2.68 (cun1p): Nr. 68 Der Deutsche Gewerkschaftsbund an den Reichskanzler. 7. Februar 1923

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Das Kabinett Cuno Wilhelm Cuno Bild 183-1982-0092-007Französischer Posten Bild 183-R43432Posten an der Grenze des besetzten Gebietes Bild 102-09903Käuferschlange vor Lebensmittelgeschäft Bild 146-1971-109-42

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Nr. 68
Der Deutsche Gewerkschaftsbund an den Reichskanzler. 7. Februar 1923

R 43 I /1133 , Bl. 254-255

[Betrifft: Finanz- und Währungspolitik]

Im vollen Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit in dieser für das Vaterland entscheidenden Stunde hält sich der Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes für verpflichtet, die Reichsregierung um die beschleunigte Beratung und Durchführung nachfolgender Maßnahmen zu bitten, die u. E. allein die Bevölkerung im besetzten Gebiete, vor allem die den Abwehrkampf im wesentlichen tragenden Arbeitnehmerschichten, in den Stand setzen werden, die Politik der Reichsregierung auf dem bisherigen Wege zu unterstützen. Die Lage, wie sie allmählich in allen Arbeitnehmerkreisen klar erkannt wird, ist kurz folgende:

[229] 1) Die Steuern, sowohl direkte wie indirekte Steuern, sind im vergangenen Jahre und werden im Augenblick fast restlos von den Arbeitnehmern und Festbesoldeten in jeweils vollwertigem Gelde bezahlt, fließen jedoch nur zu einem geringen Teil unmittelbar in die Kassen des Reiches und ermöglichen dadurch den Unternehmern auf Kosten des Reiches und der Arbeitnehmer ausgedehnte Zwischengewinne.

2) Die Kreditpolitik der Reichsbank bietet bei niedrigem Diskontsatz und schnell fortschreitender Geldentwertung sowie mangelnder Sichtung der Kreditgesuche den Banken und großen sonstigen Unternehmergruppen die Möglichkeit, außerordentliche Inflationsgewinne zu machen, die ebenfalls zu einer fortschreitenden Verarmung der Arbeitnehmerschichten und Enteignung des Mittelstandes führen müssen.

3) Die auf die jeweilige politische Lage nicht genügend scharf eingestellte Devisen- und Goldpolitik der Reichsbank schafft der Baisse-Spekulation eine sichere Grundlage. Die fast allgemein durchgeführte Goldkalkulation führt zum fast sofortigen Hinaufschnellen der Warenpreise auf das Valutaniveau und ist damit ein Anreiz, eine spätere Rückwärtsentwicklung der Valutakurse, die an sich aufgrund der Verhältnisse des Geldmarktes möglich wäre, zu verhindern, da alle Warenbesitzer an einer weiteren Steigerung der Devisenkurse interessiert sind.

4) Die Versorgung der Bevölkerung mit Fett, Gefrierfleisch und Auslandsgetreide, soweit sie nach unseren Beobachtungen bislang besteht, rechtfertigt die größten Befürchtungen für die nächsten Wochen, falls nicht eine politische Entspannung eintritt.

Die so gekennzeichnete Lage veranlaßt den Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Herrn Reichskanzler folgende 4 Forderungen zu unterbreiten:

1) Wir halten die sofortige Inangriffnahme einer großzügigen Reform in der Reichsfinanzverwaltung für unbedingt nötig, zu dem Ziele, die vorhandenen Veranlagungssteuern schnellstens zu erheben und solche Geldstrafen auf die Verschiebung der Zahlungen zu setzen, daß eine Bezahlung der Steuern in entwertetem Gelde von selbst verhindert wird. Wir fordern, daß die Reichsfinanzverwaltung von dem ihr aufgrund der Reichsabgabenverordnung zur Verfügung stehenden Recht der Nachprüfung der Einlieferung der Beträge vom Lohnabzug Gebrauch macht und durch scharfes Eingreifen die regelmäßige monatliche Einzahlung der Lohnabzüge seitens der Unternehmer an die Reichskassen herbeiführt. Das Gleiche gilt für die Erhebung der Umsatzsteuer und Kohlensteuer. Die von der Reichsregierung in dem Gesetzentwurf betreffend Anpassung der Steuern an die Geldentwertung in dieser Hinsicht vorgeschlagenen Änderungen halten wir für völlig unzureichend1 und verweisen auf[230] unsere zu diesem Gesetzentwurf dem Herrn Reichsfinanzminister am 17. Januar 1923 unterbreiteten Vorschläge.

