2.18.1 (str1p): Ruhrfrage.

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Die Kabinette Stresemann I und II. Band 1Gustav Stresemann und Werner Freiherr von Rheinhaben Bild 102-00171Bild 146-1972-062-11Reichsexekution gegen Sachsen. Bild 102-00189Odeonsplatz in München am 9.11.1923 Bild 119-1426

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Text

RTF

Ruhrfrage.

Der Herr Reichskanzler begrüßt die Herren des preußischen Kabinetts. Er richtet zunächst die dringende Bitte an die Anwesenden, Kabinettsverhandlungen und Kabinettsbeschlüsse unter allen Umständen vertraulich zu behandeln.

Zu der innen- und außenpolitischen Lage führte der Herr Reichskanzler aus1:

1

Vgl. hierzu Vermächtnis I, S. 98.

Die Aussichten Deutschlands sind zur Zeit außenpolitisch weniger hoffnungslos. Es besteht keine Isolierung mehr, wenn auch Deutschland zur Zeit bei England noch keine materielle Unterstützung findet2. England ist jedoch bemüht, Frankreich zu isolieren, Italien und Belgien auf seine Seite zu bringen und Amerika für die Reparationslösung zu interessieren. Allerdings habe Baldwin im englischen Kabinett mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen3; diese scheinen jedoch dadurch, daß Mc Kenna nicht in das Kabinett eingetreten ist,[76] zu einem wesentlichen Teil behoben zu sein4. Die englischen Noten und Erklärungen dürfen in Deutschland nicht zu sehr bejubelt werden5. Für die Anmeldung zum Eintritt in den Völkerbund ist der gegenwärtige Augenblick völlig ungeeignet6. Italien ist in einer sehr unglücklichen politischen Lage und würde sonst zweifellos stärker hervortreten7. England wird aber auf[77] Italiens Unterstützung sicherlich rechnen können8. Um Belgien geht ein lebhafter Kampf9. Der diplomatische Boykott Frankreichs und Belgiens seitens Deutschlands darf nicht weiter aufrecht erhalten werden10. Amerika ist noch ganz unbeteiligt. Es ist aber zu hoffen, daß sich allmählich, wenn auch nicht eine prodeutsche, so doch eine antifranzösische Stimmung durchsetzt11. Gegenüber[78] Frankreich ist vor jedem Optimismus zu warnen. Der Inhalt der Artikel 23 und 25 des französischen Gelbbuches kann nicht die Grundlage einer Verständigung bilden12. Die Frage ist außenpolitisch die, ob der französische Ministerpräsident seinen offiziellen in dem Gelbbuch niedergelegten Standpunkt aufrecht erhalten kann

2

S. hierzu „Notenwechsel der Alliierten im Anschluß an die deutschen Noten vom 2. Mai und 7. Juni 1923“, RT-Drucks. Nr. 6204, Bd. 379 , insbesondere die englische Note vom 11.8.23 (a.a.O., S. 124 ff.), ferner Das Kabinett Cuno, S. XXXIII f., Dok. Nr. 249, Anm. 3 sowie in diesem Band Dok. Nr. 8. – Am folgenden Tag telegrafierte der dt. Botschafter in London Sthamer, Baldwin gehe für drei Wochen in Ferien und bis zu seiner Rückkehr werde nichts geschehen. Von Unterstaatssekretär Tyrell, der in dieser Zeit das Foreign Office leitete, erfuhr Sthamer, daß erst nach Ferienende wieder mit Bewegung in der Politik zu rechnen sei. Auf weitere Befragung führte Tyrell aus, daß die Regierung mehrere Pläne vorliegen habe, doch sei kein Beschluß bisher gefaßt und er habe keine Kenntnis von positiven Absichten (24.8.23; Pol.Arch.: NL Stresemann  261). Vgl. ferner W. J. Weidenfeld, Die Englandpolitik Gustav Stresemanns, S. 66 ff., 173 ff.

3

Demgegenüber hat J. M. Keynes in einem Schreiben vom 21.8.23, das Stresemann von M. W. Warburg am 24. 8. zugesandt wurde, ausgeführt: „In spite of Rothermere and the Diehards and other factors (especially in his own party machine), Baldwin is still in my opinion in a strong position“ (R 43 I /483 , Bl. 218). – Auf Grund einer Reise nach England hatte von Rheinbaben dem AA am 10. 8. mitgeteilt, Baldwin habe große Schwierigkeiten im Kabinett zu überwinden. „Der Herausgeber des Observer, Garvin, sagte mir, es gäbe im Kabinett nicht weniger als vier Strömungen, nämlich Baldwin, Diehards, Lord Robert Cecil und Rückzug vom europäischen Kontinent. Nur wenn man sich diese inneren Reibungen klarmacht und ihren Triebkräften und Zielen nachgeht, wird man zu richtiger Beurteilung der letzten Handlungen der englischen Regierung gelangen. Baldwin selbst steht der industriellen Gruppe des Unterhauses (ca. 180 Mitglieder) sehr nahe“ (Pol.Arch.: Büro RM, 6, Bd. 2).

