1.168 (str2p): Nr. 281 Der Reichsminister für Wiederaufbau an die Deutsche Kriegslastenkommission in Paris. 28. November 1923

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Nr. 281
Der Reichsminister für Wiederaufbau an die Deutsche Kriegslastenkommission in Paris. 28. November 1923

R 43 I /453 , Bl. 309–310 Durchschrift

[Betrifft: Industrievereinbarungen mit der Micum.]

Ich bitte, der Reparationskommission mit größter Beschleunigung folgende Note zugehen zu lassen:

Im Auftrage der Reichsregierung beehre ich mich unter Bezugnahme auf meine Note vom 19. November1 in der Anlage das am 23. November in Düsseldorf[1166] unterzeichnete vorläufige Übereinkommen der Sechserkommission des Bergbaulichen Vereins mit der Interalliierten Kontrollkommission für Fabriken und Bergwerke (Micum) zur Kenntnis zu bringen. Die Verhandlungen zwischen der Sechserkommission und der Micum, die am 14. November abgebrochen worden waren, weil eine Einigung über die Anrechnungsfrage unmöglich war, haben nach ihrer Wiederaufnahme zum Abschluß des Übereinkommens geführt, nachdem sich die Micum zu einer neuen Fassung des die Verrechnung betreffenden § XVII verstanden hatte2.

1

In R 43 I nicht ermittelt.

2

S. dazu Dok. Nr. 278, P. 1. – Am 23.11.23 teilte Vögler telefonisch mit, es sei noch nicht notwendig gewesen, die ihm erteilten „Eventualweisungen zu benützen“. Präsident Frantzen und der belg. Micum-Vertreter Hannecart hätten auf dem letzten Micum-Vorschlag beharrt und seien mit Degoutte, der sie unterstütze, am 22.11.23 abends nach Paris gefahren, um Poincaré umzustimmen (R 43 I /453 , Bl. 279). Daß der Vertrag am 22.11.23 unterzeichnet worden sei und § 17 die vom RK im Schreiben an die Sechserkommission vom 21.11.23 angeführte Fassung erhalten habe, teilte MinR Ruppel der Rkei am 24.11.23 mit (R 43 /453 , Bl. 298).

Nach dem Vertrage vom 23. 11.3 verpflichten sich die Kohlenzechen,

3

Der Text ist abgedruckt bei H. Spethmann, 12 Jahre Ruhrbergbau III, S. 385 ff.; Ursachen und Folgen V, Dok. Nr. 1102.

1.

die in den Lieferprogrammen der Reparationskommission festgesetzten Kohlenmengen zunächst bis zu 18 bezw. 22% der Nutzförderung sowie die von den Besatzungstruppen und Besatzungsbehörden benötigten Kohlen ohne Bezahlung zu liefern4,

2.

die seit Beginn der Ruhrbesetzung von den Besatzungsstellen angeforderten Kohlensteuern und die wegen deren Nichtbezahlung verhängten Strafen im Gesamtbetrage von 15 Millionen Dollar zu bezahlen,

3.

künftig an die Besatzungsbehörden von allen verkauften Kohlen eine Tonnenabgabe von 8–10 Franken abzuführen.

4

Die Vereinbarungen über die Kohlenlieferungen veranlaßten die frz. Zeitung „Journée Industrielle“ aus innenpolitischen Erwägungen zu optimistischen Berechnungen, wie die wirtschaftspolitische Abteilung der dt. Botschaft in Paris am 27.11.23 berichtete: „Die Zeitung geht davon aus, daß die Kohlenproduktion des Ruhrgebiets in normalen Zeiten 90 Millionen t betragen habe, davon 22 Millionen Koks. Die Industriellen hätten sich zur Lieferung von 18% dieser Produktion verpflichtet, was 16 Millionen t ausmache, davon 4 Millionen t Koks. Von den 16 Millionen t kämen 11–12 Millionen t auf den Anteil Frankreichs, davon 3 Millionen t Koks. Das sei aber nicht alles; denn außerdem würden die von den Besatzungsmächten in Betrieb genommenen Zechen und Kokereien, die am 16. d. Mts. täglich 9900 t Kohle, 4000 t Koks und 2000 t Braunkohle geliefert hätten, fortfahren, ausschließlich für Frankreich und Belgien zu arbeiten. Hierdurch werde die Lieferung von jährlich 3 600 000 t Kohle, 1 500 000 t Koks und 700 000 t Braunkohle gesichert. Wenn man die Umrechnung auf Kohle vornehme, werde Frankreich im kommenden Jahr 17–18 Millionen t Kohle, davon 5–6 Millionen t Koks aus der Ruhr erhalten. Wenn die Verträge pünktlich innegehalten würden, werde also die französische Brennstoffversorgung in weitgehendem Maße gesichert sein. Hinzu komme, daß sich die Industriellen bereit erklärt hätten, der französischen Industrie über das von ihnen eingegangene Lieferprogramm hinaus in freiem Handel Kohle und Koks zu liefern, sie hätten dafür ‚des prix interessantes‘ vorgeschlagen“ (Pol.Arch.: WRep. Friedensvertrag Allgem. 4, Besetzung des Ruhrgebiets, Sonderakte Kohle, Bd. 4).

