1.202.1 (bru3p): Entwurf einer Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität.

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Entwurf einer Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität.

Nach Eröffnung der Sitzung führte der Reichskanzler aus, daß es sich um die Entscheidung einer wichtigen politischen Angelegenheit handele. Das Treiben der[2434] sogenannten militärischen Organisationen der Nationalsozialistischen Partei habe Formen angenommen, die vom Standpunkt des Staates aus nicht mehr vertreten werden könnten1. Die Wahlversammlungen, die er in der letzten Zeit für den Herrn Reichspräsidenten von Hindenburg abgehalten habe, hätten ihn klar erkennen lassen, daß durch das Verhalten der SA und der SS im Lande Zustände eingetreten seien, die als staatsgefährlich bezeichnet werden müßten. Aus diesen Erwägungen heraus seien die Regierungen der größten Länder entschlossen, Verbote zu erlassen. Würde von seiten des Reichs nichts gegen die SA und SS unternommen, so müsse damit gerechnet werden, daß zunächst Bayern im Wege einer Notverordnung allein vorgehen werde. Einem solchen Vorgehen Bayerns werde sich nach seiner Kenntnis ohne weiteres Preußen anschließen2. Es würde für das Reich eine unangenehme Lage entstehen, wenn von Reichsseite nichts geschehe. Der Herr Reichspräsident würde dadurch in eine Situation gebracht werden, die der Leiter der Reichsregierung glaube nicht verantworten zu können. Im Hinblick auf diesen Tatbestand habe er gestern dem Herrn Reichspräsidenten Vortrag gehalten. Der Herr Reichspräsident habe sich entschlossen, eine Verordnung, die das Verbot der SA und SS bringe, zu unterschreiben3. Allerdings müsse er zugeben, daß für den Herrn Reichspräsidenten diese Unterschrift nicht leicht gewesen sei, zumal der Herr Reichspräsident gerade in dieser Woche erneut das Volk in seiner Kundgebung zur Einigkeit und Mitarbeit aufgerufen habe4.

1

Vgl. Dok. Nr. 704 und Dok. Nr. 706.

2

Der RK hatte wegen des SA-Verbots am 11.4.32, 9 Uhr, eine Besprechung mit dem PrlM Severing (Nachl. Pünder , Nr. 44, Bl. 52; Vgl. Brüning, Memoiren, S. 540).

3

Vgl. Brüning, Memoiren, S. 542. Am 9.4.32 hatte RWeM Groener bei einem Vortrag die Einwilligung des RPräs. zum Verbot der SA erhalten (Groener: Choronologische Darstellung der Vorkommnisse, die zu meinem Rücktritt als Reichswehr- und Reichsinnenminister geführt haben, BA-MA N 46/145, Bl. 97).

4

Die Kundgebung des RPräs. vom 11.4.32 ist abgedruckt in Schultheß 1932, S. 66 und in Ursachen und Folgen, Bd. VIII, Dok. Nr. 1804 a.

Im Anschluß an diese Ausführungen verlas der Reichskanzler den Entwurf der Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität sowie die Ausführungsverordnung zur Durchführung der Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität und ferner ein von ihm ausgearbeitetes Pressekommuniqué5.

5

Die hier genannten Entwürfe befinden sich in den Anlagen zu diesem Protokoll als WTB-Meldungen vom 13.4.32: R 43 I /1455 , S. 483–487; ein Exemplar des NotVoEntw. ist im Nachl. Pünder , Nr. 154, Bl. 32–33.

Das Kabinett erklärte sich mit der Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität sowie mit der Verordnung zur Durchführung der Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität einstimmig einverstanden6.

6

Vo. des RPräs. zur Sicherung der Staatsautorität vom 13.4.32, RGBl. I, S. 175 .