4

Dazu hatte die „Kölnische Zeitung“, Nr. 544 v. 7.8.23 gemeldet: „Es steht nunmehr fest, daß die Weigerung McKennas, den Schatzkanzlerposten zu übernehmen, auf verschiedene Ursachen zurückzuführen ist. Er billigt die Politik der Regierung in der Ruhrfrage nicht, wie er auch dem von Baldwin als Schatzkanzler mit Amerika getroffenen Abkommen wegen Rückzahlung der englischen Schulden seine Zustimmung versagte, weil er der Auffassung ist, daß die Frage im Zusammenhang mit den Verbandsschulden gelöst werden sollte.“ – Auf Grund seines Englandaufenthaltes hatte von Rheinbaben mitgeteilt, McKenna werde, falls er für das Unterhaus kandidieren wolle, von einem Teil der konservativen Parteiorganisation bekämpft werden (Pol.Arch.: Büro EM 6, Bd. 2). Von Botschafter Sthamer war am 14.8.23 berichtet worden, vom deutschen Standpunkt aus sei zu bedauern, daß McKenna dem britischen Kabinett nicht angehöre. „Nicht als ob wir in McKenna einen wirklichen Freund besäßen. Dies ist nicht der Fall. Aber er ist ein Mann, wie Baldwin selbst sein soll, der frei ist von allen Voreingenommenheiten und nur den Wunsch hat, konstruktiv zu arbeiten und zu verhindern, daß Deutschland auseinandergerissen und Frankreich durch die Kontrolle auch noch des Ruhrgebietes zur wirtschaftlichen Hegemonie Europas gelangt. Diese Gefahren für Großbritannien sollen, wie McKenna selbst sagt, andere Kabinettsmitglieder wie Lord Salisbury, Lord Derby, der Herzog von Devonshire, Sir W. Joynson-Hicks etc., deren geistige Fähigkeiten allenthalben sehr mäßig eingeschätzt werden, einfach nicht erkennen wollen, geblendet durch sentimentale Rücksichten. ‚They have no policy‘, sagt McKenna, ‚and for reasons only known to themselves believe every word that Poincaré says, among other things, that he does not want to disintegrate Germany‘“ (Pol.Arch.: Handakten von Schubert E [Schriftverkehr], Bd. 9 a).

5

S. dazu auch D’Abernons Tagebucheintragung vom 17.8.23, in: Ein Botschafter der Zeitenwende II, S. 275.

6

Seit Juni 1923 waren von verschiedenen Seiten wie der dt. Friedensgesellschaft und der SPD Forderungen an die RReg. gestellt worden, sich um den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund zu bemühen. Demgegenüber war das Völkerbundreferat des AA zu dem Ergebnis gelangt: „Dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund steht vor allem noch entgegen, daß die Welt, darin mit Recht eine Unterwerfung unter das System der Pariser Friedenskonferenz sehen würde. Der Völkerbund war bisher tatsächlich nur eine Fortsetzung dieser Konferenz. Ferner ist zur Zeit ausgeschlossen, daß Deutschland einen ständigen Sitz im Rat erhält, da hierzu die Einwilligung Frankreichs erforderlich wäre. Ohne einen solchen ständigen Sitz besäße aber Deutschland keine Gewähr gegen eine Fortsetzung der bisherigen deutschfeindlichen Politik des Völkerbundes“ (26.6.23, VortrLegR von Bülow an MinR Kempner; R 43 I /483 , Bl. 211; ähnlich Aufzeichnung des Völkerbundsreferats im AA vom 17.8.23; Pol.Arch.: Büro RM 18, Bd. 3). In Vorbereitung einer Unterredung mit dem schwed. Gesandten und Völkerbundsdelegierten notierte StS von Maltzan: 1. Die deutsche Skepsis nach den schlechten Erfahrungen mit dem Völkerbund in der Oberschlesienfrage und wegen des Saarproblems reiche weit. 2. Ein umfassender Völkerbund könne für eine dauerhafte Befriedung der Welt wirken. 3. Die Franzosen hätten sich gegen einen Eintritt Deutschlands in den Völkerbund bei mehreren Regierungen ausgesprochen. Im Falle seines Eintritts solle Deutschland den Versailler Vertrag, das Londoner Ultimatum und andere Abmachungen neu bestätigen. Dies sei aber nicht Deutschlands Absicht (29.8.23; Pol.Arch.: Büro StS, Vögen [Völkerbund Generalia], Bd. 1). Nachdem Sthamer am 21.8.23 mitgeteilt hatte, Baldwin und Curzon würden annehmen, daß Frankreich im Falle einer Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund aus diesem austreten werde (Pol.Arch.: Büro RM 18, Bd. 3), übermittelte RT-Präs. Löbe dem RK am 1.9.23 den Text eines Telegramms von Hellmut von Gerlach, dem in Genf der brit. Völkerbunddelegierte Lord Cecil erklärt hatte, er sei gegenwärtig gegen eine dt. Völkerbundskandidatur und rate zu ihr erst nach einer Lösung der Ruhrfrage; doch halte er ein dt.-franz. Arrangement während der Völkerbundstagung für möglich (R 43 I /483 , Bl. 233 f.).

