1.51.1 (lut2p): Polizeifragen und Frage der militärischen Verbände aus Anlaß der Entwaffnungsnote.

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Polizeifragen und Frage der militärischen Verbände aus Anlaß der Entwaffnungsnote2.

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Am 6. 11. war dem dt. Botschafter in Paris die Antwort der Botschafterkonferenz auf die dt. Entwaffnungsnote vom 23. 10. (s. Anm. 10 zu Dok. Nr. 201) übergeben worden. Die von Briand unterzeichnete Note betont einleitend die Befriedigung der all. Regg. über die Anstrengungen, die Dtld. in letzter Zeit unternommen habe, um den Forderungen der all. Entwaffnungsnote vom 4.6.25 (s. Dok. Nr. 96, dort bes. Anm. 1) gerecht zu werden. Sie spricht die Erwartung aus, daß es der RReg. bis zum 15. 11. oder möglichst bald nach diesem Zeitpunkt gelingen werde, die Bereinigung der in den Listen 1, 2 und 3 der dt. Note vom 23. 10. behandelten Punkte sicherzustellen. Es wird sodann um unverzügliche Überreichung dt. Vorschläge zur Regelung der noch unerledigten Punkte der dt. Note vom 23. 10. (Liste 4) gebeten. Diese Vorschläge sollten zum Ziel haben, „die Polizei des Charakters einer militärischen Organisation zu entkleiden und die Verbände jeder Art zu verhindern, sich mit militärischen Fragen zu befassen und irgendeine Verbindung mit dem Reichswehrministerium oder irgendeiner anderen militärischen Stelle zu unterhalten. Ebenso muß die hinsichtlich des Punktes 2 (Oberbefehl) [der Liste 4] vorzusehende Lösung zum Ziele haben, die Aufrechterhaltung oder die Aufstellung von Kommandobehörden zu untersagen, die den Gruppenkommandos übergeordnet sind.“ Abschließend wird die Hoffnung ausgesprochen, daß die dt. Antwort es den all. Reg. ermöglichen werde, für den 11. Dezember den Beginn der Räumung der Kölner Zone in Aussicht zu nehmen (frz. Text der Note und dt. Übersetzung in R 43 I /419 , Bl. 88-90; abgedr. in: Schultheß 1925, S. 410 f.).

In Abwesenheit des Reichskanzlers eröffnete der Reichswehrminister die Sitzung. Er führte aus, daß in der heutigen Sitzung zwei Fragenkomplexe zu erörtern seien: Polizeifragen und die Frage der militärischen Verbände. Er schlug vor, zunächst die Polizeifrage zu erörtern.

[848] Geheimrat Nord (AA) führte aus, daß die Entente in folgenden drei Punkten hinsichtlich der Polizei Schwierigkeiten mache:

1. in der Frage der Polizeioffizierstitel,

2. in der Frage der Kasernierung,

3. in der Frage des Beamtenstatuts.

Zu 1: Die Entente verlange die Abschaffung der Polizeioffizierstitel und die Einführung von Ziviltiteln. Das sei bisher von uns stets abgelehnt worden, da die Beibehaltung von Offizierstiteln im Interesse der Aufrechterhaltung der Disziplin unbedingt notwendig sei3.

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Vgl. Dok. Nr. 166 (Polizeifragen).

Zu 2: In der Frage der Kasernierung sei auch keine völlige Einigung mit der Entente-Kontrollkommission erzielt worden. Wir verlangten im ganzen die Zubilligung einer Anzahl von 35 000 kasernierten Beamten. Die Kontroll-Kommission wolle nur 25 000 kasernierte Beamte zulassen. Die Kontroll-Kommission sei nunmehr der Auffassung, daß die Botschafterkonferenz hierüber entscheiden müsse.

Zu 3: Was die Frage des Beamtenstatus anlange, so gehe die Entente darauf aus, die Einführung bzw. Beibehaltung einer schlagkräftigen Polizeitruppe in Deutschland zu verhindern. Sie verlange deshalb, daß die Anwärterstellen auf kurze Zeit begrenzt würden und daß dann eine Übernahme der Anwärter in lebenslängliche Stellen der Polizei erfolge. An dem Beispiel Preußens sei diese Frage von der Entente ausführlich behandelt worden. Die Entente verlange in Preußen, daß ungefähr ein Drittel der Schutzpolizeistellen lebenslänglich sei.

