1.232 (bru3p): Nr. 746 Besprechung des Reichskanzlers mit dem Sächsischen Ministerpräsidenten vom 13. Mai 1932, 16.30 Uhr

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Nr. 746
Besprechung des Reichskanzlers mit dem Sächsischen Ministerpräsidenten vom 13. Mai 1932, 16.30 Uhr

R 43 I /2312 , Bl. 9–10

Anwesend: Brüning; StS Trendelenburg, Pünder; MinR Olscher, Markull; MinPräs. Schieck; MinR Schettler, Ges. Graf v. Holtzendorff, LegR Roitsch; Protokoll: MinR Vogels.

Der Sächsische Ministerpräsident schilderte mit größter Eindringlichkeit die bedrängte Finanzlage des sächsischen Staates1. Er führte aus, daß es trotz größter Ersparnismaßnahmen nicht gelungen sei, den sächsischen Haushalts-Voranschlag für 1932 auszugleichen. Die Gesamtetatssumme betrage rund 320 bis 340 Millionen RM. Der ungedeckte Fehlbetrag belaufe sich auf etwa 22 Millionen RM. Er ging sodann auf den Schriftwechsel mit dem Reichsminister der Finanzen vom 14. und 25. April2 […] näher ein und setzte auseinander, daß weitere Abstriche am sächsischen Etat unmöglich seien. Der Fehlbetrag im Etat sei gleichbedeutend dem entsprechenden Kassendefizit. Hinzu komme, daß am 1. Juli 15 Millionen sächsischer Schatzanweisungen eingelöst werden müßten, wofür irgendwelche Mittel nicht verfügbar seien, und schließlich bilde eine unmittelbar weitere Gefahrenquelle für die sächsischen Finanzen das Ansteigen der Wohlfahrtserwerbslosenlasten.

1

Zur Situation Sachsens siehe Dok. Nr. 224 und Dok. Nr. 585, Anm. 1. Die Besprechung zwischen dem RK und dem Sächs. MinPräs. war während der Goethe-Centenarfeier am 22.4.32 (siehe Dok. Nr. 703, Anm. 5) in Weimar vereinbart worden (vgl. das Schreiben des Sächs. M Graf v. Holtzendorff vom 9.4.32, R 43 I /2311 , Bl. 346).

2

Der RFM hatte am 25.4.32 der Rkei den Schriftwechsel abschriftlich zugesandt. Der Sächs. MinPräs. Schieck hatte in seinem Schreiben vom 14.4.32 dem RFM die schwierige Haushaltslage des Landes Sachsens dargelegt: der Entw. des Haushaltsplans für 1932 weise ein Defizit von 30 MioRM auf, das auf den Einnahmenrückgang von 80 MioRM zurückzuführen sei, während Ausgabenersparnisse nur in der Höhe von 50 MioRM erreicht werden konnten. Schieck hatte das Defizit wesentlich darauf zurückgeführt, daß das Reich seiner Verpflichtung zur Verzinsung und Tilgung der Eisenbahnrestschuld seit 1924 nicht mehr nachgekommen sei. Außerdem habe das Reich die Ledigensteuer, die Zuschläge zur Einkommenssteuer und die Krisensteuer für sich vorweggenommen, ohne die Länder zu beteiligen. Schieck hatte schließlich moniert, daß den Ländern vom Reich die kassenmäßigen Vorteile der Vorverlegung der Termine der Einkommensteuervorauszahlungen und die Beteiligung am Münzgewinn der Rbk vorenthalten würden (Abschrift in R 43 I /2311 , Bl. 359–362). Der RFM hatte in seiner Antwort vom 25.4.32 die Ansprüche Sachsens zurückgewiesen und die Sächs. Reg. zu weiteren Einsparungen im Schulbereich, in der Beamtenbesoldung, in der Rechtspflege und Subventionspolitik aufgefordert. Über den Kassenkredit von insgesamt 16,3 MioRM könne das Reich dem Lande Sachsen keine weiteren Mittel zur Verfügung stellen (Abschrift in R 43 I /2311 , Bl. 355–358).

[2515] Für den Reichsminister der Finanzen führte Ministerialrat Dr. Olscher aus, daß Sachsen von Reichs wegen in jeder möglichen Weise entgegengekommen werden solle, daß die Hilfsbereitschaft jedoch seine Grenzen finde an der überaus gespannten Kassenlage des Reiches. Bezüglich der sächsischen Kassenschwierigkeiten wies Ministerialrat Dr. Olscher darauf hin, daß Sachsen ja bereits einen Kassenkredit des Reiches in Höhe von 12 Millionen erhalten habe. Vielleicht werde Sachsen dadurch Erleichterungen geschaffen werden können, daß die Rückzahlung dieses Kassenkredits für ein Jahr ausgesetzt werde. Bezüglich der Wohlfahrtserwerbslosenlasten wurde auf die bevorstehende Neuregelung der Arbeitslosenhilfe3 und die damit verbundene Reform der Lastenverteilung hingewiesen. Bezüglich der Fälligkeiten für 15 Millionen Schatzanweisungen bemerkte Ministerialrat Dr. Olscher, daß am Vormittag diesbezüglich eine Besprechung bei der Reichsbank stattgefunden habe. Vizepräsident Dreyse habe darauf hingewiesen, daß die Sächsische Staatsbank zur Zeit noch über Goldreserven verfüge, die einer 34%igen Notendeckung gleichkämen, während die Reichsbank nur noch über eine 25%ige Deckung verfüge. Wenn die Sächsische Staatsbank bereit sei, der Reichsbank 5 Millionen Gold abzutreten, werde die Reichsbank bereit sein, der Sächsischen Staatsbank einen Notenkredit in dreifacher Höhe (15 Millionen) zur Verfügung zu stellen. Damit würden sich die Schatzanweisungen einlösen lassen.

