2.158 (mu21p): Nr. 158 Empfang von Vertretern der Landwirtschaft beim Reichskanzler am 21. März 1929

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Nr. 158
Empfang von Vertretern der Landwirtschaft beim Reichskanzler am 21. März 19291

1

Der von MinDir. v. Hagenow angefertigte Vermerk trägt das Datum: 27. 3.

R 43 I /2541 , Bl. 354 f.

[Notlage der Landwirtschaft.]

Am 21. März sprachen beim Reichskanzler als Vertreter der Landwirtschaft die Herren Brandes, Schiele, Hermes und Fehr vor. Am Empfang nahmen außerdem teil der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sowie Ministerialdirektor Dr. von Hagenow.

Unter Bezugnahme auf die der Reichsregierung überreichte Denkschrift vom 20. März trug Präsident Dr. Brandes den Inhalt des Programms in kurzem vor und verwies dabei auf die im Lande herrschende sehr erregte Stimmung, die sich aus der großen Notlage der Landwirtschaft erkläre2. Die wirtschaftliche Notlage der Landwirtschaft sei aufs höchste gestiegen, zumal die[505] Betriebsverluste trotz größter Einschränkungen aller Ausgaben für die persönliche Lebenshaltung sowie trotz aller Selbsthilfeversuche andauere. Die Gesamtverschuldung der Landwirtschaft sei fortgesetzt im Steigen begriffen und überschreite im einzelnen das Höchstmaß der Tragfähigkeit.

2

Diese zehnseitige Denkschrift vom 19. 3. war dem RK am 20. 3. zugesandt worden (R 43 I /2541 , Bl. 337-347). In dem landwirtschaftlichen Programm waren finanzielle Verbesserungen, Lösung von der Versorgung mit Nahrungsmitteln aus dem Ausland und Zollschutz zur Überwindung der Agrarkrise gefordert worden. Außerdem hatte die Landwirtschaft in der Steuer-, Kredit- und Siedlungspolitik sowie in der Tarifpolitik Unterstützung verlangt.

Der Reichskanzler verwies in seiner Erwiderung auf das Ergebnis der Beratungen im Ministerrat, der gestern – 20. März – unter dem Vorsitz des Herrn Reichspräsidenten getagt habe2a. Wenn auch dieser Ministerrat sich in erster Linie mit der Notlage in Ostpreußen befaßt habe, so seien doch in der Aussprache die allgemeinen Fragen gestreift worden. Bei Prüfung der Frage, welche Mittel zur Beseitigung der Notlage notwendig seien, spielten die abgeschlossenen Handelsverträge, insbesondere die bestehenden Schweinezölle, eine große Rolle. Im übrigen sei eine Reichsregelung vorgesehen, welche für eine einheitliche Handhabung der Seuchenpolizei in den Seegrenzschlachthöfen Sorge tragen soll3. Hinsichtlich der Getreidepreise seien ja in der Denkschrift neue Wege gewiesen, die letzten Endes auf ein Monopol hinausliefen4.

2a

Siehe Dok. Nr. 157

3

Auch in der Denkschrift war ein einheitlicher Seuchenschutz gefordert und die Erhöhung der Fleischzölle auf einen autonomen Satz von 45 Mark verlangt worden. Zur Regelung der Einfuhr sollten die Auffangorganisationen ausgebaut werden (R 43 I /2541 , Bl. 338-347, hier: Bl. 343).

4

Die Landwirtschaft hatte in der Denkschrift einen Reichsgetreiderat vorgeschlagen, dessen Aufgaben die Bestimmung des Grundpreises für eingeführtes Getreide und Anordnungen zur Vermahlung inländischen Getreides sein sollten. Ihm hatten nach Vorstellung der Landwirtschaft Vertreter der Verbraucher und der Erzeuger anzugehören (R 43 I /2541 , Bl. 338-347, hier: Bl. 341).

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft ergänzte die Ausführungen des Reichskanzlers. Er betonte, daß die einschlägigen Fragen soeben bei ihm eingehend erörtert worden seien. Um die Vieh- und Fleischpreise zu bessern, habe die Reichsregierung eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, z. B. die Angleichung der Rindviehzölle an die Fleischzölle, die Aussperrung des bisher noch zugelassenen Büchsenfleisches sowie die Erhöhung des Schmalzzolles. Die Organisation der Milch- und Molkereiwirtschaft sei in vollem Gange. Das geforderte Milchgesetz sei vor einigen Tagen den Landesregierungen und Interessenten zur Stellungnahme zugeleitet5. Hauptaufgabe werde es sein, die Getreidefrage sofort nach Ostern einer Klärung zuzuführen. Hierbei werde von entscheidender Bedeutung sein, was politisch möglich und tragbar sei.