1

Der Gesetzentwurf war am 22.12.22 vom Kabinett verabschiedet und am 19. 1. dem RT vorgelegt worden (RT-Drucks. Nr. 5490, Bd. 376 ). Mit zahlreichen Veränderungen wird er vom Steuerausschuß dem RT am 7. 3. zur Beratung vorgelegt (RT-Drucks. Nr. 5600, Bd. 376 ). Hier entspinnt sich am 8. und 9. 3. eine lebhafte Debatte, in deren Verlauf sozialdemokratische Anträge auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage von den bürgerlichen Parteien abgelehnt werden (RT-Bd. 358, S. 10003  – 10056), worauf die SPD Beschlußunfähigkeit des Plenums herbeiführt. In den Abänderungen der bürgerlichen Parteien sieht die SPD eine noch weitgehendere Steuerentlastung des Sachbesitzes als sie im Regierungsentwurf vorgeschlagen war, der im Ausschuß von der SPD bereits als nicht weitgehend genug kritisiert worden war. In der 3. Lesung am 15. 3. werden noch einmal fast sämtliche sozialdemokratischen Abänderungsanträge (RT-Drucks. Nr. 5601 ) abgelehnt und das Gesetz in der von den bürgerlichen Parteien abgeänderten Form angenommen (RT-Bd. 358, S. 10151  – 10192). Am 20. 3. wird das Gesetz verkündet (RGBl. I, S. 198  ff.).

2) Wir fordern aktivere Maßnahmen der Reichsbank zwecks Eindämmung der Inflationsgewinne, insbesondere durch sofortige Heraufsetzung des Diskontsatzes bei starker Aufwärtsbewegung der Devisen. Dazu ist vor allen Dingen auch notwendig, eine scharfe Sichtung der an die Reichsbank herantretenden Kreditforderungen zwecks Ausscheidung des reinen Spekulationskredites. Wir begrüßen, daß die Reichsbank schon in gewissem Umfange in den letzten Wochen den Versuch gemacht hat, die Aufwärtsbewegung der Devisen durch ihr Eingreifen zu hemmen. Es scheint uns aber notwendig, durch größeres Eingreifen, notfalls auch durch Inangriffnahme des Goldbestandes, unter geschickter Ausnutzung der jeweiligen politischen Situation, unter allen Umständen die systematische Baisse-Spekulation in ihrem Vertrauen zu erschüttern. Die allgemeine Einstellung des Volkes auf rapide Markentwertung, der mangelnde Einzug der Steuern, die Möglichkeit, durch verspätete Steuerzahlung außerordentliche Gewinne zu machen, weiterhin die Möglichkeit, indirekt durch Reichsbankkredite große Devisenspekulationen und Waren-Haussespekulationen vorzunehmen, endlich die Tatsache, daß selbst die abzuliefernden Devisen lombardiert und mit diesem Lombarddarlehen, das nachher in entwertetem Gelde zurückgezahlt wird, neue Devisenkäufe zu machen: alles dies muß zwangsläufig zu einer Markentwertung führen, die stärker ist, als sie durch die politische Gesamtlage, den Stand unserer Zahlungsbilanz und den Zustand unserer Finanzen gerechtfertigt wäre. Auch die massenhaften Kündigungen von Hypotheken und Industrie-Obligationen sind ein Beweis für die Ausnutzung der Markkatastrophe und für die Spekulation auf ihr Fortschreiten2.

2

Der RWiM erklärt dazu am 24. 2.: „Es werden von mir Bestrebungen unterstützt, welche einen Kredit- und Geldverkehr nach festem Wert anbahnen – Goldkonten bei den Banken, Geben und Nehmen von Geld durch die Banken nach festem Wert, sei es Sachwert, wertbeständige Anleihe usw. Ergibt sich so auch im Geldverkehr eine Festwertrechnung, wie sie im Warenverkehr schon zum großen Teil besteht, so dürfte damit den vom DGB gemißbilligten spekulativen Erscheinungen, die auf die Veränderlichkeit des Papiergeldwertes zurückgehen, der Boden abgegraben werden. Im übrigen wird hierzu die Stellung der Reichsbank wesentlich sein.“ (R 43 I /1133 , Bl. 296). S. dazu Dok. Nr. 101.

3) Zur Stärkung der Interventionsmöglichkeiten der Reichsbank auf dem Devisenmarkt ist die Erfassung eines über das jetzige Maß hinausgehenden Prozentsatzes der Exportdevisen unbedingt erforderlich3.

3

Dazu der RWiM in seinem Schreiben vom 24. 2.: „Es ist zunächst beabsichtigt, das Ziel nicht durch formelle Erhöhung der Ablieferungsprozentsätze zu erreichen – dem stärkste Bedenken entgegenstehen wegen der teilweisen Undurchführbarkeit im Westen und wegen des starken Devisenbedarfs für Importe, der leicht auf dem freien Markt mangels Angebot die Devisenkurse steigern würde –, sondern es wird versucht, daß die Reichsbank bei Bewilligung von Krediten Hergabe der nicht zu baldigen Auslandszahlungen benötigten Devisen zur Bedingung macht. Wer sich dem nicht fügt, soll keine Kredite bekommen. Es ist zu hoffen, daß dieses Mittel, das in starkem Maße die besonderen Verhältnisse der Einzelfirma prüfen kann, zu gutem Erfolg führt.“ (R 43 I /1133 , Bl. 296).