7

In Italien war es seit Februar 1923 zu Spannungen innerhalb des „Großen Rats“ und in der faschistischen Partei Mussolinis gekommen. Die Nationalmiliz hatte zahlreiche politische Gegner der Faschisten verhaftet und die Pressefreiheit war eingeschränkt worden. Angesichts dieser Ereignisse wuchs im Ausland der Widerstand gegen den Faschismus. – In einem Bericht aus Rom vom 1.9.23 wurde mitgeteilt, daß auf dem Kongreß der Confederazione de Lavoro heftige Angriffe gegen Don Sturzo, dessen Anhänger und die Liberalen gerichtet worden seien. Die bürgerliche Opposition solle durch Terror niedergehalten werden. Demgegenüber seien die syndikalistischen Parolen verstärkt worden, um die Gewerkschaften von den Sozialisten abzuziehen und den Faschisten anzunähern. Das Land werde von Mussolini „mit Zuckerbrot und Peitsche“ regiert, ohne daß die latente Opposition an die Oberfläche gelangen könne. „Wie schon öfters hervorgehoben, liegt die eigentliche Gefahr für Mussolinis Herrschaft im eigenen Lager der Faschisten. Hierzu kommt das Risiko, welches er laufen würde, falls seine Regierung auf dem Gebiete der Wirtschaft und Außenpolitik Mißerfolge erleiden sollte“ (Pol.Arch.: Abt. II Pol. 1 No 1 adh 2 – Sammlung der im AA aufgestellten „Informatorischen Aufzeichnungen“, Bd. 2: Aufzeichnung Nr. 2 v. 20.9.23, S. 22 ff.).

8

StS von Maltzan hatte am 17.8.23 dem engl. Botschafter erzählt, daß Mussolini die englische Politik unterstütze (Botschafter der Zeitenwende II, S. 274 f.). S. dazu auch den Runderlaß an die dt. Auslandsmissionen vom 17.9.23 (R 43 I /162 , Bl. 73 ff.), der mit geringen stilisitischen Veränderungen am Textanfang als „Rückblick und Ausblick, Richtlinien Stresemanns“ mit dem Datum 7.9.23 abgedruckt ist in: Vermächtnis I, S. 108 ff.

9

Vgl. dazu den Notenwechsel zwischen der britischen und der belg. Regierung im Sommer 1923 in: RT-Drucks. Nr. 6204, Bd. 379 . Am 27. August erklärte sich der belg. MinPräs. Jaspar zu vertraulichen Unterredungen der alliierten Minister über die Lösung des Reparationsproblems unter der Voraussetzung bereit, daß es sich nicht um eine Konferenz handele (ibid., S. 210). S. a. W. Link, Die amerikanische Stabilisierungspolitik in Deutschland, 1921–1932, S. 185 f.

10

Am 11.1.23 waren Botschafter Mayer aus Paris und Gesandter Landsberg aus Brüssel abberufen worden. Trotz des Abbruchs des passiven Widerstandes Mitte September 1923 wurde erst im Februar 1924 der bisherige Geschäftsträger in Paris Leopold von Hoesch zum Botschafter ernannt.

11

Von einer Vortragsreise in den USA hatte Graf Kessler u. a. an MinDir. v. Schubert geschrieben, er habe nach einer Unterredung mit StS Hughes den Eindruck, dieser versuche alles zu vermeiden, was möglicherweise einen Mißerfolg herbeiführen könne. Deshalb habe er einen Druck der amerikanischen Banken auf den Franc ebenso abgelehnt wie einen Eintritt der USA in die Repko (dem RK am 17.8.23 zugeleitet; R 43 I /39 , Bl. 77–78). Botschafter Wiedfeldt hatte über die Stimmung in den USA am 19. 8. berichtet: „Wenn Frankreich englischen Vorschlag ablehnt, wird amerikanische Regierung, die nur auf einheitliche Anregung aller Beteiligten tätig werden will, vorerst wahrscheinlich nichts tun. Das gleiche gilt für Schiedsgerichtshof, der hier nicht populär; Coolidge noch nichts über seine Stellung hierzu geäußert.“ Von der englischen Propaganda hänge ab, ob die öffentliche Meinung gewonnen werden könne. Die Entscheidung werde bei Coolidge und Hughes liegen, da der Kongreß erst im Dezember wieder tage. Hughes habe nicht die Legalität, sondern die Zweckmäßigkeit des frz. Vorgehens in Frage gestellt. Vier Tage später führte Wiedfeldt aus, ein Gespräch mit Hughes habe ergeben, daß Coolidge die Europapolitik Hardings fortzusetzen gedenke. Nur bei Beteiligung Frankreichs würden die USA an einer internationalen Konferenz teilnehmen. Allerdings sprächen Amerikaner die aus Europa zurückkehrten, wie Senator Mellon, Warnungen vor dem Eingreifen in europ. Angelegenheiten aus (Pol.Arch.: Büro RM 27, Bd. 2). Dem RK direkt schrieb Graf Kessler am 28.8.23 aus New York, „daß hier Interesse und auch ein gewisser guter Wille zum Verstehen vorhanden ist; aber allerdings immer beschränkt durch die allgemeine fast kindliche Liebe zu Frankreich, die sogar stärker zu sein scheint, als das Band, das gemeinsame Sprache und Kultur mit England herstellen. Ihre Regierungsführung wird allerdings hier mit unverhohlener Sympathie und einem großen Maß von Vertrauen verfolgt, aber auch nur mit der Einschränkung, die die Gefühle für Frankreich bedingen. […] Schon allein die Tatsache, daß Sie weniger schroff gegen Frankreich auftreten als Dr. Cuno hat Ihnen hier sehr genützt, eine bessere Atmosphäre für Ihre Regierung hier geschaffen“ (R 43 I /39 , Bl. 194). S. a. W. Link, Die amerikanische Stabilisierungspolitik, S. 184 ff.

