2.127 (vpa1p): Nr. 126 Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über eine Besprechung mit dem Präsidenten des Deutschen Landgemeindetages Gereke am 5. September 1932

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[513] Nr. 126
Aufzeichnung des Ministerialrats Feßler über eine Besprechung mit dem Präsidenten des Deutschen Landgemeindetages Gereke am 5. September 19321

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Eine „Fühlungnahme“ mit Gereke, der am 16. 8. vom Dt. Landgemeindetag aufgestellte „Leitsätze für ein Arbeitsbeschaffungsprogramm zur Behebung der Arbeitslosigkeit“ an den RK übermittelt hatte, war bereits in der Ministerbesprechung vom 31. 8. erwogen worden (Dok. Nr. 121, P. 5, dort auch Anm. 36). – Einladung zu dieser Besprechung erging daraufhin mit Schreiben Plancks an Gereke vom 2. 9. (R 43 I /2045 ,Bl. 313). – Die Aufzeichnung Feßlers ist datiert vom 7.9.32.

R 43 I /2045 , Bl. 314–316

[Arbeitsbeschaffung: „Gerekeplan“]

Der Reichskanzler empfing am 5. September 1932 nachmittags Präsident Gereke und Generaldirektor Dr. Lübbert im Beisein des Reichswirtschaftsministers, des Reichsministers der Finanzen, des Reichsarbeitsministers, des Staatssekretärs in der Reichskanzlei und des Ministerialrats Dr. Feßler.

Dr. Gereke hielt es nicht für wahrscheinlich, daß das Programm der Reichsregierung zu einer sehr erheblichen Mehreinstellung von Arbeitern führen werde. Es werde sich erst allmählich auswirken.

Er sah eine rasche Möglichkeit der Arbeitsbeschaffung vornehmlich in unmittelbaren Aufträgen von Körperschaften des öffentlichen Rechts2. Die Finanzierung könne in Anlehnung an den Gedanken der Steuergutscheine durch langfristige Kreditnahmen erfolgen, die jährlich zu amortisieren wären. Ihre Deckung sei die Steuerkraft der öffentlichen Hand3.

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Bei diesen und den nachfolgenden Ausführungen bezog sich Gereke offenbar weitgehend auf die in den „Leitsätzen“ (vgl. Anm. 1) entwickelten Thesen und Forderungen. Dort heißt es u. a.: „Von der Privatwirtschaft wird die Initiative zur Belebung des Arbeitsmarktes aus mehreren Gründen zur Zeit nicht erwartet werden können. Hierzu sind vielmehr die öffentlichen Körperschaften und Verbände berufen, einmal, weil ihnen, insbesondere dem Reich, die Wahrung des öffentlichen Interesses obliegt, […] ferner, weil die öffentlichen Körperschaften zur Unterstützung der Arbeitslosen verpflichtet sind und deshalb ein grundsätzliches Interesse daran haben, die aus ihrer Unterstützungspflicht erwachsende Belastung nach Möglichkeit herabzumindern. Schließlich sind die öffentlichen Körperschaften deshalb zur Trägerschaft berufen, weil es sich bei den Maßnahmen vielfach um Arbeiten handeln muß, die ihrer Natur nach nicht im privatwirtschaftlichen Sinne rentabel sind und infolgedessen von der Privatwirtschaft nicht in Angriff genommen werden, und weil es an genügenden Arbeiten, die im privatwirtschaftlichen Sinne rentabel sind, zur Zeit mangelt. Es kommen für die Arbeitsbeschaffung nur in Frage Aufbauarbeiten. Solche Arbeiten sind in höchstem Maße volkswirtschaftlich produktiv, weil sie das Land verkehrsmäßig erschließen, von höchster Bedeutung für die Ernährungslage sind und den bevölkerungspolitischen Belangen Rechnung tragen.“ Man könne unter den Aufbauarbeiten folgende Gruppen unterscheiden: 1) Ernährungspolitische Aufbauarbeiten, zu denen u. a. Deichbau- und Entwässerungsmaßnahmen, Bodenmeliorationen und Aufforstungen gehörten; 2) Volkspolitische Aufbauarbeiten mit dem Ziel, „bevölkerungs- und wehrwirtschaftliche Grundlagen zur Wiedergewinnung der deutschen Weltgeltung zu schaffen“: Bauern- und Handwerkersiedlung vornehmlich in Ostdeutschland, „gärtnerische und halbländliche Siedlung in den Großstadt- und Industriegebieten, Sanierung der unhaltbaren Wohnverhältnisse in den Altstädten“; 3) Verkehrspolitische Aufbauarbeiten zur „Entfaltung des heimischen Marktes“: Bau großer „Schnellverkehrsverbindungen aller Art“, Schaffung eines „engen Netzes von Flugplätzen“, Bau von Kraft-, Wasser- und Gaswerken, Brückenbau (R 43 I /2045 , Bl. 307).