3

Vgl. Dok. Nr. 747.

Ministerpräsident Schieck erwiderte, daß die Sächsische Notenbank ein Privatinstitut sei und daß diese unter keinen Umständen bereit sein werde, Goldbeträge an die Reichsbank abzutreten. Die Bank befürchte nämlich, daß sie ihre Einleger verlieren werde, die die Geschäftsverbindung mit der Staatsbank nur mit Rücksicht auf deren verhältnismäßig hohe Goldreserven aufrechterhalten hätten.

Auf Anregung des Herrn Reichskanzlers wurde zwischen Herrn Ministerpräsident Schieck und dem Herrn des Reichsfinanzministeriums vereinbart, daß unmittelbar nach Pfingsten im Reichsfinanzministerium nochmals eine Besprechung über etwaige finanzielle Hilfen zu Gunsten Sachsens stattfinden solle4.

4

Am 19.5.32 sandte MinPräs. Schieck folgendes Telegramm an den RK: „Trotz unserer Rücksprache, die von Reichsressorts wirksame Förderung sächsischer Wünsche erhoffen ließ, über Einlösung am 1. Juni fälliger fünfzehn Millionen Schatzanweisungen bisher ergebnislos verhandelt. Sachsen muß spätestens Sonnabend Nichteinlösung publizieren, falls bis dahin keine Reichshilfe gewährleistet. Da Folgen unabsehbar und schicksalsschwer, appelliere nochmals an Sie mit dringendster Bitte auf Gang der Dinge im Sinn unserer Rücksprache Einfluß zu nehmen und insbesondere Reichsfinanzminister um erbetenen Empfang Sächsischen Finanzministers unter allen Umständen für morgigen Freitag zu ersuchen“ (R 43 I /2312 , Bl. 11–12). MinPräs. Schieck sandte dem Telegramm noch am 19.5.32 ein Schreiben an den RK nach (R 43 I /2312 , Bl. 13). Am 20. und 23.5.32 verhandelte der RFM mit dem Sächs. FM Hedrich mit dem Ergebnis, daß 10 MioRM Schatzanweisungen durch ein Bankenkonsortium mit Hilfe der RbK eingelöst wurden, während die Sächs. Staatsbank die restlichen 5 MioRM an Schatzanweisungen übernahm (Vermerke von MinR Vogels vom 20. und 26.5.32 in R 43 I /2312 , Bl. 14).

Ministerpräsident Schieck machte sodann noch weitere besondere Ausführungen über die außerordentlich schwierige Lage der sächsischen Industrie. (Vgl. auch Schreiben vom 5. April5 […]) Wirksame Hilfe glaubte er sich nur durch die Bereitstellung[2516] von größeren Krediten mit Reichsunterstützung versprechen zu können. Bei der jetzigen Kreditarmut der Industrie sei es nicht einmal möglich, vorliegende Aufträge, darunter sogar Reichsaufträge für die kleinere Industrie, auszuführen.

5

Graf v. Holtzendorff hatte mit Schreiben vom 9.4.32 ein „Promemoria“ übersandt, das auf die hohe Arbeitslosigkeit im Chemnitz-Zwickauer Industriegebiet und die daraus folgende politische Radikalisierung aufmerksam machte, die bereits von den Arbeitern auf das Bürgertum übergegriffen habe. Ähnlich wie die Osthilfe hatte die Sächs. StReg. eine besondere Reichshilfe von 10 MioRM für das Chemnitz-Zwickauer Industriegebiet gefordert; damit sollten Betriebsmittelkredite für die Fertigwaren- und Export-Industrien, Zinsverbilligungen und Sonderhilfen für das Klein- und Hausgewerbe in den Grenzgebieten bereitgestellt werden. Für die Entlastung der Gemeinden von der Wohlfahrtserwerbslosenfürsorge hatte die Sächs. Reg. den RFM vergeblich um einen Hilfsfonds von 230 MioRM gebeten (Schreiben und Referentenvortrag von RegR Krebs vom 16. 4. in R 43 I /2311 , Bl. 346–350; nach einer handschriftlichen Notiz Pünders in R 43 I /2311 , Bl. 350 hatte er dieses Schreiben zur Vorbereitung der Besprechung mit dem Sächs. MinPräs. bestellt). Die katastrophale Lage der sächsischen Industrie hatte gleichfalls der Vorsitzende des Verbandes Sächs. Industrieller, Wittke, in zahlreichen Eingaben an die Rkei dargelegt; gleichzeitig griff Wittke die Wirtschaftspolitik der RReg. in der Öffentlichkeit scharf an (Material in R 43 I /2311 , Bl. 324–345, R 43 I /2312 , Bl. 4–8 sowie Bl. 15–26).

Der Reichskanzler machte darauf zunächst allgemeinere Ausführungen über die Wirtschaftslage und über die Lohnpolitik der Reichsregierung. Er empfahl, daß sich die kleinere sächsische Industrie zusammentun möge zur Bildung eines kreditfähigen Verbandes. Diesem werde alsdann durch Vermittlung der Akzept- und Garantiebank geholfen werden können.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg unterstützte diesen Vorschlag und erbot sich, unmittelbar nach Pfingsten dieses Thema mit dem Gesandten Graf von Holtzendorff weiter zu vertiefen.

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