2.137 (cun1p): Nr. 137 Der Reichsverkehrsminister an den Reichswirtschaftsminister. 21. April 1923

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Nr. 137
Der Reichsverkehrsminister an den Reichswirtschaftsminister. 21. April 1923

R 43 I /2445 , Bl. 92 f. Abschrift1

1

Abschriften ergehen an StS Hamm und sämtliche Reichsminister.

[Betrifft: Devisenbeschaffung für die Reichsbahn]

Auf das in Abschrift hierher mitgeteilte Schreiben an den Herrn Finanzminister betreffend Devisenbeschaffung vom 19. April 1923 – II/B 1 Nr. 26152 -.

2

Dazu handschriftliche Anmerkung Hamms: „bei Rkei nicht“. Dementsprechend war das Schreiben des RWiM an den RFM vom 19. 4. in R 43 I nicht zu ermitteln, sein Inhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Dokument.

In Ihrem abschriftlich hierher mitgeteilten Schreiben ist gegen die Reichsbahn der Vorwurf erhoben, daß sie durch den Ankauf zu großer Mengen von Auslandkohle den Devisenmarkt unnötigerweise verschlechtert habe3. Es seien seit drei Wochen in fast allen Teilen des unbesetzten Deutschlands große Mengen nicht nur an Braun-, sondern auch an Steinkohlen sofort greifbar, und Sie könnten sich daher nicht denken, daß die Auslandskohlenkäufe der Reichsbahnverwaltung trotz der derzeitigen schwierigen Devisenlage in so großem Umfang unbedingt getätigt werden mußten. Gegen diesen Vorwurf muß ich mit allem Nachdruck Einspruch erheben. Ich habe an englischen Kohlen nur soviel bestellt, als der Zufluß aus anderen Quellen, also insbesondere die Zuweisung des Reichskohlenkommissars an einheimischer Kohle, nicht ausreicht, um meine Bestände auf der unbedingt notwendigen Höhe zu halten.

3

Die Frage der Devisenbeschaffung für die RB hatte die beteiligten Minister immer wieder beschäftigt. Bereits am 6.12.22 hatte RWiM Becker eine Aufzeichnung vorgelegt und erklärt: „Bei derart großen Schwierigkeiten der Devisenbeschaffung ist es unerträglich, daß einzelne Zweige der Reichsverwaltung in der Lage sein sollen, ihre eigenen Wege zu gehen und ihren Devisenbedarf ohne Rücksicht auf die Gesamtsituation und ohne Fühlung mit der Reichsbank und der Devisenbeschaffungsstelle einzudecken.“ Daher hatte Becker eine Kabinettsentscheidung gefordert, die auch die Reichsverkehrsverwaltung zwingt, ihren Devisenbedarf ausschließlich über die Rbk und die Devisenbeschaffungsstelle zu decken (R 43 I /2445 , Bl. 36-38, hier: Bl. 38). Eine für den 14.12.22 vorgesehene Kabinettsberatung fiel wegen Verhinderung Groeners aus; schließlich zog Becker seinen Antrag auf Kabinettsberatung mit Schreiben vom 26.2.23 zurück, nachdem RVM, RFM und er sich nach längeren Verhandlungen im Januar dahingehend geeinigt hatten, „daß bis auf weiteres die Reichsbahnverwaltung ihren Devisenbedarf lediglich durch die Devisenbeschaffungsstelle decken wird.“ (R 43 I /2445 , Bl. 75). Als die Zuteilungen der Devisenbeschaffungsstelle sich Ende März/Anfang April als nicht ausreichend erwiesen, um die ohne Wissen der Rbk abgeschlossenen Kaufverträge der RB zu erfüllen, ersuchte das Eisenbahn-Zentralamt die Firma Stinnes, über die sie engl. Kohlen bezog, ihr auf dem freien Markt Devisen zu besorgen. Aufgrund der Verhandlungen mit der RB am 10. 4. versuchte die Firma Stinnes am 12.4.93 000 Pfund Sterling auf dem freien Markt zu erwerben, doch gelang es nur, 60 000 Pfund bereitzustellen. Diese und andere Aktionen der Firma Stinnes wurden nach dem Marksturz vom 18. 4. scharf kritisiert und von verschiedenen Seiten als direkte Sabotierung der Reichsbankpolitik gewertet. Insofern rückten auch die Devisenkäufe der RB nach dem 18. 4. wieder in den Mittelpunkt des politischen Interesses. Nähere Angaben dazu im Bericht des RT-Untersuchungsausschusses (RT-Drucks. Nr. 6591, Bd. 380 ).

