1.204.1 (mu22p): 1. Außerhalb der Tagesordnung: Telegramm des Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht an Owen Young.

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Kabinett Müller II. Band 2 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

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1. Außerhalb der Tagesordnung: Telegramm des Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht an Owen Young.

Nach der Eröffnung der Sitzung trug der Reichsminister der Finanzen vor, daß der Reichsbankpräsident Dr. Schacht ein Telegramm an Owen Young gerichtet habe, in dem er ihm die Verschlechterung des Young-Plans, insbesondere durch die Sanktionsbestimmungen, darlegt1. Herr Reichsbankpräsident Dr. Schacht habe ihm von dem Inhalt des Telegramms Kenntnis zukommen[1526] lassen2. Der Reichsminister des Auswärtigen habe sich bereits an den Botschafter in Amerika gewandt und diesen beauftragt, Owen Young gegenüber die Sachlage richtig zu stellen und Aufklärung zu geben3. Er, der Reichsminister der Finanzen, habe inzwischen an den Reichsbankpräsidenten Dr. Schacht einen Brief geschrieben und in diesem sein Erstaunen über das Vorgehen zum Ausdruck gebracht4.

1

Schachts Telegramm an Young war durch zwei Telegramme des dt. Botschafters v. Prittwitz bekannt geworden (Telegramm Nr. 90 und 91 vom 26.2.30; R 43 I /671 , Bl. 216, 218 f., hier: Bl. 216, 218 f.). Young hatte v. Prittwitz den Text in Abschrift übergeben und sich „sehr enttäuscht über den Inhalt geäußert“ (Telegramm Nr. 90; a.a.O.).

2

Schacht teilte dem RFM auf dessen Wunsch am 3.3.30 den Text seines Telegramms in dt. Übersetzung mit: „Da ich unter dem Eindruck bin, daß Sie mit der Verschlechterung des Young-Planes nicht völlig vertraut sind, so möchte ich kurz folgendes ausführen: 1. 400 Millionen Reichsmark overlapping surplus sind Deutschland fortgenommen worden. 2. Die Ultimo-Zahlungen der Annuitäten sind auf den Medio verlegt. 3. Die Liquidation der Vergangenheit, deren Vornahme das Komitee im Geiste gegenseitiger Zugeständnisse empfahl, ist ausschließlich zugunsten der Gläubiger erledigt worden. 4. Das noch nicht definitiv liquidierte bzw. disponierte beschlagnahmte deutsche Eigentum ist im strikten Widerspruch zu 144 des Planes einbehalten worden. 5. Deutschland mußte zugestehen, nach zwei Jahren Moratorium im dritten Jahre die doppelte Annuität zu zahlen, eine Vereinbarung, die Reynolds bereits im Haag als lächerlich bezeichnete. 6. Entgegen Artikel 18 des Baden-Badener Treuhandvertrages werden die Treuhandleistungen nicht durch eine Barprovision abgegolten, sondern durch ein zinsloses Depositum, und es bleibt der Bank überlassen, darauf Zinsen zu verdienen. Man bezweckte hierdurch, das deutsche Depositum unter 47 annex I des Planes künstlich zu erhöhen, was natürlich die deutsche Finanzlage schwächt. 7. Der Plan basiert auf gegenseitigem Vertrauen, wie in 168 des Planes ausgeführt. Antagonismus und sogar jeder Argwohn würden die endgültige Reparationslösung hindern. Stattdessen hat Deutschland den Verdacht der Alliierten zulassen müssen, daß es gewillt sei, den Plan nicht auszuführen. So finden nicht nur die wirtschaftlichen Diskriminationen ihre Fortsetzung, sondern moralische und politische Diskriminationen werden neu hinzugefügt. 8. Im strikten Gegensatz zu 101 und 102 des Planes sind neue Sanktions-Abreden im Haager Protokoll getroffen worden. 9. Diese Sanktionen machen die sogenannte Revisionsklausel 119 des Planes völlig wertlos und zerstören damit die Hauptbedingung, unter der wir die Young-Zahlen in Paris annahmen. – Da ich aus verschiedenen Anzeichen entnehme, daß Sie und Ihre Freunde sich über die vorgenannten wesentlichen Änderungen des Planes im Unklaren befinden, habe ich es für meine Pflicht gehalten, Sie zu informieren, damit Sie meine Haltung verstehen, die jetzt und für alle Zukunft strikt gegen das Haager Protokoll gerichtet ist, für welches ich jede Verantwortung ablehne. Sie können von dieser Erklärung jeden Gebrauch machen. Gruß“ (BA: R 2 /3542 , Bl. 25, hier: Bl. 25).

