1.33 (bru3p): Nr. 547 Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über die Sitzung des Ausschusses II des Wirtschaftsbeirats am 10. November 1931, 16 Uhr

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Nr. 547
Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über die Sitzung des Ausschusses II des Wirtschaftsbeirats am 10. November 1931, 16 Uhr

R 43 I /1166 , Bl. 120–1231

1

Eine Anwesenheitsliste zu dieser Sitzung konnte nicht ermittelt werden.

Der Reichskanzler wies zunächst auf die Pressemeldungen hin, nach denen sich das Kabinett mit der Zinssenkung befaßt habe2. Die Meldungen seien aus der Luft gegriffen. Entsprechende Maßnahmen würden gegen die Zeitungen zu veranlassen sein.

2

Vgl. auch Dok. Nr. 550.

Als Gegenstand der Beratungen sollen die allgemeine Kreditlage, die unzulängliche Befriedigung der Kreditbedürfnisse des Mittelstandes, die Frage der Zinsspanne, insbesondere bei den landwirtschaftlichen Genossenschaften und die Bankenorganisation behandelt werden.

Dr. Silverberg gab einen Überblick über die Geldlage seit den Pariser Verhandlungen. Damals, im Jahre 1929, sei zuerst Auslandsgeld in Höhe von über 1 Milliarde abgezogen worden3. Weitere Abzüge seien im September 1930 nach den Wahlen in Höhe von etwa 3 Milliarden, wahrscheinlich aber in noch größerem Ausmaße erfolgt4. Es sei eine große Leistung der Wirtschaft und der Banken, daß trotz der allgemeinen Schwächung ihrer Positionen die Rückzahlung möglich gewesen sei. Alle, nicht nur die mittleren und kleineren Unternehmungen, seien durch diese Abzüge gleichmäßig betroffen worden. Im Verhältnis zu diesen Abzügen seien die Kreditkürzungen gering, die von den Banken hätten vorgenommen werden müssen. Sie hätten etwa ein Viertel der abgezogenen Geldsummen betragen.

3

Siehe diese Edition, Das Kabinett Müller II, Dok. Nr. 425, Anm. 8.

4

Vgl. dagegen die wesentlich niedrigere Schätzung StS Schäffers in Dok. Nr. 130, P. 2.

Es sei erforderlich, für die Auslandsgelder bis zu einem gewissen Grade Ersatz zu schaffen.

[1935] Das Produktionsvolumen könne auf 40 Milliarden geschätzt werden. Es müsse möglich sein, ein zusätzliches Kreditvolumen von etwa 2 Milliarden M zu schaffen und wechselmäßig zu belegen.

Als Notendeckung sollten diese Wechsel nicht in Frage kommen.

Nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten (1907) müsse mit Verrechnungsschecks und bestätigten Schecks gearbeitet werden5. Prolongationen sollen ausgeschlossen sein. Einlösung müsse in Noten oder Schecks derselben Banken erfolgen, die die Schecks ausgegeben haben. Hierfür sei eine zentrale Bankstelle zu gründen, die das Kreditvolumen mit 4% in Bewegung setzen müsse.

5

Die Wirtschaft der USA hatte sich 1907 in einer Deflationskrise befunden: vgl. Schultheß 1907, S. 348.

Es müsse möglich sein, hierfür Forderungen als Unterlagen zu finden, die zwar nach den Bestimmungen über die Reichsbankwechsel nicht erfaßt werden könnten, gleichwohl aber gute Unterlagen wären. Die Laufzeit könne drei Monate betragen, zwei Banken müßten unterschreiben.

Die Reichsbank werde dadurch nicht ihr bestes Wechselmaterial verlieren. Es handele sich um eine zusätzliche Schaffung von Handelswechseln. Die Reichsbank werde aber in ihren Noten entlastet werden. Mehr als 1 Milliarde sei gehamstert worden. Währungsbedenken beständen nicht, zumal, wenn mit einer Summe von 500 Milliarden begonnen würde und erst allmählich eine Steigerung der Summe erfolge.