[422] Zu Beginn des Ruhreinbruchs hatte ich einen Vorrat für 50 Tage. Jetzt ist er herabgeschmolzen auf 30 – 35 Tage. Ich habe also trotz der Auslandkäufe nicht einmal soviel Kohle erhalten, um den Tagesbedarf zu decken. Der Vorrat von noch nicht 5 Wochen ist in der heutigen Lage als gering zu bezeichnen. Ich erinnere an die in letzter Zeit erhobene Forderung des Herrn Reichswehrministers, die viel weiter geht. Ich erinnere daran, daß ein erheblicher Teil meiner Kohle aus Polnisch-Oberschlesien kommt, daß also sein ungestörter Fortbezug keineswegs sichergestellt ist. Ich erinnere daran, daß die Verteilung der Kohle nie gleichmäßig sein kann, daß also einzelne Bezirke erheblich unter dem Durchschnitt beliefert sind und daß ein Ausgleich durch innerpolitische Ereignisse im entscheidenden Moment erheblich erschwert sein könnte, und ich weise endlich darauf hin, daß Streiks in England oder in deutschen Häfen die Zufuhr der Überseekohle jederzeit hindern können. Diese Verhältnisse können dem Herrn Reichswirtschaftsminister nicht unbekannt sein. Die Verantwortung für die geordnete Bedienung des Verkehrs und damit für Aufrechterhaltung der Wirtschaft und für die Sicherheit militärischer Bewegungen könnte vom Reichsverkehrsministerium nicht mehr übernommen werden, wenn es gezwungen würde, seine Kohlenbestände zu vermindern.

Nun will das Reichswirtschaftsministerium mich auf die Inlandkohle, die im Überfluß vorhanden sein soll, verweisen. Ich mache darauf aufmerksam, daß ich die Kohlenankäufe im Ausland natürlich nicht erst abschließen kann, wenn ich die Kohle brauche, sondern erheblich vorher. So sind die jetzt anzuliefernden Kohlen selbstverständlich bestellt, ehe noch irgend jemand von greifbaren Vorräten einheimischer Kohle sprechen konnte und zu einer Zeit, wo der Herr Reichswirtschaftsminister selbst die Kohlenversorgung Deutschlands als äußerst bedroht ansah. Wie es mit diesen Vorräten steht, weiß ich nicht. Sie unterliegen der Verfügung des Herrn Reichskohlenkommissars. Dieser kennt unseren Kohlenhunger ganz genau. Seine Sache ist es, über diese Kohlen zugunsten der Eisenbahn zu verfügen. Zur Annahme jeder Menge Inlandkohle brauchbarer Sorten habe ich mich ausdrücklich bereiterklärt. Eine Mehrzuweisung ist aber bis heute nicht erfolgt, im Gegenteil: noch am 6. April d. Js. hat der Herr Reichskohlenkommissar uns für April eine Liefermenge in Aussicht gestellt, die unter der Märzmenge liegt, so daß ich genötigt war, beim Herrn Reichswirtschaftsminister hiergegen Vorstellung zu erheben (Schreiben vom 17. April 1923 – E VI 61, D 8132 –). Ich wiederhole meine Erklärung und bitte, den Herrn Reichskohlenkommissar entsprechend anzuweisen.

