2.133.2 (feh1p): 2. Tiroler Frage.

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2. Tiroler Frage1.

1

Der hier behandelte Vorgang war durch einige Äußerungen des RAM und des dt. Botschafters in Rom über Südtirol und seine Zugehörigkeit zu Italien ausgelöst worden.

Am 29.10.1920 hatte RAM Simons im RT mit Bezug auf die dt. Politik gegenüber Italien in der Südtirolfrage erklärt, daß Südtirol ein „Zankapfel“ in den dt.-ital. Beziehungen bilde und diese Beziehungen belaste, daß aber machtpolitische Erwägungen in bezug auf Südtirol für die dt. Regierung niemals eine Rolle spielen könnten. Simons war dann fortgefahren: „Es ist eine Politik der moralischen Unterstützung und eine Politik der verständigen Erwägungen.“ (RT-Bd. 345, S. 866 ).

Einige Wochen später hatte sich auch der dt. Botschafter in Rom, v. Berenberg-Goßler, zu der Südtirolfrage geäußert. In einer Zuschrift an eine ital. Zeitung vom 19.11.1920 hatte er erklärt, daß der dt. Regierung die Unterstützung einer Irredenta in Südtirol ganz fernliege. Es ginge ihr vielmehr nur um die gefühlsmäßigen Beziehungen zu den deutsch-stämmigen Bewohnern Italiens. Beide Äußerungen waren offenbar von der Absicht bestimmt gewesen, durch ein dt. Wohlverhalten in der Südtirolfrage Zugeständnisse Italiens in der Frage der Ausführung des Friedensvertrages, insbesondere des Ausgleichsverfahrens, zu erhalten. Zum Ausgleichsverfahren s. Dok. Nr. 129, Anm. 7.

Die Äußerungen des RAM und des Botschafters hatten unter den Tirolern große Empörung ausgelöst und hatten die im österr. Tirol sehr starke dt. Anschlußbewegung schwer geschädigt. Am 29. 11. hatte sich daraufhin der dt. Gesandte in Wien, v. Rosenberg, mit einem Schreiben an RAM Simons gewandt und hatte ihn gebeten, eine Delegation der Tiroler persönlich in Berlin zu empfangen, um ihnen die großen Schwierigkeiten der Lage Dtlds. darzustellen. Der RAM hatte sich bereit erklärt, eine solche Delegation zu empfangen (Aufzeichnung des RAM v. 8.12.1920, PA/Büro RM/16 Österreich, Bd. 1).

Der Reichsminister des Auswärtigen machte Mitteilungen über die Verhandlungen[344] mit den Tiroler Abgeordneten2. Er verlas die ihnen mitzugebende Erklärung3 und schlug ferner vor, ihnen einige wirtschaftliche Vorteile zuzusagen hinsichtlich der Lieferung von Saatgetreide, Düngemitteln, Brennmaterial (Braunkohlenbriketts, Torf und Presstorf) und evtl. von kleineren Mengen an Brotgetreide und Mehl. Nach eingehender Erörterung der Angelegenheit und im Einvernehmen mit dem Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wurde beschlossen, den wirtschaftlichen Wünschen der Tiroler nachzukommen. Unbedenklich erschien die Lieferung von Saatgetreide und Düngemitteln. Bezüglich der Lieferung von Torf usw. wird der Reichsschatzminister das Weitere veranlassen, da die in Frage kommenden Mengen (50 Waggon Torf) möglichst aus den Reichstorfstätten in Bayern geliefert werden sollen. Der Lieferung von den beantragten geringen Mengen von Schmiedekohlen und Braunkohlenbriketts wurde gleichfalls zugestimmt. Bezüglich des Brotgetreides oder Mehls soll gleichfalls entgegengekommen werden, und zwar in der Weise, daß die Lieferungen als Vorschüsse auf die Lieferung von amerikanischem Getreide, und zwar naturgemäß in begrenzter Menge und zu dem noch festzulegenden Weltmarktpreise. Hieran muß grundsätzlich festgehalten werden. Bei der Rückgabe[345] der Vorschüsse in Natur oder in Geld kann weitgehendst entgegengekommen werden. Die Angelegenheit soll beschleunigt betrieben werden. Der Reichsminister des Auswärtigen wird mit den beteiligten Ressorts (Reichswirtschaftsminister, Reichsernährungsminister und Reichsschatzminister) das Weitere veranlassen4.

2

Anfang Dezember war die Tiroler Delegation, bestehend aus den Herren v. Beer, Steidle und Stumpf, dann nach Berlin gekommen und war am 8. 12. vom RAM empfangen worden. In der Unterredung hatten die Tiroler Maßnahmen gefordert, um den Kampf der Südtiroler gegen Italien zu erleichtern. Ferner hatten sie die Abberufung des dt. Botschafters v. Berenberg-Goßler verlangt.

Der RAM hatte seinerseits die Auffassung der RReg. zur Tiroler Frage dargelegt und hatte erklärt, daß er mit Rücksicht auf die guten Beziehungen zu Italien einer Abberufung des dt. Botschafters nicht zustimmen könne. Der RAM hatte gebeten, andere Hilfsmaßnahmen für Tirol zu überlegen (Aufzeichnung des RAM über das Gespräch v. 8.12.1920, PA/Büro RM/16 Österreich, Bd. 1). Im Verlauf des 9. und 10. 12. hatten weitere Besprechungen der Tiroler mit dem RAM sowie auch mit dem RK stattgefunden. Dabei war vereinbart worden, daß den Tirolern eine Erklärung mitgegeben werden sollte, in der die Haltung der dt. Regierung zu dieser Frage dargelegt werden sollte. Ferner war verabredet worden, daß Tirol von Dtld. wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen erhalten sollte. Vorgesehen war die Lieferung von Saatgetreide, Brotgetreide, Mehl, Düngemitteln und Brennstoffen (Schmiedekohlen, Braunkohlenbriketts und Preßtorf). Die Tiroler hatten sich mit diesen Lieferungen einverstanden erklärt und waren ihrerseits auf die Abberufung v. Berenberg-Goßlers nicht mehr zurückgekommen (Aufzeichnung des RAM v. 10.12.1920, PA/Büro RM/16 Österreich, Bd. 1).

3

Diese Erklärung war weder im PA noch in R 43 I zu ermitteln.

4

Neben der Entscheidung über die abzugebende Erklärung und die wirtschaftlichen Lieferungen hatte das Kabinett noch einen dritten Beschluß gefaßt, der in dem vorliegenden Protokoll der Kabinettssitzung jedoch nicht aufgeführt war. Es handelte sich hier um Maßnahmen zur Unterstützung des Anschlußgedankens. Nach einer Aufzeichnung des RAM vom 10.12.1920 über das Ergebnis der Kabinettssitzung war dazu beschlossen worden, daß die Christlich-Soziale Partei und die Großdt. Volkspartei durch die ihr angehörigen Minister veranlaßt werden sollten, in eine dauernde engere Verbindung mit der Christlich-Sozialen Partei und der Großdt. Volkspartei Tirols zu treten, um die dortigen Anhänger des Anschlußgedankens in ihrem Kampf zu unterstützen. Dabei sollte jedoch jede laute Propaganda für den Anschluß und besonders jedes Drängen von reichsdt. Seite auf einen Anschluß vermieden werden (PA/Büro RM/16 Österreich, Bd. 1). Zu den Partei- und Regierungsverhältnissen in Österreich nach den Wahlen zum Nationalrat vom Oktober 1920 s. Schultheß 1920, I, S. 364, 368.

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