1.100.4 (wir2p): 3. Gesetz zum Schutze der Republik.

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3. Gesetz zum Schutze der Republik.

Der bayerische Justizminister Dr. Gürtner glaubte, sich kurz fassen zu können. Die materiellen Bestimmungen böten ihm keinen Anlaß, etwas zu sagen, da sie auch in die bayerische Verordnung übernommen seien. Er wolle nur darauf hinweisen, daß in Bayern die Anschauung bestände, man sei in manchen Bestimmungen über das notwendige Maß hinausgegangen. Die wichtigste Frage sei die des Staatsgerichtshofes, die in diesen Tagen nochmals mit den maßgebenden politischen Führern besprochen worden sei. Die Benennung von Laienrichtern durch die vollziehende Gewalt nach gewissen politischen Gesichtspunkten habe in Bayern den Widerstand gegen das Schutzgesetz erzeugt. Es bestehe der Eindruck, daß es sich um ein politisches Gericht handele, und zwar nicht bloß in den Kreisen der Koalitionsparteien, sondern darüber hinaus. Der Makel des politischen Gerichtes müsse dem Staatsgerichtshof genommen werden. Diese Frage sei seiner Auffassung nach keine ausschließlich bayerische Frage, könne aber in der Praxis zunächst bei Bayern Anwendung finden. Besonders schlimm werde der Eingriff in die bayerische Justizhoheit empfunden. Eine Menge von Straftaten werde den bayerischen Gerichten gegen den Widerspruch Bayerns entzogen. Wenn gesagt würde, daß dies auch früher schon beim Reichsgericht geschehen sei, so müsse er entgegnen, daß es beim Reichsgericht sich um kein politisches Gericht handele, sondern um ein Gericht, dessen Zuständigkeit unter Zustimmung aller Länder festgesetzt sei. Er würde daher empfehlen, die Aburteilung sämtlicher bayerischer Straftaten den bayerischen Gerichten vorzubehalten.

[996] Der Reichsminister der Justiz erklärte, daß er sich über die Errichtung des Staatsgerichtshofes als solchen nicht äußern wolle. Lediglich über die Grundsätze für die Vorschläge von Richtern wolle er sich äußern. Drei Gesichtspunkte hätten ihn bei der Zusammensetzung des vorläufigen Staatsgerichtshofes geleitet: 1. die Berufung von ruhigen, sachlichen richterlichen Persönlichkeiten und von Persönlichkeiten, die nicht nur lokal, sondern allgemein bekannt seien; 2. die Berufung von Persönlichkeiten mit einer gesunden Weltanschauung, durch die eine gerechte Mischung aller Standpunkte gewährleistet sei; 3. die Beteiligung der Länder. Sofort nach Erlaß des Gesetzes habe er mit Bayern Fühlung genommen; eine für geeignet erachtete Persönlichkeit, der Professor von Calker8, habe aber abgelehnt. Auch bei der Auswahl der beamteten Richter sollten Persönlichkeiten bayerischer Staatsangehörigkeit berücksichtigt werden. Nach diesen Richtlinien wolle er verfahren. Die Richtlinien seien noch nicht endgültig aufgestellt, weil erst ein Überblick über die Fälle, über die der Staatsgerichtshof zu entscheiden haben werde, gewonnen werden sollte. Er könne zusagen, daß Sachen, die schon weiter zurücklägen, den Ländern grundsätzlich zur Aburteilung zugewiesen werden sollten, ferner Sachen ohne besondere Bedeutung und lediglich lokalen Charakters. Nur ein ganz kleiner Teil der Fälle werde vor den Staatsgerichtshof kommen, mindestens 90% würden an die Länder abgegeben werden. Er könne sich aber nicht auf den Standpunkt stellen, daß gewisse Kategorien von Straftaten von vornherein den Ländern überlassen bleiben sollten. Jedenfalls sollten nur die allerwichtigsten dem Staatsgerichtshof zur Aburteilung unterbreitet werden.

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Siehe Dok. Nr. 327 Anm. 3.

Der bayerische Justizminister erwiderte, daß die Überweisung der Bagatellsachen selbstverständlich an die einzelnen Gerichte erfolgen müsse. Er zweifle aber, ob auf diesem Wege die Frage gelöst werden könne. Von großer Bedeutung sei ferner die Frage der Auswahl der Persönlichkeiten. Diese Frage sei eine Vertrauensfrage. Der Anschauung, daß der Staatsgerichtshof ein politisches Gericht bleibe, könne er nicht beitreten. Diese Frage sei delikat und auf dem Wege der Personalbesetzung und der Diskretionsüberweisung nicht zu lösen.

Graf Lerchenfeld betonte die Schwierigkeit dieser Frage auch mit Rücksicht auf die Grundanschauung, die er bei den Verhandlungen mit den verschiedenen Parteien und den maßgebenden Leuten in Bayern gewonnen habe; auch er zweifle, daß es gelingen werde, durch Überweisung zu einem Ergebnis zu kommen. Vielleicht wäre eine engere Aussprache zwischen beiden Justizressortvertretern von Wert.

Der Reichsminister der Justiz glaubte, daß auf diesem Wege auch hier zu einem Ergebnis zu kommen sein würde.

Minister Dr. Schweyer betonte die große Bedeutung des § 179 für die Polizei.

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Sinngemäß identisch mit Dok. Nr. 301 § 2 (RGBl. 1922 I, S. 588 ).

Der Reichsminister des Innern glaubte, daß man zu einer Einigung kommen werde. Die Frage, ob und wann das Reichsministerium des Innern ein solches[997] Ersuchen stelle, unterliege politischer Erwägung. An Bayern sei ein solches Gesuch nach §§ 17 und 14 nicht ergangen.