Die üblen Verhältnisse auf dem Geldmarkte beruhten in erster Linie auf dem hohen Zinsangebot, das sich sehr wesentlich aus dem Wettbewerb der Institute, insbesondere auch der Sparkassen, Genossenschaften und öffentlichen Banken ergebe.

Durch die verbesserte Kreditbeschaffung sei eine allgemeine Ankurbelung der Wirtschaft zu erwarten.

Im Osten seien Zinssätze von 12–16% für Personalkredite die Regel. Träger des Personalkredites seien die Genossenschaften, deren Bezirk zu klein ist, um als ausreichende Geldquelle zu dienen. Für Haben-Zinsen würden bis zu 10% angeboten. Die hohen Zinssätze beruhten auch auf dem starken Risiko und der genossenschaftlichen Verflechtung.

Die Wechsel der Genossenschaften seien an die Preußenkasse weitergegeben worden. Ihr Bestand sei übermäßig. Grundsätzlich müßten die Einlagen der Genossenschaften aus der ihr nahestehenden Wirtschaft kommen. Das träfe tatsächlich nicht mehr zu. Daher müßten alle Genossenschaften liquidiert werden, und die Banken müßten ihr Geschäft übernehmen.

Mit Akkorden habe die Industriebank bisher sehr gute Erfahrungen gemacht.

Der Reichsbankpräsident bat, ihm den Plan Silverbergs schriftlich mitzuteilen, damit er in allen Einzelheiten in der Reichsbank geprüft werden könne6. Wenn nicht gleichzeitig eine Vermehrung der Zahlungsmittel erfolge, so sei der Nutzen nicht abzusehen. Eine Vermehrung der Zahlungsmittel aber, die nicht auf Antrieb der Wirtschaft beruhe, bedeute Inflation. Das als Beispiel herangezogene Vorgehen[1936] der Vereinigten Staaten liege vor der Gründung des Federal Reserve-Systems7. Damals hätte keine Zentralbank die Funktion der Schaffung von Zahlungsmitteln übernehmen können.

6

Abgedruckt in der Anlage zu Dok. Nr. 554.

7

Das Federal Reserve System, das Banksystem der USA, wurde durch das Gesetz vom 23.12.1913 geschaffen. Die 12 Federal Reserve Banks für die in zwölf Bankbezirke eingeteilten USA übernehmen die Aufgaben einer Zentralbank nach den Richtlinien, die die Bankgouverneure des Federal Reserve Board festlegen.

Die Reichsbank habe, als es nötig gewesen sei, Finanzwechsel hereingenommen und Noten ausgegeben. Kredit sei nicht das Primäre, sondern zuerst müßten der Wirtschaft Aufträge gegeben werden. Für sichere Geschäfte stelle die Reichsbank jederzeit Kredit zur Verfügung. Der billige Zinssatz werde nicht gegenüber dem höheren Reichsbankdiskont aufrechterhalten werden können. Ein Ausgleich werde sehr bald zugunsten Einzelner eintreten, die erhebliche Zwischengewinne machen.

Nicht alle Einrichtungen anderer Länder könnten in Deutschland mit Nutzen eingeführt werden. Der Überwachungsverband, der im Sommer nach amerikanischem Muster gegründet worden sei, sei nur gering in Anspruch genommen worden8.

8

Siehe Dok. Nr. 363, Nr. 366 und 370, P. 1.

Dr. Suhr äußerte gegen den Plan Silverbergs wesentliche Bedenken. Eine Binnenwährung würde geschaffen, deren Begrenzung auf 2 Milliarden nicht sicher sei. Es sei fraglich, ob die Absicht erreicht werde, durch billigen Zinssatz den Reichsbankdiskont herabzudrücken.

Der Reichskanzler stellte den Plan Silverbergs in der Verhandlung zurück. Zunächst solle ihn die Reichsbank prüfen.

Zum Zinsproblem im Osten äußerte sich der Reichsminister Schlange dahin, daß die hohen Zinsen der Personalkredite, aber auch die Zinsen der erststelligen Hypotheken gesenkt werden müßten. Die Hypothekenbanken würden sonst nicht in der Lage sein, alle verschuldeten Güter in der Zwangsversteigerung zu übernehmen und rationell zu betreiben. Akkorde auch mit den 1. Hypothekengläubigern würden nötig sein, aus Gründen der Gerechtigkeit gegenüber den kleineren Gläubigern.

