2.45.8 (bru1p): 8. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung.

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8. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung.

Ministerialdirektor Weigert erläuterte eingehend die einzelnen Bestimmungen des vom Reichsarbeitsministerium vorgelegten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung12.

12

Der GesEntw. des RArbM, der sich an die Reformvorschläge der RAfAuA vom 15.5.30 (R 43 I /2037 , Bl. 214–229) anlehnte, enthielt u. a. folgende Bestimmungen: In Art. I den Beginn der Versicherungspflicht mit dem vollendeten 16. Lebensjahr, die Befreiung von der Versicherungspflicht bei geringfügiger Beschäftigung, die verschärfte Arbeitsannahmepflicht und den Ausschluß von der Versicherung bei freiwilliger Arbeitslosigkeit; Art. II sah die Erhöhung der ALV-Beiträge vor, Art. III setzte den Reichszuschuß an die RAfAuA für 1930 fest (Schreiben des RrbM vom 31. 5. und 3.6.30 mit GesEntw. und allg. Begründung in R 43 I /2037 , Bl. 266–290).

Bezüglich des Finanzbildes führte er aus, daß die Reichsanstalt bei unverändertem Fortbestand der gegenwärtigen gesetzlichen Regelung unter Zugrundelegung eines ständig zu versorgenden Jahresdurchschnitts von 1,6 Millionen Hauptunterstützungsempfänger einen Fehlbetrag von 443 Millionen Reichsmark aufweisen werde. Bei Annahme der in Art. I des Gesetzentwurfs vorgesehenen Reformen würden in den verbleibenden Monaten des Jahres 1930 115 Millionen Einsparungen entstehen. Eine Erhöhung der Beiträge um 1% würde für 8 Monate, in denen die erhöhten Beiträge eingehen, weitere 194 Millionen bringen. Für den Restbedarf von alsdann noch 134 Millionen würde Deckung aus dem Reichshaushalt zu schaffen sein13.

13

Zur bisherigen Regelung (3½% ALV-Beiträge und 150 Mio RM Reichszuschuß für 1930) s. das Gesetz zur Vorbereitung der Finanzreform vom 28.4.30 im RGBl. I, S. 145 . Der in diesem Gesetz für 1930 vorgesehene Reichszuschuß war bereits am 1.6.30 verbraucht worden (Allg. Begründung zum GesEntw., R 43 I /2037 , Bl. 274).

In der Aussprache wandte sich der Reichsminister der Finanzen zunächst gegen die Vorschrift in Artikel I Ziffer 24, betreffend die Übernahme von Verwaltungskosten für die Krisenfürsorge auf Reich und Gemeinden14. Er erklärte[181] sich aber im weiteren Verlauf der Debatte bereit, im Reichshaushalt einen Betrag von 15 Millionen für diesen Zweck vorzusehen, unter Freilassung der Gemeinden.

14

Art. I Ziffer 24 des GesEntw. fügte hinter § 167 Abs. 2 AVAVG (RGBl. 1927 I,, S. 207 ) den Abs. 2 a ein:

„Zur Abgeltung der Verwaltungskosten, die der Reichsanstalt durch die Durchführung der Krisenfürsorge entstehen, haben Reich und Gemeinden auf jede Zahlung, zu der sie nach Abs. 1 oder 2 verpflichtet sind, einen Zuschlag von 5 vom Hundert zu entrichten“ (R 43 I /2037 , Bl. 271). Der Kostenertrag für 1930 sollte rund 11 Mio RM betragen (Referentenvortrag des MinR Vogels zum GesEntw. in R 43 I /2037 , Bl. 293).

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß der Betrag von 15 Millionen durchaus ausreichend sei.

Der Reichssparkommissar bemerkte, daß er zur Zeit eine Prüfung der Organisation der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vornehme und daß er auf Grund dieser Arbeit wahrscheinlich zu organisatorischen Reformvorschlägen kommen werde15. Er bat annehmen zu dürfen, daß durch den vorliegenden Gesetzentwurf seinen zu erwartenden Vorschlägen kein Riegel vorgeschoben werden solle.

15

In den Akten der Rkei befindet sich lediglich eine Denkschrift des RSparKom. vom 22.2.32 über die Umgestaltung der ALV (R 43 I /2042 , Bl. 246–286).