12

Documents Diplomatiques: Documents relatifs aux Notes allemandes des 2 mai et juin sur les réparations (2 mai – 3 août 1923). Art. (richtig: Nr.) 23, S. 35 f.: Es handelt sich um die Weisung des frz. MinPräs. an die Botschafter in London und Brüssel vom 10.6.23. Art. (richtig: Nr.) 25 gibt die Weisung an Botschafter de Saint-Aulaire vom 12.6.23 wieder. Das entspricht den Dokumenten Nr. 32 u. 35 in Drucks. Nr. 6204, RT-Bd. 379 . Nach einem Bericht der Stresemann nahestehenden „Zeit“, Nr. 180 v. 5.8.23, war das frz. Gelbbuch eine Reaktion auf die brit. Ankündigung, den Notenwechsel der vorhergehenden Wochen in einem Farbbuch zu veröffentlichen. „Die Zeit“ hatte hervorgehoben, daß im Gelbbuch nur Auszüge aus den Noten gebracht worden seien. Als wesentliche Punkte des frz. Farbbuchs waren von dieser Zeitung genannt worden, die frz. Kontrolle der Eisenbahn im besetzten Gebiet und die eindeutige Pfandnahme, um Zahlungen zu erzwingen. Bei der Festsetzung der dt. Schuld werde von der Reparationssumme von 132 Mrd. Goldmark nicht abgewichen. Einer Prüfung der dt. Leistungsfähigkeit durch Sachverständige bereite die frz. Seite durch Gegenfragen Schwierigkeiten. Verhandlungen würden erst nach dem bedingungslosen Abbruch des passiven Widerstandes eingeleitet werden können.

a) gegenüber den Alliierten13 und

13

Zu Spannungen zwischen den Alliierten s. die alliierten Notenwechsel in Drucks. 6204, RT-Bd. 379 , insbesondere das Schreiben Poincarés an den brit. Botschafter in Paris, den Marquis of Crewe, vom 20.8.23, mit einer grundsätzlichen Verteidigung der Besetzung des Ruhrgebietes aus reparationspolitischen Erwägungen und zur Sicherung des Versailler Vertrages. „Wir nehmen nicht an, daß England die alliierten Schulden vor Bezahlung der Reparationen zurückfordern will. Es wird gewiß zuerst begreifen, daß Frankreich, um seine Schulden zu bezahlen, zunächst seine Steuerkraft wiederhergestellt, sich von seinen Schlägen erholt und sich in den Stand gesetzt haben muß, mit gleichen Waffen gegen den dt. Wettbewerb zu kämpfen. Es liegt zweifellos im Interesse Englands, daß Deutschland sich erholt; es liegt gewiß nicht in seinem Interesse, daß Frankreich geschwächt wird“ (ibid., Dok. Nr. 70, S. 161).

b) gegenüber seinem Volk14.

14

Zu frz. Protesten gegen Poincarés Außenpolitik s. Schultheß 1923, S. 316, WTB, Nr. 1812 v. 22.8.23, hatte aus Paris gemeldet, der Verwaltungsrat des allgem. Arbeiterbundes habe seine Solidarität mit den dt. Arbeitern erklärt. Seit Kriegsende sei er um die Beendigung aller Feindseligkeiten bemüht und habe gemeinsam mit deutschen Arbeiterorganisationen einen Reparationsplan erarbeitet. Die militär. Besetzung erscheine dem Arbeiterbund als schwerer Fehler, der schädlich für die Reparationen sei.

Es muß versucht werden, den Widerstand gegen Poincaré in jeder Form zu stärken. Allerdings ist bisher kostbare Zeit dafür verstrichen. Die Finanzlage in Deutschland ist trostlos. Gefahrdrohend ist die innerpolitische Lage15. Es wird jedoch gelingen, innerpolitische Stürme abzuwehren, wenn die Erträge der beschlossenen Steuern eingehen und die Goldanleihe ausreichend gezeichnet wird16. Die Gefahren im Augenblick liegen besonders im besetzten Gebiet. Der passive Widerstand werde sicherlich nur noch bis zum Eintritt der Kälteperiode aufrecht erhalten werden können17. Die Demoralisierung der Bevölkerung ist außerordentlich vorgeschritten18.

15

S. dazu den Runderlaß (s. o. Anm. 8) = Vermächtnis I, S. 109 f.

16

Zur finanziellen Situation des Reichs s. Das Kabinett Cuno, Dok. Nr. 235, P. 2; Dok. Nr. 238, P. 2; ferner in diesem Band Dok. Nr. 10, P. 1.