Über die Verrechnung der Lieferung und Zahlungen ist im § XVII folgendes bestimmt:

„Jusqu’à expiration du présent accord la valeur, déduction faite des frais de transport jusqu’à la frontière des pays destinataires, des charbons, coke et sous-produits enlevés ou fournis depuis le 11 janvier ainsi que ceux[1167] qui seront enlevés ou fournis ent vertu du présent accord sera inscrite au crédit de l’Allemagne au compte Réparations dans les conditions fixées par le Traité de Paix.

Il en sera de même pour tous autres produits qui ont été enlevés ou fournis ou bien qui seraient enlevés ou fournis au titre des réparations. Sous-réserve des droits de la Commission des Réparations les taxes perçues ou à perçevoir sont versées dans la Caisse des Gages; sans préjuger de la décision que pendra la Commission des Réparations à cet égard les Gouvernements français et belge prélèvent et continueront à prélever sur le disponible de la Caisse des Gages les sommes nécessaires au remboursement des dépenses nécessaitées par l’opération de la Ruhr.“

Wie bereits in meiner Note vom 19. November ausgeführt ist, haben sich die Kohlenzechen zum Abschluß des Vertrages, der ihnen die Finanzierung der der Gegenseite zu machenden Leistungen auferlegt, nur deshalb verstanden, weil nur auf diesem Wege die Wirtschaft der besetzten Gebiete wieder in Gang gebracht und die bei Fortdauer des gegenwärtigen Stillstandes drohenden Gefahren einer vollständigen sozialen Auflösung abgewendet werden können. Unter diesen Umständen hat sich die Reichsregierung mit dem Abschluß des Vertrages abfinden müssen und den Kohlenzechen gegenüber die Verpflichtung zur Erstattung der von ihnen übernommenen Leistungen nach Ordnung der Reichsfinanzen unter der Voraussetzung der Gutschrift der Leistungen auf laufende Reparationsrechnung übernommen5.

5

Vgl. hierzu die Weisung in den Leitsätzen für StS Fischer Anm. 4 zu Dok. Nr. 271.

Die Reichsregierung wiederholt ihre Erklärung, daß sie damit weder die von Frankreich und Belgien durchgeführte Ruhrbesetzung noch die von diesen Mächten im Ruhrgebiet und in den sonstigen besetzten Gebieten getriebene Pfänderpolitik noch das neuerdings gewählte Verfahren unmittelbarer Verträge der Besatzungsbehörden mit deutschen Werken als rechtmäßig anerkennt. Nachdem es nun einmal zum Abschluß des Vertrags gekommen ist, muß die deutsche Regierung wenigstens Wert darauf legen, daß die Sachleistungen und Zahlungen, die auf Grund des Abkommens vom 23. November den Besatzungsmächten zugeflossen sind und zufließen werden, auf die Reparationsverpflichtungen verrechnet werden. Die Dringlichkeit der Entscheidung über diese Frage ergibt sich unter anderem daraus, daß es von ihr abhängt, inwieweit die Kohlenzechen auf Erstattung ihrer Leistungen durch die deutsche Regierung rechnen können.

Nach der Ansicht der Reichsregierung müssen sämtliche auf Grund des Abkommens vom 23. November erfolgenden Leistungen in voller Höhe von der Reparationskommission Deutschland auf laufende Reparationsrechnungen gutgeschrieben werden. Die deutsche Regierung bittet, eine grundsätzliche Entscheidung dieses Inhalts alsbald herbeizuführen. Zur Begründung wird im einzelnen folgendes ausgeführt:

