1.85.1 (bru2p): Reparationsfrage.

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Reparationsfrage.

Auf Wunsch des Reichskanzlers äußerte sich Reichsbankpräsident LutherLuther zunächst über die Devisenlage. Dieser erklärte, daß zur Zeit des Beschlusses des Ältestenrats über die Nichteinberufung des Reichstags1 die zur Notendeckung verfügbare Devisendecke noch 1¾ Milliarden betragen habe gegenüber 3¾ Milliarden vor 1 Jahr2. Die von der Reichsbank überwundenen beiden Bewegungen von Devisenabzügen hätten je rund 1 Milliarde RM gekostet. In der Zwischenzeit habe es einige Aufbesserungen gegeben. Die Notenreserve sei infolgedessen zur Zeit außerordentlich gering. Sie werde höchstwahrscheinlich nicht ausreichen, um die Ultimoverpflichtungen der Reichsbank ohne weiteres bewerkstelligen zu können. Immerhin werde man die Entwicklung der nächsten Tage noch abwarten müssen, um klar zu sehen. Man müsse sehen, welche Wirkungen die Diskonterhöhung auf die Dauer im Gefolge haben[1219] werde. Ferner müsse man abwarten, ob die durch die Verhandlungen der österreichischen Angelegenheit erhoffte Beruhigung sich einstellen werde3.

1

S. Dok. Nr. 334, Anm. 6.

2

Die Wochenübersicht der Rbk vom 15.6.31 hatte einen Goldbestand von 1.765.571.000 RM (Veränderung gegenüber der Vorwoche: – 534.359.000 RM) und einen Devisenbestand von 104.309.000 RM (Veränderung gegenüber der Vorwoche: – 8.647.000 RM) ausgewiesen (Anschreiben des Rbk-Direktoriums an die Rkei vom 17.6.31 mit Wochenübersicht in R 43 I /637 , Bl. 190–192). Vgl. auch Schultheß 1931, S. 143.

3

Vgl. Dok. Nr. 335.

Reichsminister DietrichDietrich machte sodann Ausführungen über die in den rückliegenden Vorerörterungen besprochene Lage.

Er erklärte, daß er vor dem Besuch des Reichskanzlers und des Reichsaußenministers in Chequers den Standpunkt verfochten habe, daß es nicht mehr lange möglich sein werde, von den Hilfsmitteln des Young-Planes keinen Gebrauch zu machen4. Der Stand der Dinge habe sich im Augenblick insofern geändert, als der Gegenbesuch des englischen Premierministers Mac-Donald und des Außenministers Henderson für den 17. Juli bevorstehe5 und ferner der amerikanische Staatssekretär Stimson für den 23. oder 24. Juli hier erwartet werde6. Man werde wohl das Ergebnis dieser Besuche zunächst abwarten müssen. Allerdings werde Deutschland aus der einmal eingeschlagenen Richtung wohl nicht gut wieder abgehen können, und zwar weder aus außen- noch aus innenpolitischen Gründen. Außenpolitisch sei die Reparationsfrage in Gang gebracht worden. Innenpolitisch könne sich die gegenwärtige Regierung nur dann halten, wenn sie auf dem einmal beschrittenen Wege fortschreite. Fraglich könne nur sein, auf welchen Termin man sich für das Handeln einstellen müsse. Ferner müsse man über die Gefahren, die sich aus einer aktiven Politik ergeben könnten, klar werden. Eine Gefahr erblicke er darin, daß sowohl das Reich wie auch die Reichsbank manövrierunfähig seien, wenn ein Sturm losgehen sollte. Er glaube aber nicht, daß ein reparationspolitischer Schritt der Reichsregierung unbedingt einen Sturm im Gefolge haben müsse. Die ganze Welt sei ja auf einen deutschen Reparationsschritt vorbereitet.

4

S. Dok. Nr. 324 und Anm. 1.

5

Vgl. Dok. Nr. 329, Anm. 7.

6

Vgl. Dok. Nr. 329, Anm. 9.

Weiter müsse man überlegen, ob es eine Möglichkeit gäbe, sich auf eine etwaige Krise vorzubereiten, etwa in der Weise, daß man die Lage der Reichsbank stärke. Die Bank von England habe zum Beispiel einen außergewöhnlichen Kredit von 250 Millionen Dollar bei der Bundes-Reservebank von Amerika. Man müsse sich fragen, ob die Reichsbank nicht ähnliche Sicherungen treffen könne.