17

Auf den Kohlenmangel hatte der R- und StKom. für gewerbliche Fragen Mehlich den RK Cuno bereits im Schreiben vom 19.7.23 aus Schwerte aufmerksam gemacht (R 43 I /214 , Bl. 141). Mehlich wiederholte seine Vorstellungen in einer Besprechung der Ruhrabwehrorganisation mit Stresemann am 28.8.23 (hs. Notiz Stresemanns: R 43 I /214 , Bl. 307). Die Oldenburgische Regierung des Landesteiles Birkenfeld berichtete dem StMin. in Oldenburg am 25.8.23: „Die Brennstoffnot ist aufs äußerste gestiegen. Ihr systematisch zu begegnen, hat die Regierung die erforderlichen Maßnahmen auf Grund der ihr nunmehr zur Verfügung stehenden Mittel ergriffen. Wie mir berichtet wird, sind aber schon beträchtliche Quantitäten Braunkohlen-Briketts inzwischen herangeschafft worden. Ihr Kauf war nur möglich gegen Entrichtung der Kohlensteuer an die Besatzungsmächte. – So fällt der sogenannte passive Widerstand auf der ganzen Strecke in sich zusammen. Kühle Überlegung hat das von vornherein, jedenfalls aber seit Monaten erkennen müssen“ (R 43 I /215 , Bl. 74).

18

Vgl. dazu Anm. 10 zu KabS. 15.8.23, 11 h; s. ferner den Runderlaß (s. o. Anm. 8) = Vermächtnis I, S. 110 sowie die Aufzeichnung Stresemanns über seine Unterredung mit Otto Wolff v. 21.8.23, ibid. S. 94 f.

[79] Die Frage ist, was ist von unserer Seite zu tun.

Die internationale Diskussion ist fortzuführen, um die Mächte, die sich gegen die französischen Forderungen wenden, davon zu überzeugen, daß Deutschland bereit ist, Reparationen zu leisten. Direkte Verhandlungen mit Frankreich kommen nicht in Frage. Für Deutschland gibt es weder eine französische noch eine englische Orientierung19. Deutschland hat der Entente als einem Verhandlungsfaktor gegenüberzustehen. Die positiven Gedanken der Artikel 23 und 25 des französischen Gelbbuches müssen in den Vordergrund gestellt werden. Frankreich wünscht positive Pfänder und wünscht eine Beteiligung an der angeblich unzerstörten deutschen Wirtschaft. Deutschland ist bereit, die Pfänder zu gewähren und Frankreich an dem Ertrag der Wirtschaft zu beteiligen20. Dabei ist mit Entschiedenheit zu betonen, 1) daß die Fortführung des Ruhrkampfes den Wert der Pfänder mildert, 2) daß die Bestellung der Pfänder und die Beteiligung an dem Ertrag der Industrie nur möglich ist, ohne jedwedes Eingreifen in die Souveränität des Reichs.

19

Auf diese Formulierung dürfte sich auch der genannte Runderlaß stützen: Vermächtnis I, S. 111 f.

20

S. dazu die dt. Noten vom 2. 5. u. 7.6.23. Um die von Frankreich errechnete Reparationssumme herabzudrücken, da sie der dt. Regierung unerfüllbar erschien, beabsichtigte diese, neben einer geringeren Zahlung der frz. Regierung Aktienbeteiligung an dt. Industrien anzubieten. Dadurch „würde die Gewinnung politisch einflußreicher französischer Kreise erreicht werden können, und sie wären auch geeignet die Reparationslast zahlenmäßig zu vermindern“. Mit hypothekarischer Belastung des Besitzes und Mobilisierung dieser Belastung durch „goldwertige Obligationen“ sollten weiterhin die Mittel für eine Effektivzahlung als Vorleistung an Frankreich beschafft werden (Runderlaß = Vermächtnis I, S. 112).

Reichsminister Fuchs: Der passive Widerstand ist ein defensiver Zustand, der auf die Dauer psychologisch nicht zu ertragen ist. Der Wille der Bevölkerung zum passiven Widerstand ist jedoch zur Zeit noch so groß, daß dieser maßgebend sein muß für die weitere Politik. Allerdings ist notwendig, daß die Lebensmittel- und Kohlenversorgung unter allen Umständen gesichert wird21.