Ich könnte mir nur denken, daß der Herr Reichswirtschaftsminister glaubt, die Reichsbahn könne jetzt, nachdem Inlandkohle greifbar, von den Auslandkäufen zurücktreten. Das erscheint mir jedenfalls für die in den nächsten Wochen zu erfüllenden Verträge unmöglich. Wenn der deutsche Kohlenmarkt so flüssig ist, wie der Herr Reichswirtschaftsminister dies darstellt, so wäre für die englische Kohle wohl kaum ein deutscher Käufer zu finden. Ohnedem würde auch er mit fremden Devisen bezahlen müssen. Ob es gelingen könnte, von einem Teil der später zu erfüllenden Verträge loszukommen, müßte noch untersucht werden. Außer den Geldopfern, die das Reich in diesem Falle wohl übernehmen müßte, ist auch die Gefährdung unserer kaufmännischen Zuverlässigkeit[423] zu beachten, was in späteren Notfällen recht verhängnisvoll werden könnte.

In erster Linie müssen also, wenn die Devisenbeschaffung in nächster Zeit außerordentliche Schwierigkeiten macht, die dem Reichsfinanzministerium bekannten Versuche fortgesetzt werden, zu annehmbaren Bedingungen Kredit auf längere Zeit zu erlangen. Hierfür werde ich mich mit allem Nachdruck einsetzen, und ich hoffe, daß ich hierbei vom Herrn Reichsfinanzminister unterstützt werde.

Zu einer weiteren Verwahrung veranlaßt mich der Schlußsatz Ihres Schreibens, wonach eine besondere Anweisung des Reichskohlenkommissars zu besonderer Berücksichtigung öffentlicher Betriebe nicht erforderlich sein soll, weil der Herr Reichskohlenkommissar ohnehin diese bevorzuge und dann, weil, wie gesagt, ein Bedürfnis zu besonderen Maßnahmen nach der Kohlenlage nicht vorliege. Der Herr Reichskohlenkommissar hat seit Kriegsende eine bevorzugte Bedienung der Reichsbahn nicht zustandegebracht. Von Ausnahmefällen abgesehen, war das von ihm aufgestellte Liefersoll stets unter dem Bedarf der Reichsbahn und die tatsächliche Belieferung noch weit geringer. Dieser Umstand hat mich im Vorjahr genötigt, größere Mengen englischer Kohle zu kaufen. Wenn ich diese nicht bezogen hätte, so wäre der Ruhrkampf von vornherein verloren gewesen. Und wenn jetzt gesagt wird, die deutschen Verbraucher seien beim Eintritt in den Kampf besser mit Kohle versorgt gewesen, als es sich habe erwarten lassen, so läßt das darauf schließen, daß entweder diese Bevorratung hinter dem Rücken des Herrn Reichskohlenkommissars geschehen ist oder daß dieser die übrigen Verbraucher besser versehen hat als die Reichsbahn. Denn daß auch Private sich in nennenswertem Umfang mit Auslandkohle bevorratet hätten, ist nicht anzunehmen4.

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In einem Vermerk für den RK erklärt MinR Kempner zu dem Schreiben des RVM: „Die Argumente seines lesenswerten Schreibens scheinen mir durchschlagend. Zu beachten ist, daß der Kampf zwischen RVM und Reichskohlenkommissar über unzureichende Belieferung mit Kohle schon seit Jahren geht. In den zahlreichen Besprechungen, die im Laufe der Jahre über diese Frage stattfanden, die einige Male geradezu auf eine Konfrontierung des Verkehrsministers und des Kohlenkommissars hinausliefen, habe ich jedesmal den Eindruck gewonnen, daß der Reichskohlenkommissar einer Festlegung auf Ziffern und einer klaren Mitteilung von Ziffern auswich, daß dagegen der RVM die Berechtigung seines Standpunktes einwandfrei mit Ziffern belegte. Der Schwierigkeit, einerseits genügend Kohle zu beschaffen, andererseits den Devisenmarkt zu schonen, wird meines Erachtens nur durch Kredite abgeholfen werden können. Die Reichsbank sucht zur Zeit solche Kredite zu erlangen.“ (R 43 I /2445 , Bl. 94). Vgl. dazu auch die Protokolle der Devisenbeiratssitzungen, insbesondere vom 10. 4., 21. 4., 8. 5., 19. 6. und 24. 7. (Kl. Erw. des BA).

Abschrift habe ich den sämtlichen Herren Reichsministern übersandt.

In Vertretung.

Stieler

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