2.181.1 (feh1p): 1. Deutsche Gegenvorschläge für die Londoner Konferenz.

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1. Deutsche Gegenvorschläge für die Londoner Konferenz.

Reichsminister Dr. Simons trägt den Inhalt der den Kabinettsmitgliedern vorliegenden deutschen Vorschläge eingehend vor2 und gibt seiner Überzeugung Ausdruck, daß wir mehr als die vorgesehene Summe unter keinen Umständen leisten könnten3. Er rechne mit der Möglichkeit, daß wir zu einer Einigung in London nicht kommen würden, nehme aber an, daß ein Teil der fremden Mächte unsere Vorschläge als sehr beachtlich ansehen würden, insbesondere England und Amerika.

2

Die Ausarbeitung der dt. Gegenvorschläge für die Londoner Konferenz war zunächst den von der RReg. berufenen Sachverständigen übertragen worden (s. Dok. Nr. 180, Anm. 2). Da sich dieses Gremium jedoch als zu groß und als zu wenig arbeitsfähig erwies, hatte Simons die dt. Gegenvorschläge nach seiner Rückkehr aus Süddeutschland zusammen mit einigen ausgewählten Sachverständigen selbst ausgearbeitet. RIM Koch schreibt darüber in seinen „Aufzeichnungen“: Als Simons aus Süddeutschland zurückkam, „hatten die Sachverständigen noch nichts Rechtes vollbracht. Cuno war geradezu erschüttert über das große führerlose Kollegium und sein verworrenes Beraten. Simons hat dann hier getreulich allen Beratungen des Kabinetts beigewohnt und erst in den letzten Tagen sich der Frage angenommen. Die meisten Sachverständigen hat er mit Dank nach Hause geschickt und mit wenigen (ich glaube: Melchior, Wiedfeldt, Cuno und dann Bergmann) schlüssige Vorschläge ausgearbeitet.“ (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 395–397).

Zum Wortlaut der von RAM Simons vorgelegten Gegenvorschläge s. die Anlage zu diesem Dokument.

3

Der Wert der von den Alliierten in den Pariser Beschlüssen geforderten 42 Annuitäten betrug, rückgerechnet auf das Jahr 1921, tatsächlich 53 Mrd. GM. Die dt. Seite ging bei ihren Verhandlungen jedoch stillschweigend von 50 Mrd. GM aus. Siehe dazu C. Bergmann, Der Weg der Reparation, S. 86, und die Anlage zu diesem Dok., Buchstabe A.

Staatssekretär Bergmann betont die Notwendigkeit, daß die vorliegende Form der Vorschläge beibehalten werden müßte. Nur in dieser Form könne ein moralischer Erfolg erzielt werden, andernfalls würden die Franzosen überhaupt nicht verhandeln. Über die Frage der Vorleistungen müsse gesondert verhandelt werden4. Auch er erwarte die Annahme unserer Vorschläge nicht, wohl aber einen moralischen Erfolg in der ganzen Welt. Was die Frage der[486] Schuldmobilisierung anlange, so rechne er nur mit der Möglichkeit der Unterbringung von etwa 6 Milliarden. Vom 1. Mai 1926 an würde eine neue Lage gegeben sein, die späterer Erörterung unterliege5.

4

Unter dem Begriff „Vorleistungen“ verstand man die gesamten bisherigen Leistungen Dtlds. auf Grund des Friedensvertrages, soweit sie auf das Reparationskonto gutgeschrieben werden sollten. Von dt. Seite wurden diese Leistungen auf 20 Mrd. GM beziffert. In den dt. Gegenvorschlägen (s. Anlage) wurde jedoch angeregt, den genauen Wert dieser Vorleistungen durch eine Sachverständigenkommission feststellen zu lassen.

5

Der noch verbleibende Betrag der von Dtld. zu zahlenden Reparationen in Höhe von 30 Mrd. GM sollte zum Teil durch eine internationale Anleihe gedeckt werden; geplant war eine Anleihe in Höhe von 8 Mrd. GM (s. Anlage).

Reichsminister Dr. Scholz: Die von ihm überreichten Abänderungsvorschläge seien nur taktischer Natur6. Bezüglich Oberschlesiens empfehle er, statt „Voraussetzung“ lieber zu sagen „in der Überzeugung“7.

