1.211.4 (mu22p): 4. Sofortmaßnahmen für die Landwirtschaft.

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4. Sofortmaßnahmen für die Landwirtschaft.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft trug den wesentlichen Inhalt seiner Kabinettsvorlage vor4. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand die Roggenpreisfrage. Die Stützung durch die Aufkäufe aus amtlichen Mitteln könne nicht im gleichen Maße wie bisher fortgeführt werden, da die Mittel erschöpft seien und der Erfolg von Versuchen, weitere Darlehen bei den Banken zu erhalten, fraglich sei. Insgesamt seien die 28 Millionen der Reichsgetreidestelle, 30 Millionen Lombarddarlehen der Banken und 9 Millionen der Scheuergruppe zum Aufkauf von Roggen verwendet worden. Dadurch sei es möglich gewesen, den Preis auf etwa 164 M zu halten, während der Weltmarktpreis außerordentlich stark gefallen sei. Ohne die Stützung wäre der Roggenpreis voraussichtlich auf etwa 120 M hinabgegangen. Er sei am 7. März auf 150 M gefallen.

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Die Vorlage gründete sich auf die Besprechungen mit Vertretern der Landwirtschaft am 28. 2. und 5. 3. (Dok. Nr. 456, 463 u. 464). Der REM wies in ihr auf die steigende Verschuldung der Landwirtschaft und das Mißverhältnis der landwirtschaftlichen Preise zu den Betriebsmitteln und Konsumgütern hin: „Das fortschreitende Abgleiten der Preise trifft die landwirtschaftlichen Betriebe zu einer Zeit, wo sie durch die ungünstigen Betriebsergebnisse der letzten Jahre in Verbindung mit einer steigenden Zins- und drückenden Steuerlast weitgehend geschwächt sind, und bedroht damit die Grundlage der landwirtschaftlichen Gütererzeugung“ (7.3.30; R 43 I /2542 , Bl. 263-291, hier: Bl. 263-291).

Bei der ungünstigen Entwicklung des Weltmarktes auch für Futtergetreide müsse versucht werden, den Roggenpreis sowohl von der Seite des Weizens wie von der der Futtermittel in die Höhe zu bringen5. Dazu sei neben einer Erhöhung des beweglichen Roggenzolles auch eine Heraufsetzung des Weizenzolles[1547] sowie die Schaffung eines gleitenden Zolles für Gerste und ein Maismonopol erforderlich. Auch für Roggenkleie müsse ein Zoll geschaffen werden, der auf die Hälfte des Materialzolles zu bemessen sei.

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Der Getreideüberfluß veranlasse die Erzeugerländer, das „geerntete Getreide mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln abzusetzen“, berichtete der REM in seiner Vorlage, mit der er einen GesEntw. über die Beimahlung von Roggen zum Weizen, den Entw. eines Maisgesetzes und einen GesEntw. über Zolländerungen einbrachte (7. 3.; R 43 I /2542 , Bl. 263-291, hier: Bl. 263-291).

Die Roggenfrage nach dem Plan Caro zu lösen, sei nicht durchführbar. Die Herstellung von Krankengebäck, Kuchen, Teigwaren und die Verwendung im Haushalt sei bei der starken Beimahlung von Roggen nicht mehr möglich. Die Ausnahmen würden so zahlreich sein, daß sie die Durchführung der Bestimmungen gefährden würden. Besonders im Westen und Süden des Reiches, wo reines Weizenbrot üblich sei, würden die Verstimmung und der Widerstand sehr erheblich sein. Es käme hinzu, daß eine Überwachung der 30 000 Mühlen praktisch nicht durchführbar wäre.

Deswegen solle die Regierung ermächtigt werden, eine Beimahlung von Roggen bis zu 20% bestimmen zu können6. Die Bedenken wie gegen die stärkere Beimahlung würden dabei im wesentlichen nicht vorliegen.

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Da die Bevölkerung jährlich 4 bis 4½ Mio t Weizen verbrauche, erwartete der REM – nach seiner Vorlage – einen Mehrverbrauch an Roggen durch die Beimahlung von 800 000 bis 900 000 t (R 43 I /2542 , Bl. 263-291, hier: Bl. 263-291).

Ohne durchgreifende Roggenpreissanierung könne der Osten nicht gehalten werden. Das Angebot an Gütern dort sei übergroß, die Verschuldung äußerst weitgehend.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft sprach sich dann noch für die Erhöhung des Zuckerzolles aus. Der Inlandspreis sei unter dem Richtpreis geblieben. Das Ausland verkaufe Zucker jetzt zu 5 M für den Zentner7.

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Da insbesondere von der Tschechoslowakei her ein steigender Zuckerimport befürchtet wurde, verlangte der REM eine Steigerung des Zuckerzolls von 25 auf 27 RM (R 43 I /2542 , Bl. 263-291, hier: Bl. 263-291).