Ein Moment, den Termin zum Handeln zu beeinflussen, sei der bevorstehende Besuch der Engländer und des Amerikaners Stimson. Ferner beginne bereits am 24. Juni die Tagung der Unterausschüsse der Europäischen Studienkommission in Genf, in denen bekanntlich starke Tendenzen nach Erörterung der Reparationsfrage vorhanden seien7. Die Gläubigerseite dränge uns dadurch möglicherweise auf eine Linie, auf die wir nicht hinzukommen wünschten. Wir kämen dadurch vielleicht mit der Reparationsfrage in einer anderen Instanz zum Zuge, wie in der von uns für richtig gehaltenen Instanz. Er erinnerte daran, daß er vor Chequers empfohlen habe, daß die Deutsche Regierung unbedingt auf die Erklärung des Transferaufschubes hinaus müsse, und daß sie darüber hinaus weiter erklären müsse, auch die Zahlung von 50% des Betrages[1220] aufschieben zu wollen, der 1 Jahr nach Wirksamwerden des Transferaufschubes diesem Aufschub unterliegt. Ferner, daß auf diesen Schritt die Aufforderung an die BIZ folgen müsse, unverzüglich den Beratenden Sonderausschuß einzuberufen, und daß die Deutsche Regierung an diesen Sonderausschuß das Ersuchen richten müsse, unverzüglich alle Erleichterungen ins Auge zu fassen, die der Sachverständigenplan zur Beseitigung des schweren Notstandes der deutschen Wirtschaft vorsieht, und insbesondere alle Empfehlungen zu machen, die durch Erleichterung der Last der aufschiebbaren Annuität zur sofortigen Entspannung der Lage beitragen könnten.

7

Vgl. Dok. Nr. 329; Schultheß 1931, S. 572.

Zusammenfassend sehe er also folgende drei Fragen:

a)

Kann man in einem Augenblick, wo die Reichsbank keine Masse hat, handeln?

b)

Kann man die Masse der Reichsbank irgendwie verstärken?

c)

Kann man warten angesichts des Zusammentritts der Unterausschüsse in Genf? Und können wir, wenn wir durch die Beratungen der Unterausschüsse von unserer ursprünglichen Linie abgedrängt werden sollten, noch später von den Hilfsmitteln des Planes Gebrauch machen?

Für ihn wäre es wichtig zu wissen, wie die Herren Botschafter die Sache ansehen. Wenn man sich vergegenwärtige, wie die Franzosen mit den Österreichern umgesprungen seien, müsse man doch wohl befürchten, daß uns eines Tages Gleiches passieren könnte. Das soll nicht etwa heißen, daß er nicht der Auffassung wäre, daß wir unter allen Umständen auf eine Verständigung mit Frankreich hinarbeiten müßten.