4) Wir fordern sofortige Inangriffnahme einer Vorratswirtschaft an Auslandsgetreide,[231] Fett und Gefrierfleisch und verlangen die Bereitstellung von Krediten seitens der Reichsbank für diesen Zweck. Angesichts des Ernstes der Stunde darf eine weitausschauende Vorratswirtschaft nicht wieder wie im vergangenen Jahre an kleinlichen formalen Bedenken scheitern4.

4

Zu diesem Punkt erklärt der REM am 20. 3.: „Die Befürchtungen wegen der Brotversorgung sind unbegründet. Mit den getätigten Einkäufen aus dem Ausland wird in Verbindung mit dem Aufkommen aus der Umlage die Versorgung für das laufende Wirtschaftsjahr als gesichert angesehen werden können. Für die Übergangszeit wird weiter vorgesorgt. Für die Auffüllung der Läger an Gefrierfleisch, Speck und Schmalz unter Gewährung von Krediten sind die erforderlichen Maßnahmen eingeleitet. Eine Knappheit besteht hierin z. Zt. nicht. Die erforderlichen Kredite sind in Art. 3 des 12. Nachtrags zum Reichshaushaltungsplan für das Rechnungsjahr 1922 mit 400 Mrd. M angefordert.“ (R 43 I /1133 , Bl. 329). Zur Vorratspolitik des REMin. s. Anm. 3 zu Dok. Nr. 78.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund beschwört in ernstester Stunde das Reichskabinett, die hier aufgestellten Forderungen sofort eingehendst zu prüfen und zu schnellen Entschlüssen zu kommen. Der Glaube, daß in den vergangenen Jahren eine lückenlose Kette zwischen Hochfinanz und Regierung sich gebildet hat, greift im Volke rapide um sich, gefährdet dadurch den Widerstandswillen und ist geeignet, chaotische wirtschaftliche und soziale Zustände herbeizuführen5.

5

StS Hamm vermerkt zu diesem Schreiben am 10. 2.: „Dem Herrn RK vorgelegt. Die anliegenden Forderungen der christlichen Gewerkschaften vom 7. 2. zu Steuer-, Devisen- und Diskontfragen sind m. E. von sehr ernster politischer Bedeutung. Sie entsprechen weitest verbreiteter Ansichten und sind um so bedeutsamer, als die christlichen Gewerkschaften (vgl. die Unterschrift Gutsches) eine unentbehrliche Kampftruppe bilden. Die hier erörterten Fragen werden zweifellos in den nächsten Tagen im RT eingehend besprochen werden. Ich schlage vor, 1. Rücksprache mit Herrn RFM, zu der dieser seinen Referenten MinDir. Popitz mitbringen könnte, 2. Rücksprache mit politischen Parteiführern, zunächst SPD (Hilferding) gemeinsam mit RFM, dann der Arbeitsgemeinschaft, wobei Zentrum Stegerwald und DVP Thiel mitzubringen gebeten werden könnten.“ (R 43 I /1133 , Bl. 258). Ob diese Besprechungen zustandegekommen sind, war aus den Akten nicht zu entnehmen. Am 13. 2. bittet Hamm namens des RK den RFM, RWiM und REM „zu den Vorschlägen des Schreibens alsbald Stellung zu nehmen und sie, soweit irgend möglich, zur Ausführung zu bringen, da gerade auch die Stellung der Christlichen Gewerkschaften im Kampfe an der Ruhr von größter Bedeutung ist.“ (R 43 I /1133 , Bl. 259). Den DGB setzt er davon in Kenntnis und behält sich weitere Mitteilung vor. Die Antwort des RWiM erfolgt am 24. 2.; die des REM am 20. 3. Aus beiden wird im folgenden zitiert. Eine Antwort des RFM war in den Akten der Rkei nicht zu ermitteln. Lt. Vermerk Kempners vom 14. 3. unterbleibt eine nähere Antwort auf die Gewerkschaftseingabe, „weil sie schon zu lange zurückliegt und materiell größtenteils erledigt ist.“ (R 43 I /1133 , Bl. 299).

Deutscher Gewerkschaftsbund

Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften,

Gesamtverband deutscher Angestellten-Gewerkschaften,

Gesamtverband deutscher Beamten- und Staatsangestellten-Gewerkschaften

Stegerwald

W. Gutsche

Bernh. Otte

Otto Thiel

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