1.139.1 (mu22p): [Kassenkredit.]

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[Kassenkredit.]

Der Reichskanzler erstattete den Parteiführern den gleichen Bericht zur Lage, den er dem Reichskabinett in den vorhergehenden Ministerbesprechungen um 10 Uhr vormittags und 1.15 Uhr nachmittags vorgetragen hatte, und legte den vom Reichskabinett gebilligten Entwurf eines Gesetzes zur außerordentlichen Tilgung der schwebenden Reichsschuld vor1. Er bat die Parteiführer um Äußerung und bemerkte, daß Dr. Schacht zugesagt habe, daß er unverzüglich nach Unterzeichnung des Antrages durch die Koalitionsparteien seine Bemühungen um das Zustandekommen der erforderlichen Reichsanleihe beginnen werde, daß Dr. Schacht auch mit Bestimmtheit annehme, daß die Reichsanleihe alsdann gesichert sein werde. Die Angelegenheit müsse aber spätestens bis zum Abend in Ordnung kommen, da sonst schon aus technischen Gründen die erforderlichen Geldmittel nicht mehr rechtzeitig beschafft werden könnten.

1

Siehe Dok. Nr. 394.

Der Reichsminister der Finanzen habe bereits am 18. d. Mts. den Länderregierungen schriftlich mitteilen müssen, daß ihnen die Überweisungen heute nur zur Hälfte überschrieben werden könnten und daß die Zahlungen am 27. d. Mts. eingestellt werden müßten, falls bis dahin eine Behebung der Schwierigkeiten nicht erfolgt sei. Es sei zu befürchten, daß die Ländervertreter diese Angelegenheit bereits in der auf 5 Uhr nachmittags anberaumten Plenarsitzung des Reichsrats öffentlich zur Sprache bringen würden.

Die Parteiführer stellten übereinstimmend die Frage, welche Sicherheit dafür bestehe, daß Dr. Schacht nach Unterzeichnung des Initiativantrages nicht mit weiteren Auflagen komme sowie dafür, daß alsdann der Ultimo-Termin auch wirklich überstanden werde.

Der Reichskanzler erwiderte, daß der Gesetzentwurf in der vorliegenden Form dem Reichsbankpräsidenten fernmündlich mitgeteilt worden sei, und daß dieser sich mündlich mit ihm einverstanden erklärt habe. ‹Die Einzelheiten dieser Besprechung trug Staatssekretär Dr. Pünder vor, der letztere mit Präsident Schacht geführt hatte›2.

2

Vom StSRkei handschriftlich eingefügt.

[1293] Der Abgeordnete Esser erklärte, den Fraktionen seien in den letzten Tagen so ungeheuere Auflagen gemacht worden, daß den Parteiführern nicht zugemutet werden könne, vor ihre Fraktionen zu treten, ohne ganz bündige Zusicherungen des Reichsbankpräsidenten vorweisen zu können. Er beantragte daher, daß unverzüglich noch einmal mit dem Reichsbankpräsidenten gesprochen werde, um ihn dahin festzulegen, daß er nach Unterzeichnung des Antrages durch die Parteien weitere Auflagen nicht machen werde und daß er sich dafür verbürge, daß die Anleihe zustandekomme.

Der Abgeordnete Zapf betonte ganz besonders, daß absolute Sicherheit dafür vorhanden sein müsse, daß von Seiten des Reichsbankpräsidenten keine neuen Bedingungen für seine Mitwirkung gestellt würden. Er sähe ohnehin schon recht große Schwierigkeiten in seiner Fraktion voraus, um zur Annahme des vorliegenden Ultimatums zu kommen. Alle Parteien des Reichstags stünden im Augenblick vor einem nie dagewesenen Zwang. Das Reichsfinanzministerium habe die Dinge nicht früh genug richtig erkannt. Es handele sich weniger um politische Fehler als um technische Fehler. Seine Fraktion werde fragen, welche Sicherheit dafür bestehe, daß sich Dinge, wie sie sich jetzt abwickelten, nicht wiederholten.