Der Reichspräsident stellte fest, daß auch diese Fragen Gegenstand einer Erörterung im engeren Kreise werden sollten. Er glaubte die Erörterung hierüber in diesem Kreise abbrechen zu können und stellte zur Erwägung, ob man nunmehr noch in die Erörterung der politischen Frage eintreten, oder ob man dies erst im Laufe des Nachmittags im engeren Kreise tun wolle.

Der Reichskanzler nahm an, daß die Besprechung im engeren Kreise längere Zeit dauern würde. Es sei daher nicht zweckmäßig, diese Frage auf morgen zu vertagen.

Graf Lerchenfeld erklärte sich bereit, die Frage jetzt zu erörtern, damit die Reichsregierung die Grundanschauung der Bayerischen Regierung kennenlerne.

Graf Lerchenfeld führte aus, daß in weiten Kreisen des bayerischen Volkes die Besorgnis bestehe, es möchte die Weimarer Verfassung eine Auslegung erfahren, durch die schrittweise das den Ländern verbliebene Recht beschränkt und sie zu Provinzialinstanzen herabgewürdigt werden würden. Dadurch würde die Reichsfreudigkeit leiden. Es sei kein Zweifel, daß unmittelbar nach dem Kriege in dem Stadium der Wirrnisse der Wille des Stammesbewußtseins weniger zum Ausdruck gekommen sei und weite Kreise des Volkes abseits gestanden hätten, weil sie sich in der Verzweiflungsstimmung vom politischen Leben abgekehrt hätten. So habe auch in Bayern, als am 11. August die Weimarer Verfassung abgeschlossen worden sei, die Bevölkerung wenig Anteil an der Entwicklung genommen. Allmählich sei sie erst bewußt geworden, daß man Rechte aus der Hand gegeben und Reservatrechte beseitigt habe. Dadurch sei eine gewisse Unzufriedenheit hervorgerufen, die mit der Zeit tiefer eingefressen habe und die jetzt mit Macht an den Tag getreten sei; sie sei nicht künstlich entfacht, sondern aus der Entwicklung heraus entstanden. Sein Bestreben sei es gewesen, mit Rücksicht auf das Zusammenhalten und die Bekämpfung des Separatismus diese Bewegung zu einer rückläufigen zu gestalten und die Reichsfreudigkeit zu beleben. Er wolle dem Volke sagen, daß in der Staatlichkeit des Landes keine Änderung eingetreten sei, und daß Hoheitsrechte ohne Zustimmung des bayerischen Volkes nicht geschmälert werden dürften. Die Abänderung der Weimarer Verfassung müsse erschwert und eine Bestimmung aufgenommen werden, die ähnlich wie Artikel 78 der alten Reichsverfassung gewisse Sicherheiten bringe. Er bat darauf den bayerischen Gesandten, nach dieser Richtung hin noch einige Ergänzungen zu machen.

Herr von Preger bat um eine Garantie, daß die staatlichen Rechte nicht im Wege der Majorisierung erledigt werden dürften. Er erläuterte die Bestimmungen der Verfassung, insbesondere Artikel 2, 6–11, 14, 16–18, 103, in denen Rechte der Länder anerkannt und geschützt würden. In Bayern sei die Besorgnis vorherrschend gewesen, daß die in der Reichsverfassung begründeten Rechte auf dem Wege der Gesetzgebung den Ländern genommen werden könnten. Wenn dieser Besorgnis auf dem Wege einer authentischen Interpretation Rechnung getragen würde, so würde in Bayern eine große Beruhigung eintreten. Deshalb solle die Reichsregierung erklären, daß sie aufhören wolle, die Staatlichkeit der Länder weiter zu zerstören. Ein Abschluß in dieser Entwicklung sei endlich notwendig.[998] Verfassungsänderungen sollten nicht mehr so leicht zulässig sein. Ehe durch Gesetze in die Zuständigkeitsverhältnisse zwischen dem Reich und den Ländern eingegriffen werde, müsse zunächst die Verfassung selbst geändert werden.

Der Reichskanzler entgegnete, daß er heute nicht ausführlich darüber sprechen wolle. Er wolle nur darauf aufmerksam machen, daß man dieses Problem auch taktisch ansehen müsse; wenn wir jetzt vor den Reichstag mit einer solchen Verfassungsänderung träten, so würde daraus voraussichtlich ein großer Konflikt entstehen, der eine Regierungskrisis zur Folge haben und uns außenpolitisch aktionsunfähig machen würde. Er glaube, daß eine solche Verfassungsänderung zur Zeit aus außen- und innenpolitischen Gesichtspunkten nicht erfolgen könne. Dem Problem der Erschwerung der Verfassungsänderung könne er aber zustimmen. Dieses Problem sei ein politisches und nicht ein verfassungsrechtliches, und er könne sich wohl denken, daß man zu einer Erklärung komme, die dem Gedanken der Staatlichkeit der einzelnen Länder Rechnung trage und nach der Richtung hin gewisse Sicherungen gebe. Er für seine Person sei dazu in weitem Umfange bereit.

Der Reichspräsident glaubte, die Erörterung abschließen zu können und behielt sich vor, den Termin für die morgige Besprechung zu bestimmen. Er habe den Eindruck, daß beide Teile von dem Gedanken beseelt seien, raschestens zu einem beide Teile befriedigenden Ergebnis zu kommen.

Die Sitzung wurde hierauf geschlossen und festgesetzt, daß die einzelnen Kommissionen am Nachmittag zur Besprechung der einzelnen Fragen zusammentreten sollen10.

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Darüber keine Sitzungsprotokolle in R 43 I ermittelt.

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