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Hierzu die „Leitsätze“ u. a.: Die Finanzierung der vorgeschlagenen Arbeiten „ist auf dem bisher üblichen Wege der verzinslichen Anleiheaufnahme nicht möglich. Einmal verbietet sich die Beschaffung solchen Kredits wegen der damit verbundenen hohen Zinsbelastung, denn auch die öffentlichen Körperschaften dürften durch die Anleihen der Vergangenheit, insbesondere auch die ausländischen Verpflichtungen, stark belastet sein. Zum anderen steht solcher Kreditaufnahme, soweit sie im Auslande erfolgen müßte, die Tatsache gegenüber, daß jede weitere Auslandsverschuldung unterbleiben muß. Es ist also notwendig, einen neuen Weg zu beschreiten. Dieser Weg ist zwar auch der des Kredits, aber eines zinslosen. Durch die Nichtforderung von Zinsen wird der derzeitigen Steuerschwachheit der Wirtschaft Rechnung getragen. Die Gefährdung der Währung wird durch die Begrenzung der Kreditausweitung und ihre Anpassung an das Wirtschaftsvolumen vermieden.“ Grundlage für diese Kredite „bildet das Hoheitsrecht der öffentlichen Hand. Die Kredite sind also gesichert durch die Steuerkraft, von der angenommen werden kann, daß sie durch die bei der Durchführung zwangsläufig eintretende Belebung der Wirtschaft gehoben wird“ (R 43 I /2045 , Bl. 309).

[514] Zur Beschaffung der daraufhin erforderlichen weiteren Geldzeichen könne die Reichsbank die Möglichkeiten, Silber auszuprägen, im vollen Umfange ausschöpfen4. Sie könne darüber hinaus durch eine Änderung des Münzgesetzes ermächtigt werden, die Quote von 30 M auf den Kopf der Bevölkerung zu überschreiten. Offen könne die Zinsfrage bleiben. Es würden nur Verwaltungskosten entstehen. Der Plan könne noch im Jahre 1932 etwa 1 Million Arbeitslose neuer Beschäftigung zuführen.

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In den „Leitsätzen“ heißt es dazu u. a.: Das Reich habe „im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen [d. h. auf Grund des Münzgesetzes vom 30.8.24 in der Fassung der NotVO vom 18.7.31, RGBl. I, S. 379 ] noch das Recht, für 280 Millionen Reichsmark Silbermünzen ausprägen zu lassen, denn es dürfen je Einwohner bis zu 30 Reichsmark, also insgesamt 1950 Millionen Reichsmark Münzen ausgegeben werden, während jetzt erst für 1670 Millionen Reichsmark geprägt sind. Außerdem hat die Reichsbank zur Zeit zwischen 180 und 250 Millionen Reichsmark Silbermünzen auf Lager, die von der Wirtschaft infolge des Schrumpfungsprozesses und des Mangels an Krediten nicht in Anspruch genommen sind. Die Höhe dieser vielleicht erforderlichen neuen Zahlungsmittel würde etwa ein Zwölftel des für ein Jahresprogramm benötigten Kredits betragen, weil bei der schnellen Zirkulation des Geldes mit einem etwa zwölfmaligen Umschlag zu rechnen ist.“ (R 43 I /2045 , Bl. 310).

Die Kredite müßten durch eine Zentralstelle in Verbindung mit der Reichsbank überwacht werden5. Zeigten sich Gefahren für die Währung, so wäre es möglich, sie abzustoppen. Wie weit gegangen werden könne, lasse sich nur in der praktischen Arbeit ausproben.

5

Die „Leitsätze“ dazu u. a.: „Zu diesem Zweck ist eine zentrale Stelle zu bilden, an deren Spitze der Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung steht, der Sitz im Kabinett hat und mit weitgehenden Vollmachten zu versehen ist. Ihm werden zur Seite gestellt: ein Finanzbeirat und ein volkswirtschaftlicher Planungsausschuß. Dem Finanzbeirat gehört u. a. ein Vertreter der Reichsbank sowie ein Vertreter der Reichskreditanstalt an.“ (R 43 I /2045 , Bl. 307).

