2.211.1 (ma31p): Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer.

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Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer.

Der Abgeordnete Keinath begründete die Absicht der Deutschen Volkspartei, bei Behandlung des Antrages Fischer (Nr. 3175 der Drucksachen des Reichstags)1 im Finanzausschuß2 einen ähnlichen Antrag auf Senkung der Einkommensteuer und der Lohnsteuer zu stellen. Der geltende Tarif der Einkommensteuer3[659] steige zu rasch und belaste besonders die mittleren Stufen übermäßig.

1

Der von Fischer und Genossen (DDP) vorgelegte Antrag sah eine Senkung der Einkommen-, Lohn- und Körperschaftssteuer vor (RT-Bd. 414 , Drucks. Nr. 3175 ).

2

Gemeint ist der Steuerausschuß des RT.

3

Siehe § 55 des Einkommensteuergesetzes vom 10.8.25 (RGBl. I, S. 189 ).

Staatssekretär Popitz wies demgegenüber darauf hin, daß durch eine dem beabsichtigten Antrag entsprechende Senkung der Einkommensteuer und der Lohnsteuer ein Ausfall von 3 bis 400 Millionen M im Jahre entstehen würde. Die Steuererklärungen seien abgegeben; eine Einwirkung auf die Zuverlässigkeit der Deklarationen durch die Ermäßigung könne also erst wieder im nächsten Jahre in Frage kommen. Es sei zuzugeben, daß der geltende Tarif überspannt sei.

Der Reichsminister der Finanzen erklärte, daß er dafür Verständnis habe, wenn innerhalb der Koalition ein gewisser Ausgleich der politischen Belastung der Parteien erfolge und die Deutsche Volkspartei das Bedürfnis habe, ihren Wählern gegenüber nicht nur als der leidende Teil zu erscheinen. Dem Antrage müsse im Laufe der Zeit stattgegeben werden, der gegenwärtige Zeitpunkt sei aber ungeeignet. Zur Balancierung des Etats seien die letzten Reserven eingesetzt4. Die Beamtenbesoldungsreform und die Erhöhung der Bezüge der Kriegsbeschädigten würden 2 bis 300 Millionen im Jahre erfordern, für die Deckung nicht vorhanden sei5. Tatsächlich schreite die von Minister Reinhold eingeleitete Aktion zur Senkung der Steuern fort; sie würde jetzt mit Nachdruck für die Realsteuern betrieben. Dem Antrag der Deutschen Volkspartei würden Anträge auf weitere Senkung der Verbrauchssteuern folgen. In wenigen Wochen würde im Reichshaushalt ein Defizit von etwa 1 Milliarde entstehen. Anleihen versprächen keinen Erfolg. Er sei bereit, die Frage der Senkung der Einkommensteuer zu prüfen und vorzubereiten. Sie könne später mit einem Generalpardon für die Vergangenheit verknüpft werden.

4

Vgl. Dok. Nr. 210, P. 1.

5

Haushaltsmittel für eine Verbesserung der Beamtenbesoldung, der Kriegsbeschädigtenrenten und der Liquidationsentschädigung sollten erst in einem Nachtragsetat angefordert werden; siehe Dok. Nr. 207, Anm. 2.

Abgeordneter Schultz führte aus, daß die Beratung des Antrags, wenn er eingebracht sei, nicht hinausgeschoben werden könne. Er würde angenommen werden; dadurch würde eine überaus schwierige Lage entstehen.

Auch der Abgeordnete Leicht fürchtete, daß der Antrag angenommen und damit die Koalition gesprengt würde. Die letzten Erklärungen des Reichsministers der Finanzen stellten die Lage des Reichshaushalts so schwierig dar, daß eine Ermäßigung der Einnahmen des Reichs ihre Glaubwürdigkeit erschüttern würde. Ein Antrag auf Ermäßigung der Einkommensteuer könne nur von den Regierungsparteien gemeinsam gestellt werden.

Graf Westarp hielt den geplanten Antrag für einen Eingriff in die neuesten Vereinbarungen über den Finanzausgleich und die Finanzgebarung des Reichs6. Die Deutschnationale Volkspartei würde einen ähnlichen Antrag stellen müssen. Sie habe den Gedanken der Senkung der Einkommensteuer bereits in den Vordergrund[660] gerückt, als Minister Reinhold die Umsatzsteuer ermäßigte7. Der Antrag Fischer könne mit dem Hinweis erledigt werden, daß die Demokraten während der Amtstätigkeit des Ministers Reinhold die Einkommensteuersenkung hätten betreiben müssen, und daß ihre nachträgliche Forderung kaum auf sachliche Gesichtspunkte zurückzuführen sei.

6

Zu den Vereinbarungen zwischen der RReg. und den Regierungsparteien über die Regelung des Finanzausgleichs und über die Balancierung des Haushalts für 1927 siehe Dok. Nr. 198, Nr. 202 und Nr. 206.

7

Durch das „Gesetz über Steuermilderungen zur Erleichterung der Wirtschaftslage“ vom 31.3.26 (RGBl. I, S. 185 ) war die Umsatzsteuer von 1% auf 0,75% herabgesetzt worden.

Auch für das Zentrum meldeten die Abgeordneten v. Guérard und Brüning die Stellung von Anträgen auf Steuersenkung für den Fall an, daß die Deutsche Volkspartei ihre Absicht verwirkliche. Mit einer Vertagung des Antrags Fischer bei den Verhandlungen8 am 26. [März] sei keinesfalls zu rechnen. Die sachliche Behandlung sei den Demokraten zugesagt; falls die Zeit nicht ausreiche, werde Fischer beantragen, daß ohne Diskussion abgestimmt werde. Ständen dann die Regierungsparteien nicht einheitlich gegen den Antrag, dann sei zu befürchten, daß bei getrennter Abstimmung, wenigstens soweit es sich um die Herabsetzung der Lohnsteuer handele, eine Mehrheit erzielt werde. Das würde eine Finanzkatastrophe in nächste Nähe rücken.