In diesem Punkte könne vielleicht Preußen entgegenkommen. Wenn in diesem Punkt Entgegenkommen gezeigt werde, dann werde voraussichtlich die Entente in den zu 1) und 2) erörterten Punkten der Polizeioffizierstitel und der Kasernierung nachgeben.

Ministerialdirektor Dr. Abegg (Pr. Min. d. Innern): Er wolle zunächst darauf hinweisen, daß die Entente sich mit den preußischen Schutzpolizeiverhältnissen lediglich deshalb intensiver befaßt habe, weil die Polizeiverhältnisse in den andern Ländern sehr vielgestaltig seien und infolgedessen die Forderungen der Entente an dem Beispiel eines Landes, in diesem Falle des größten, hätten erläutert werden müssen.

Verlangt werde von der Gegenseite für die Schutzpolizeibeamten der Charakter als lebenslängliche Beamte. Nach der von Preußen vertretenen Ansicht werde diesem Verlangen zur Zeit schon insofern entsprochen, als die Schutzpolizeibeamten unmittelbare Staatsbeamte seien. Die Gegenseite sei jedoch anderer Ansicht. Sie verlangt die Anstellung möglichst zahlreicher Schutzpolizeibeamter auf Lebenszeit. Preußen könne jährlich ungefähr 1800 bis 2000 Beamte auf Lebenszeit in der Schutzpolizei, Kriminalpolizei usw. unterbringen. Das bedeute, daß Preußen jährlich ungefähr 3000 Anwärter annehmen könne. Mit ihrem Verlangen auf lebenslängliche Anstellung eines großen Teils der Schutzpolizeibeamten bezwecke die Entente die Herbeiführung einer Überalterung[849] der Schutzpolizei und die Verhinderung der Möglichkeit, zahlreiche Beamte auszubilden und auf diese Weise, wie die Entente fürchte, Cadres für künftige militärische Zwecke zu schaffen. In der Schutzpolizei selber habe Preußen ungefähr 6500 lebenslängliche Stellen, die sofort auf 9000 erhöht werden könnten. Die Gesamtzahl der Schutzpolizeibeamten einschließlich der Offiziere und Sonderbeamten betrage 49 000. Die Zahl der lebenslänglichen Beamten lasse sich sogleich auf 12 000, im Laufe von sechs Jahren auf höchstens 15 000 erhöhen. Dann würde ungefähr ein Drittel der Beamten lebenslänglich sein, vorausgesetzt, daß man von den 49 000 Beamten die Sonderbeamten abziehe. Zu diesem Entgegenkommen gegenüber den Forderungen der Entente erkläre sich Preußen bereit.

Bayerischer Minister des Innern Stützel: In Bayern lägen die Verhältnisse ganz anders als in Preußen. Es gäbe hier drei Arten von Polizei: Landespolizei, die kommunale Polizei und die staatlichen Schutzmannschaften. Wenn man diese drei Arten von Polizei zusammenrechne, dann seien in Bayern im ganzen ein Drittel der Beamten in etatsmäßigen Stellen; insoweit sei also in Bayern bereits den Wünschen der Entente entsprochen.

Württembergischer Minister des Innern Bolz: Auch Württemberg könne ein Drittel etatsmäßige Stellen schaffen.

Bayerischer Ministerpräsident Dr. Held: Auch er müsse nochmals darauf hinweisen, daß in Bayern die Wünsche der Entente bereits erfüllt seien oder evtl. leicht erfüllt werden könnten, wenn man die drei Polizeigruppen als Einheit betrachte.

