2.7.1 (bru1p): 1. Politische Lage.

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1. Politische Lage.

Der Reichskanzler eröffnete die Besprechung und bat, zunächst die Frage zu klären, ob die Regierung jetzt arbeiten könne oder ob nicht trotz Ablehnung der Mißtrauensvoten eine Auflösung des Reichstags oder ein Rücktritt der Regierung geboten sei1. Er führte aus, daß die Rede Hugenbergs für das Reichskabinett unangenehm sei2. Die Deutschnationale Partei werde nach dieser Rede zusammenbleiben. Hugenberg habe ausgeführt, daß die Partei die Steuern ablehnen werde. Wenn es nicht möglich sei, die erforderlichen Steuergesetze mit Hilfe der Deutschnationalen zu machen, dann werde es erforderlich sein, den Art. 48 der RV anzuwenden und vielleicht außerdem den Reichstag aufzulösen.

1

In der Sitzung vom 3.4.30 hatte der RT die Mißtrauensanträge der KPD und SPD (RT-Bd. 441 , Drucks. Nr. 1903  und 1904) mit 253 gegen 187 Stimmen abgelehnt (RT-Bd. 427, S. 4777 ).

2

In der Debatte vor der Abstimmung hatte der DNVP-Vorsitzende Hugenberg angekündigt, wegen Schieles Agrarprogramm werde seine Partei gegen die Mißtrauensanträge stimmen, dennoch habe sie „gegenüber den Absichten und der Zusammensetzung des neuen Kabinetts ein weitgehendes Mißtrauen“ (RT-Bd. 427, S. 4770 –4772).

Der Stellvertreter des Reichskanzlers bezeichnete es als unmöglich, einen Wahlkampf wegen der Steuergesetze zu führen. Man müsse aus einer derartigen[14] Situation herauskommen. Vielleicht könne man die geplanten Steuern als Staatsnotwendigkeit bezeichnen und sie auf Grund des Art. 48 der RV in Kraft setzen.

Der Reichsminister für die besetzten Gebiete führt aus, daß die Haltung der Deutschnationalen Volkspartei bei der Abstimmung über die Mißtrauensvoten ganz im Sinne des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft und im Sinne des Stahlhelms gelegen habe3. Die Nationalsozialisten würden heute (3. 4.) aus dem Reichsausschuß für das Volksbegehren ausscheiden4. Die Stellung Hugenbergs werde immer mehr erschüttert werden.

3

Vgl. dazu Dok. Nr. 5.

4

Der „Reichsausschuß für das deutsche Volksbegehren“ war am 9.7.29 von der DNVP, der NSDAP und dem Stahlhelm zur Vorbereitung eines Volksbegehrens gegen den Youngplan konstituiert worden (Schultheß 1929, S. 154). „Als sofortige Antwort auf das charakterlose, im höchsten Grade verräterische Verhalten“ der DNVP erklärte die NSDAP am 3.4.30 ihren Austritt aus dem Reichsausschuß (MNN Nr. 93, 5.4.30).

Der Reichsverkehrsminister erklärte, er sei durch die Rede Hugenbergs sehr bestürzt. Hugenberg habe erklärt, daß er weitgehendes Mißtrauen gegenüber der Reichsregierung habe. Wenn es jetzt zu einem Wahlkampf kommen sollte, werde die eine Seite für neue Steuern eintreten, die andere dagegen. Es könne nicht zweifelhaft sein, daß die Partei, welche für neue Steuern eintrete, sich in äußerst ungünstiger Lage befinde.

Der Reichsminister des Auswärtigen bezeichnete es als notwendig, um des Staates willen einen Wahlkampf um Steuern zu vermeiden. Er sehe die Situation nicht als so schlimm an. Die Erklärung Hugenbergs, die Deutsch-nationale Partei würde keinen neuen Steuern zustimmen, könne nicht genügen, um jetzt schwerwiegende Maßnahmen zu beschließen. Zunächst müsse im Steuerausschuß gekämpft werden. Wenn eine Auflösung des Reichstags unvermeidlich sei, müßten die erforderlichen Maßnahmen auf Grund des Art. 48 der RV getroffen werden.