5

In der Denkschrift war ein Milchgesetz gefordert worden, durch das Produktion und Absatz gefördert würden (R 43 I /2541 , Bl. 338-347, hier: Bl. 343f).

Präsident Brandes betonte, daß die Regulierung der Getreidepreise die Hauptsache sei. Da das Geschäftsrisiko für die Landwirte zur Zeit zu groß sei, sei es erforderlich, stabile Preise zu schaffen. Die gegenwärtigen Verhältnisse erklärten sich daraus, daß das bestehende Risiko zur Zeit eingerechnet werden müsse.

Reichsminister a. D. Schiele unterstrich die Ausführungen des Vorredners und bemerkte, daß entscheidend sei das Tempo, das bei Lösung der Fragen angewandt würde. Es sei Hauptaufgabe der Regierung, die draußen rollende Welle aufzufangen. Die Getreidefrage müsse schnellstens geregelt werden. Außerdem müßten die bestehenden Zwischenzölle alsbald beseitigt werden. Wenn letzteres auch nur eine kleine Hilfe auf dem Gebiete der Getreidefrage darstelle, so sei es doch stimmungsmäßig von großer Bedeutung.

[506] Minister Fehr schlug vor, die Freiliste 1 b aufzuheben, um die bevorzugte Behandlung ausländischer Agrarerzeugnisse bei der Umsatzsteuer zu beseitigen6.

6

Siehe die Ausführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz im RGBl. 1926 I, S. 339 .

Reichsernährungsminister Dietrich betonte, daß die vom Minister Fehr angeschnittene Frage bereits eingehend im Kabinett besprochen sei und er die Beseitigung gefordert habe. Leider sei er im Kabinett mit seiner Auffassung nicht durchgedrungen.

Reichsminister a. D. Schiele wies noch einmal auf die sofortige Getreideregulierung als den wichtigsten Faktor des Programms hin, bat um Beiseitigung der Zwischenzölle und regte auf dem Gebiete der Milch- und Molkereiwirtschaft die Durchführung der beabsichtigten Organisation an. In der Kartoffelzollfrage sei es notwendig, den zur Zeit bestehenden Termin vom 31. Juli auf den 10. September zu verlegen7. Auch in der Zuckerfrage müsse eine entscheidende Regelung getroffen werden8.

7

Die Landwirtschaft hatte in der Denkschrift vom 19. 3. verlangt, dem inländischen Kartoffelanbau verstärkten Zollschutz zu gewähren und den Termin für Frühkartoffelzoll bis zum 10. September auszudehnen (R 43 I /2541 , Bl. 338-347, hier: Bl. 344).

8

Durch Erhöhung des inländischen Zuckerpreises von 21,– auf 23,– RM sollte der davon abhängige Zuckerzoll erhöht werden (R 43 I /2541 , Bl. 338-347, hier: Bl. 344).

Demgegenüber betonte der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft daß in der Zuckerfrage keine Eile geboten sei.

Reichsminister Schiele bemerkte demgegenüber, daß auch in der Zuckerfrage Eile notwendig sei, da die Abschlüsse frühzeitig getätigt würden, und führte weiter aus, daß die von der Regierung zu ergreifenden Maßnahmen schleunigst in die Wege geleitet werden müßten, um im Interesse der Beruhigung eine gewisse psychologische Einwirkung zu erzielen.

Präsident Brandes legte noch dar, daß die Not der Landwirtschaft sich auch zu einer Handwerkernot entwickelt habe, da in den landwirtschaftlichen Kreisen und Städten die Handwerker mit der Landwirtschaft eng verbunden seien.

Der Reichskanzler stellte in seinen Schlußworten sofortige Überprüfung der Anregungen in Aussicht und bemerkte, daß das Reichskabinett sich bereits wiederholt mit den einzelnen Fragen befaßt habe. Zur Zeit gelte es, wie es sich ja auch aus der Denkschrift ergebe, neue Wege zu finden, um die Not der Landwirtschaft zu beheben.

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