Preußischer Minister des Innern Severing: Nach seiner Ansicht müsse zunächst geprüft werden, ob dann, wenn Preußen den Forderungen der Entente entgegenkomme, die Entente in den anderen deutschen Ländern dasselbe wie in Preußen verlangen werde. Für den Fall, daß sich die außenpolitische Situation erst wieder gebessert habe, müsse er schon jetzt anmelden, daß Preußen eine Revision der Standorte der Schutzpolizei von der Entente verlangen müsse.

Staatsrat Dr. Tack (Bremen): In Bremen lägen die Verhältnisse ganz anders als in Preußen. Es sei hier unmöglich, ein Drittel der Polizeibeamten lebenslänglich anzustellen.

Der Reichswehrminister Er mache folgenden Vorschlag:

In der Antwortnote an die Entente werde zum Ausdruck gebracht, daß Preußen bereit sei, die Zahl von lebenslänglichen Schutzpolizeibeamten auf 15 000 fortschreitend zu erhöhen. Es solle in der Antwortnote jedoch klar zum Ausdruck gebracht werden, daß dieses Angebot nur für Preußen Geltung haben könne4.

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S. unten Anm. 6.

Hiermit erklärt sich die Versammlung einverstanden.

Reichskommissar Kuenzer (Reichsmin. d. Innern) behandelte sodann die Forderungen der Entente auf dem Gebiete der militärischen Verbände. Er führte aus, daß das Reichsministerium des Innern durch zwei Rundschreiben an die Länder vom Januar und Oktober dieses Jahres auf die Verordnung des Reichspräsidenten,[850] welche das Verbot militärischer Verbände enthalte, hingewiesen habe5. Nach seiner Ansicht werde es genügen, wenn der Reichsminister des Innern nochmals die Länder auf diese Verordnung des Reichspräsidenten hinweise und wenn der Entente das mitgeteilt werde.

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S. Anm. 6 (Verbände).

Es wurde beschlossen, in der Antwortnote die Bereitwilligkeit des Reichsministers des Innern zu erklären, die Länder nochmals auf die erwähnte Verordnung des Reichspräsidenten betreffend das Verbot militärischer Verbände hinzuweisen6.

