1.83 (bru3p): Nr. 597 Vermerk des Staatssekretärs Pünder über das geplante Vorgehen der Preußischen Staatsregierung gegen Hitler. 11. Dezember 1931

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[2088] Nr. 597
Vermerk des Staatssekretärs Pünder über das geplante Vorgehen der Preußischen Staatsregierung gegen Hitler. 11. Dezember 1931

R 43 I /2683 , S. 149–152

Am vergangenen Freitag, den 11. Dezember, rief mich gegen 9 Uhr morgens der Herr Preußische Innenminister Severing sehr dringlich in folgender Angelegenheit an1:

1

Der vorliegende Vermerk Pünders, abgezeichnet am 14.11.31, ist auch abgedruckt bei Schulz, Staat und NSDAP, Dok. Nr. 50.

Er teilte mir mit, daß nach verbürgten Nachrichten Adolf Hitler für den Nachmittag im „Kaiserhof“ die Veranstaltung eines neuen Interviews vor der ausländischen Presse plane2. Er (der Minister) beabsichtigte nunmehr mit polizeilichen Maßnahmen die Veranstaltung dieser Pressekonferenz zu verhindern, wozu ihm der § 14 des neuen preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes eine gesetzliche Handhabe biete3. Er teilte dies hiermit der Reichsregierung mit, könne im übrigen aber die Äußerung von Bedenken gegen sein Vorgehen nicht entgegennehmen. Er werde unter allen Umständen das von ihm geplante Vorgehen durchführen, es sei denn, daß Reichspräsident und Reichsregierung ihm durch eine Spezialnotverordnung aufgrund von Artikel 48 daran hinderten.

2

Am 4.12.31 hatte Hitler bereits amerikanischen und britischen Journalisten ein Interview gegeben: Dok. Nr. 591, Anm. 4.

3

§ 14 des Pr. Polizeiverwaltungsges. vom 1.6.31 lautete: „Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder den einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird. Daneben haben die Polizeibehörden diejenigen Aufgaben zu erfüllen, die ihnen durch Gesetz besonders übertragen sind“ (Pr. Archiv 1931 II, S. 754). Vgl. auch Schulz, Staat und NSDAP, Dok. Nr. 50 Anm. 2.

Im Laufe des Telephongesprächs, das im übrigen in verbindlichster Form geführt wurde, wies ich den Herrn Minister darauf hin, daß auf dieser von ihm geplanten Basis eine Erörterung natürlich sehr schwierig sei; eine Spezialnotverordnung gegen den preußischen Polizeiminister sei natürlich ausgeschlossen. Im übrigen könne ich aber die Äußerung persönlicher Bedenken dagegen nicht unterdrücken, daß mit Polizeigewalt schon vorher gegen ein in seinem Inhalt noch völlig unbekanntes Interview vorgegangen werden solle; nach meiner Auffassung müsse alles unterlassen werden, was nationalsozialistische Kreise ohne Grund zu Märtyrern stemple und Angriffsflächen der Regierungen schaffe. Da Herr Minister Severing bei seiner Auffassung verblieb, versprach ich ihm selbstverständlich, den Herrn Reichskanzler, der wegen starker Erschöpfung etwas bettlägerig sei, sofort zu orientieren und ihn alsbald wieder anzurufen.

In einer anschließenden Besprechung mit dem Herrn Reichskanzler stellte ich dessen völlige Zustimmung zu meiner dem Herrn Minister bereits dargelegten Auffassung fest4. Ich rief daher im Auftrage des Herrn Reichskanzlers Herrn Minister Severing erneut an und wiederholte die Bedenken des Herrn Reichskanzlers. Herr[2089] Minister Severing nahm diese Bedenken in höflichster Form entgegen, schien aber doch noch bei seinem bisherigen Plan bleiben zu wollen, fügte jedoch hinzu, er werde jetzt gleich die Angelegenheit mit Herrn Ministerpräsidenten Braun besprechen, wobei er die von mir gehörten Bedenken natürlich verwerten würde.

4

Vgl. hierzu Brüning, Memoiren, S. 468.

Um 11.45 vormittags wurde ich darauf erneut von Herrn Minister Severing angerufen, der inzwischen mit Herrn Ministerpräsidenten Braun gesprochen hatte. Der Herr Ministerpräsident sei mit ihm folgender Auffassung:

Die Verhinderung des Hitler’schen Interviews durch Polizeigewalt sei nur eine halbe Maßnahme. Vielleicht könne sogar die Presse in ihrer Gesamtheit der Auffassung sein, daß man ihr unberechtigterweise das Interview Hitlers, mit dem sie sich sehr gern journalistisch auseinandergesetzt hätte, vorenthalten hätte, eine Auffassung, der ich durchaus beitrat. Diese halbe Maßnahme werde daher nur zu einer ganzen Maßnahme und nur dann wirksam, wenn gleichzeitig die Ausweisung Hitlers aus dem preußischen Staatsgebiet erfolge. Letzteres könne er aber nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Reichsregierung tun. Da er aber nach den von mir im Laufe des Tages gemachten Äußerungen mit aller Bestimmtheit annehme, daß die Reichsregierung hiergegen Bedenken haben würde, werde die Preußische Staatsregierung mit einem solchen Auftrag überhaupt nicht an die Reichsregierung herantreten. Infolgedessen werde die Preußische Staatsregierung beide Maßnahmen unterlassen. Ich unterließ nicht, Herrn Minister Severing zu erklären, daß nach meiner Auffassung diese letztere Entschließung durchaus zutreffend sei. Herr Minister Severing fügte noch hinzu, daß der gegenwärtige Zustand aber auf die Dauer nicht zu halten sei, daß von nationalsozialistischer Seite offensichtlich versucht werde, der Reichskanzlei gegenüber im Kaiserhof „einen neuen Laden aufzumachen“. Im übrigen werde er, der Minister, alle Hände voll zu tun haben, um seine Partei angesichts der bevorstehenden Ältestenratssitzung über etwaigen Zusammentritt des Reichstagsplenums von unüberlegten Maßnahmen abzuhalten.

Durch Worte des Dankes ermunterte ich den Herrn Minister, diese Einwirkung auf seine Parteifreunde ja nicht zu unterlassen, da die Einberufung des Reichstags im Augenblick unter allen Umständen von katastrophalen Folgen begleitet sein müßte.

Dem Herrn Reichskanzler habe ich von der Erledigung der Angelegenheit im Anschluß daran Mitteilung gemacht, sie im übrigen aber streng vertraulich gehalten.

Einen gewissen Fortgang nahm die Angelegenheit im Laufe des Abends noch dadurch, daß von nationalsozialistischer Seite versucht wurde, einen Rundfunkvortrag Hitlers zu veranstalten. Da eine Benutzung des deutschen Rundfunks nicht in Betracht kam, war versucht worden, über ein Fernsprechkabel nach London Anschluß an einen englischen Rundfunksender zu bekommen. Durch Einschreiten des Herrn Reichspostministers in Verbindung mit der Presseabteilung gelangte dieser Plan nicht zur Ausführung. Am folgenden Sonnabend vormittag rief mich Herr Minister Schätzel in der Angelegenheit noch an und teilte mit, daß auch nach Abschluß des Weihnachtsfriedens eine solche Umgehung der Verweigerung des deutschen Rundfunks praktisch nicht zum Erfolg führen würde.

Pünder

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