6

Zu der Kabinettssitzung hatte das RWiMin. eine Reihe von Abänderungsvorschlägen eingebracht. So schlug das Ministerium vor, die Summe der noch ausstehenden Reparationen nach Abzug der bereits gelieferten Vorleistungen maximal auf 30 Mrd. GM zu begrenzen. Damit sollte verhindert werden, daß bei einer geringeren Bewertung der Vorleistungen als mit 20 Mrd. GM die Summe der noch zu zahlenden Reparationen über 30 Mrd. GM hinausging (Abänderungsvorschläge des RWiMin. für die Gegenvorschläge; BA-Nachlaß von Le  Suire , Nr. 126, Die Entstehung des dt. Vorschlages auf der Konferenz von London).

7

Siehe dazu die Anlage.

Werde die Fassung des Auswärtigen Amtes beibehalten, so würde die Absicht, höchstens x Milliarden zu bieten, bereits unterhöhlt, denn nach der vorliegenden Fassung erhöhe sich die Summe automatisch, wenn die Sachverständigen-Kommission zu dem Ergebnis gelange, daß die Vorleistungen weniger als 20 Milliarden betragen. Dies würde vermieden werden, wenn man seiner Ansicht und der gleichartigen des Wiederaufbauministeriums folge, wonach zum Ausgangspunkt die Tatsache gemacht werden müsse, daß wir unter keinen Umständen mehr als x Milliarden leisten könnten.

Der Minister schlägt ferner vor, Ziffer D der Vorschläge des Auswärtigen Amtes zu streichen8. Denn man würde uns sonst entgegenhalten, daß wir nach diesem Passus selbst annähmen, schon in 15 Jahren die ganze Schuld abtragen zu können.

8

Siehe dazu die Anlage, Buchstabe D.

Reichsminister Dr. Wirth weist auf die Möglichkeit hin, daß Amerika eigene Forderungen aufstellen werde. Das Angebot der kapitalisierten Summe von x Milliarden würde auf die Entente stark enttäuschend wirken. Er hätte deshalb in den Verhandlungen vorgeschlagen, ähnlich wie die Pariser Vorschläge von einer Annuitätenleiter auszugehen. Dies sei aber abgelehnt worden.

Reichsminister v. Raumer befürchtet, daß wir mit unserem Anerbieten über unsere tatsächliche Leistungsfähigkeit hinausgingen. Die Idee des Ministers Wirth, von einer Annuitätenleiter auszugehen, halte er deshalb für beachtlich, weil man auf diese Weise den französischen Bluff der Pariser Vorschläge nicht gleich offensichtlich zerschlage.

Der Minister empfiehlt ferner, den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete in den Vordergrund der Erörterungen zu rücken. Bezüglich Ziffer D der Vorschläge sei er der gleichen Ansicht wie der Minister Dr. Scholz. Die Hauptgefahr unserer Vorschläge liege darin, daß wir für immer auf sie als ein zu leistendes Minimum festgenagelt würden. Endlich müßte unter allen Umständen dahin gestrebt werden, daß wir eine Schonzeit zum Wiederaufbau unserer Wirtschaft hätten.

[487] Reichsminister Giesberts fürchtet gleichfalls, daß wir mehr bieten, als wir leisten können. Eine Schonzeit sei unumgänglich.

Staatssekretär Dr. Müller sieht den Hauptfaktor in dem Wiederaufbau der zerstörten Gebiete. Wenn wir ihn jedoch an die Spitze der Verhandlungen stellten, so würden wir eine völlige Zurückweisung erleiden. Daher dürfe der Wiederaufbau nur als Zahlungsmodus in den Vordergrund gestellt werden.

Mit Minister Scholz ist er der Ansicht, daß wir von den x Milliarden als dem Maximum unserer Leistungsfähigkeit ausgehen müßten und nicht von der Umrechnung der Pariser Forderung auf ihren Jetztwert.

Reichsminister Dr. Simons: Wenn wir bezüglich Oberschlesien die Fassung des Ministers Scholz wählten und Oberschlesien dann doch an Polen fiele, so würde dies von unseren Gegnern lediglich als Irrtum im Motiv angesehen werden, der nicht zu berücksichtigen sei.