1. Nach den eigenen Erklärungen der französischen und belgischen Regierung, wie sie insbesondere in deren Note an die Reichsregierung vom 10. Januar 1923 enthalten sind, bezweckt der Einmarsch in die Ruhr und die dort[1168] eingeleitete Pfänderpolitik „die Sicherstellung der durch die Reparationskommission festgesetzten Lieferprogramme und die Ergreifung aller für die Bezahlung der Reparationen erforderlichen Maßregeln“. Damit ist unzweideutig zum Ausdruck gebracht worden, daß die von den genannten Mächten in den besetzten Gebieten unmittelbar beigetriebenen Sach- und Geldleistungen zur Abdeckung der deutschen Reparationsverpflichtungen Verwendung finden und demgemäß in den Büchern der Reparationskommission über die laufenden Reparationsverpflichtungen Deutschland gutgeschrieben werden sollten. Die beteiligten alliierten Mächte können sich nach Auffassung der deutschen Regierung, wenn sie die Basis ihres Vorgehens festhalten wollen, dieser Konsequenz nicht entziehen.

2. Nach dem Geist und den Buchstaben des Teiles VIII des Versailler Vertrages soll die gesamte finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands in erster Linie für die Reparation, die im Verhältnis zu Deutschland eine gemeinsame Angelegenheit aller beteiligten alliierten Mächte ist, herangezogen werden. Alles was Deutschland im Hinblick auf seine Verpflichtungen aus Teil VIII des Versailler Vertrages zahlt, gebührt der Gemeinschaft der reparationsberechtigten alliierten Mächte, deren Interessen von der Reparationskommission wahrgenommen werden (§ 12 Abs. 1 der Anlage II zu Teil VIII). Diese Kommission allein hat alle Zahlungen zu vereinnahmen und Deutschland dafür Gutschrift zu gewähren. Deutsche Leistungen an einzelne alliierte Mächte im Zusammenhang mit Teil VIII des Versailler Vertrages ohne Kreditierung auf Reparationskonto sind, abgesehen von dem Ausnahmefall der Restitutionen, nicht vorgesehen. Was von den freiwilligen deutschen Leistungen gilt, muß aber notwendig auch auf solche Leistungen Anwendung finden, die einzelne Mächte zum Zwecke der Befriedigung wegen der Reparationsforderungen aus eigener Macht erzwingen zu können glauben.

3. Hinsichtlich der Kohlen- und Kokslieferungen wird in § XVII des Abkommens vom 23. November ohne einen Vorbehalt der Verrechnung auf die Kosten der Ruhraktion zugestanden, daß ihr Gegenwert gemäß den entsprechenden Vorschriften des Versailler Vertrages auf Reparationskonto gutzuschreiben sind, gleichgültig, ob sie von den Zechen freiwillig geliefert oder seitens der Besatzungsmächte beschlagnahmt worden sind oder werden. Von einer Stellungnahme zu dem vorgesehenen Abzug der Transportkosten bis zur Grenze der Bestimmungsländer kann in diesem Zusammenhange abgesehen werden; sie bleibt vorbehalten. Das gleiche ist in § XVII bezüglich der sonstigen Sachleistungen für Reparationszwecke gesagt. Tatsächlich würde gegenüber den ausdrücklichen Bestimmungen des Versailler Vertrags, insbesondere Artikel 236, und des Londoner Zahlungsplans (Artikel X) eine abweichende Stellungnahme unmöglich mit Erfolg begründet und von der Reparationskommission angenommen werden können, da die in Frage stehenden Sachgüter dadurch, daß sie von Alliierten selbst zwangsweise beigetrieben werden, nicht den Charakter von Naturallieferungen im Sinne des Art. 236 verlieren können. Bezüglich der Erträgnisse der Kohlensteuer und der sonstigen von den Besatzungsmächten erhobenen Abgaben fehlt es naturgemäß an einer ausdrücklichen[1169] Vorschrift des Versailler Vertrages, weil er die Einziehung von Steuern und Abgaben durch alliierte Stellen nicht vorgesehen hat. Wenn der Versailler Vertrag die Möglichkeit dazu eröffnet hätte, würde er zweifellos vorgeschrieben haben, daß das Erträgnis auf die Reparationsverpflichtungen anzurechnen ist. In dieser Beziehung ist von besonderem Interesse die entsprechende Bestimmung, die der Londoner Zahlungsplan in Art. X für die Einnahmen aus dem britischen Recovery Act getroffen hat und das, was in Art. VII desselben Plans über die als Sicherheiten für die Reparationszahlungen bestellten Reichseinnahmen, zu denen auch die von den Besatzungsmächten für sich in Anspruch genommenen Ein- und Ausfuhrabgaben gehören, bestimmt ist. Unter diesen Umständen muß die Notwendigkeit der Gutschrift der Abgaben als das allein Mögliche angesehen werden, zumal da kein vernünftiger Grund für eine unterschiedliche Behandlung der Sachlieferungen auf der einen und der in Frage stehenden Barleistungen auf der anderen Seite gefunden werden kann. Im übrigen verweist die deutsche Regierung auf Art. 243 c des Versailler Vertrags, wo bestimmt ist, daß die Reparationskommission Gutschrift für alle nicht besonders aufgeführten, zur Erfüllung des Vertrages bewirkten Rechtsübertragungen gewähren kann.

