1.54.1 (bru3p): Wirtschaftspolitische Maßnahmen.

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Wirtschaftspolitische Maßnahmen.

Der Reichskanzler gab einen Überblick über die vorzubereitenden Maßnahmen. Er wies darauf hin, daß die neue Notverordnung vor dem 1. Dezember fertiggestellt werden müsse1. Spätestens am 15. Dezember müßten sämtliche Bestimmungen in Kraft treten. Er hielt es für ausgeschlossen, die Umsatzsteuer vor Fertigstellung des Gesamtplanes zu erhöhen. Sie müsse die Pauschalierung enthalten.

1

Die NotVo. wurde am 8.12.31 unterzeichnet: siehe Dok. Nr. 596, P. 4.

Das Zinsproblem solle als letzter Punkt zur Entscheidung kommen.

Die Löhne und Gehälter mit dem Lebenshaltungsindex in Verbindung zu bringen, hielt er für unmöglich.

Allgemein dürften die Bestimmungen nicht lediglich Ermächtigungen enthalten. Konkrete Durchführungsmaßnahmen müßten gleichzeitig festgelegt werden.

Preiskontrollen werden sich lediglich auf wichtigste Nahrungsmittel und Gegenstände des täglichen Bedarfs erstrecken können. Keinesfalls käme eine Preiskontrolle[2006] im Einzelhandel allgemein in Frage. Die Preise seien vielfach allgemein wesentlich gesunken.

Bei Maßnahmen hinsichtlich der gebundenen Preise müsse eine Umsatzsteuererhöhung berücksichtigt werden. Die individuelle Nachprüfung sei beschleunigt durchzuführen. Auch über die Devisenbewirtschaftung müsse in Verhandlungen der zuständigen Ressorts sofort Klarheit geschaffen werden.

Der Reichsminister der Finanzen gab einen eingehenden Überblick über die Etatslage. Zur Deckung des Defizits von rund 400 Millionen sei der Gewinn aus der Silberprägung zu verwenden2. Der Rest werde dann nicht mehr sehr erheblich sein. Die Einnahmen würden sich voraussichtlich bis 1. April 1932 um etwa 1 400 Millionen verschlechtern. 1 Milliarde würde durch Einsparungen ausgeglichen.

2

Vgl. Dok. Nr. 544.

Bei Ländern und Gemeinden werde ebenfalls ein sehr erhebliches Defizit festzustellen sein3.

3

Vgl. dazu Dok. Nr. 566 und Dok. Nr. 585, Anm. 1.

Durch Erhöhung der Umsatzsteuer auf 2% werden sich die Einnahmen des Reichs um rund 1 Milliarde erhöhen. Kürzung der Personalausgaben würde außerdem erforderlich sein. Mit Kassenschwierigkeiten am Ende des Jahres sei zu rechnen.

Die Wirtschaftspolitik könne sich nicht nach dem Kurse des englischen Pfunds richten, zumal weitere Zollerhöhungen auch in anderen Ländern bevorständen4. Die Binnenwirtschaft müsse vom Geldproblem aus belebt werden.

4

Vgl. dazu Dok. Nr. 579 und 598.

Staatssekretär Dr. Schäffer ergänzte diese Ausführungen. Preußen werde am 1. Dezember einen Fehlbetrag von 54 Millionen, die Stadt Berlin ein Defizit von 24 Millionen haben5. Die Einlösung der Zinsscheine der Anleihen beider wäre gefährdet. Zahlungseinstellung würde den Reichskredit schwer beeinträchtigen. Es sei deswegen notwendig, die Umsatzsteuer bereits vom 1. Dezember an zu erhöhen und gleichzeitig die Gehälter zu senken.

5

Vgl. Dok. Nr. 566 und zur finanziellen Situation Berlins Dok. Nr. 707, Anm. 5 und Dok. Nr. 720, Anm. 4.

Bei den Sozialrenten müsse dem Umstand Rechnung getragen werden, daß der Wert des Geldes erhöht werden solle.

Zur Frage der Gehaltskürzung wies Ministerialdirektor Dr. von Krosigk darauf hin, daß bei einer Kürzung um 10% der Stand vom Dezember 1927 erheblich unterschritten würde6.

6

Damit sind die durch das Besoldungsgesetz vom 16.12.27 (RGBl. I, S. 349 ) festgesetzten Gehälter gemeint.

Ministerialdirektor Zarden gab einen Überblick über die Umsatzsteuerpläne. Die Einfuhr würde ihr unterworfen, Ausnahmen wären möglich. Die Ausfuhrvergütung, die dann erforderlich würde, würde aber den Ertrag der Umsatzsteuer bei der Einfuhr wieder erfordern. Bei mehrfachem Umsatz solle schrittweise eine Phasenpauschalierung durchgeführt werden, bei Textilien z. B. zum 1. April, bei Leder und Holz zum 1. Oktober 1932. Für Lebensmittel werde sie schwierig sein.

Würde nur der letzte Umsatz besteuert, so müßte der Betrag auf 3½ bis 4% steigen. Das sei bedenklich, schon wegen der Gefahr der Hinterziehung.

[2007] Der Reichsarbeitsminister sagte zu, die von ihm vorzulegenden Entwürfe alsbald mitzuteilen. Mit einer Senkung der Löhne auf den Stand vom 10. Januar 1927 erklärte er sich einverstanden7. Beim Kohlenbergbau würde dann aber nur eine Senkung um 2% eintreten. Diese würde nicht ausreichen. Dagegen müßten die Binnenarbeiterlöhne um 15 bis 18% ermäßigt werden. Voraussetzung für Lohnsenkung sei aber Herabsetzung der anderen Aufwendungen auf der ganzen Linie8.

