1.132.1 (wir2p): Reparation.

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 4). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Die Kabinette Wirth I und II (1921/22). Band 2Bild 146III-105Bild 183-L40010Plak 002-009-026Plak 002-006-067

Extras:

 

Text

RTF

Reparation.

Staatssekretär Dr. Schroeder verliest das Telegramm von Herrn Bergmann, nach dem er Mittwoch hier eintreffen und Vorschläge mitbringen wird1.

1

Es handelt sich um Vorschläge zu einer durch die Entscheidung der Repko vom 31.8.22 (siehe Dok. Nr. 364 Anm. 4) notwendig gewordenen Regelung der Reparationsraten mit Belgien. Telegramm in R 43 I nicht ermittelt.

Er habe bei den Verhandlungen in Paris den Eindruck gehabt, daß Belgien sich über unsere Unfähigkeit zur Einlösung der Wechsel klar war. Man habe damals gedacht, aus der Schwierigkeit dadurch herauszukommen, daß auf einer späteren Konferenz die durch Wechsel zu sichernden Raten in die Gesamtregelung einbezogen würden. Das Ganze sei also damals nur als Fassade gedacht gewesen, um eine einheitliche Beschlußfassung zu ermöglichen. Andererseits sei zu berücksichtigen, daß die Belgische Regierung in ihrem Parlament in eine schwierige Lage kommen könnte. Immerhin habe Delacroix ihm in einer privaten Unterhaltung gesagt, daß Belgien die Wechsel nicht diskontieren würde.

[1082] Als Sicherheit für einen Teil der Wechsel kämen vielleicht beschlagnahmte luxemburgische und chinesische Wertpapiere in Frage. Sie würden etwa einen Wert von 50 Millionen Goldmark ergeben.

Staatssekretär Dr. von Simson: Mindestens bei den chinesischen Wertpapieren würde das Auswärtige Amt wohl Bedenken tragen.

Staatssekretär Dr. Schroeder: Weiter käme die Schutzgebietsanleihe in Frage. Das belgische Markabkommen empfehle er nicht, hier hineinzunehmen.

Der Reichskanzler Man müsse berücksichtigen, daß es sich im ganzen um 270 Millionen Goldmark2 handle. An eine reine Fassade glaube er nicht. Man werde wohl zu einem Akkord kommen müssen. Er denke sich unverbindlich die Sache beispielsweise so, daß wir und England je ein Drittel des Betrages garantierten, während man das dritte Drittel in der Schwebe ließe, das dann entsprechend prolongiert werden müsse.

2

Nach der Entscheidung der Repko vom 21.3.22 waren für August bis Oktober je 50 Mio, für November und Dezember je 60 Mio Goldmark zu zahlen (siehe Dok. Nr. 229 Anm. 2).

Staatssekretär Dr. von Simson: Ihm erscheine es zweckmäßig, bei den Verhandlungen nicht von den 270, sondern nur von 100 Millionen der beiden ersten Raten auszugehen.

Der Reichskanzler Man könne dies versuchen.

Staatssekretär Dr. Hirsch: Seines Erachtens müsse man versuchen, eine Stundung von den Belgiern dadurch zu erlangen, daß man die Wechsel so prolongiere, daß sie im ganzen in 2 Jahren durch monatliche Zahlung von etwa 8 bis 10 Millionen abgedeckt würden. Weiter müsse die Frage des Ausgleichsverfahrens entsprechend geklärt werden.

Als wirtschaftliche Vorteile für ein Entgegenkommen könnten wir den Belgiern folgendes anbieten:

1. Eine Förderung des Hafens Antwerpen. Die Getreidetransporte könnten über Antwerpen geleitet werden; die Großindustrie könne diesen Hafen gegenüber Rotterdam bevorzugen. Es könnte eine für Antwerpen günstigere Tarifierung eingeführt werden.

2. Man könnte in Aussicht nehmen, den von Belgien besonders gewünschten Feinkoks in den Privatlieferungsverträgen zuerst zu berücksichtigen.

3. Industrielle Kombinationen. Er denke hier besonders an die Elektrizitäts- und Kabelindustrie.

Jedenfalls müsse die Prolongationsfrage bald angeschnitten werden.