8

Im Steuerausschuß des RT.

Die Vertreter der Deutschen Volkspartei wiesen demgegenüber darauf hin, daß ihre Fraktion bisher in der Koalition starke Opfer gebracht habe und daß es von ihrer Partei im Lande nicht verstanden würde, wenn sie jetzt nicht eine Senkung der Einkommensteuer wenigstens einleiteten, zumal die Zusicherungen des Ministers Reinhold wegen der Steuersenkung vom Gesamtkabinett getragen gewesen seien. Die Stellung von Steuersenkungsanträgen durch die anderen Parteien würde begrüßt; wenn mehrere Anträge gestellt werden würden, wäre es für den Reichsminister der Finanzen leichter, sie in ihrer Gesamtheit abzulehnen. Es sei nicht anzunehmen, daß die Sozialdemokraten für eine Ermäßigung der mittleren und hohen Steuerstufen stimmen würden.

Nachdem der Abgeordnete Oberfohren nochmals auf die außerordentlich schwierige taktische Lage im Steuerausschuß hingewiesen hatte, bat der Reichskanzler die Deutsche Volkspartei eindringlich, von dem geplanten Antrage abzusehen, da er finanziell und politisch zur Zeit nicht getragen werden könne. Er bitte zu erwägen, ob nicht in einer gemeinsamen Erklärung sämtlicher Regierungsparteien die Notwendigkeit demnächstiger Senkung der Einkommensteuer betont werden könnte, und ob nicht dadurch die Schwierigkeiten, die durch den Antrag Fischer entstanden seien, zu beheben wären.

Abgeordneter Becker glaubte, daß eine gemeinsame Erklärung der Regierungsparteien nicht möglich sei, weil zwischen ihnen starke Meinungsverschiedenheiten beständen.

Schließlich schlug der Abgeordnete Leicht der Deutschen Volkspartei vor, im Steuerausschuß am 26. März zu erklären, sie habe einen Antrag auf Senkung der Einkommensteuer und der Lohnsteuer ausgearbeitet. Sie sehe aber mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten, den Etat auszugleichen, gegenwärtig davon ab, den Antrag förmlich einzubringen. Sie behalte sich vor, ihn sobald wie möglich zu stellen.

[661] Die taktische Lage der Deutschen Volkspartei werde wesentlich günstiger sein, wenn sie eine Erklärung dieses Inhalts abgäbe, als wenn sie den Antrag einbrächte und dann mit den anderen Regierungsparteien die sachliche Verhandlung des Antrags hinauszögere.

Der Reichskanzler unterstützte den Vorschlag des Abgeordneten Leicht und bat, keine endgültigen Beschlüsse zu fassen, sondern über das Vorgehen weitere interne Verhandlungen auch mit den anderen Regierungsparteien zu pflegen.

Die Vertreter der Deutschen Volkspartei gaben keine endgültige Erklärung ab9.

9

In der Sitzung des Steuerausschusses des RT am 26.3.27 erklärte der Abg. Becker (DVP), daß seine Fraktion eine Senkung der Einkommensteuer in den mittleren Stufen wünsche; alle diesbezüglichen Anträge müßten jedoch zurückgestellt werden, bis geklärt sei, wie die bei einer Steuersenkung entstehenden Einnahmeausfälle gedeckt werden können. Daraufhin wurde die Beratung des Antrags Fischer (Anm. 1) auf Antrag der Regierungsparteien vertagt (Bericht über die Ausschußsitzung in: Dt. Reichsanzeiger und Pr. Staatsanzeiger Nr. 73 vom 28.3.27).

Bei der Beratung des vorläufigen Finanzausgleichs in der Plenarsitzung des RT am 1. 4. verlas Graf Westarp eine gemeinsame Erklärung der Regierungsparteien, in der es u. a. hieß: „Es war der Wunsch der Regierungsparteien, auch bei den Reichssteuern, sowohl bei den Besitzsteuern wie auch bei den Verbrauchssteuern, eine weitere Senkung herbeizuführen. Diese Wünsche mußten angesichts der gespannten Etatslage zurückgestellt werden. Die Regierungsparteien haben sich entschlossen, durch das Gesetz über den vorläufigen Finanzausgleich den für sie populären Weg einer Senkung der Reichssteuern zunächst aufzuschieben und durch Garantierung erhöhter Überweisungen an die Länder und Gemeinden zu einer Herabsetzung und Milderung derjenigen Steuerlasten zu kommen, die im Augenblick auf der Wirtschaft unmittelbar und zum Teil auch durch Abwälzung auf den breiten Massen der Arbeitnehmer am drückendsten ruhen. Die Regierungsparteien haben sich zu der erhöhten Garantie von 2,6 Milliarden Mark aus der Einkommen-, Körperschafts- und Umsatzsteuer nur entschließen können, nachdem die verpflichtende Bestimmung in das Finanzausgleichsgesetz aufgenommen worden ist, daß die Länder und Gemeinden ihre Realsteuern um den Betrag, der über die Garantie der Regierungsvorlage hinausgeht, zu senken haben, also mindestens um 200 Millionen.“ (RT-Bd. 393, S. 10262  ff.). Vgl. dazu Dok. Nr. 198, Anm. 6.

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