Botschafter von HoeschHoesch äußerte sich zunächst über die österreichische Angelegenheit. Er meinte, man müsse sich vergegenwärtigen, wie Frankreich die Angelegenheit habe ansehen müssen. Frankreich sei an sich bereit gewesen, den Österreichern zu helfen. Man habe dem österreichischen Botschafter sogar eine Art von schriftlicher Zusage gegeben. Der französische Ministerpräsident habe aber ihm, Herrn von Hoesch, selbst begreiflich zu machen versucht, daß es für die Französische Regierung angesichts der innerpolitischen Lage in Frankreich ganz unmöglich gewesen wäre, sich Österreich gegenüber anders zu verhalten wie geschehen8. In Frankreich habe man nach seiner Beobachtung großes Verständnis für die Schwierigkeiten in Deutschland. An dem kritischen Freitag, dem 12. Juni, sei Herr Mannheimer9 in Paris gewesen, um in der österreichischen Angelegenheit für die holländische Finanzgruppe zu verhandeln, und Mannheimer habe bei dieser Gelegenheit die Lage in Deutschland im französischen Finanzministerium sehr schwarz geschildert. Daraufhin habe man ihn aufgefordert, sofort zu dem französischen Ministerpräsidenten Laval zu gehen, um auch diesen ins Bild zu setzen. Am Tage darauf habe er Gelegenheit gehabt, aus Anlaß einer Wirtschaftstagung, bei der alle maßgebenden Wirtschaftsfaktoren Frankreichs vertreten gewesen seien, ein Frühstück in der Deutschen Botschaft zu geben. Bei dieser Gelegenheit seien die kritischen Vorgänge[1221] in Deutschland sehr eingehend und verständnisvoll besprochen worden. In diese Gesamtsituation habe der ihm aufgetragene diplomatische Schritt der Unterrichtung der französischen Regierung über Chequers recht gut hineingepaßt. Der Augenblick sei für seine Demarche besonders günstig gewesen. Berthelot, den er zuerst aufgesucht habe, habe, wie er ja auch schon in seinem Telegramm vom 15. Juni Nr. 630 berichtet habe, erleichtert aufgeatmet, als er gehört habe, daß Deutschland sich im Rahmen des Young-Planes halten wolle10. Als er einen Tag später die Demarche bei Briand wiederholt habe11 und ferner auch bei dem Japanischen Botschafter12 und bei dem französischen Finanzminister Flandin sei der Eindruck der gleiche gewesen. Jede der genannten Persönlichkeiten habe die Gefahr der deutschen Lage durchaus erkannt. Allen Herren habe er Aufzeichnungen übergeben, in denen die deutsche Lage im wesentlichen in gleicher Weise dargestellt worden sei, wie der Reichsbankpräsident Luther sie soeben geschildert habe. Infolgedessen sei man an maßgebender Stelle in Paris jetzt allgemein darauf gefaßt, daß Deutschland den Transferaufschub erklären werde. Über die offizielle Demarche hinaus habe er sodann aus eigener Initiative und als persönliche Meinungsäußerung den Gedanken eingeflochten, daß man in Verfolg der zu erwartenden deutschen Aktion am besten an eine Feierzeit für die Reparations- und Schuldenfrage denken sollte. Er habe den Eindruck, daß dieser Gedankengang sowohl von Laval wie auch von Flandin günstig aufgenommen worden sei. Es sei sehr wesentlich, bei der bevorstehenden Aktion die richtige Basis innezuhalten, weniger mit Rücksicht auf die französischen Staatsmänner, als mit Rücksicht auf die französische Öffentlichkeit. Alles, was geschehe, müsse im Rahmen des Rechtes bleiben.

8

Vgl. Dok. Nr. 335, Anm. 2.

9

Mitinhaber des Bankhauses Mendelssohn, Amsterdam.

10

Das Telegramm befindet sich in R 43 I /311 , Bl. 263–264.

11

Hoesch hatte Briand am 16. 6. aufgesucht. Briand hatte geklagt, daß seine Position auf außenpolitischem Gebiet überaus schwierig geworden sei, nachdem das frz. Parlament wegen der dt.-österr. Zollunion außerordentlich mißtrauisch geworden sei. Gegen Hoeschs Ankündigung der bevorstehenden dt. Erklärung des Zahlungsaufschubs hatte Briand keinen Protest eingelegt, jedoch auf die mögliche Gefährdung des dt. Kredits hingewiesen. Auch Finanzminister Flandin hatte Hoesch vor der Schädigung des dt. Kredits gewarnt (Telegramm Nr. 641 vom 17.6.31, R 43 I /311 , Bl. 267–268).

12

Kenkichi Yoshisawa, jap. Botschafter in Paris und Delegierter beim VB.

Er könne sich nicht vorstellen, daß der Gedanke einer Revision des Young-Planes ernstlich Erfolg haben könnte. Keine der europäischen Gläubigermächte werde bereit sein, auf irgendwelche Ansprüche zu verzichten, wenn die Verpflichtungen gegenüber Amerika bestehen blieben. Praktisch wolle keine der Gläubigernationen den Nexus der Reparationszahlungen und der Schuldenabkommen mit Amerika aufgeben. Darum komme es letzten Endes immer wieder auf die Frage an, wie die Erklärung des Transferaufschubes auf Amerika wirken werde, und er müsse daher empfehlen, vor allen Dingen mit Amerika in besondere Fühlung zu treten. Wenn Deutschland den Transferaufschub schon jetzt erkläre, halte er es nicht für ausgeschlossen, daß der Staatssekretär Stimson gar nicht nach Europa abreisen werde. Daher müsse man überlegen, ob eine alsbaldige Erklärung des Aufschubes nicht schädigend auf die Stimmung in Amerika wirken werde. An Amerika bliebe letzten Endes[1222] alles hängen und darum sei der Kontakt mit der Stimmung in Amerika das Wichtigste.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß das Reparationsproblem erst in Gang gebracht werden müsse, daß es vielmehr schon anhängig gemacht worden sei, und zwar nicht nur durch den Besuch in Chequers, sondern auch durch die den Deutschen Missionen aufgetragenen Demarchen in London, Paris und Rom13. Diese Demarchen seien erfolgt.