21

S. dazu Dok. Nr. 27.

Preußischer Ministerpräsident Braun: Die Lage ist tatsächlich schlimmer als bisher bekannt gewesen ist. Das deutsche Volk hat bisher alles geduldig ertragen, weil es seit 9 Jahren an das Ertragen gewöhnt ist. Die Markkatastrophe wirkt sich jedoch jetzt erst aus. Zur Vermeidung eines Zusammenbruchs muß ohne Rücksicht alles getan werden, um die Werte, die noch für eine Sanierung der Finanzen vorhanden sind, zu erfassen. Es kommt im Augenblick nicht an auf eine Durchführung von Wirtschaftstheorien, es kommt vielmehr alles darauf an, das Reich und die Wirtschaft überhaupt zu erhalten. Bricht das Reich und die Wirtschaft jetzt zusammen, so ist Deutschland kein Verhandlungsfaktor mehr[80] und nur noch Objekt der Politik der fremden Staaten. Der Widerstand wird weiter geleistet werden, wenn es gelingt, noch Geld und Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. Die Versorgung wird jedoch immer schwieriger; die demoralisierende Wirkung des siebenmonatigen Ruhrkampfes ist in allen Kreisen sehr groß. Selbst die Beamtenschaft verhält sich bereits im besetzten Gebiet nicht mehr streng ablehnend. Der Ruhrkampf muß so schnell wie möglich zu Ende geführt werden unter Anknüpfung an die positiven Gesichtspunkte in der französischen Note. Jeder Abschluß des Ruhrkampfes wird sehr schmerzlich sein, aber immer noch besser, als wenn das Deutsche Reich in ein Chaos hineingeschleudert wird. Die Bevölkerung muß auf diese Entwicklung psychologisch eingestellt werden.

Minister Severing: Es kann schon heute von einem passiven Widerstand nicht mehr die Rede sein. Allerdings nicht in dem Sinne, daß die Franzosen so viel Kohle und Koks bekommen, wie sie brauchen, und die Eisenbahn so funktioniere, wie es nötig wäre, aber die Einheitsfront ist von oben bis unten durchlöchert. Sogar die Schutzpolizei hat sich gefügt, die Geschäftswelt hat den Frieden mit den Franzosen geschlossen. Der passive Widerstand der Arbeiterschaft richtet sich neuerdings teilweise schon gegen die deutschen Unternehmer. Der moralische Tiefstand der Arbeiterschaft ist so groß, daß es jahrelanger Erziehungsarbeit bedürfen wird, die Arbeiterschaft wieder zu gewerkschaftlicher Disziplin zu bringen.

Im unbesetzten Gebiet liegen die Verhältnisse nicht viel anders in moralischer Hinsicht. Besonders schlimm wird es, wenn die Industrie weiter zum Erliegen kommt. Sehr ernst ist die Lage an der Grenze. Bei Aufruhr ist sicher mit einem Einfall Polens, vielleicht auch mit einem der Tschechoslovakei zu rechnen.

Minister Severing schildert die Lage in den verschiedenen Provinzen, und kommt zu dem Schluß: Entweder es gelingt in kürzester Zeit, zu einer Beendigung des Ruhrkampfes zu kommen, oder aber es gelingt nicht, dann ist Deutschland rettungslos verloren. Er hegt den dringenden Wunsch, daß der Herr Reichskanzler die morgige Rede22 dazu benutzt, die Brücke zu betreten, die in den positiven Gedankengängen der Artikel 23 und 25 angedeutet ist.

22

Severing bezieht sich auf die Rede vor dem DIHT am 24.8.23, s. dazu Schultheß 1923, S. 158, auszugsweise in Vermächtnis I, S. 98 f.

Reichsminister Luther: Abschluß des Ruhrkampfes in einigen Wochen kann nur ein Diktat Frankreichs sein. Das aber würde Gegenströmungen in Deutschland auslösen, die den Bestand des Reichs ernstlich gefährden können. Es gibt noch Gesichtspunkte, die die Lage etwas günstiger erscheinen lassen. Er hält für geboten, einmal zu berechnen, was eigentlich das von Frankreich vorgeschlagene Moratorium dem Deutschen Reich an Leistungen tatsächlich auferlegt. Die Ernährungslage im besetzten und Ruhrgebiet ist bis vor wenigen Wochen durchaus günstig gewesen. Zur Zeit machen sich auch bereits wieder Zeichen der Besserung bemerkbar. Von einschneidender Bedeutung ist die Devisenfrage. Die schwerste Sorge bleibt die Kartoffelversorgung für den Winter23.[81] Eine volle Versorgung ist ausgeschlossen. Als Ersatz muß eine ausreichende Mehlversorgung vorgesehen werden. Dies ist wiederum eine Devisenfrage. Die Kohlenfrage ist nicht so ernst zu beurteilen. Das schlimmste ist die Frage der Erwerbslosigkeit und die Frage des finanziellen Durchhaltens. Unter allen Umständen muß sofort eine wertbeständige Währung eingeführt werden24.

23

Nach Angaben des Reichsamtes für Statistik war für 1923 eine Kartoffelernte zu erwarten, deren Erträgnisse um 23% unter denen des Vorjahres lagen (Wirtschaft und Statistik 1923, S. 714).

24

S. hierzu Dok. Nr. 15.

Reichsminister Fuchs: Der Widerstand ist lieber heute als morgen aufzugeben, wenn es sich vereinbaren läßt mit der innen- und außenpolitischen Entwicklung. Die Frage ist, wollen wir den Kampf führen auch auf die Gefahr hin, daß das Chaos hereinbricht, oder wollen wir den Kampf abbrechen auch auf die Gefahr hin, daß Deutschland unterliegt? Jede Gelegenheit muß benutzt werden, auf dem Wege der Verhandlungen zu einem Abschluß zu gelangen. Falls es keine Verhandlungsmöglichkeit gibt, ist das Kabinett vor neue Entschlüsse gestellt. Auf keinen Fall darf sich das Reich in die französische Herrschaft begeben. Entscheidend ist für die nächste Zeit, daß der Widerstand der Bevölkerung, sich dem französischen Willen nicht zu fügen, erhalten bleibt25.