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Die dt. Antwortnote wird durch Botschafter v. Hoesch am 11. 11. in Paris übergeben. Sie stellt für die in der dt. Note vom 23. 10. (s. Anm. 10 zu Dok. Nr. 201, dort Liste 4) behandelten, bisher jedoch unerledigten Forderungen der all. Entwaffnungsnote vom 4.6.25 (s. Dok. Nr. 96, dort bes. Anm. 1) folgende Regelungen in Aussicht: 1) Polizei: a) Polizeistatut: Umwandlung des bisher geltenden 12jährigen in ein lebenslängliches Angestelltenverhältnis; die Zahl der lebenslänglichen Stellen umfaßt künftig die Hälfte (bisher ein Drittel) aller Stellen für Einzeldienstbeamte. Beschränkung der Einstellungen und Begrenzung der Kündigungsmöglichkeiten. b) Kasernierung: Reduzierung der kasernierten Polizei der Länder auf insges. 35 000 Mann, eine weitere Verringerung wäre untragbar. c) Amtsbezeichnungen: Die Ersetzung der militärischen Amtsbezeichnungen (z. B. Polizeihauptmann) durch andere völlig ziviler Art wird abgelehnt. Sie würde unverdiente Zurücksetzung der Beamten bedeuten und daher schwere Mißstimmung hervorrufen. 2) Oberbefehl: Die Aufhebung der VO vom 11.8.20 (vgl. dazu Anm. 4 zu Dok. Nr. 110 und Dok. Nr. 166 (Oberkommando)) wird abgelehnt, doch sollen Ziffer I und II dieser VO eine Neufassung folgenden Inhalts erhalten: Der RPräs. ist Oberbefehlshaber der gesamten Wehrmacht. Der Reichswehrminister übt unter dem RPräs. die Befehlsgewalt über das Heer aus. Das RWeMin., die Oberbefehlshaber der Gruppen und die Divisionskommandeure unterstehen ihm unmittelbar. Der Chef der Heeresleitung ist der militärische Berater des RWeM und sein Vertreter in Angelegenheiten des Heeres. – Eine entsprechende VO des RPräs. ergeht am 28.1.26. S. Heeres-VOBl. 1926, Nr. 3, S. 9. 3) Verbot der Ausbildung an bestimmten Waffen: Die Ausbildung der Infanterie am Infanteriegeschütz, der Kavallerie am leichten Maschinengewehr und die Verwendung geschützter Lastwagen zur Ausbildung von „Panzerkraftwageneinheiten“ müsse zur Aufrechterhaltung des Ausbildungsstandes unbedingt beibehalten werden (vgl. Anm. 7 zu Dok. Nr. 166). Der Einsatz von Zivilflugzeugen sei erforderlich, um die Truppe im Verhalten gegen Luftangriffe zu üben. Ein Heranziehen dieser Flugzeuge zur Artilleriebeobachtung oder zu anderen militärischen Zwecken werde nicht erfolgen. 4) Artillerie der Festung Königsberg: Die genehmigten 22 schweren Geschütze bleiben auf beweglichen Lafetten, ihr fester Einbau würde sie völlig wertlos machen (vgl. Anm. 9 zu Dok. Nr. 166). 5) Verbände: Die RReg. werde die Länderregierungen in einem Rundschreiben auf folgende Sachverhalte und gesetzliche Bestimmungen hinweisen: a) auf die erneute Forderung der all. Regg., „Verbände jeder Art zu verhindern, sich mit militärischen Fragen zu befassen“; b) auf das Gesetz vom 22.3.21 (RGBl., S. 235 ), wonach Verbände, bei denen aus der Satzung oder ihrem Verhalten hervorgeht, daß ihr Zweck im Widerspruch zu Art. 177 und 178 des VV steht, aufzulösen sind; c) auf die VO des RPräs. vom 24.5.21 (RGBl., S. 711 ), wonach die Gründer und Mitglieder solcher Verbände der Bestrafung unterliegen; d) auf die Rundschreiben des RIMin. an die Länderregierungen vom 28. 1. und 14.10.25 (beide Schreiben abschrl. in R 43 I /419 , Bl. 246-250) betr. Auslegung des Begriffs „Verband militärischer Art“ (R 43 I /419 , Bl. 252-273). – Diese Vorschläge werden von Berthelot mit Schreiben an Hoesch vom 11. 11. als ungenügend zurückgewiesen. Ein Rundschreiben schaffe keine endgültige Bindung, die nur durch gesetzliche Regelungen erreicht werden könne. Das AA weist daher den Botschafter mit Telegramm vom 13. 11. an, der Botschafterkonferenz zu erklären, die RReg. werde anstelle des Rundschreibens eine VO folgenden Inhalts erlassen: Als im Widerspruch zu Art. 177, 178 des VV stehend sind Vereinigungen anzusehen, die a) ihre Mitglieder im Waffenhandwerk ausbilden, b) sich mit militärischen Dingen befassen, c) mit dem RWeMin. oder anderen militärischen Behörden in Verbindung stehen. Vereinigungen, bei denen aus der Satzung oder ihrem Verhalten hervorgeht, daß sie diesen Tätigkeiten nachgehen, sind nach den Bestimmungen des Gesetzes vom 22.3.21 (RGBl., S. 235 ) aufzulösen (R 43 I /419 , Bl. 277-286, ). – Der Erlaß einer VO dieses Inhalts erfolgt am 12.2.26 (RGBl. I, S. 100 ). – Zum Fortgang in der Entwaffnungsfrage s. Anm. 1 zu Dok. Nr. 226.

[851] Der Reichswehrminister bat zum Schluß, die Länder möchten erwägen, ob und wie man gegen solche Personen strafrechtlich vorgehen könne, welche falsche militärische Nachrichten bezüglich der Reichswehr usw. der Entente mitteilten. Nach seiner Ansicht reichten die bestehenden strafrechtlichen Bestimmungen nicht aus, und es sei die Schaffung einer lex specialis erforderlich.

Auf eine Anfrage des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Held stellte der Reichswehrminister fest, daß die heutige Sitzung als vertraulich zu betrachten sei.

Die Sitzung wurde darauf geschlossen.

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