Für diese Pläne würden die Nationalsozialisten ebenso eintreten wie die Gewerkschaften und die politisch zwischen ihnen stehenden Gruppen6.

6

Vgl. Anm. 36 zu Dok. Nr. 121.

Dr. Lübbert ergänzte die Ausführungen mit dem Hinweis darauf, daß die privaten Unternehmer die Steuerscheine aller Voraussicht nach in der Hauptsache zur Abdeckung ihrer Schulden benutzen würden. Die Unternehmer seien moralisch nicht mehr stark genug, um die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen nach dem neuen Plane oblägen. Die Arbeitslosigkeit der Millionen sei schlimmer als ein Verfall der Währung, den er keineswegs für ein Unglück ansehe7. Die Bauwirtschaft läge völlig darnieder. Sie habe im Jahre 1928 9 Milliarden, im Jahre 1932 nur etwa 2 Milliarden Aufträge erhalten. Würde den Kommunalverbänden und Genossenschaften die Möglichkeit gegeben, insgesamt 1–2 Milliarden Kredite[515] zu erhalten, so wäre es auch möglich, unrentable Arbeiten in Angriff zu nehmen, die insbesondere eine Verstärkung der landwirtschaftlichen Erzeugung zur Folge hätten.

7

Hierzu vgl. die Ausführungen Luthers und Warmbolds zum „Gerekeplan“ in der Ministerbesprechung am 31. 8. (Dok. Nr. 121, P. 5, dort unter „Arbeitsbeschaffungsvorschläge“).

Der Reichskanzler hielt die Vorschläge in ihren Grundzügen für sehr erwägenswert. Sie lehnten sich an die italienischen Vorbilder an und wären eine wertvolle Ergänzung des Regierungsplanes, wenn die Finanzfrage glücklich gelöst würde.

Der Reichswirtschaftsminister schlug vor, die Probleme in weiterer, eingehender Aussprache zu klären und beschränkte sich auf einzelne kurze Äußerungen wegen Mangels an Zeit. Er wies darauf hin, daß nicht nur die Geldmenge, sondern vor allem auch der rasche Umsatz des Geldes für die Währung entscheidend sei. Nach Feststellungen der Vereinigten Staaten bei 140 Banken sei sich das Buchgeld in den Jahren 1927 bis 1932 mit rund 35 Milliarden ungefähr gleichgeblieben. Es sei aber in der Hochkonjunktur 2,9 mal im Jahre umgesetzt worden gegen 0,8 mal in der Depression.

Unrentable Arbeiten zur Steigerung der Bodenerzeugung seien Fehlinvestitionen. Mit dem geringen Kapital müsse Deutschland haushalten. Steigerung der heimischen Agrarerzeugung würde auf den Weltmarkt drücken, da im Inland ausreichender Absatz nicht vorhanden wäre. Das ganze agrarpolitische System würde gefährdet. Notwendig sei, das Land zu verbessern, das in Kultur stehe, nicht aber neue Flächen urbar zu machen.

Das Arbeitsprogramm der Reichsregierung werde unterschätzt. Die öffentlichen Aufträge würden sich insgesamt auf etwa ¾ Milliarden belaufen. Sie könnten aber nicht für Luxusstraßen ausgegeben werden, sondern müßten für Straßen im Osten Verwendung finden, die das Land erschlössen. Straßenreparaturen seien Kapitalerhaltung. Meliorationen seien vertretbar. Freiwilliger Arbeitsdienst, Siedlung, Reichsbahn, Post und Hausreparaturen seien in dem Programm eingeschlossen, das 375 000 Menschen unmittelbar Arbeit geben werde. Hinzu kämen 200 000 im freiwilligen Arbeitsdienst und voraussichtlich neue Russenaufträge8. Dadurch werde weitere Nachfrage sichergestellt, die sich schnell in weiterer Arbeit auswirken werde. Die gesamte Privatwirtschaft werde[516] belebt, die immer noch 70% der Volkswirtschaft ausmache. Es sei zu hoffen, daß in Kürze 1 Million Arbeiter von der Straße verschwänden, zumal die Lagerbestände zurzeit einen Tiefstand erreicht hätten, wie etwa kurz nach der Inflation. Allerdings seien sie ungleich verteilt. Bei Kohle und Eisen sei der Vorrat erheblich.