13

S. Dok. Nr. 335, Anm. 3.

Der Reichskanzler habe in Chequers erklärt, daß von seiten Deutschlands ein autonomer Schritt in der Reparationsfrage erfolgen werde, und zwar mit Wirkung vom 1. November ab14. Das bedeute also, daß in diesem Rahmen der 14. Juli der letzte Tag für die Erklärung des Transferaufschubes sei. In diesem Sinne habe sich Deutschland also schon festgelegt, und es könne sich heute nur darum handeln, darüber klar zu werden, welches Datum man für den Transferaufschub wählen wolle. Bei den Gläubigermächten wisse man, daß wir handeln wollen. Dieser Schritt müsse nur noch präzisiert werden. Die deutsche Zahlungsbilanz sei noch immer passiv. Aus diesem Grunde werde die Devisenlage auf die Dauer auch weiterhin immer schlechter werden. Richtig sei, daß wir unsere Politik bisher auf den Besuch Stimsons abgestellt hätten. Welche Lage werde aber entstehen, wenn Stimson uns von einem Transferaufschub abraten sollte, und wir dann hinterher doch nicht anders könnten als an diesem Schritt festhalten? Möglicherweise begebe man sich dabei in eine gefährliche Lage. Er verlas dann das Telegramm des Botschafters von Neurath vom 18. Juni, Nr. 217, in dem es heißt, daß Stimson gegenüber dem englischen Botschafter in Washington am 17. Juni die Befürchtung ausgedrückt habe, seine europäische Reise aufgeben zu müssen, falls die europäische Krise sich weiter zuspitzen sollte15. Er verlas ferner eine Aufzeichnung über ein Telefongespräch des Geheimrats Dieckhoff mit Graf Bernstorff in London, die über eine Unterredung mit Leith-Ross berichtet16. Danach hat Leith-Ross durchblicken lassen, daß man sowohl in England wie auch in Frankreich mit einer deutschen Erklärung in der Reparationsfrage rechne. Reichsminister Curtius meinte, das brauche nicht zu heißen, daß Stimson verärgert sein werde. Vielleicht erwarte man in Amerika, daß unsererseits die Initiative ergriffen werde. Wie aber werde ein deutscher Schritt auf England wirken? Die englischen Minister würden es sicher nicht gern sehen, wenn Deutschland schon vor ihrem Besuch in Berlin gehandelt haben werde. Henderson werde sicherlich erneut versuchen, uns auf die Genfer Ausschüsse abzudrängen. Aber nach dem Besuch in Chequers sei eine vollständige Änderung unserer Devisenlage eingetreten. Darum würden auch die Engländer einsehen müssen, warum wir anders wie in Chequers[1223] vorgesehen gehandelt hätten. Er erblickte in dem Verhältnis zu England die größten Schwierigkeiten. Man brauche die Engländer nicht vorher zu fragen, aber man müsse die Verhandlungen mit ihnen so führen, daß sie nicht verprellt würden.

14

S. Dok. Nr. 329.

15

Ein Exemplar dieses Telegramms befindet sich in R 43 I /311 , Bl. 269–270.

16

Leith-Ross hatte sich nach Dieckhoffs Aufzeichnung in dem Gespräch mit Bernstorff sehr pessimistisch über die Aussicht einer Revision des Young-Plans geäußert. Man müsse mit sehr starken frz. Widerständen in der Reparationsfrage rechnen. Die Engländer könnten keine Initiative ergreifen, dies müsse den Deutschen überlassen bleiben (Durchschrift einer Aufzeichnung des MinDir. Dieckhoff vom 18.6.31 in: Pol. Archiv des AA, WRep. Friedensvertrag Allg. 21, Die Frage einer Revision des Young-Plans Bd. 10).

