1.82.1 (ma32p): Reparationspolitik.

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Reparationspolitik.

Der Reichsminister der Finanzen berichtete eingehend über den Inhalt des Memorandums, welches der Reparationsagent Parker Gilbert der Deutschen Regierung durch gleichzeitige Übersendung an den Reichskanzler, den Reichsminister der Finanzen und den Reichsminister des Auswärtigen am 21. Oktober hat zugehen lassen2. Reichsminister Köhler führte aus, daß die Übersendung dieses Memorandums zwischen ihm und dem Reparationsagenten im Zuge seiner wiederholten Aussprachen mit Gilbert mündlich vereinbart worden sei. Der Zweck des Memorandums sei, als Diskussionsunterlage für die zwischen ihm und dem Reparationsagenten laufend stattfindenden Aussprachen zu dienen. Er faßte seine Kritik des Memorandums im wesentlichen dahin zusammen, daß es sich im großen und ganzen um eine Wiederholung der insbesondere aus dem Zwischenbericht des Reparationsagenten vom 10. Juni 19273 bereits bekannten Auffassungen handele. Es wiederhole die alte Kritik am Finanzausgleich, wende sich in scharfer Weise gegen die Anleihepolitik der Länder und Gemeinden, verurteile die Kredit- und Währungspolitik der Reichsregierung und der Reichsbank und benutze die zur Zeit im Entstehen begriffenen Gesetze über die Beamtenbesoldung, das Kriegsschädenschlußgesetz und das Schulgesetz als Handhabe zur Wiederholung seiner Gedankengänge4.

2

Das Memorandum des Reparationsagenten Gilbert an die Dt. Reg. vom 20.10.27 wurde dem RFM mit Begleitschreiben Gilberts vom 20. 10. übermittelt; eine Abschrift des Memorandums übersandte Gilbert mit Begleitschreiben vom 21. 10. an den RK und den RAM (Abschrift für den RK in R 43 I /276 , Bl. 21–70). Das Memorandum des Reparationsagenten vom 20. 10. wurde zusammen mit der Antwort der RReg. vom 5. 11. am 6.11.27 in der Tagespresse veröffentlicht. Separatdruck: Das Memorandum des Reparationsagenten (in englischer und deutscher Sprache) und die Antwort der Reichsregierung in der amtlichen Fassung, Berlin o. J. Gekürzte Wiedergabe in: Schultheß 1927, S. 489 ff.; Ursachen und Folgen, Bd. VI, Dok. Nr. 1291 (S. 205 ff.).

3

Bericht des Generalagenten für Reparationszahlungen vom 10.6.27, Berlin 1927.

4

Vgl. Köhler, Lebenserinnerungen, S. 244 f.

Der Reichsminister der Finanzen gab ferner davon Kenntnis, daß er auf Grund des vorliegenden Memorandums bereits am Nachmittage des 22. Oktober eine sehr eingehende Aussprache mit dem Reparationsagenten gehabt habe. In dieser Besprechung habe sich Gilbert insbesondere sehr über die Art und Weise ungehalten gezeigt, wie die deutsche Presse seinen Schritt gegenüber der Reichsregierung[1015] aufgefaßt und kritisiert habe. Darauf habe er ihm erwidert, daß die Reichsregierung den Presseerörterungen absolut fern stehe und daß diese nur die Folge einer Indiskretion seien, mit der die „New York Times“ zu einem Zeitpunkt den Anfang gemacht habe, als noch kein Mitglied der Reichsregierung im Besitz des Memorandums gewesen sei. Gilbert habe daraufhin erklärt, daß er eine solche öffentliche Erörterung der in dem Memorandum behandelten Gedankengänge nicht wünsche. Er habe sich auch in sehr scharfer Form gegen eine Veröffentlichung des Memorandums ausgesprochen. Mit Nachdruck habe er zu verstehen gegeben, daß er unter allen Umständen den Eindruck vermieden wissen wolle, als mische er sich öffentlich in eine Diskussion innerdeutscher Angelegenheiten. Er unterhalte lediglich Beziehungen zur Deutschen Regierung, und sein Meinungsaustausch mit ihr sei ein interner Vorgang, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei.