Es sei bedauerlich, daß die landwirtschaftlichen Genossenschaften zum Bankgeschäft übergegangen seien. Die guten Betriebe zögen sich möglichst rasch von ihnen zurück, wenn die Verhältnisse bedenklich würden. Der Rest der Genossen reiche nicht aus, um die Aufgaben zu erfüllen, die übernommen seien.

Es werde nachgeprüft werden müssen, welche Genossenschaften übermäßig teuer wirtschaften. Auch der Verbleib der Subventionen sei zu untersuchen.

Nachdem Dr. Holtmeier auf die schwierige Lage im Westen und die akute Gefahr für den Bauernstand hingewiesen hatte, bezweifelte

Bankdirektor Pferdmenges, ob die Hypothekenbanken im Akkord ihre Zinsen heruntersetzen könnten. Die Folge wäre eine Senkung auch ihrer Pfandbriefzinsen. Er trat für eine allgemeine Zinssenkung ein.

Generaldirektor Schmitt äußerte Bedenken gegen eine generelle Zinssenkung. Nötigenfalls würden Akkorde im einzelnen Fall angestrebt werden müssen. Der städtische Grundbesitz sei in der Lage, seine Hypotheken zu verzinsen.

[1937] In ähnlichem Sinne sprach sich Dr. Hackelsberger aus. Eine allgemeine Zinssenkung und eine übermäßige Erleichterung der Akkorde würde die Geschäftsmoral weiter schwächen. Vereinbarte Zinsen dürften nicht gewaltsam verringert werden. Andererseits könnten die Zinsen langfristiger Kredite nicht auf die Dauer getragen werden. Notwendig sei deswegen eine Beschneidung der Zinsmarge und die Bekämpfung der Nebengebühren und Kreditprovisionen.

Der Reichsbankpräsident führte aus, der Zins steuere jetzt die ganze Wirtschaft. Er entscheide über die Frage, ob ein Betrieb noch aufrechterhalten werden könne.

Würde ein Zinssatz autonom festgesetzt, so würde diese automatische Steuerung wegfallen. An ihre Stelle müsse die administrative Steuerung treten. Das Reich würde als einzige Bank entscheiden müssen, ob ein Betrieb zu fördern sei oder nicht. In Rußland habe sich dieses System nicht bewährt. Dem Druck auf immer größere Kredite sei nicht auszuweichen. Es komme zu innerer Inflation und zu geringerer Kaufkraft des Rubels.

Tatsächlich könne der kurzfristige Zins nicht vom Auslandsgeldmarkt getrennt werden. Die deutsche Wirtschaft müsse Auslandskredit in Anspruch nehmen, sonst würde sie Gold und Devisen völlig verlieren.

Der heutige Diskontsatz der Reichsbank sei nicht zu hoch. Eine Senkung wäre nicht zu verantworten, da dann die Gold- und Devisenabzüge zunehmen würden. Doppel-Zinssatz aber sei praktisch unmöglich. Das Bankwesen sei zu weit entwickelt, der Ausgleich würde alsbald eintreten.

Andererseits sei es möglich, den langfristigen Zinsfuß vom kurzfristigen zu trennen. Die Pfandbrief-Institute könnten über den Zinssatz im Notfalle Vereinbarungen treffen. Allerdings bestehe bei einer Kürzung des Zinsfußes die Gefahr der Flucht in die Sachwerte mit Inflationserscheinungen. Auch die Kapitalflucht würde wieder aufleben.

Der Ausschuß war damit einverstanden, daß über die Verhältnisse bei den landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften Sachverständige gehört würden.

Als solche wurden genannt: Dr. Moellenberg, Dr. Rabe, Geheimrat Kißler, Dr. Walter Hartmann, Dr. Boetzkes und Geheimrat Scheyrer9.

9

Zur Fortsetzung der Beratung siehe Dok. Nr. 550.

Feßler

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