Eine andere große Sorge erblicke er in den Genfer Ausschüssen. Er frage sich auch, ob wir uns darauf beschränken sollten, den Transferaufschub anzukündigen. Man müsse sich nach seiner Meinung doch schon jetzt sagen, daß uns damit allein nicht geholfen sei, und daß man deshalb daran denken müsse, schon jetzt anzudeuten, daß wir eine Feierzeit nötig hätten. Von den Amerikanern könne man ja zur Zeit gar nichts erwarten, denn sie seien ja gar nicht in der Lage, jetzt die Schulden zu streichen. Es sei eine Ungerechtigkeit gewesen, den Young-Plan auf der Spitze des Booms festzulegen. Umgekehrt werde man es als unbillig empfinden, die Schuldenstreichung auf dem Tiefpunkt der Konjunktur zu verlangen. Das amerikanische Budget könne sein Defizit ohne besondere Schwierigkeiten im Lande selbst decken. Ein gewisser Zeitraum müsse überbrückt werden, bis mancherlei Dinge, wozu er auch die Abrüstungskonferenz rechne, überwunden seien.

Reichsbankpräsident LutherLuther führte sodann folgendes aus: Wenn man etwas vor der Ankunft des Staatssekretärs Stimson tun wolle, müsse man eine plausible Veranlassung dazu haben. Sonst erreiche man in Amerika etwas Falsches. Dieser plausible Grund müsse auch von der Öffentlichkeit verstanden werden, also publizierbar sein. Darum müsse der Grund von der Reichsbank herkommen. Er könne aber als Reichsbankpräsident einstweilen die Lage noch nicht klar übersehen. Dazu bedürfe es noch einiger Tage des Abwartens. Heute könne er nur erklären, daß die Reichsbank am kritischen Dienstag, dem 16. Juni, für den Fall eines ungünstigen Ausgangs der Regierungskrise entschlossen gewesen wäre, nach der Demission des Kabinetts der geschäftsführenden Reichsregierung die sofortige Erklärung des Transferaufschubes dringend vorzuschlagen. Heute aber werde eine Erklärung des Transferaufschubes den Charakter des abrupten und gewollten nur dann verlieren, wenn man auf Grund der Erfahrungen einiger Tage einen sicheren Überblick über die voraussichtliche Entwicklung der Devisenlage gewonnen haben werde. Anzeichen dafür, daß die Lage besser würde, habe er zur Zeit allerdings nicht. Aus allen diesen Gründen bitte er, heute die Frage des Termins der Erklärung des Transferaufschubes noch nicht zu entscheiden.

Wenn die Gläubigerseite auch in gewisser Hinsicht auf einen deutschen Schritt vorbereitet sei, so könne man doch nicht wissen, ob die tatsächliche deutsche Erklärung nicht doch noch eine Schockwirkung auslösen werde. Dann aber müsse die Reichsbank durchgreifende Maßnahmen treffen. Er denke dabei an Kreditrestriktionen und ferner vielleicht auch an die Herabsetzung der Deckungsgrenze für den Notenumlauf. Das letztere Mittel sei insofern besonders gefährlich, als es geeignet sei – wenn auch völlig zu unrecht –, eine Panikstimmung bezüglich der Sicherheit der Währung zu erzeugen.

Zu der Anregung des Reichsministers der Finanzen, die Position der Reichsbank zu verstärken, erinnerte Reichsbankpräsident LutherLuther daran, daß die[1224] Reichsbank bereits einen Rediskontkredit von 50 Millionen Dollar bei der Bundes-Reservebank in Amerika habe. In der Ausnutzung dieses Kredits liege ebenfalls eine gewisse Gefahr, da Amerika das System der Kontingentierung des gesamten Kreditvolumens den einzelnen ausländischen Ländern gegenüber habe. Es werde daher genötigt sein, wenn er von dem Kredit Gebrauch mache, zuvor mit dem Präsidenten der Bundes-Reservebank, Herrn Harrison, besondere Fühlung aufzunehmen. An eine Verstärkung des Kredites sei nicht zu denken, denn der Präsident der Bundes-Reservebank werde sicherlich keine Schritte nach dieser Richtung ohne die amerikanische Regierung tun. Damit sei die Angelegenheit dann aber auf das politische Geleise geschoben.

