2.90.2 (wir1p): 2. Steuerfragen.

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2. Steuerfragen.

Der Reichskanzler betonte, daß ein Hauptproblem die Beantwortung der Frage sei, ob die vorliegenden vorläufigen Steuergesetze im Sinne des Ausgleichs: – hie Konsum – hie Besitzsteuern – ausreichend seien. Die Vertreter der Mehrheitssozialdemokratie hätten keinen Zweifel darüber gelassen, daß die vorliegenden Gesetze für sie nicht tragbar seien; sie müßten vielmehr eine stärkere Heranziehung des Besitzes verlangen. Seit Tagen habe er sich mit dieser Frage beschäftigt und mehrere Schritte unternommen, um die Situation zu klären. Streng vertraulich wolle er nun folgendes ausführen.

 

Die bisherige Fragestellung sei nicht der Situation völlig angemessen, vielmehr müsse gefragt werden, wo die Kreise wären, die dem Reich Gold verschaffen könnten. Es könne sich nicht darum handeln, durch Genußscheine Papiermark zu beschaffen, sondern Gold müsse beschafft werden, damit die Erfüllung der Reparationsverpflichtungen für die nächste Zeit ermöglicht würde. Die Erfüllbarkeit des Ultimatums wolle er heute nicht erörtern. Eine Weiterleistung[255] sei aber nur möglich, wenn wir Gold bekämen. Er habe daher Verbindung mit der Industrie gesucht und auch eine Sitzung mit ihr gehabt5. Dabei habe er ausgeführt, daß es nicht mehr auf die Frage der Golderfassung, sondern auf das „Wie“ ankomme. Er habe hingewiesen auf die politische Entwicklung, auf den sozialdemokratischen Parteitag6, auf dem keine Fixierung oder eine Versteinerung von Gegensätzen stattfinden dürfe, die nachher ohne politische Konflikte nicht zu lösen sein würden. Er habe den Herren weiter klargelegt, daß die Kreise, die eine Erfassung der Substanz verlangten, nicht nur unter den [Mitgliedern] der MSPD, sondern auch unter den christlichen Gewerkschaften zu finden seien. Nur die Wege gingen hierbei noch auseinander. Der Ministerpräsident Stegerwald habe gesagt, daß für ihn die Erledigung der Steuerreform verbunden sei mit einem namhaften Opfer des Besitzes; wie dieses erfolge, sei ihm gleichgültig. Die Industrie sei bereit, dem Reich Gold zu beschaffen. Dies sei auf zweierlei Weise möglich, daß sie Gold gebe oder daß sie selbst große Opfer auf sich nehme aus vorhandenen Devisenbeständen oder durch Inanspruchnahme ihres Auslandskredits, indem sie gegebenenfalls ihre Werte belaste, in beiden Fällen gegen entsprechende Vergünstigungen auf steuerlichem Gebiet. Die Industrie habe die Summe von 1½ Milliarden genannt. Dieser Betrag sei ein namhafter Teil dessen, was an Gold im Laufe des nächsten Jahres geleistet werden müsse. Die Industrie habe als Kompensation erbeten:

5

Siehe Besprechungen mit dem Reichsverband der dt. Industrie vom 7. 9. und 14.9.21, Dok. Nr. 82 und Dok. Nr. 91.

6

Vom 17.–24. Sept. findet in Görlitz der Parteitag der SPD statt, der eine Resolution zur Koalitionsfrage annimmt, die die Bereitschaft zum Zusammengehen der SPD mit der DVP offenhält.

a)

eine raschere Reformierung des Eisenbahn- und Postwesens unter Hinweis auf das amerikanische Vorbild, wo die Verkehrsinstitute sich selbst unterhalten müßten,

b)

gewisses Entgegenkommen in steuerlicher Hinsicht durch Hergabe von Steuerbonds, mit denen Steuern bezahlt werden könnten.

Das Problem sei noch nicht zum Abschluß gelangt, weil man noch erwägen müsse, wie man einen weiteren Druck des Markkurses verhindert könne. Jedenfalls müsse bei den Vereinbarungen mit der Industrie ein Opfer herauskommen. Die Verhandlungen würden morgen7 fortgesetzt. Auch die Bankwelt sei dazu geladen. Er wolle noch ausdrücklich auf den streng vertraulichen Charakter der heutigen Mitteilungen hinweisen, weil sonst alles verloren sei. Die Sozialdemokratie habe gewünscht, daß ihr besonders eine Mitteilung über den Gang der Verhandlungen gemacht würde. Er habe dafür Donnerstag [15. 9. 1921] in Aussicht genommen und wolle nachher auch die anderen Regierungsparteien dazu laden. Sollte die Angelegenheit morgen mit der Industrie ins reine kommen, so wolle er dann die Landwirtschaft laden und mit ihr die Form besprechen, in der sie dem Reich ein Opfer zu bringen hätte. Er glaube, daß die Frage der Beteiligung wohl hineingeworfen würde, die Beschaffung von Gold aber scheine ihm das Wichtigere zu sein.

7

Siehe Dok. Nr. 91.

[256] Ferner wolle er noch darauf hinweisen, daß die wilde Spekulation in Devisen, die jetzt eingesetzt habe, nicht so weitergehen könne. Diese Ausnutzung der Not des Vaterlandes müsse gestoppt werden. Er müsse sich vorbehalten, in welcher Weise er dort eingreifen wolle. Er bäte, daß die Parteien zur Zeit auch hierzu keine Stellung nähmen.

Exzellenz Spahn glaubte, daß eine Debatte hierüber wohl nicht stattzufinden brauche.

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