die künftige Lage Deutschlands in dieser Beziehung sein wird, das ernsthafteste Hindernis bilden sowohl für die Anziehung oder sogar Erneuerung der kurzfristigen Kredite als auch für die Aufnahme einer langfristigen Anleihe. Als die Vertreter der Regierungen auf der Londoner Konferenz die Verantwortlichkeit für die Empfehlung an die Bankiers der Welt übernahmen, gemeinsame Maßnahmen zu treffen, um den Umfang der bereits an Deutschland gegebenen Kredite aufrecht zu erhalten, waren sie sich vollkommen klar darüber, daß ihr Vorschlag keine Lösung des Problems darstellte, sondern nur ein Mittel sei, Zeit zu gewinnen, während welcher Schritte zur Wiederherstellung des Kredits Deutschlands unternommen werden könnten.

Melchior

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