Staatssekretär Dr. Müller ist grundsätzlich damit einverstanden, die Garantien durch die Gewährung von wirtschaftlichen Vorteilen zu erleichtern. Mit der Kohle würde es aber nicht gehen, da Frankreich den bei Belgien ausfallenden Feinkoks seinerseits auffülle. Im übrigen sei das Bemelmans-Abkommen mit Belgien in Kraft3. Hier wäre beispielsweise Stinnes in der Lage, ebenso abzuschließen wie mit dem Franzosen Lubersac. Beim Clearing läge die Sache so: Nach dem 1. September 1922 eingehende Forderungen beabsichtigten wir nicht[1083] mehr anzuerkennen4. Ob unsere angemeldeten Forderungen anerkannt würden, stehe dahin, so daß eine genaue Berechnung unmöglich sei. Überschläglich ergebe sich folgendes Bild:

3

Das am 2.6.22 ratifizierte Cuntze-Bemelmans-Abkommen war am 14.7.22 als Gesetz verkündet worden (RGBl. 1922 II, S. 625  ff.).

4

Vgl. Dok. Nr. 351 Anm. 4.

Gegnerische Forderungen

2,2

Milliarden Goldmark,

unsere Forderungen rund

1

Milliarde Goldmark,

Debet-Saldo

1,2

Milliarden Goldmark,

davon seien bereits bezahlt

0,6

Milliarden Goldmark,

demnach verbleibe ein Rest von

0,6

Milliarden Goldmark,

oder genauer

0,650

Milliarden Goldmark.

Reichswirtschaftsminister Schmidt: Man müsse Bergmann abwarten. Zu den den Belgiern zu gewährenden Vorteilen bemerke er folgendes: Über den Transport der Getreidekäufe über Antwerpen würde der Reichsernährungsminister nicht erbaut sein, da der Weg über Rotterdam billiger sei. Weiter würde auch die Industrie auf den Vorteil des billigeren Weges über Rotterdam nicht verzichten. Die Lieferungsverträge müsse man weiterzutreiben suchen.

Reichsbankpräsident Havenstein: Bei unserem Stundungsgesuch hätten wir die Zahlungsunmöglichkeit schon bei dem damaligen Kurse erklärt. Wenn man diese grundsätzliche Stellung der Regierung nicht zerbrechen wolle, so sei es unmöglich, pure auf den englischen Boden zu treten. Es handle sich jetzt um 90 Milliarden Papiermark. Man müsse seines Erachtens erklären, daß es ausgeschlossen sei, diese enormen Zahlungen auf nur 6 Monate aufzuschieben. Auf der anderen Seite sei auch er dafür, guten Willen zu zeigen. Die Prolongationsfrage müsse seines Erachtens von vornherein in die Diskussion geworfen werden.

Als Bedingungen der Garantie müßten folgende festgelegt werden:

a)

keine Festlegung auf nur 6 Monate,

b)

Belgien darf die Wechsel in keine fremde Hand geben,

c)

die durch Wechsel gesicherten Beträge müßten in die Gesamtregelung einbezogen werden.

Für unsere Garantie müßte zusammengekratzt werden, was irgend da sei. Hierbei wolle auch die Reichsbank helfen, aber nicht ihr Gold anrühren. Er werde dem Reichsbankdirektorium vorschlagen, für den Fall, daß die Forderungen nicht schon im Februar fällig würden, sich zu verpflichten, dem Reich mit 30 bis 40 Millionen Goldmark zur Seite zu stehen. Dies könne man aber erst in letzter Linie bringen. Das Kabinett müsse sich auch überlegen, ob dies mit Rücksicht auf die Getreidekäufe angängig sei.

Staatssekretär Dr. Schroeder: England denke daran, belgische Schatzwechsel an Belgien zurückzugeben.

Der Reichskanzler Nach Bergmanns Ankunft müsse über die taktische Behandlung des Problems nochmals gesprochen werden. Jedenfalls dürfe keine Fühlung mit der Gegenseite ohne vorherige Verabredung stattfinden.

Hierauf wurde die Besprechung geschlossen.

Extras (Fußzeile):