Hinsichtlich des Kommuniqués äußerte Reichsminister Schlange folgende Wünsche:

1. Es möge geprüft werden, ob es nicht möglich sei, in dem Kommuniqué etwas über das tatsächliche Material zu sagen.

2. Es sei bedenklich, im Kommuniqué von andersgesinnten Bevölkerungskreisen zu sprechen.

[2435] 3. Er schlage vor, nicht davon zu sprechen, daß man mit den Regierungen der größten Länder einverstanden sei. Es erscheine ihm zweckmäßig, nur von den Länderregierungen in diesem Punkte zu reden7.

7

Von den kleineren Ländern hatte der Bad.StPräs. Schmitt in einem Schreiben an StS Pünder vom 11.4.32 die Auflösung von SA und SS gefordert (Nachl. Pünder  Nr. 154, Bl. 21–22, mit Sichtparaphe des RK, auch in Schulz, Staat und NSDAP, Dok. Nr. 66).

Den Ausführungen des Ministers Schlange wurde im allgemeinen zugestimmt. Seine Wünsche sollen nach Möglichkeit im Kommuniqué berücksichtigt werden. Im übrigen wurde dem Kommuniqué zugestimmt.

Im Anschluß hieran führte der Reichspostminister aus, daß alles aufgeboten werden müsse, um endlich ruhigere Verhältnisse zu schaffen. In der Beamtenschaft werde von den Nationalsozialisten ein derartiger Terror ausgeübt, daß die verfassungsmäßig eingestellten Beamten vollkommen eingeschüchtert seien. Es müsse der Beamtenschaft klar gezeigt werden, daß man den nationalsozialistischen Terror nicht mehr dulde und die verfassungstreuen Beamten weitgehend schütze.

Sodann warf der Minister die Frage auf, ob es nicht geboten erscheine, Parteifahnen allgemein zu verbieten.

In diesem Zusammenhang wies er auf die Zustände in den Bade- und Kurorten hin, wo nur noch Parteifahnen gezeigt würden. Es sei seiner Meinung nach dringend erforderlich, daß auch nach dieser Richtung hin im Wege einer Notverordnung klare Verhältnisse geschaffen würden.

Der Reichskanzler bat den Reichsminister Groener, die von dem Reichspostminister vorgebrachten Wünsche zu prüfen und weiter zu verfolgen. Auch seiner Meinung nach müsse hinsichtlich der Beamtenschaft energisch durchgegriffen werden.

Der Reichsminister Dr. Groener erwiderte, daß er bereits in seinem Ressort die notwendigen Maßnahmen ergriffen habe. Wer sich bei ihm politisch unangenehm hervortue, werde einfach versetzt8.

8

Das tatsächliche Material wurde in der „Begründung der Verordnung“ nicht ausgebreitet; die übrigen Anregungen RM Schlanges sind offenbar berücksichtigt worden (R 43 I /1455 , S. 487–488).

In diesem Zusammenhange kam der Reichskanzler auf das Flugblatt „Achtung! Ostpreußische Beamte! Wir wählen wieder Adolf Hitler!“ zu sprechen und legte den Ressortschefs nahe, gegen die beteiligten Beamten in irgendeiner Form vorzugehen. In der Hauptsache seien Post- und Finanzbeamte beteiligt9.

9

Wegen dieses Flugblatts wandte sich die Rkei am 8.4.32 an das RFMin. und am 21.4.32 an das RPMin. mit der Bitte um Feststellung, ob die im Flugblatt genannten Beamten sich noch im aktiven Dienst befanden (R 43 I /2684 , S. 41–45).