Die nachfolgende, sehr eingehende Aussprache des Reichskabinetts befaßte sich in erster Linie mit der Frage, ob und inwieweit der Öffentlichkeit mit Rücksicht auf die in der Presse des In- und Auslandes erhobenen diesbezüglichen dringenden Forderungen über den Inhalt des Memorandums Kenntnis zu geben sei.

Der Reichsminister der Finanzen sprach sich gegen jede Veröffentlichung aus, und zwar schon allein deshalb, weil der Reparationsagent sich energisch gegen die Veröffentlichung ausgesprochen habe.

Alle Reichsminister waren darüber einig, daß eine Veröffentlichung gegen den Willen von Parker Gilbert nicht erfolgen dürfe.

Der Reichsminister des Auswärtigen hielt es indes für unerläßlich, die Öffentlichkeit mindestens über den Inhalt des Memorandums zu unterrichten. Die Presse des Auslands habe in einer Form zu dem Schritt des Reparationsagenten Stellung genommen, die es für die Reichsregierung zur unbedingten Notwendigkeit mache, öffentlich Stellung zu nehmen, um die Weltmeinung aufzuklären. Es müsse dem Reparationsagenten klar gemacht werden, daß er sich zum mindesten mit einer Bekanntgabe einverstanden erklären müsse, daß eine etwaige Nichtveröffentlichung auf seinen ausdrücklichen Wunsch zurückzuführen sei.

Auch der Reichskanzler meinte, daß sich eine Veröffentlichung des Inhalts des Memorandums wohl nicht werde vermeiden lassen. Man werde dem Reparationsagenten sagen müssen, daß die Veröffentlichung einem Wunsche der Reichsregierung entspreche, und er möge daher seinen Einspruch nicht weiter verfolgen.

Der Reichsminister der Justiz wies auf die schwierige innerpolitische Lage hin, die durch eine Veröffentlichung des Inhalts des Memorandums unbedingt entstehen müsse. Es drohe die Gefahr überaus unerwünschten Wiederauflebens des Kampfes über den Dawes-Plan in der Öffentlichkeit. Damit werde auch die Person des Reparationsagenten, auf den wir angewiesen seien, in unerwünschter Weise gefährdet. Er widerriet daher der Veröffentlichung.

Der Reichsarbeitsminister meinte, daß die Veröffentlichung vielleicht doch das kleinere Übel sei, und daß man daher versuchen müsse, das Einverständnis des Reparationsagenten zu erreichen.

[1016] Der Reichswirtschaftsminister führte aus, daß angesichts der Behandlung des Schrittes des Reparationsagenten durch das Ausland eine Inhaltsveröffentlichung unbedingt geboten sei. Die Inhaltsveröffentlichung sei aber zu verbinden mit der deutschen Stellungnahme. Es müsse gewissermaßen eine Gegendenkschrift verfaßt werden, und zwar so beschleunigt wie nur irgend möglich. In ihr werde zum Ausdruck zu kommen haben, daß deutscherseits auf die Kritik des Reparationsagenten hin positive Schritte, z. B. auf dem Gebiet der Verwaltungsreform in die Wege geleitet seien. Ferner sei auf die Einrichtung der Beratungsstelle für Auslandsanleihen hinzuweisen sowie auf den inzwischen mit dem Reichsbankpräsidenten vereinbarten Plan über die Bewirtschaftung der öffentlichen Gelder der verschiedenen Zentralbehörden. Er stellte auch die Bestellung eines besonderen deutschen Gegenspielers für den Reparationsagenten erneut zur Diskussion.

Der Reichspostminister empfahl, die Öffentlichkeit möglichst beschleunigt über die Entstehungsgeschichte des Memorandums aufzuklären und meinte, daß man vor weiteren Beschlüssen über die Notwendigkeit einer Veröffentlichung des Memorandums zunächst noch einmal die weitere Entwicklung der Dinge in den nächsten Tagen abwarten solle.