Was den Vorschlag des Wirtschafts- und Wiederaufbauministeriums betrifft, die x Milliarden zum Ausgangspunkt unserer Vorschläge zu wählen, so sei das psychologisch nicht tragbar. Dies sei auch die Überzeugung der Herren Bergmann und Melchior. Diese Fassung hätte dann Ultimativform, die sofort zum Abbruch der Verhandlungen führen würde. Wenn man anderseits innerlich fest entschlossen sei, nicht mehr als x Milliarden zu bieten, dann würde durch die gewählte Form nichts verdorben.

Bezüglich der vorgeschlagenen Schonzeit sei zu beachten, daß wir bereits jetzt an Sachlieferung mehr leisteten, als was wir für die nächsten 5 Jahre böten. Durch unseren Gegenvorschlag würde endlich eine klare Situation geschaffen, die die Mehrheit des deutschen Volkes nunmehr unbedingt verlange.

Was die vom Minister Dr. Scholz vorgeschlagenen redaktionellen Änderungen zu Ziffer B (Indexschema) anlange9, so würde er sie mit ihm erörtern. Den Absatz D bitte er beizubehalten. Die ganze Okkupationsfrage müsse bei dieser Gelegenheit erörtert werden.

9

Ein weiterer Abänderungsvorschlag, den das RWiMin. gemacht hatte, betraf die Fassung des Buchstabens B der dt. Gegenvorschläge. Nach dem Vorschlag des RWiMin. sollte dieser Buchstabe lauten: „Es wird angenommen, daß die in den Pariser Beschlüssen vorgesehene 12% Abgabe von der deutschen Ausfuhr den Alliierten einen Anteil an einer in Zukunft zu erwartenden Besserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands darstellt. Der Grundgedanke einer Beteiligung der Alliierten an einer solchen wirtschaftlichen Besserung Deutschlands, welche im Falle eines solchen Aufstiegs der deutschen Wirtschaft höhere Leistungen, als sie unter A vorgesehen sind, sichern, wird anerkannt. Die Ausfuhr ist jedoch ein ganz ungeeigneter Maßstab für die Bemessung dieser Besserung. Vielmehr wird an deren Stelle ein anderes Indexschema treten müssen, welche die Besserung der Wirtschaftslage Deutschlands in richtiger Weise erfaßt. Mit der Ausarbeitung des Indexschemas wäre sofort eine gemischte Kommission zu betrauen. Die zusätzlichen Zahlungen auf Grund des Indexschemas würden nicht vor dem 1. Mai 1926 beginnen und am 1. Mai 1951 ihr Ende nehmen.“ (Abänderungsvorschläge des RWiMin. für die dt. Gegenvorschläge, BA-Nachlaß von Le  Suire , Nr. 126, Die Entstehung des dt. Vorschlages auf der Konferenz von London).

Diese Fassung für den Buchstaben B wurde später in die endgültige Fassung der dt. Gegenvorschläge übernommen.

Die Frage amerikanischer Forderungen sowie Forderungen Chinas und neutraler Mächte halte er für einen wichtigen Punkt.

Wenn man dem Vorschlage des Ministers Wirth folge, so müßte man unser Angebot umgekehrt wieder auf 42 Jahre umrechnen. Aber gerade über das[488] Verlangen, daß wir uns auf 42 Jahre verpflichten sollten, sei das deutsche Volk mit Recht empört. Er bitte, es bei den Vorschlägen der Sachverständigen zu belassen.

Den Wiederaufbau der zerstörten Gebiete werde er bei den Verhandlungen in den Vordergrund stellen. Dies auch in den formulierten Vorschlägen zu tun, empfehle er nicht.

Im Laufe der Zeit würde es unumgänglich sein, den Artikel 231 des Friedensvertrags anzugreifen, der die Grundlage der Reparationsbestimmungen überhaupt bilde10.

10

Der Art. 231 VV bestimmte, daß Dtld. und seine Verbündeten als Urheber des Krieges für alle Schäden und Verluste der Alliierten verantwortlich waren.

Er warne davor, sich jetzt einem Pessimismus bezüglich unserer Leistungsfähigkeit hinzugeben, denn die Welt sähe uns als leistungsfähig an und die Entente würde zu Auspfändungen schreiten, wenn wir kein irgendwie beachtenswertes Angebot machten.