Der Reichsarbeitsminister bestätigte, daß den Reformvorschlägen des Reichssparkommissars selbstverständlich durch den Gesetzentwurf nichts in den Weg gelegt werden solle.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg übte Kritik an der Vorschrift des Art. I Ziff. 21 und 2216. Er erklärte, daß er dem Gedanken der Einrichtung von Gefahrenklassen, durch die die besondere Gefahr der Arbeitslosigkeit im Berufe besondere Berücksichtigung findet, an sich sympathisch gegenüberstehe, daß er aber die Form, in der dieser Gedanke in dem Gesetzentwurf verwirklicht werden solle, nicht für annehmbar halte. Er glaube nicht zustimmen zu können, daß die Entscheidung über die Art der Betriebsführung dem subjektiven Ermessen der Verwaltungsausschüsse der Landesarbeitsämter überlassen werden dürfe, vielmehr müsse er fordern, daß die Entscheidung über die Gefährdung der Versicherung durch einzelne Betriebe von objektiveren Gesichtspunkten abhängig gemacht werde.

16

Art. I Ziffer 21 (zu § 15 Abs. 3 AVAVG, RGBl. 1927 I, S. 205 ) ermächtigte den Verwaltungsausschuß des Landesarbeitsamtes „für einzelne Betriebe, deren Angehörige durch die Art der Betriebsführung von der Gefahr der Arbeitslosigkeit erheblich höher als der Durchschnitt bedroht sind, die Arbeitgeber mit höheren Beiträgen [zu] belasten“.

Die in § 153 Abs. 3 AVAVG genannte Begrenzung des Beitragssatzes galt nach Art. I Ziffer 22 nicht für die Arbeitgeber, die nach Art. I Ziffer 21 mit höheren Beiträgen belastet werden konnten (R 43 I /2037 , Bl. 270).

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß er die Angelegenheit nochmals prüfen wolle. Er halte es für möglich, für die zu treffende Entscheidung allgemeine Richtlinien aufzustellen und die zu treffende Entscheidung dem Vorstand der Reichsanstalt vorzubehalten. Er stellte entsprechende Vorschläge für die auf Donnerstag, den 5. Juni, in Aussicht genommene Kabinettssitzung in Aussicht17.

17

S. Dok. Nr. 46, P. 1.

Mit Rücksicht darauf stellt der Reichskanzler die abschließende Erledigung dieses Punktes bis zur nächsten Sitzung zurück.

Der Reichskanzler erklärte weiter, daß das Kabinett seine endgültige und abschließende Stellungnahme zum Gesetzentwurf, insbesondere auch zur Frage der Höhe der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und zur Gewährung eines Reichszuschusses erst in der Sitzung vom 5. Juni treffen könne. Die Entscheidung[182] könne nur in einheitlichem Zusammenhang mit der Verabschiedung der Deckungsvorschläge für den Haushaltsplan 1930 und dem Ausgabensenkungsgesetz, worüber noch zu verhandeln sei, getroffen werden.

Der Reichsminister der Finanzen stellte am Schluß der Aussprache fest, daß nach Annahme des Gesetzentwurfs ein Fehlbetrag von 134 Millionen vorhanden sei und daß darüber hinaus der Reichsanstalt für die Verwaltungskosten der Krisenfürsorge 15 Millionen RM zugestanden werden müßten. Der Mehrbedarf für die Krisenfürsorge betrage 150 Millionen RM; mithin erfordere die Arbeitslosenfürsorge insgesamt 134 + 15 + 150 Millionen = rund 300 Millionen RM. Er gedenke der Reichsanstalt im Rechnungsjahr 1930 jedoch von den ihr zu gewährenden 134 + 15 Millionen nur 50 Millionen RM als Zuschuß zu geben und ihr den Rest von 100 Millionen RM als Darlehn zukommen zu lassen mit der Auflage, dies Darlehn im Laufe der nächsten 2 Haushaltsjahre in Raten von je 50 Millionen RM zurückzuzahlen. Er wolle den Betrag von 100 Millionen RM durch Verkauf von Reichsbahnvorzugsaktien flüssig machen und die Rückzahlungen der Reichsanstalt zum Rückkauf der Vorzugsaktien verwenden.

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