25

In einer Besprechung mit dem Landesverband der Reichs-, Landes- und Gemeindebeamten der besetzten rheinischen Gebiete hatten dessen Vertreter auf die Möglichkeit verwiesen, daß eine rheinische Republik ausgerufen werde, für die „weite Kreise der Bevölkerung“ Sympathie besäßen, und stellten dann die Fragen: „1.) Wie lange dauert noch der Ruhrkonflikt? 2.) Wenn sein Ende nicht abzusehen ist, in welcher Weise sorgt die Reichsregierung, daß die Kohlen- und Lebensmittelversorgung der Bevölkerung sichergestellt ist? 3.) Welche Maßnahmen sind getroffen, um die Zahlungs-Flüssigkeit im besetzten Gebiet zu garantieren? 4.) Ist die Regierung in der Lage für den Fall, daß der Ruhrkonflikt ungünstig ausgeht, den Beamten die nötigen Sicherheiten zu geben, insbesondere die versprochenen Entschädigungen und Garantien zu leisten und Weiterbeschäftigung zu ermöglichen? (Wie verhält sich die Regierung zu dem Gedanken einer Verpfändung der Reichsbahnen?) 5.) Soll der Widerstand fortgesetzt werden, auch wenn die Bevölkerung den Kampf aufgibt?“ (23.8.23, RMbesGeb. an RK, PrIM; R 43 I /214 , Bl. 321–323). S. a. P. Wentzcke, Ruhrkampf II, S. 144.

Reichsminister Sollmann: Im besetzten Gebiet besteht einheitlich die Meinung, daß der passive Widerstand vor Eintritt der Kälteperiode beendet sein muß. Ein Verlaß auf die Bevölkerung, insbesondere auch auf den Mittelstand und die kleinen Geschäftsleute, wird dann nicht mehr sein26. Es besteht die Möglichkeit, daß in absehbarer Zeit aus den Kreisen der Bevölkerung des besetzten Gebiets das Ersuchen an die Reichsregierung gestellt wird, den passiven Widerstand zu beenden. Das Ende muß innerpolitisch vorbereitet werden. Notwendig dafür sind vor allem folgende vier Maßnahmen:

26

Vgl. P. Wentzcke, Ruhrkampf II, S. 138.

1.) Zusammenschluß der wirtschaftlichen und politischen Organisationen, überhaupt der ganzen erwerbstätigen Bevölkerung im besetzten Gebiet; dieser Zusammenschluß stellt nach außen hin eine politische Macht dar und ist innenpolitisch zur Erhaltung des Reichs notwendig.

2.) Die Presse, insbesondere die der Koalitionsparteien, muß aufrecht erhalten werden27.

27

S. Dok. Nr. 47, P. 4.

[82] 3.) Eine Konferenz der Innenminister aller Länder ist nach Berlin einzuberufen, die sich über die Abwehrorganisation zu verständigen hat.

4.) Die Reichswehr muß unbedingt auf den Boden der Republik gestellt werden.

Eine gewisse Diktatur wird unter Umständen nicht zu vermeiden sein. Alle verantwortlichen Leute sind sich einig darüber, daß dieses Kabinett auf breitester parlamentarischer Grundlage das letzte verfassungsmäßige Kabinett der deutschen Republik sein wird, falls es ihm gelingt, die Ruhrfrage zu einem Ende zu führen.

Reichsminister Hilferding: Dem deutschen Volke muß in kurzer Zeit gezeigt werden, daß es noch einen Ausweg gibt. Bisher ist diese Einstellung bei der Reichsregierung nicht vorhanden gewesen. Der Ruhrkampf ist aus Steuern oder sonstigen Finanzmaßnahmen nicht zu finanzieren28. Die Note Frankreichs eröffnet gewisse Verhandlungsmöglichkeiten, die seitens der Deutschen Regierung in den Vordergrund der Fortführung der Diskussion gestellt werden müssen. Außenpolitisch besteht kein Grund zu einem besonders großen Pessimismus.

28

Die Kosten des passiven Widerstandes wurden auf täglich 40 Mill. Goldmark geschätzt (Runderlaß = Vermächtnis I, S. 110).

Reichsminister von Raumer: Eine größere Arbeitslosigkeit muß vor allen Dingen vermieden werden. Der Grund der augenblicklich einsetzenden Krise ist die Verknappung der Betriebsmittel. Es ist zu erwägen, ob nicht der erste Termin der Lohnsteuer (10. September) eine kurze Zeit hinausgeschoben werden kann. Lästige Ausländer, die sich in die innere Politik einmischen, sind außer Landes zu verweisen. Es muß unbedingt Ruhe in die Bevölkerung getragen werden29. Der Effekt der Arbeitsleistung ist zu erhöhen. Darauf könnten vor allem die Herren des Kabinetts, die der Arbeiterschaft nahestehen, besonders hinwirken.

