2.174 (cun1p): Nr. 174 Hermann Bücher an Reichskanzler Cuno. 31. Mai 1923

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 5). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

Extras:

 

Text

RTF

[530] Nr. 174
Hermann Bücher an Reichskanzler Cuno. 31. Mai 1923

R 43 I /37 , Bl. 368 f.

[Betrifft: Reparationsbelastungen]

Persönlich!

Herr Reichskanzler!

Seit langer Zeit bemühe ich mich darzulegen, daß bei einem deutschen Angebot die Nennung einer Globalsumme eine Verhandlungsbasis nicht schaffen kann, weil zwischen den buchmäßigen Forderungen der Gegenseite und einer auf der deutschen Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung des derzeitigen internationalen Zinsfußes konstruierten Globalsumme eine solche Lücke klafft, daß man auf diesem Wege niemals zur Einigung wird kommen können. Ich bin deshalb, obwohl ich früher selbst Anhänger der endgültigen Festsetzung unserer Schuld durch eine Globalsumme war, zu der Auffassung gekommen und werde, je länger ich mich damit beschäftige, darin bestärkt, daß wir nur Annuitäten anbieten können, die wir mit Sicherheiten und Garantien ausstatten. Wird die kommende Note der Deutschen Regierung sich nicht auf diesen Standpunkt stellen, so würde ich das für verhängnisvoll halten. Mit dieser Frage steht oder fällt unser Angebot. Ich bin nun nicht genau orientiert über das, was die Reichsregierung in ihrer demnächstigen Note beabsichtigt, möchte aber dringend bitten, der Gegenseite die Phantasie zu überlassen, die von Deutschland angebotenen Sicherheiten und Garantien zu kapitalisieren. Die Angriffsflächen eines deutschen Angebots werden dadurch außerordentlich verringert, und vielleicht wird auf diesem Wege die angestrebte Verhandlungsbasis erreicht.

Ich persönlich bin der Überzeugung, daß die in dem Schreiben der Industrie vom 25. d. M.1 niedergelegten Gedankengänge logisch und schlüssig sind und daß wir auf diesem Wege weiterarbeiten müssen. Wenn die Reichsregierung diese Sicherheiten nicht für ausreichend hält und der Ansicht ist, daß die Einkünfte aus den Staatsbetrieben in unserem Schreiben zu hoch eingesetzt sind2 und daß deshalb in der deutschen Note noch weitere Einkünfte hinzugezogen werden müssen, so bitte ich dringend, von einer Vermögensbesteuerung als jährlich zu leistenden Beitrag zu den Annuitäten abzusehen. Eine einmalige Vermögensabgabe wird auch meiner Meinung erforderlich sein, um die Anlaufskredite zu gewinnen, wenn aussichtsreiche Verhandlungen eine Stabilisierung unserer Wirtschaft in absehbarer Zeit erreichbar erscheinen lassen. Eine Vermögensabgabe ist eine einmalige Leistung und muß eine solche sein, denn sonst wird sie, wie anscheinend jetzt die Zwangsanleihe, zur Steuerbelastung3. Eine jährlich in Gold zu zahlende Vermögenssteuer kollidiert mit den übrigen[531] Steuern; die Reform der übrigen Steuern ist sowieso erforderlich. Im Falle einer Stabilisierung der deutschen Währung wissen wir doch alle, daß das gegenwärtige Steuersystem zum Ruin der gesamten Wirtschaft führen muß. Eine in Gold zu zahlende Vermögenssteuer ist in ihrer Tragweite infolgedessen zurzeit nicht zu übersehen. Kommt aber eine Steuerreform, die nach unserem Dafürhalten dringend notwendig ist, so hat es keinen Zweck, eine besondere Reparationsvermögenssteuer aufzuerlegen, sondern man wird zweckmäßigerweise die Vermögenssteuer so ausgestalten, daß aus ihr die Spitzenbeträge unserer Reparationsverpflichtungen ohne weiteres entnommen werden können. Bei angeglichener Währung ist es auch gleichgültig, ob man Gold- oder Papiersteuern auflegt. Des weiteren erscheint uns die Vermögenssteuer für eine feste Annuität keine genügende Sicherheit zu bieten, weil sie in ihren Erträgnissen variabel ist.

1

Abgedruckt als Dok. Nr. 168.

2

S. dazu Anm. 4 zu Dok. Nr. 168.

3

Die Zwangsanleihe (RGBl. 1922 I, S. 601  ff.), die wegen der Geldentwertung nur relativ geringe Werte erbracht hatte, sollte eine Neubewertung erfahren.

Wir haben bei unseren früheren Unterhandlungen betont, daß, wenn die Wirtschaft überhaupt zu Leistungen befähigt werden soll, drei Dinge nicht getan werden dürfen.

1.

Es dürfen keine direkten Übertragungen von Sachwerten an fremde Volkswirtschaften stattfinden.

2.

Es darf die Zollhoheit des deutschen Reiches nicht berührt werden.

3.

Es darf das Betriebskapital der Wirtschaft nicht so belastet werden, daß eine Neubildung von Kapitalien ausgeschlossen ist.