3

In seinem Telegramm an v. Prittwitz teilte Curtius mit, daß er das Telegramm Schachts erst durch den Bericht Youngs kennengelernt habe. Prittwitz wurde aufgefordert, Young über die Einstellung der RReg. zu unterrichten. „Ich bitte Sie aber, sich dabei nicht auf einen speziellen Auftrag, sondern auf die Ihnen zugegangenen allgemeinen Informationen über das Haager Ergebnis zu berufen.“ Zu den Ziffern 1–3 sollte der Botschafter erklären, daß die Deutsche Regierung nicht erreicht habe, was sie wünschte. Da aber unter den Sachverständigen keine Einigung in diesen Fragen erzielt worden sei, sei die Position der Regierung „gegenüber der geschlossenen Haltung der Gläubigerregierungen natürlich eine sehr schwache“ gewesen. Ziffer 4 sei eine unberechtigte Übertreibung Schachts. Bei Ziffer 5 sei ein Widerspruch zwischen dem Wortlaut des Sachverständigenberichts und den Absichten der Sachverständigen „evident geworden“. Diese Differenz werde „später einmal“ vor dem Auslegungsschiedsgericht ausgetragen werden müssen. Zu Ziffer 6 bemerkte Curtius, daß die Gläubigerregierungen die neue Regelung aus Zweckmäßigkeitsgründen vorgeschlagen hätten, wodurch das dt. Depot allerdings größer werde. „Zu 7–8. Durch das Haager Abkommen sind die Sanktionsbestimmungen des Vertrags von Versailles und der Dawesverträge von 1924 beseitigt. Die neue Regelung des sogenannten äußersten Falles ist nicht eine Vereinbarung neuer Sanktionen, sondern eine Feststellung dessen, was nach Völkerrecht ohnehin rechtens ist. – Es ist auf das tiefste zu bedauern, daß Herr Schacht sich aus einer veränderten politischen Einstellung heraus, die falsche und gleichfalls nur auf politischen Motiven beruhende Behauptung der äußersten Opposition zu eigen macht, daß Sanktionen im Sinne der früheren Verträge noch weiter bestehen, eine Behauptung, die selbst von der Französischen Regierung nicht vertreten wird“ (BA: undatiert; R 2 /3542 , Bl. 21-24, hier: Bl. 21-24).

4

Moldenhauer bedauerte gegenüber Schacht, daß er zu dessem beabsichtigten Schritt nicht vorher habe Stellung nehmen können. „Die von Ihnen gegebene Darstellung einzelner Bestimmungen des Haager Protokolls enthält z. T. Auslegungen ihrer Tragweite, die der von deutscher Seite vertretenen in entscheidenden Punkten widerspricht. Da die Gefahr besteht, daß die Meinungsäußerung, die von der Stelle des Deutschen RbkPräs. ausgeht, in späterer Zeit der Deutschen RReg. von der Gläubigerseite im Kampfe um die Auslegung unseres Rechts gegenübergestellt werden könnte, [gestrichen: ‚wäre die Fühlungnahme mit den politisch verantwortlichen Instanzen in dieser Angelegenheit m. E. sachdienlich gewesen.‘ Stattdessen handschriftlich:] hätte ich bei vorheriger Kenntnis Ihres Schrittes die [!] Aufnahme wesentlicher Teile des Telegrammes entschieden widerraten“ (von Moldenhauer paraphierter Entwurf vom 3. 3.; BA: R 2 /3542 , Bl. 26, hier: Bl. 26).

[1527] Das Reichskabinett nahm hiervon Kenntnis und billigte die Haltung des Reichsministers der Finanzen.

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