29

Ob mit den „lästigen Ausländern“ v. Raumer bestimmte Personen wie etwa Hitler oder Karl Radek gemeint hat, ist unsicher. S. a. Seeckt, Regierungsprogramm und den Entwurf seiner Regierungserklärung (Anhang Nr. 2 u. 3).

Reichsminister Fuchs betont nochmals, daß der noch vorhandene Wille der Bevölkerung zum Durchhalten wenigstens so lange gestärkt werden müsse, bis Sicherheit darüber besteht, ob die Regierung zu Verhandlungen mit den Alliierten kommt oder nicht. Ein starker Wille der Regierung wird auch den Willen der Bevölkerung zum Durchhalten stärken.

Reichsminister Luther bemerkt,

1. daß, wenn die notwendigen Devisen zur Aufrechterhaltung der Ernährung nicht beschafft werden können, auch die Ernährung nicht aufrechterhalten werden könne,

2. daß, wenn dem Antrage des Herrn Reichsministers von Raumer auf Hinausschiebung der Steuertermine stattgegeben wird, auch die Landwirtschaft mit Anträgen auf Erleichterung in der Steuerzahlungkommen wird30. Im Augenblick dürfe es aber in den Steuerfragen kein Zurückweichen der Regierung geben.

30

S. Dok. Nr. 22.

[83] Reichsminister Oeser geht in der Grundauffassung mit den übrigen Herren einig. Er glaube jedoch hervorheben zu sollen, daß die Situation durchaus noch nicht verloren ist. Keine Situation ist verloren, die nicht verloren gegeben wird. Er hege die größten Bedenken, die Bevölkerung auf eine eintretende Katastrophe vorzubereiten.

Der Reichskanzler Auch er ist der Auffassung, daß die Situation durchaus nicht verloren gegeben zu werden braucht. Nur vor einer Selbsttäuschung müsse man sich hüten. Es ist notwendig, die Bevölkerung auf eine ernste Auseinandersetzung, die ohne Konzessionen nicht möglich ist, vorzubereiten. Es muß bereits als ein ehrenhafter Ausgang des Ruhrkampfes angesehen werden, wenn es dem Deutschen Reich gelingt, seine Souveränität aufrecht zu erhalten. Mit den Vorschlägen des Reichsministers Sollmann ist er grundsätzlich einverstanden. Der Widerstand an der Ruhr ist in seiner Zeitdauer begrenzt, infolgedessen ist eine außenpolitische Aktivität notwendig, die es der Deutschen Regierung ermöglicht, der Welt- und der deutschen Öffentlichkeit zum Ausdruck zu bringen, daß in der Ruhrfrage ein Weg besteht, zum Abschluß zu kommen31. Leider ist die außenpolitische Situation des Reichs bedingt durch die sehr schwierige innerpolitische Misere. Bei der Fortführung der Diskussion wird er größten Wert darauf legen, die positiven Gedankengänge der Artikel 23 und 25 des französischen Gelbbuchs in den Vordergrund zu stellen32.

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Zur weiteren Behandlung des „Abwehrkampfes“ im Ruhrgebiet teilte GeneralKom. Schmid dem LegR Redlhammer mit, die Abwehr könne voll weitergeführt werden, wenn in kurzer Zeit eine Verständigung zu erreichen sei, andernfalls müsse eine Umformung durch Abbau der unproduktiven Ausgaben und Aufnahme der vollen Produktion im Ruhrgebiet vorgenommen werden, doch sei den Franzosen weder Kohle, noch Farbstoffe oder Holz zu liefern. Da Schmid keine frz. Gegenleistungen haben wollte, erklärte ihm Redlhammer, dieses Nachgeben in grundlegenden Fragen stelle den Zusammenbruch des passiven Widerstandes und die organisierte Kapitulation dar. Schmid habe das eingesehen und das AA bis zum 27.8.23 um dessen Entscheidung gebeten, da er mit den Abwehrausschüssen das weitere Vorgehen vereinbaren müsse. „Ich erklärte Herrn Schmid, daß die Weiterführung des Abwehrkampfes und die Form der Kampfführung eine Richtlinie für die allgemeine Politik der Regierung bedeute. Nach der Reichsverfassung würden die Richtlinien der Politik vom Reichskanzler bestimmt. Er sei ausschließlich in der Lage, entsprechende Anweisungen zu geben. Da der ganze Fragenkomplex jedoch das Auswärtige Amt außerordentlich interessierte und die Führung der auswärtigen Politik auf das innigste berührt, würde ich die Angelegenheit sofort im Auswärtigen Amt zur Sprache bringen.“ Für den 27. 8. war ein Empfang des RKom. Mehlich bei RM Fuchs vorgesehen und am 28.8.23 Empfänge Mehlichs und der übrigen Vorsitzenden von Abwehrausschüssen sowie des rheinischen Wirtschaftsausschusses beim RK (25.8.23, Aufzeichnung Redlhammers für MinDir. v. Schubert: Pol.Arch.: NL Maltzan : Ruhr-Lage). S. a. Vermächtnis I, S. 111.

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S. hierzu Dok. Nr. 30.

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