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Gemeint sein könnten (1) Aufträge in Verbindung mit den seit 1926 vom Reiche für umfangreiche dt. Warenlieferungen nach Rußland gewährten Ausfallbürgschaften (vgl. diese Edition: Die Kabinette Luther I/II, Dok. Nr. 277, P. 3; 292, P. 2; Die Regierung Hitler 1933/34, Dok. Nr. 176) oder (2) ein von dem Eisenindustriellen Otto Wolff betriebenes „Russengeschäft“, über dessen Finanzierung Wolff den RbkPräs. am 31.8.32 folgendermaßen unterrichtet hatte: „Objekt 250 Millionen, wovon bis zu 50 Millionen Maschinen und das übrige Walzwerk-Erzeugnisse. Angeblich Vertrag binnen weniger Tage abschließbar. Beschäftigung der Industrie vom 1. Oktober 1932 bis etwa 1. Juli 1933. Bezahlung durch Schatzanweisungen des russischen Petroleum-Trustes, die von der russischen Regierung garantiert sind. Die Schatzanweisungen verpflichten zur Bareinlösung, geben aber auch das Recht, damit russisches Petroleum zu bezahlen (und sollen, worüber mit den Russen nicht gesprochen worden ist, auch an andere Länder verkauft werden können, die dann ihrerseits Petroleum damit bezahlen könnten). Die Schatzanweisungen werden, wie O. W. annimmt, sofort bei Bestellung ausgehändigt werden und auch sofort Zinsen tragen, welche Zinsen später zurückzurechnen sind, da der Kaufpreis erst bei Lieferung fällig werden wird. Die Fälligkeit der Schatzanweisungen soll in ¼ Jahresbeträgen von 25 Millionen Mark laufen und am 1. Januar 1934 beginnen. O. W. ging zunächst von dem Wunsche aus, daß keine Reichsgarantie gegeben werden möchte, will nun aber doch Warmbold sprechen. Ich habe ihm gesagt, daß das Geschäft, wenn überhaupt, doch nur über die Banken ginge […]. Irgendeine Zusage für die Reichsbank habe ich nicht gemacht.“ (Aufzeichnung des RbkPräs. vom 31. 8. in NL Luther  347).

Eine Kreditausweitung würde nicht wirken, wenn nicht gleichzeitig die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes gesteigert würde. Die Vorgänge an der Börse seien ein erfreuliches Zeichen für diese Beschleunigung des Geldumlaufs.

Jede Geldschöpfung, die inflatorischen Charakter habe, müsse vermieden werden. Sie brächte wieder eine Enteignung der Sparkassengläubiger und der Träger der öffentlichen Versicherungen. Auch müsse nunmehr die Devalvation aus der öffentlichen Betrachtung ausgeschlossen werden. Es habe keinen Sinn, den Wert des Geldes zu ändern, wenn das Thermometer der Wirtschaft auf minus 20° stände. Zunächst sei es notwendig, es auf 0° zu bringen. Und wenn es gelänge, auf 10° über 0 zu steigern, dann wäre eine wesentliche Besserung erzielt. Dann auch sei es möglich, sich erneut über die Devalvation zu unterhalten.

Der Reichsarbeitsminister erwartete von der Anregung der Privatwirtschaft und ihrer freien Betätigung einen starken Rückgang der Arbeitslosigkeit. Aufträge der öffentlichen Hand seien nur Notmaßnahmen. Sie seien in so starkem Maße eingeleitet, daß darüber hinaus die private Initiative wirken müsse. Jedenfalls werde aber auch die Finanzierung noch eingehender Aussprache bedürfen.

Der Reichsminister der Finanzen sah in den Auffassungen nur einen Gradunterschied, der für oder gegen die stärkere Betonung der öffentlichen oder privaten Initiative maßgebend sei. Grundsätzlich werde es zweckmäßig sein, die Gemeinden heranzuziehen. Die Finanzierung sei nach den Vorschlägen des Landgemeindetages eine reine Kreditschöpfung, die die Reichsbank ausschließlich belasten werde. Nur wenn eine Zeichnung und spätere Einzahlung vorgesehen sei, werde die Reichsbank Anleihen finanzieren können.

Demgegenüber sei der Steuerschein keine Geldschöpfung. Er solle als Kreditunterlage dienen, um produktive Handelswechsel zu schaffen, um also die normale Kreditschöpfung zu ermöglichen.

Die Fragen werden zunächst am 6. September von den Beteiligten mit dem Reichsminister der Finanzen durchgesprochen. Dann soll eine gemeinsame Sitzung mit der Reichsbank anberaumt werden9.

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Hierzu nichts ermittelt. Zum Fortgang s. Dok. Nr. 161, P. 5.

F[eßler]

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