Wenn nun daran gedacht werden sollte, Zölle zu verpfänden, so würde dies den von uns vertretenen Grundprinzipien, die wir im Interesse der Wirtschaft aufgestellt haben, direkt zuwiderlaufen. Wie man, wenn z. B. die Zölle auf Genußmittel verpfändet sind, bei Wiedererlangung der Meistbegünstigung, die ebenfalls Voraussetzung für Leistungen von deutscher Seite überhaupt ist, einen Handelsvertrag abschließen sollte, wenn die wesentlichsten Handelsobjekte im Tarifvertrage nicht mehr von uns selbst dirigiert, sondern von Leuten, die ein Interesse an den Schwierigkeiten der deutschen Wirtschaft haben, festgesetzt werden, erscheint uns unerfindlich. Wir sind der Auffassung, daß es genügen würde, die von uns angegebenen Sicherheiten anzubieten. Wenn aber die Reichsregierung darüber hinaus und unter einem anderen Einschätzungsverhältnis der einzelnen Sicherheitskategorien vor die Frage gestellt ist, Zölle verpfänden zu müssen oder sich andere Sicherheiten zu suchen, so würde ich der Auffassung sein, daß gewisse Staatsmonopole, wie Tabak, Alkohol usw. einem Eingriff in unsere Zollgebahrung unbedingt vorzuziehen wären4.

4

Das dt. Memorandum vom 7.6.23 bietet unter c) als Sicherheiten an: die Zölle auf Genußmittel, die Verbrauchssteuern auf Tabak, Bier, Wein und Zucker sowie die Erträge des Branntweinmonopols (RT-Drucks. Nr. 6204, Bd. 379, S. 29  f.).

Das Präsidium des Reichsverbandes der Deutschen Industrie hat Ihnen, Herr Reichskanzler, in der vergangenen Woche seine nur als rein wirtschaftliches Gutachten anzusehende Auffassung über eine Lösungsmöglichkeit auf Ihren Wunsch hin eingehend und formuliert auseinandergesetzt. Wir sind dabei aufgrund der Besprechung, welche wir am 15. Mai abends mit Ihnen hatten, von der Erwartung ausgegangen, daß Sie uns, im Falle die Reichsregierung der[532] Meinung ist, außerhalb unseres Vorschlages liegende Lösungsformen vorziehen zu müssen, dieses jedenfalls so zeitig zur Kenntnis bringen werden, daß wir in der Lage sind, etwa von anderer wirtschaftlicher Seite gemachte Anregungen auch in unserem Kreise nochmals zu erörtern und dann zu prüfen, ob und welche Kombinationen uns tragbar erscheinen. Ohne solche Prüfungsmöglichkeit unsererseits, zu der eine erneute Präsidialsitzung erforderlich sein dürfte, müssen wir unser Gutachten als ein geschlossenes Ganzes ansehen, aus welchem einzelne Teile herauszunehmen unserer Auffassung nach nicht angängig ist, wenn man die Absicht hat, sich bei dem weiteren Vorgehen in irgendeiner Form auf die in unserem Schreiben vom 25. Mai ausgesprochene Bereitwilligkeit zu stützen5.

5

Darauf antwortet der RK am 7.6.23: „Ihr Schreiben vom 31. Mai deckt sich in seinen Gedankengängen zum großen Teil mit meiner Auffassung. Die neue Note ist fertiggestellt. Nach ihrem Inhalt entfällt, soweit ich sehe, auch in Ihrem Sinne die Notwendigkeit einer erneuten Beratung mit dem Reichsverbande. Ich möchte annehmen, daß die Industrie durchaus in der Lage sein wird, ohne einschränkende Klauseln das Angebot auch in der Form zum Gegenstande ihrer Überzeugung zu machen, in der die hierzu berufene Regierung es erklären wird.“ (R 43 I /37 , Bl. 370). Am 5. 6. hatte auf Einladung des RWiMin. im RJMin. noch eine Besprechung mit Bücher stattgefunden, an der die MinR Kempner, Schäffer, Schlegelberger und Richter teilnahmen. Lt. vierseitiger Aufzeichnung Schäffers machte Bücher hier nähere Angaben über die vom RdI vorgesehene Garantieleistung und die Möglichkeiten, die Garantiesumme auf die verschiedenen Unternehmen aufzuteilen (R 43 I /37 , Bl. 442 f. und 508, R 43 I /508 , Bl. 45-49). Kempner hatte lt. Vermerk vom 4. 6. die Hinzuziehung Büchers zu dieser Besprechung durch das RWiMin. als „verfehlt“ kritisiert: „Die Denkschrift des Reichsverbandes ist ein Gutachten, das die RReg. neben anderem Material verwerten kann. Ich halte es aber nicht für angängig, das geschäftsführende Mitglied eines Interessenverbandes an gesetzgeberischen Vorarbeiten der RReg. zu beteiligen.“ Schäffer sei derselben Meinung gewesen. „Der ihm von seinem Minister erteilte Auftrag sei aber nicht dahin gegangen, in Gemeinschaft mit dem RJMin. Garantiegesetzentwürfe auszuarbeiten, sondern er hätte so gelautet wie oben dargelegt [Bücher hinzuzuziehen].“ (R 43 I /37 , Bl. 374). Mit der Bereitstellung der nötigen Unterlagen für künftige Reparationsverhandlungen war im übrigen eine Kommission unter Leitung des MinDirig. Ritter beauftragt worden, die in ihrer Sitzung vom 8. 6. die Ausarbeitung von drei Gesetzentwürfen beschloß, und zwar über die Garantieleistung durch die RB, über die Verhaftung des gesamten Grundbesitzes zur Garantierung der Kapitalsumme sowie über die Aufbringung der garantierten 500 Mio GM durch eine Besitzsteuer. Material über die Arbeit der sog. Ritter-Kommission in R 43 I /508 , 450 und 39.

Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung!

Ihr ergebener

Hermann Bücher

Extras (Fußzeile):