2.39 (ma11p): Nr. 39 Das Auswärtige Amt an Staatssekretär Bracht. 27. Dezember 1923

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Text

RTF

[164] Nr. 39
Das Auswärtige Amt an Staatssekretär Bracht. 27. Dezember 19231

1

Das Schreiben geht außerdem an das RMinbesGeb., das RVMin. und das PrIMin.

R 43 I /190 , Bl. 384

[Internationalisierung der westdeutschen Eisenbahnen, Schaffung eines westdeutschen Staates]

Eine angesehene englische Persönlichkeit2, die auch in englischen Arbeiterkreisen Vertrauen genießt, hat sich kürzlich in den besetzten deutschen Gebieten aufgehalten und bei dieser Gelegenheit auch mit den führenden Männern aus dem Ententelager, insbesondere mit Degoutte und Tirard, sowie mit den leitenden deutschen Persönlichkeiten wie Adenauer, Louis Hagen, Krupp v. Bohlen und Halbach u. a. Unterredungen gehabt. Über die bei dem Besuch der besetzten Gebiete gewonnenen Eindrücke und Urteile hat sich der Engländer folgendermaßen geäußert.

2

Der Name dieser Persönlichkeit ließ sich aus den Akten der Rkei nicht feststellen.

Aus seinen Unterredungen mit den Franzosen habe er die Überzeugung gewonnen, daß Frankreich etwaige Ideen der Schaffung eines vom Reiche abgetrennten Rheinstaates, mit denen früher vielleicht geliebäugelt worden sei, nunmehr endgültig aufgegeben habe. Die definitive Orientierung der französischen Rheinpolitik sei festgelegt worden nach der Reise, die Marschall Pétain unlängst in die besetzten Gebiete unternommen habe. Sie gehe dahin, daß das Kernstück des zu schaffenden Garantiesystems für Frankreichs Sicherheit in der Beherrschung der westdeutschen Eisenbahnen durch die Alliierten zu erblicken sei. Frankreich sei bereit, der Kontrolle über die Eisenbahnen im besetzten Gebiete eine internationale Form zu geben. Parallel mit der endgültigen Aufrichtung eines derartigen Eisenbahnregimes strebe Frankreich die Schaffung eines selbständigen demilitarisierten und eventuell neutralisierten Weststaats im Rahmen des Deutschen Reiches an. Er habe Grund zur Annahme, daß die energische Stellungnahme Englands gegen jedwede Abtrennung deutscher Gebiete vom Reichskörper die Entsendung des Marschall Pétain mit dem Auftrage zu prüfen, ob sich auf der Internationalisierung der deutschen Westbahnen eine genügende Sicherheitsgarantie aufbauen lasse, veranlaßt habe, und daß Frankreich sich im Hinblick auf eine mögliche Gewinnung Englands für Beteiligung an den internationalisierten Bahnen dazu entschlossen habe, mit einer Internationalisierung eventuell vorlieb zu nehmen.

Aus seinen Unterredungen mit den deutschen führenden Persönlichkeiten der besetzten Gebiete hat der Engländer zunächst entnommen, daß Herr Adenauer, den er als „einen sehr verständigen Mann“ bezeichnete, das allgemeine Vertrauen der maßgebenden Kreise genießt und sich eine wahre Führerstellung geschaffen hat. Herr Adenauer hat ähnlich wie andere Rheinlandsdeutsche ihm erklärt, er habe keine unüberwindlichen Bedenken gegen den[165] Plan einer Internationalisierung der Bahnen der besetzten Gebiete, vorausgesetzt, daß die technische Leitung und Organisation der Eisenbahnen in die Hände von wirklich leistungsfähigem Personal gelegt werde. Auch gegenüber dem Gedanken der Gründung eines autonomen Weststaates im Rahmen des Deutschen Reiches habe sich Adenauer nicht ablehnend ausgesprochen, jedoch erklärt, daß dieser Staat ein einheitliches Ganzes von der Pfalz bis zur holländischen Grenze bilden müsse, und daß von einer Zerstückelung der besetzten Gebiete in verschiedene Staatsgebilde nicht die Rede sein könne. Selbstverständlich müsse, so meine Herr Adenauer, eine derartige Neuregelung im Einverständnis mit dem Deutschen Reiche erfolgen.

Der Engländer ist nach dem von ihm gewonnenen Eindrucke der Ansicht, daß an der Schaffung eines deutschen Weststaates und der Internationalisierung der westdeutschen Eisenbahnen nicht mehr vorbeizukommen ist. Er erwog auch im Gespräch die Beteiligung Englands an einer etwaigen internationalen Eisenbahngesellschaft und ließ durchblicken, daß Herr Adenauer sich gegen die Beibehaltung der Zersplitterung der Eisenbahnleitung durch die Existenz der englischen Zone3 ausgesprochen habe und anscheinend es vorziehen würde, wenn die Einheitlichkeit des westdeutschen Eisenbahnnetzes unter internationaler Beteiligung an demselben wiederhergestellt und damit Frankreichs Alleinherrschaft über den größten Teil der Bahnen ein Ende bereitet würde.

3

Die Eisenbahnen der brit. besetzten Kölner Zone unterstanden der RB-Verwaltung, die Bahnen der frz. und belg. Besatzungszonen seit dem Ruhreinmarsch dagegen der frz.- belg. Eisenbahnregie.

Im Auftrage

v. Friedberg

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