4. Die französische und belgische Regierung wollen die erhobenen Abgaben in eine Pfänderkasse abführen und aus deren Beständen in erster Linie die durch die Ruhrbesetzung entstehenden Ausgaben decken. Dazu ist vorweg zu bemerken, daß nicht völlig deutlich ist, ob die aus der Pfänderkasse zu deckenden Ausgaben nur die Aufwendungen der mit der Durchführung der Pfänderpolitik befaßten Besatzungsbehörden oder neben diesen auch noch die Kosten der Besatzungstruppen umfassen sollen. Für die engere Auslegung sprechen die Vorschriften der Ordonnanz Nr. 135 der Rheinlandkommission und der Verordnung Nr. 4 des Militärbefehlshabers im Ruhrgebiet, nach denen die Pfänderkasse nur die Ausgaben des für die Durchführung der Pfänderpolitik gebildeten Komitees zu tragen hat. Dagegen ist im § XVII des Vertrags vom 23. November allgemein von den Kosten der Ruhroperation die Rede.

5. Zu dem französischen Standpunkt muß in erster Linie geltend gemacht werden, daß die Bezahlung der durch die Sonderaktion Frankreichs und Belgiens entstehenden Kosten von Deutschland deshalb in keinem Falle gefördert werden kann, weil, wie die deutsche Regierung immer wieder dargelegt hat, diese Aktion weder durch den Versailler Vertrag noch durch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gerechtfertigt ist, sich vielmehr als eine Rechtsverletzung darstellt.

6. Selbst wenn man von der Rechtswidrigkeit der Ruhraktion absehen wollte, würde dem Vorgehen der französischen und der belgischen Regierung entgegenzuhalten sein, daß ihnen für die einseitige Befriedigung aus den für Reparationszwecke bestimmten Leistungen keine Legitimation zur Seite steht. Das ergibt sich mit voller Deutlichkeit, wenn man die für die Bezahlung der Kosten der im Versailler Vertrag angeordneten Rheinlandbesatzung getroffene Regelung zum Vergleiche heranzieht. Eine einseitige Beitreibung der nicht[1170] durch Requisitionen und Markvorschüsse gedeckten Besatzungskosten durch die einzelnen Besatzungsmächte ist weder im Vertrag vorgesehen noch bisher vorgenommen worden. In dem Abkommen der alliierten Finanzminister vom 11. März 1922, das übrigens die Besatzungskosten Belgiens, Frankreichs und Englands auf bestimmte Jahresbeträge festgesetzt und die Erhöhung derselben weiteren interalliierten Vereinbarungen vorbehalten hat, ist der Auftrag der Repko bestätigt worden, die Einziehung der Besatzungskosten sicherzustellen und dafür ein besonderes Konto anzulegen. Die Repko ist danach auch auf diesem Gebiete allein zuständig. Wenn in den Jahren 1921 und 1922 die Abdeckung der Besatzungskosten durch Verrechnung gegen deutsche Sachlieferungen erfolgt ist, so ist dieses Verfahren auf Grund einer besonderen Klausel des genannten Abkommens, unbeschadet der Anrechnung der Sachlieferungen auf die laufenden deutschen Reparationsverpflichtungen von der Repko, nicht von den einzelnen Mächten durchgeführt worden. Es darf ferner darauf verwiesen werden, daß auch die Vereinigten Staaten von Amerika die Bezahlung ihrer Besatzungskosten im Wege einer Vereinbarung mit den Alliierten geregelt haben. Stellt man hiernach die Frage, ob eine einzelne Besatzungsmacht die ihr zufließenden Reparationsleistungen gegen ihre Besatzungskosten verrechnen kann, ohne daß der Wert der Lieferungen von der Reparationskommission in ihre Bücher übernommen wird, so kann die Antwort nur dahin lauten, daß ein solches Vorgehen dem geltenden Vertragsrechte nicht entsprechen würde. Da nun aber Frankreich und Belgien bezüglich der ihnen durch die Ruhraktion erwachsenden Kosten keinesfalls eine günstigere Stellung in Anspruch nehmen können, als sie den an der Rheinlandbesetzung beteiligten Mächten hinsichtlich der Besatzungskosten zukommt, so kann auch die einseitige Verwendung von Mitteln der Pfänderkasse zur Abdeckung jener Kosten unmöglich als gerechtfertigt angesehen werden. Die erzwungenen deutschen Leistungen gehören zunächst in die Reparationskasse. Ihre Verrechnung auf Kosten der Ruhraktion könnte, wenn man von deren Rechtswidrigkeit absehen wollte, jedenfalls nur auf Grund eines Einvernehmens der alliierten Mächte durch die Reparationskommission erfolgen.