Der Reichsminister der Finanzen bezeichnete im gegenwärtigen Moment eine Auflösung des Reichstags als unmöglich. Das landwirtschaftliche Programm könne nicht durchgeführt werden, wenn nicht die Steuern angenommen würden.

Der Reichsminister des Innern warf die Frage auf, ob neue Steuern auf Grund des Art. 48 der RV bei präsentem Reichstag angeordnet werden könnten. Diese Frage müsse eingehend geprüft werden. Wenn man nicht so vorgehen wolle, müsse der Reichstag aufgelöst werden.

Der Reichsarbeitsminister erklärte, daß eine Auflösung des Reichstags zur Zeit nicht in Frage komme. Wegen der Steuergesetze sei eine Auflösung des Reichstags unmöglich. Zweckmäßig sei es, ein Ermächtigungsgesetz zu verlangen und im Falle der Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes die Auflösung des Reichstags auszusprechen.

Staatssekretär Dr. Meissner führte aus, es könne gar kein Zweifel darüber bestehen, daß Art. 48 der RV auch bei Anwesenheit des Reichstags Anwendung finden könne. Dieser Fall sei schon außerordentlich häufig praktisch geworden, auch unter der Regierung des damaligen Reichskanzlers Wirth.

[15] Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft bezeichnete die Rede Hugenbergs als eine Art von Rückzugskanonade. Die Regierung müsse mit den Agrarvorlagen hinter den Steuergesetzen herkommen.

Der Reichskanzler stellte zunächst Übereinstimmung darüber fest, daß die Regierung jetzt arbeiten wolle und nicht etwa eine Auflösung des Reichstags oder sonstige Schritte in Frage kämen. Eine Auflösung des Reichstags bezeichnete er als unangenehm, wenn die geplanten neuen Steuergesetze vom Reichstag abgelehnt worden seien. Es werde auch unangenehm sein, wenn die auf Grund des Art. 48 der RV angeordneten neuen Steuern hinterher vom Reichstag aufgehoben würden. Deshalb werde es am zweckmäßigsten sein, notfalls ein Ermächtigungsgesetz mit allgemeinem Inhalt vom Reichstag zu erbitten und bei Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes zur Auflösung des Reichstags zu schreiten.

Der Reichsminister des Innern regte an, den Entwurf eines derartigen Ermächtigungsgesetzes sogleich auszuarbeiten.

Der Reichsminister des Auswärtigen betonte die Notwendigkeit, zuerst eine Durchbringung der Steuergesetze im Steuerausschuß und im Plenum des Reichstags zu versuchen.

Der Reichskanzler stellte Übereinstimmung darüber fest, daß zunächst versucht werden solle, die neuen Steuergesetze im normalen Wege der Gesetzgebung vom Reichstag beschließen zu lassen. Sollte dieser Versuch mißlingen, sei die Einbringung eines Ermächtigungsgesetzes allgemeinen Inhalts zu erwägen. Im Falle der Ablehnung dieses Gesetzes werde er die Auflösungsorder vom Herrn Reichspräsidenten erbitten5.

5

Die Auflösungsorder erhielt der RK auch ohne ein Ermächtigungsgesetz für den Fall, daß der RT die Steuervorlagen und das Agrargesetz ablehnen würde (vgl. Dok. Nr. 17, P. 2 und Dok. Nr. 18). Zur RT-Sitzung vom 12.4.30 brachte StS Pünder die Auflösungsorder mit (Pünder, Politik in der Rkei, S. 50). Durchschläge der Auflösungsorder im Nachl. Pünder , Nr. 131, Bl. 146–148.

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