2.159 (mu21p): Nr. 159 Vermerk Staatssekretär Pünders über ein Gespräch mit Zentrumspolitikern betr. Finanz- und Koalitionsfragen. 22. März 1929

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[507] Nr. 159
Vermerk Staatssekretär Pünders über ein Gespräch mit Zentrumspolitikern betr. Finanz- und Koalitionsfragen. 22. März 19291

1

Pünder hatte den Vermerk für den RK angefertigt und handschriftlich hinzugefügt: „Ein Nebenabdruck für Herrn Minister Hilferding liegt für alle Fälle bei.“

Nachlaß Pünder 36

Im Zusammenhang mit der kurzen Besprechung mit Abgeordneten Esser gestern morgen anläßlich des Ältestenrats hatte ich mich auf Wunsch des Prälaten Kaas gestern abend zu einer kurzen vertraulichen Aussprache im Reichstage zur Verfügung gestellt, an der außer ihm noch die Abgeordneten Stegerwald, Esser und Brüning teilnahmen. Unmittelbar vorher hatte der zehnköpfige geschäftsführende Vorstand der Zentrumsfraktion im Reichstag getagt. Mir wurde erklärt, daß das Zentrum die Absicht des Herrn Reichskanzlers, den technischen Fortgang der weiteren politischen Besprechungen mit den Wünschen des Zentrums abzustimmen, dankbar begrüße. Sie seien aber der Auffassung, daß diese Verhandlungen nicht überstürzt werden dürfen. Sie bäten auch, die Rede des Abgeordneten Dr. Brüning nicht anders auszulegen2. Zunächst sei es erforderlich, daß die im Gange befindlichen Streichungsbesprechungen zu Ende geführt würden3. Da die einzelnen Fraktionen naturgemäß noch mit einem gewissen Mißtrauen sich gegenüberstünden, wäre mit einem ganz schnellen Ablauf dieser Besprechungen nicht zu rechnen. Erst wenn man unter sich über die Streichungsmöglichkeiten klar sehe, wäre Raum für die steuerpolitischen und sodann die koalitionspolitischen Besprechungen. Die Herren versprachen mir, sie würden durch Herrn Stegerwald oder einen der anderen anwesenden Herren mitteilen, wann die weiteren Besprechungen in Gang gebracht werden könnten.

2

In seiner Rede zum Reichshaushalt hatte Brüning, nachdem er Bedenken gegen Steuererhöhungen vorgebracht und u. a. Streichungen im Haushalt des AA und des RWeMin. vorgeschlagen, aber bei den Sozialleistungen abgelehnt hatte, erklärt: „Eine Mitarbeit in dem Sinne, wie wir sie gelegentlich aus der Presse oder aus Äußerungen anderer Parteien und maßgebender Persönlichkeiten heraushören zu müssen geglaubt haben, eine Mitarbeit in dem Sinne, daß wir gut genug sind, etwa Agitationsanträge von Parteien, die in der Regierung durch ihre Minister noch vertreten sind, abzulehnen, um überhaupt eine vernünftige Finanzpolitik erst zu ermöglichen, müssen wir ablehnen. Es ist ein entscheidender Gesichtspunkt für die gesamtpolitische Lage, auch für den Herrn RK, daß wenn man weiterhin ohne eine ganz klare und definitive Politik gerade in bezug auf die Etatsgebahrung mit dem Ziele einer festen Mehrheitsbildung die Dinge einfach weiterlaufen läßt und wir mit der Etatsberatung im Hauptausschuß beginnen, ohne daß über die elementarsten Fragen der Streichungen und der Deckung Klarheit – selbstverständlich nur zwischen den Regierungsparteien – vorhanden ist, wir heute schon den Herrn RK darauf aufmerksam machen, daß wir es ablehnen werden, wenn der Karren einmal völlig verfahren ist, dann noch irgendeinen Sukkurs aus einem Verantwortlichkeitsgefühl, das bis zum äußersten überspannt wird, zu leisten“ (RT-Bd. 424, S. 1435 , Sitzung am 14.3.29).

3

Vgl. hierzu Dok. Nr. 155, P. 3.

In diesem Zusammenhang wurde auch die Tagesordnung des Haushaltsausschusses besprochen. Die Herren erklärten, daß es voraussichtlich wenig[508] günstig sein werde, diese Beratungen bereits am 10. 4. beginnen zu lassen. Ich erklärte, daß der Reichskanzler auch gar nicht auf den baldigen Beginn dieser Besprechungen gedrängt habe, daß aber der Haushaltsausschuß selber diesen Beschluß gefaßt habe; man suche sich eben damit zu helfen, daß man zunächst mit mehr oder weniger unpolitischen Etats beginnen werde. Die Herren erwiderten aber darauf, es sei kaum zu vermeiden, daß bei den Beratungen des Haushaltsausschusses eine allgemeine finanzpolitische Debatte einsetzen würde. Eine solche Debatte wäre aber sehr ungünstig, falls bis dahin die Streichungskommission noch nicht zu einer Einigung gekommen sei. Man müsse also eventuell unter starker Initiative der Reichsregierung zu veranlassen suchen, daß auch der Haushaltsausschuß nicht vor dem Plenum zusammentrete4. Wäre man sich erst in der Streichungskommission einig, würden zweifellos die offiziellen Beratungen des Haushaltsausschusses sehr gefördert.

4

Während das Plenum am 22. 4. zusammentrat, tagte der Haushaltsausschuß bereits am 15. 4.

Aus vorstehenden Besprechungen, wie namentlich auch aus einem Gespräch, das ich hinterher unter vier Augen noch mit Prälat Kaas hatte, wurde ich in meiner bisherigen Auffassung nur noch erneut bestärkt, daß das Zentrum – wenigstens in seinen offiziellen und maßgeblichen Organen – absolut auf die Schaffung der Großen Koalition hinaus will. Herr Prälat Kaas erklärte mir in Ergänzung hierzu noch ausdrücklich, daß er eine Weimarer Koalition, auch wenn die Bayern ihr angehören würden, unter keinen Umständen mitmache.

Pünder

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