7. Es muß ferner in diesem Zusammenhang auf Art. 248 des Versailler Vertrages hingewiesen werden. Frankreich und Belgien wollen deutsche Leistungen zur einseitigen Abdeckung im Versailler Vertrag nicht vorgesehener Forderungen verwenden. Hierzu würde die Genehmigung der Reparationskommission erforderlich sein. Die deutsche Regierung widerspricht ihrerseits einer solchen Genehmigung, die der Rechtslage und ihren Interessen nicht gerecht werden würde, und erwartet, daß sich die Reparationskommission dazu nicht herbeilassen wird.

8. Für die vorliegende Frage kann weiter Art. 252 V.V. herangezogen werden. Wenn dort das Verfügungsrecht der einzelnen alliierten Mächte über die feindlichen Guthaben und das feindliche Eigentum vorbehalten wird, die sich beim Inkrafttreten des V.V. in ihrem Herrschaftsbereich befanden, so ist daraus e contrario zu schließen, daß darüber hinaus ein einseitiges Verfügungsrecht der Mächte über deutsches Eigentum und deutsche Leistungen vom[1171] V.V. nicht anerkannt wird. Frankreich und Belgien nehmen aber im vorliegenden Falle ein solches Recht in Anspruch.

9. Schließlich macht die deutsche Regierung auf die Note aufmerksam, die der Oberste Rat der Alliierten am 23. August 1919 aus Anlaß der Beschlagnahme ungarischen Eigentums durch rumänische Truppen an die Rumänische Regierung gerichtet hat.

In der Note wird es unter Hinweis auf den damals bereits unterzeichneten Vertrag von Versailles als ein grundlegendes Prinzip des Reparationssystems bezeichnet, daß die Vermögenswerte der Zentralmächte ein gemeinsames Pfand aller alliierten Mächte bildeten, und daß allein die Reparationskommission als Vertreter der alliierten Regierungen für die Verwendung dieser Vermögenswerte zu Reparationszwecken zuständig sei. Daraus wird die Folgerung hergeleitet, daß Rumänien nur mit Zustimmung der übrigen alliierten Mächte die Hand auf ungarisches Eigentum legen dürfe. Es wird hinzugefügt, daß es zu Ungerechtigkeiten und zu einer Gefährdung der alliierten Interessen führen müsse, wenn das Prinzip der Reparation in eine von einem einzelnen Alliierten vorgenommene Aneignung ausarte. Der Oberste Rat hat hier mit aller Klarheit zum Ausdruck gebracht, daß jede Reparationsfrage die Gesamtheit der beteiligten alliierten Mächte angeht, und daß keine dieser Mächte zu einseitigen Maßnahmen gegen die Schuldnerstaaten befugt ist.

Die vorstehenden Ausführungen ergeben mit zwingender Notwendigkeit, daß

a)

alle Leistungen an Kohlen und sonstigen Sachgütern sowie an Geld, die die Zechenbesitzer auf Grund des Abkommens mit der Micum vom 23.11.1923 bewirken, und alle Beschlagnahmen der Besatzungsbehörden, die durch den Vertrag bestätigt werden, deutsche Reparationsleistungen darstellen und deshalb von der Reparationskommission auf laufende Reparationsrechnung gutzuschreiben sind,

b)

die Verrechnung solcher Leistungen auf Kosten der Ruhraktion nicht zulässig ist, zum mindesten aber nur durch die Repko auf Grund einer interalliierten Vereinbarung erfolgen könnte6.

6

Zu einer späteren Beurteilung des Micum-Abkommens durch Stresemann s. seine Aufzeichnung vom 19.2.24, Vermächtnis I, S. 302 ff., hier S. 309 f.

In Vertretung

gez. Müller

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