7

Vgl. Dok. Nr. 574, P. 2.

8

Vgl. Dok. Nr. 577, P. 3.

Die alten Renten müßten nachgeprüft werden. Daraus würde sich eine Ersparnis von 100–150 Millionen ergeben. Generelle Senkung wäre unmöglich.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft schlug eine Ermächtigung an die Reichsregierung vor, unter Strafbestimmung Preise von Gegenständen des täglichen Bedarfs durch einen Reichskommissar und Unterkommissaren nachzuprüfen und gegebenenfalls berichtigen zu lassen9. Er trat auch für Wiedereinführung des Zwangs zum Aushängen von Preisschildern ein10. Nach seiner Auffassung müsse diese Preisprüfung in ziemlich umfassender Weise vorgenommen werden.

9

Zur Beratung dieses Vorschlags des REM, einen RPreisKom. zu bestellen, siehe Dok. Nr. 571, P. 2.

10

Vgl. dazu auch die Stellungnahme des Wirtschaftsbeirats in P. 3 der Anlage zu Dok. Nr. 564.

Demgegenüber vertrat Staatssekretär Dr. Trendelenburg den Standpunkt, daß die Preisprüfung nur bei wenigen wesentlichen Nahrungsmitteln möglich sei. Er wies auf die starken Bedenken hin, die einer Kontrolle aller Preisspannen entgegenstehen. Die Tendenz zur Preissenkung würde dadurch nur aufgehalten, der angemessene Gewinn würde wieder eine Rolle spielen und die Handelsspanne konsolidieren.

Hinsichtlich der gebundenen Preise schlug der Reichswirtschaftsminister vor, die Organisation bestehen zu lassen, aber die wichtigsten Stoffe, Kohlen, Eisen, Baustoffe und Düngemittel individuell zu behandeln11. Das werde bis 15. Dezember möglich sein. Im übrigen müsse ein bestimmter Prozentsatz unter den Preisen eines Stichtages festgelegt werden, etwa der 1. Juli 1931. Auch die Handelsspanne müßte im gleichen Prozentsatz gekürzt werden.

11

Vgl. Dok. Nr. 571, P. 1.

Der Reichskommissar empfahl aus früheren Erfahrungen, die örtlichen Stellen durch Kommissare der Zentrale zu verstärken, die den großen Überblick über die Gesamtbewegung und die Erfahrung hinsichtlich der einzelnen Maßnahmen hätten. Auch er trat dafür ein, daß nur bei wenigen wichtigen Gebieten eingeschritten würde.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg berichtete, daß in der Kohlenwirtschaft kaum noch Verdienste gemacht würden. Im bestrittenen Gebiet12 seien die Preise bereits erheblich gesunken. Bei der Kohle sei der Lohnanteil 50%.

12

Vgl. Dok. Nr. 117, P. 4.

Der Reichsarbeitsminister führte aus, Generaldirektor Vögler habe vorgeschlagen, den Lohn um 15% zu kürzen. Dann würde der Kohlenbergbau den Tonnenpreis um 1 RM und die Eisenerzeugung den Stabeisenpreis von 128 auf 110 RM herabsetzen. Die Industrien würden sich gleichzeitig verpflichten, keine Entlassungen[2008] vorzunehmen und die Arbeiter am Gewinn zu beteiligen, nach einer Verzinsung des Aktienkapitals in Höhe von 4%.

Die Verwaltung in der Sozialversicherung müsse reorganisiert werden. Insbesondere seien die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften aufzulösen, wenn sie nicht mehr zahlen könnten. Schwierigkeiten beständen dabei in den Länderregierungen.

Die Invalidenversicherung werde nicht mehr zahlen können, weil sie ohne flüssiges Vermögen sei und den Ländern und Gemeinden große Darlehen gewährt habe13.

13

Auf die Schwierigkeiten der Invalidenversicherung hatte der SPD-RT-Abg. Aufhäuser den RArbM mit seinem Schreiben vom 19.11.1931 hingewiesen und sich den Vorschlag der Landesversicherungsanstalten und Gewerkschaften zueigen gemacht, „für die augenblickliche Erleichterung wenigstens eine Rückkaufsmöglichkeit der Reichsschatzanweisungen zu schaffen, die der Invalidenversicherung in Höhe von 165 Millionen Reichsmark als Zwangsanleihe auferlegt worden war“ (Durchschrift des Schreibens mit einer Aufstellung der finanziellen Situation der Invalidenversicherung in R 43 I /2375 , S. 319–323). Vgl. auch Dok. Nr. 586 und Dok. Nr. 594, P. 14.

Die Krankenkassen hätten versagt. Ihr Verwaltungsapparat könne nicht in der bisherigen Weise aufrechterhalten werden. Sie seien übermäßig politisiert. Aber auch hier weigerten sich die Länder einzugreifen.

Die Vorschläge bei der Unfallversicherung würden endgültig, bei der Invalidenversicherung, soweit es sich um Leistungssenkung handle, bis 31. Juni 1932 befristet sein. Die Aufsicht müsse an der Geschäftsführung materiell interessiert werden14.

14

Zur Fortsetzung der Kabinettsberatungen: Dok. Nr. 569, P. 1.

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