England werde uns, wenn wir uns dahin wenden sollten, sicherlich an die BIZ verweisen. Bei der BIZ sei man auf eine derartige Lage sogar schon in gewisser Weise vorbereitet. Man werde dort in ähnlicher Weise verfahren, wie dies gegenüber Österreich geschehen sei. Gewisse Normativbestimmungen seien bereits ausgearbeitet und ihm mit bemerkenswerter Geflissentlichkeit schon zugestellt worden. In diesen Bestimmungen spiele die Einsetzung eines „technical adviser“ eine besondere Rolle. Ein solcher Berater mit Kontrollbefugnissen in dem hilfsbedürftigen Lande werde sofort nach Angehen der BIZ eingesetzt werden. Zusammenfassend könne er also sagen, daß wir uns durch das Anschneiden der Frage der Gewährung von neuen Rediskontkrediten in Diskussionen hineinbegeben würden, wie sie zur Zeit mit Österreich geführt würden.

Botschafter von SchubertSchubert äußerte sich sodann über die Auffassung von der Reparationsfrage in Italien. Er erklärte, daß er kürzlich eine längere Aussprache mit dem italienischen Außenminister Grandi gehabt habe17. Grandi drücke sich bei derartigen Besprechungen allerdings meist sehr vage aus, da er das Thema nicht genügend beherrsche. Grandi habe gemeint, daß Italien an der Reparationsfrage ja kein übergroßes Interesse habe, sicherlich aber bereit sein werde, bei Aufrollung der Schuldenfrage gegenüber Amerika sich etwaigen Bestrebungen nach Streichung der Schulden anzuschließen. Grandi habe auch angedeutet, daß Italien möglicherweise bereit sein werde, auf den sogenannten Surplus, d. h. auf die Reparationsbeträge zu verzichten, die ihm nach Abzug der Schuldenzahlung an Amerika verblieben, wenn dadurch die Neuregelung der Reparationsfrage in ihrer Totalität gefördert werden könnte. Ein derartiges Opfer Italiens sei in der Tat nicht sehr groß.

17

Schubert hatte Grandi am 8.6.31 aufgesucht (Rom, Telegramm Nr. 121, Pol. Archiv des AA, Büro RM 8 Italien, Bd. 8).

Ferner wies Botschafter von Schubert darauf hin, daß der amerikanische Staatssekretär Stimson auf seiner Europareise zuerst nach Italien kommen und daher seine ersten Unterredungen mit der Italienischen Regierung haben werde. Aus diesem Grunde empfehle es sich, mit der Italienischen Regierung Fühlung zu halten, damit Stimson von vornherein die richtige Auffassung über die Lage in Europa erhalte.

Der Reichskanzler erklärte, daß er es für richtig halte, heute noch keine Entscheidung über den Termin eines deutschen Schrittes in der Reparationsfrage[1225] zu fällen. Er stimme nach dieser Richtung der von dem Reichsbankpräsidenten geäußerten Auffassung zu. Allerdings dürfe man sich bei der Wahl des Termins nicht nur von außenpolitischen Rücksichten beeinflussen lassen. Der Zeitpunkt des Handelns müsse auch innerpolitisch richtig gewählt werden. Nach dieser Richtung sei aber zu bedenken, daß eine Verschärfung der Lage der Reichsfinanzen jedenfalls vor dem Besuch des Staatssekretärs Stimson nicht eintreten werde. Etwas anders würden die Dinge liegen, wenn etwa die Reichsbank in den nächsten Tagen genötigt sein werde, wegen der Devisenlage an die Reichsregierung heranzutreten und um Schritte der Reichsregierung zu bitten. Es wurde in Aussicht genommen, die Besprechungen in den nächsten Tagen fortzusetzen unter Zuziehung der beiden Herren Botschafter18.

18

Am 20.6.31 fanden mehrere Reparationsbesprechungen statt (Nachl. Pünder, Nr. 43, Bl. 150), über die keine Aufzeichnungen in den Akten der Rkei vorliegen. Zur Behandlung des Hoover-Moratoriums im RKab. s. Dok. Nr. 341.

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