Der Reichsminister der Finanzen führte aus, daß die Ressortchefs an und für sich den Beamten wehrlos gegenüberstehen. Er habe bereits vor längerer Zeit den zuständigen Reichsminister des Innern, Herrn Wirth, gebeten, klare Richtlinien über das Verhalten der Ressortschefs gegenüber den nationalsozialistischen Beamten aufzustellen10. Da er in diesen Bestrebungen nicht unterstützt worden sei trotz wiederholter Versuche, sei er selbständig vorgegangen. Allerdings sei es unbedingt notwendig, daß durch das Reichsministerium des Innern klar Richtlinien aufgestellt würden, damit die Ressortchefs eine Basis bekämen. Er müsse zugeben, daß die Beamtenschaft der Zollverwaltung total nationalsozialistisch eingestellt sei. Wenn er[2436] aber als Ressortchef keine feste Grundlage habe und das Reichsministerium des Innern ihn in dieser Beziehung nicht unterstütze, könne er beim besten Willen bei etwa 90% nationalsozialistisch eingestellter Beamten nichts machen. Das Schlimmste sei der Kampf mit den Disziplinarbehörden, die den nationalsozialistischen Beamten gegenüber freundlich eingestellt seien.

10

Vgl. Dok. Nr. 450.

Der Reichsminister des Innern übernahm es, einen entsprechenden Runderlaß vorzubereiten und in einer Chefbesprechung baldigst zur Erörterung zu stellen. Unmittelbar nach Rückkehr des Reichskanzlers aus Genf wird das Kabinett sich mit der Verabschiedung dieses Rundberichtes befassen11.

11

Dies ist in der Amtszeit Brünings nicht mehr geschehen.

Sodann stellte der Reichskanzler fest, daß, wenn Braunschweig die Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Staatsautorität nicht durchführe, die Konsequenzen daraus gezogen würden12.

12

Offenbar eine Anspielung auf den Versuch Braunschweigs, den Osterfrieden aufzuheben: siehe Dok. Nr. 703, Anm. 4.

Der Reichsminister der Justiz bemerkte, daß es im Hinblick auf die Bestimmungen der Reichsverfassung schwer halten werde, gegen die nationalsozialistisch eingestellten Beamten vorzugehen, solange kein Ausnahmegesetz gegen die Nationalsozialistische Partei bestehe. Aus diesen Gründen sei auch das Verhalten der Disziplinarbehörden zu verstehen. Deshalb müsse die Verwaltung selbst vorgehen. Er halte es für angezeigt, daß die Reichsregierung eine Kundgebung an die leitenden Beamten erlasse und darin allen nicht nationalsozialistisch eingestellten Beamten weitgehend Schutz zusichere. Eine solche Kundgebung werde die Chefs der Behörden in ihrer Stellung den Nationalsozialisten gegenüber stärken.

Der Reichsverkehrsminister regte in diesem Zusammenhang erneut an, die Frage des freiwilligen Arbeitsdienstes zu fördern, um den arbeitslosen Massen wieder etwas Hoffnung zu geben13. Es gehe nicht an, daß das Kabinett nur, wie hier wieder bei der Verordnung, negative Maßnahmen treffe; es müsse auch positiv gehandelt werden. Die Reichsregierung komme allmählich in den Ruf, daß sie nicht willens sei, die Arbeitslosigkeit zu beheben. Dieser Zustand müsse unbedingt vermieden werden.

13

Vgl. Dok. Nr. 272, P. 1, Dok. Nr. 319 und Dok. Nr. 644.

Der Reichsminister des Innern erklärte, daß er mit Reichsminister Treviranus in dieser Beziehung durchaus einig sei. Er müsse aber sagen, daß positive Maßnahmen viel Geld kosten werden.

Am Schluß der Aussprache hob der Reichskanzler noch einmal die durch die Nationalsozialisten geschaffenen politischen Zustände hervor und betonte vor allen Dingen, daß auf dem Lande nach dieser Richtung hin ganz tolle Verhältnisse herrschen. Er habe bei seiner Reise feststellen können, daß die Grundbesitzer politisch nichts mehr zu sagen hätten und beinahe vollkommen in der Hand der Nationalsozialisten seien. Auch nach dieser Richtung müßten bessere Zustände geschaffen werden14.

14

Vgl. zu diesem Dok. Brüning, Memoiren, S. 544.

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