Der Reichsminister der Finanzen führte nochmals aus, daß man wohl in der Annahme nicht fehl gehe, daß das Memorandum gewissermaßen das Vorkonzept des zu Ende November fällig werdenden Jahresberichts des Reparationsagenten sei. Es sei ein Widersinn, dieses Vorkonzept zu veröffentlichen, nachdem man es sich mit vieler Mühe doch nur zu dem Zweck verschafft habe, um den endgültigen Bericht nach Möglichkeit im deutschen Sinne zu beeinflussen. Er werde auch Veranlassung nehmen, die Presse am kommenden Tage zusammenzubitten, um sie, soweit nötig, über die in Frage kommenden Zusammenhänge zu informieren. Ferner habe er in Aussicht genommen, im Haushaltsausschuß am Mittwoch, den 26. Oktober in seiner Rede zur Begründung des neuen Besoldungsgesetzes einen umfassenden Überblick über die Finanzlage des Reiches zu geben5. Bei diesem Anlaß könne er auf das Schreiben Gilberts eingehen. Das Kabinett erklärte sich mit diesen Absichten einverstanden und beschloß, über die Kabinettsberatung die nachstehende Mitteilung an die Presse zu geben:

5

Siehe hierzu Dok. Nr. 327, P. 1.

„Das Reichskabinett beschäftigte sich in der gestrigen Sitzung mit der Prüfung des kürzlich dem Reichsfinanzministerium von dem Reparationsagenten übermittelten Memorandums. Zugleich nahm das Kabinett von den Darlegungen Kenntnis, welche der Reichsfinanzminister am 26. 10. im Hauptausschuß des Reichstags über die Finanzlage des Reiches machen wird.“6

6

In einer Besprechung am 25. 10. vormittags informierten der RK und der RFM führende Vertreter der Regierungsparteien (Graf Westarp, Scholz, Leicht, Brüning) über die Vorgeschichte und den Inhalt des Memorandums; die Vertreter der Regierungsparteien erklärten sich damit einverstanden, „daß von einer Veröffentlichung des Wortlauts oder einer eingehenden Inhaltsangabe des Memorandums einstweilen Abstand genommen werden könne“. In der anschließenden Besprechung mit Vertretern der Oppositionsparteien (Hilferding, Wels, Dittmann, Koch-Weser, Dietrich, Drewitz) verlangte Hilferding (SPD) „anfänglich mit Nachdruck die Veröffentlichung des Wortlauts des Memorandums. Er meinte, die Veröffentlichung sei das kleinere Übel gegenüber den Schwierigkeiten, die Deutschland sowohl innen- wie außenpolitisch erwachsen würden, wenn die Öffentlichkeit nicht vollste Klarheit über den Inhalt des Memorandums erhielte.“ Koch-Weser (DDP) „sprach sich im wesentlichen im gleichen Sinne aus. Er erklärte, die gegenwärtige Erregung in der Öffentlichkeit sei erklärlich. Die Öffentlichkeit müsse über die Vorgeschichte der Denkschrift informiert werden. Zudem sei eine öffentliche Diskussion des Inhalts der Denkschrift besser und ersprießlicher als eine nichtöffentliche Fortsetzung der Diskussion zwischen der Reichsregierung und dem Reparationsagenten.“ StS Popitz „stellte daraufhin nochmals klar, daß es sich bei dem Memorandum doch im wesentlichen um nichts anderes handele als um das Vorkonzept zu dem Ende November fällig werdenden neuen Jahresbericht des Reparationsagenten, daß Deutschland alles Interesse daran habe, den Reparationsagenten nicht schon jetzt durch eine Veröffentlichung auf sein Vorkonzept festzulegen, vielmehr daß das Bestreben der Reichsregierung dahin gerichtet sein müsse, zu versuchen, das Konzept vor seiner endgültigen Gestaltung in einem für uns günstigen Sinne zu beeinflussen.“ Die Vertreter der Opposition „erklärten sich darauf schließlich damit einverstanden, daß von einer Veröffentlichung einstweilen abzusehen sei und daß zunächst abgewartet werden könne, ob und inwieweit sich die Öffentlichkeit beruhigen werde, nachdem der Reichsminister der Finanzen die für den Nachmittag desselben Tages [25. 10.] in Aussicht stehende Besprechung mit der Presse und ferner seine für den 26. Oktober in Aussicht genommene große Rede über die Finanzlage des Reichs im Haushaltsausschuß des Reichstags hinter sich habe.“ (Vermerk Vogels’ vom 25.10.27 in R 43 I /276 , Bl. 115–116). Zum Fortgang der Kabinettsberatung über die Veröffentlichung des Memorandums des Reparationsagenten siehe Dok. Nr. 329.

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