2.156.1 (ma31p): 1. Genf.

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Die Kabinette Marx III und IVDas Kabinett Marx IV Bild 146-2004-0143Chamberlain, Vandervelde, Briand und Stresemann Bild 102-08491Stresemann an den Völkerbund Bild 102-03141Groener und Geßler Bild 102-05351

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1. Genf.

Einleitend begrüßte der Reichskanzler den Reichsminister des Auswärtigen und sprach ihm den Dank der Reichsregierung für seine erfolgreiche Arbeit aus.

Der Reichsminister des Auswärtigen erstattete sodann Bericht über die Genfer Verhandlungen2. Die Frage der Rheinlandräumung habe eine über Erwarten große Rolle gespielt. Von Briand und Chamberlain sei in vorsichtiger Form der Vorschlag einer Gesamträumung des Rheinlandes gemacht worden, wobei Deutschland als Gegenleistung in irgendeiner Form eine Zivilkontrolle der Grenzgebiete einräumen solle. Die Notwendigkeit einer Kontrolle sei besonders begründet worden mit den Enthüllungen der deutschen Presse über Rüstungen, Verbände und ähnliches. Der Reichsminister des Auswärtigen bemerkte, daß man in Genf auf diesem Gebiet eine Beunruhigung bis in die Kreise der ausgesprochenen französischen Friedensfreunde habe feststellen können. In Erwiderung auf eine Äußerung Chamberlains, die für die zweite Zone eine Räumungsfrist von 4 Monaten, für die dritte Zone eine solche von 2 Jahren als möglich bezeichnete, sei vom Reichsaußenminister das weitere Festhalten an den zeitlich unterschiedenen Zonen für sinnwidrig und politisch nicht haltbar bezeichnet worden. Überhaupt sei von deutscher Seite das Räumungsproblem mit betonter Gleichgültigkeit behandelt worden, um nicht durch Behandlung der Räumungsfrage, bei der positive Ergebnisse doch nicht zu erwarten waren, die völlige Erledigung der kleineren Fragen (Militärkontrolle, Investigation u.s.f.) zu gefährden. Schließlich habe Herr Briand mit der Begründung, daß Frankreich irgendeine Geste brauche, um dem französischen Volke die Rheinlandräumung verständlich zu machen, ausgeführt, er denke etwa an eine Kommission mit dem Sitz in Basel oder mit je einem Teile in Metz, Namur und Koblenz. Man habe sich darauf geeinigt, die Frage im März 1927 weiterzubehandeln. Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß er die Einschaltung einer derartigen Kommission, wie sie Herr Briand zuletzt vorgezeichnet habe, mit Begrenzung bis äußerstenfalls 1935 immerhin für erörterungswert halte.

2

Verhandlungen anläßlich der 43. Tagung des Völkerbundsrats.

Zur Frage der Investigation schilderte der Reichsminister des Auswärtigen, wie sich der deutsche Rechtsstandpunkt ohne Einschränkung durchgesetzt habe[453] und im Völkerbundsrat einstimmig angenommen worden sei3. Man habe dadurch gleichzeitig auch die Lage der unter Militärkontrolle stehenden früheren Verbündeten Deutschlands4, die sich übrigens bei den Verhandlungen völlig inaktiv verhalten hätten, erleichtert. Chamberlain habe zu diesem Problem noch die Bemerkung gemacht, es könne wohl als abgesprochen gelten, daß unter den hier verhandelnden Mächten keine ohne weiteres eine Anzeige gegen eine andere dieser Mächte beim Rat vornehmen werde, sondern daß man sich untereinander verständige.

3

Siehe Dok. Nr. 149, Anm. 6.

4

Österreich, Ungarn und Bulgarien.