Der Abgeordnete Leicht schloß sich diesen Ausführungen an und sagte, daß es auch für die Entscheidung seiner Fraktion sehr wesentlich darauf ankomme, daß sich nach dem 1. Januar nicht noch einmal überraschend Kassenschwierigkeiten einstellten.

Der Reichsminister der Finanzen erwiderte, daß sich im ersten Halbjahr 1930 voraussichtlich Kassenüberschüsse ergeben würden; insbesondere sei der Monat Januar ein starker Steuermonat. Wenn das Schuldentilgungsgesetz angenommen werde, werde das gesamte Kassendefizit im Jahre 1930 ziemlich restlos abgedeckt sein.

Der Reichskanzler erklärte, daß er nochmals mit dem Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht sprechen wolle, und daß er das Ergebnis dieser Besprechung den Fraktionsführern alsbald mitteilen werde.

Die Aussprache wurde daraufhin geschlossen.

Anwesend um 17 Uhr: von der RReg.: Müller, Severing, Hilferding, Stegerwald, Wirth; StS Pünder, Popitz; MinDir. v. Hagenow; von den Parteien: für die SPD: Breitscheid, Wels, Dittmann, Hertz; für das Zentrum: Brüning, Esser; für die DVP: Zapf; für die DDP: Haas; für die BVP: Leicht; ferner RbkPräs. Schacht, RbkVizePräs. Dreyse; Protokoll: MinR Vogels.

Nach einleitenden Worten des Reichskanzlers erklärte der Reichsbankpräsident Dr. Schacht, daß er den Parteiführern ihrem Wunsche entsprechend die bündige Erklärung abgeben könne, daß er, wenn der vorliegende Entwurf eines Schuldentilgungsgesetzes noch vor Weihnachten erledigt werde, für Deckung des Ultimobedarfs der Reichskasse sorgen werde und er auch glaube, daß es der Reichsbank möglich sein werde, das Geld rechtzeitig zu beschaffen. Die Reichsbank werde ihr ganzes Renommee einsetzen, um ans Ziel zu gelangen. Er werde am Vormittag des kommenden Tages mit einem kleinen deutschen[1294] Bankenkonsortium die Verhandlungen aufnehmen. Er habe nur noch die Bitte an das Reichsfinanzministerium, daß ihm zuvor eine Liste der Fälligkeiten vorgelegt werde, weil es für ihn wesentlich sei, die Art der Fälligkeiten kennen zu lernen, und weil er sich je nach der Art der Fälligkeiten ein Bild davon machen müsse, in welchem Ausmaß der Inlandsmarkt für die Deckung herangezogen werden könne, und in wie weit es nötig sein werde, auf Auslandsgeld zurückzugreifen. Wegen der Heranziehung ausländischen Kapitals müsse er im übrigen noch mit dem Reparationsagenten sprechen. Schwierigkeiten von Seiten des Reparationsagenten seien nicht zu befürchten.

Die Abgeordneten Brüning, Haas und Leicht erklärten, den vorliegenden Gesetzentwurf sofort unterzeichnen zu können.

Die Abgeordneten Breitscheid und Zapf erklärten, zunächst mit ihren Fraktionen sprechen zu müssen, die bereits versammelt seien. Sie behielten sich die Unterzeichnung des Antrages für die Zeit nach der Aussprache mit den Fraktionen vor3.

3

Beide Parteien unterzeichneten eine halbe Stunde später (Tagebucheintragung Pünders vom 20.12.29; Politik in der Rkei, S. 36). Das Gesetz wurde im RT am 21. und 22. 12. behandelt (RT-Bd. 426, S. 3777  ff. und 3812 ff.) und mit 244 gegen 132 Stimmen bei vier Enthaltungen angenommen (a.a.O., S. 3818); die Veröffentlichung erfolgte im RGBl. II, S. 757 .

Die Sitzung wurde daraufhin geschlossen.

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