Die Forderungen der Grünen Front, Herstellung der Relation zwischen den Zöllen für lebende Schweine und dem Fleischzoll mache er sich nicht zu eigen, auch nicht die Forderung einer Erhöhung des Eierpreises, obwohl die Auslandskonkurrenz bedrohlich sei.

In der Gefrierfleischfrage wolle er auf seinen alten Plan zurückkommen, das Gefrierfleisch durch Frischfleisch aus Dänemark zu ersetzen.

Weiter schlage er vor, den Zoll für Kartoffeln in der Zeit vom 15. Februar bis 1. April von 4 M auf 20 M zu erhöhen, um die Einfuhr von Maltakartoffeln, die sehr stark zunehme, einzuschränken und zu verteuern.

Der Reichskanzler wies auf die Schwere der Entscheidungen hin, die in der Agrarfrage zu treffen seien. Er fürchtete Schwierigkeiten auch innerhalb der Regierungsparteien.

Hinsichtlich der Durchführung des Caro-Planes teilte er die Bedenken des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft. Die Masse der Bevölkerung werde vom Genuß des Weizenbrotes ausgeschlossen, während es den begüterten Kreisen immer möglich sein würde, durch ärztliche Atteste Weizenbrot zu erhalten.

Kalinsky, der sich eingehend mit diesen Fragen beschäftigt habe, habe ihm die italienische Methode empfohlen, privater Zusammenschluß der Importeure, Kontrolle der Einfuhr durch ein Bankenkomitee, das den Akzept von[1548] Wechseln ablehne, sobald die Einfuhr ein mit der Regierung vereinbartes Maß überschritten habe.

Auch die Einführung einer festen Gebühr für jeden Zentner Weizen, der zur Vermahlung komme, würde insbesondere im Westen und Südwesten stark verbittern, weil dort der Genuß von Weizenbrot üblich sei.

Der Reichskanzler sprach sich für die Einführung eines Maismonopols aus, zumal dadurch die Länder beim Einkauf begünstigt werden könnten, die Deutschland seine Waren abkaufen. Auch dem gleitenden Zoll für Gerste stimmte er grundsätzlich zu, dagegen äußerte er Bedenken hinsichtlich einer Erhöhung der Weizenzölle, da die Zollheraufsetzungen bisher keine Wirkung gehabt hätten. Zunächst solle versucht werden, dem Roggen über Gerste und Mais zu helfen; nötigenfalls müsse auch die Weizeneinfuhr in ein Monopol zusammengefaßt werden, um einen günstigen Dauerzustand zu schaffen.

Das Kabinett könne sich noch nicht auf sämtliche Vorschläge des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft festlegen, wohl aber ihn ermächtigen, mit den Regierungsparteien darüber zu verhandeln.

Ministerialdirektor Ritter hielt ebenfalls für geboten, die endgültige Entscheidung um 1–2 Tage hinauszuschieben, damit die Wirkung der Vorschläge auf die geltenden Handelsverträge geprüft werden könne. Auch die Genfer Delegation8 müsse von den Absichten des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft unterrichtet werden, damit sie nicht bei den Verhandlungen über den Zollfrieden Bindungen eingehe, die den Absichten der Regierung widersprächen.

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Gemeint sind die dt. Vertreter bei der Weltwirtschaftskonferenz.

Der Reichswirtschaftsminister bezweifelte, ob die Vorschläge im Reichstag durchzusetzen seien. Eine Zollheraufsetzung für Weizen sei schon deswegen kaum erforderlich, weil die Inlandsvorräte im wesentlichen verbraucht sein müßten. Außerdem bestehe der Vermahlungszwang. Er fürchte handelsvertragliche Schwierigkeiten besonders auch beim Mehlzoll.

Der Beimahlungszwang halte er bis zu 50% für möglich und erträglich. Die Unzufriedenheit, die daraus entstehe, werde geringer sein als die Erregung, die durch Zollheraufsetzungen entstehen würde. Er könne zunächst noch keine Zustimmung zu den Plänen geben.

Auch der Reichsarbeitsminister trat entschieden für den Beimahlungszwang ein. Er könne bis auf 50% erhöht werden. Nach dem Urteil sachkundiger Ärzte sei das daraus hergestellte Gebäck für Kranke keineswegs schädlich. Er empfehle, hierüber noch Autoritäten zu befragen.

Der Anregung des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft, für die Arbeitslosen ein verbilligtes Brot zu beschaffen, habe er nicht zustimmen können. Der Gedanke des Roggenbrotes würde dadurch aufs schwerste geschädigt. Das Brot würde dann als Armenbrot gekennzeichnet.

Der Reichskanzler stellte nach eingehender Aussprache fest, daß das Kabinett damit einverstanden ist, wenn der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft über seine Vorschläge wegen des Beimahlungszwanges von Roggen zum Weizen, des Maismonopols, des gleitenden Gerstenzolles und der Heraufsetzung[1549] des Kartoffelzolles mit den Parteien verhandelt. Im übrigen sollen gegebenenfalls Entschließungen erst in der nächsten Kabinettssitzung gefaßt werden.

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