Die Verhandlungen über die Aufhebung der Militärkontrolle seien verschiedentlich durch von außen kommende unerwartete Schwierigkeiten behindert worden, einmal dadurch, daß aus Paris gemeldet wurde, daß die Botschafterkonferenz keinerlei Mitteilungen von deutscher Seite erhalte, daher nicht arbeiten könne, und daß der General von Pawelsz durch seine Intransigenz den Erfolg der Verhandlungen in Frage stelle. Dies habe sich später als vermutliche Folge eines Zusammenstoßes zwischen General Walch und dem Vortragenden Legationsrat Forster herausgestellt. Dann sei ganz im Gegensatz zur gleichzeitigen Haltung Chamberlains in der Frage der Ein- und Ausfuhr von Kriegsmaterial eine Demarche des englischen Botschafters5 in Berlin erfolgt, angeblich im Auftrage von Chamberlain, von der Chamberlain selbst nichts gewußt habe und die er auch sogleich richtiggestellt habe6. Von englischer Seite sei zur Frage des Kriegsmaterials erklärt worden, daß die englische Regierung gegen den Export an sich keine Bedenken habe, sondern nur verhindern wolle, daß große Lager von Kriegsmaterial in Deutschland entständen. In der Festungsfrage sei eine Einigung nicht möglich gewesen. Das Rechtsgutachten von Hurst und Fromageot7 sei von deutscher Seite als sehr oberflächlich völlig abgelehnt worden. Schließlich habe man sich in beiden Fragen auf den Schiedsgerichtsgedanken geeinigt, wobei allerdings Chamberlain auf Grund eines neuerlichen Telegramms aus London wieder Einwendungen gemacht habe. Briand habe dann die verlangten Vollmachten vom Pariser Kabinett nicht bekommen und seine Demission in Paris angeboten. Dem Vernehmen nach hätten daraufhin auch Marin und Tardieu ihrerseits mit der Demission gedroht. Nachdem Briand aus Paris keine weiteren Weisungen bekommen habe, sei das gemeinsame Protokoll, das die Anrufung des Völkerbundsrats als letzte Instanz vorsehe, gefertigt worden8. Um Briand die Lage zu erleichtern, habe man noch die Möglichkeit der Zuziehung technischer Sachverständiger bei den Berliner Botschaften bzw. Gesandtschaften eingeschaltet, womit sachlich keinerlei Konzession gemacht sei. Chamberlain habe noch besonders gebeten, den jetzt bevorstehenden Kampf zwischen Poincaré und Briand nicht durch ungeeignete Kundgebungen der deutschen öffentlichen Meinung ungünstig zu beeinflussen9.[454] Die deutsche Presse sei auch vom Reichsminister des Auswärtigen entsprechend instruiert worden10.

5

Sir Ronald Lindsay.

6

Siehe dazu ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 245.

7

Siehe Dok. Nr. 147, Anm. 2.

8

Siehe Dok. Nr. 151, Anm. 5.

9

Siehe dazu das Telegramm Sthamers vom 13.12.26 an das AA, in: ADAP, Serie B, Bd. I,2, Dok. Nr. 263.

10

Siehe die Ausführungen Stresemanns vor Vertretern der dt. Presse am 14.12.26, in: Stresemann, Vermächtnis, Bd. III, S. 73 ff.

Die Saarfrage habe sich nicht fördern lassen, weil die Vertreter des Saargebietes selbst unerwarteterweise für den Austausch der französischen Truppen gegen Eisenbahnüberwachungspersonal Bedingungen gestellt hätten, die die Gegenseite keinesfalls erfüllen wollte. Die Verhandlungen der Deutschen Delegation seien durch diese wenig folgerichtige Haltung der Vertreter des Saargebiets sehr beeinträchtigt worden.

Über den Ort der nächsten Ratstagung sei nicht gesprochen worden. Der Reichsaußenminister äußerte die Meinung, daß einer Einladung nach Berlin, solange das Rheinland nicht geräumt sei, Bedenken gegenüberständen.

Angesichts der unsicheren Lage im französischen Kabinett hielt es der Reichsminister des Auswärtigen für erforderlich, eine große politische Debatte im Reichstage, die womöglich die Stellung Briands gefährden könne, jedenfalls aber eine außenpolitische Debatte, zu verhindern. Er sei bereit, im Auswärtigen Ausschuß den Parteien eingehend Bericht zu erstatten.

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