Staatssekretär Schroeder: Mit dem Rechenstift gemessen könnten wir eigentlich überhaupt nichts leisten. Aber mit einem Abkommen, wie es den vorliegenden Vorschlägen entspräche, würden wir besser dastehen als mit gar keinem. Wenn wir uns durch unsere Vorschläge übernommen hätten, so müßte eben nach 5 Jahren auf neuer Grundlage verhandelt werden.

Reichsminister Brauns spricht sich im ganzen für die Vorlage des Ministers Simons aus. Minister Koch desgleichen.

Reichsminister v. Raumer glaubt nicht, daß wir das Angebot erfüllen könnten, er sehe aber auch keinen Weg als den vom Minister Simons eingeschlagenen.

In der Abstimmung wird der Absatz 2 der Gegenvorschläge, nach dem vom Jetztwert der Pariser Vorschläge ausgegangen wird, in der Fassung des Sachverständigen gegen die Stimmen des Ministers Scholz und des Staatssekretärs Dr. Müller angenommen.

Das Kabinett beschließt ferner, den Absatz D beizubehalten.

Staatssekretär Müller beantragt, zu Ziffer C den letzten Satz zu streichen, nach dem die Verpflichtung Deutschlands zur Restitution unberührt bleibt.

Das Kabinett beschließt gegen die Stimme des Staatssekretärs Müller, diesen Satz beizubehalten.

Staatssekretär Müller beantragt ferner zu Ziffer C, hinter „dulden“ die Worte einzufügen: „sowie Verpflichtung Deutschlands zum Ersatz der Zahlung von Entschädigungen aus Art. 297e des Friedensvertrags.“

Der Antrag wird gegen die Stimme des Staatssekretärs Müller abgelehnt.

In der nun folgenden Abstimmung über die Gesamtheit der Gegenvorschläge werden diese in Abwesenheit des Ministers Scholz einstimmig angenommen11.

11

RIM Koch schreibt in seinen „Aufzeichnungen“ über das Verhalten von RWiM Scholz: „Scholz wollte sogar, um die Festigkeit der Deputierten zu stärken, nicht die 52 Mrd. an die Spitze stellen und nachher die Vorleistungen mit 21 Mrd. abziehen, sondern er wollte als äußerste Grenze unserer Leistungsfähigkeit 30 Mrd. in den Vordergrund stellen. Er ging dann wieder einmal bei der Abstimmung hinaus.“ (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 397).

[489] Der Reichskanzler teilt nunmehr die Namen der Delegierten mit12. Minister Hermes beantragt, den Staatssekretär Huber als Delegierten mitzunehmen.

12

Die dt. Teilnehmer auf der Londoner Konferenz waren: RAM Simons, die StS Bergmann, Lewald, Schroeder; General v. Seeckt; die MinDir. Göppert, von Le Suire, von Simson; ferner MinR Fellinger vom PrHandMin., Staatsrat von Meinel vom BayerHandMin., der dt. Botschafter in London, Sthamer, und der Botschaftsrat Köpke vom AA als Generalsekretär der dt. Delegation. Siehe dazu RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 134 .

Minister Brauns stellt den Antrag, einen Arbeiter als Delegierten zu entsenden.

Das Kabinett beschließt, den Württembergischen Arbeitsminister a. D. Leipart als Delegierten nach London zu entsenden13.

13

Über die Berufung von Leipart schreibt RIM Koch in seinen „Aufzeichnungen“ unter dem Datum des 4. 3.: „Bei allem dem saß Ebert furchtbar verstimmt, fast schweigend dabei. Man hatte verabsäumt, ihn vorher irgendwie zu unterrichten. Als er monierte, daß kein Arbeitervertreter unter den Delegierten sei (alle Interessenten sind ja dieses Mal nicht Delegierte, sondern Sachverständige), gab Simons kleinlaut gleich bei und bestimmte den Führer des Gewerkschaftsbundes, Leipart, dazu. Man wollte Ebert nicht noch ernster verstimmen.“ (Nachlaß Koch-Weser  27, Bl. 399).

An der Londoner Konferenz nahm Leipart dann jedoch nicht teil. Siehe o. Anm. 12.

Reichsminister Dr. Simons verliest nunmehr die Liste der Sachverständigen14.

14

Zu den Sachverständigen s. RT-Drucks. Nr. 1640, Bd. 366, S. 39 .

Der Reichskanzler betont eindringlich die Notwendigkeit der völligen Geheimhaltung der gefaßten Beschlüsse.

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