1.19 (bru2p): Nr. 271 Aufzeichnung des Reichskanzlers über eine Unterredung mit dem Britischen Botschafter Sir Horace Rumbold. 25. März 1931

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[984] Nr. 271
Aufzeichnung des Reichskanzlers über eine Unterredung mit dem Britischen Botschafter Sir Horace Rumbold. 25. März 1931

R 43 I /114 , Bl. 68–70 Durchschrift

Der Britische Botschafter erklärte, er werde sich seines Auftrages an mich am besten durch Verlesung seiner telegraphischen Instruktion entledigen1. Er verlas hierauf eine Depesche, in der Henderson von „serious misapprehensions“ in London und Paris wegen des deutsch-österreichischen Zollabkommens sprach2. Es war in dem Telegramm weiter davon die Rede, daß in der englischen Presse eine Diskussion entstanden sei, ob es sich bei dem deutsch-österreichischen Vorgehen nicht um einen Vertragsbruch handele. Mit einem Satz wurde erwähnt, daß Henderson es für erwünscht halte, in der Angelegenheit vor der nächsten Sitzung des Völkerbundsrats nicht zu endgültigen Feststellungen zu gelangen, es sei noch eine Prüfung unseres Vorgehens im Hinblick auf das Genfer Protokoll vom 4. Oktober 19223 wünschenswert.

1

Der brit. AM Henderson hatte während seines Besuches in Paris die brit. Botschafter in Berlin und Wien instruiert, bei der dt. und der österr. Reg. die Bedenken der Brit. Reg. gegen die Zollunion vorzutragen (Text der Instruktion vom 25.3.31 in Documents on British Foreign Policy 1919–1939, Second Series, Vol. II, Doc. No. 5). Der brit. Botschafter in Berlin, Sir Horace Rumbold, berichtete in zwei Telegrammen an Henderson vom 25. 3. über die Unterredung mit dem RK (Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. II, Doc. No. 7–8).

2

Tatsächlich lautete der Satz: „German (Austrian) Government should be under no misapprehension as to serious misgivings which have been aroused by their action in many countries and in France in particular“ (Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. II, p. 12).

3

In den Genfer Protokollen vom 4.10.22 war Österreich vom VB eine Anleihe in Höhe von 650 Mio Goldkronen gewährt worden. Österreich hatte dafür erneut auf den Anschluß an das Dt. Reich verzichtet (Schultheß 1922, S. 161 f.).

In dem Telegramm war ferner ausführlich von Hendersons Befürchtungen für die Stellung Briands die Rede, dessen Sturz eine große Gefahr für den Frieden Europas bedeuten würde4. Ich hatte bei der Verlesung den Eindruck, daß das Telegramm in recht starken Sätzen abgefaßt war.

4

In einer Unterredung mit Botschafter v. Hoesch hatte Berthelot, „und zwar dies mit vollem Recht, von der Gefährdung der Stellung Briands“ gesprochen. „Bekanntlich hat Briand in seiner Etatsrede am 3. März sich u. a. auch mit Anschlußfrage befaßt und dabei mit leichter Ironie von den Pessimisten gesprochen, die seinerzeit immer gesagt hätte, in seiner Blindheit sehe Briand nicht, daß eines Tages der Anschluß da sein würde, und er hat dann ausgeführt, daß die Anschlußgefahr an Aktualität verloren und die Lage sich außerordentlich gebessert habe. Auf diese Ausführungen hat die Rechtspresse jetzt zurückgegriffen, und sie überschüttet Briand mit einer Flut von Sarkasmus, Hohn und Feindschaft. […] Alsdann fragte ich Berthelot, wie Briand jetzt zu Angelegenheit eingestellt sei. Berthelot entgegnete, Briand sei schlimmer als verstimmt, er sei schweigsam und sei sich der Schwierigkeit seiner Lage wohl bewußt. Dementsprechend habe er auch die an die französischen Vertreter in den interessierten Staaten (offenbar die Staaten der Kleinen Entente) von ihm (Berthelot) entworfenen recht scharfen Instruktionen anstandslos unterzeichnet.“ Die schwierige Lage Frankreichs angesichts des Zollunionprojektes hatte Hoesch folgendermaßen charakterisiert: „Verbleibt es lediglich bei dem jetzt vorgesehenen Zustand, so ist das einheitliche deutsch-österreichische Wirtschaftsgebiet geschaffen und damit ein Auftakt zum Anschluß gegeben; kommt es zu weiteren Anschlüssen an das deutsch-österreichische System in Osteuropa, so entsteht das von Frankreich perhorreszierte deutsche Mitteleuropa; wollte endlich Frankreich selbst sich zu Verhandlungen über seinen Beitritt entschließen, so würde es sich in eine gewissermaßen unter deutscher Ägide stehende Kombination hineinbegeben. Frankreich steht also in der Tat vor schwierigen Entschlüssen, die zwangsläufig auf die Organisierung eines Widerstandes werden hinauslaufen müssen“ (Hoesch, Telegramm Nr. 318 vom 23.3.31, R 43 I /114 , Bl. 43–48, Zitate Bl. 45–47; ähnlich auch Hoeschs Telegramm Nr. 335 vom 26.3.31, R 43 I /114 , Bl. 56–59).

[985] Der Britische Botschafter kam dann noch auf die Haltung der englischen Presse zurück5, von der er einen Auszug mitteilte, und appellierte hierbei an mich, den Ernst der Situation zu würdigen.

5

Botschafter v. Neurath hatte berichtet, daß die englische Pressse die Zollunion sachlich beurteile, aber Kritik am Vorgehen, ohne vorherige Sondierung der Westmächte, übe. Das Foreign Office habe sich mit dem Abschluß der Zollunion abgefunden (Telegramme Nr. 113 vom 24. 3. und Nr. 115 vom 25.3.31, R 43 I /114 , Bl. 63–64, 66–67).

Ich habe dem Britischen Botschafter zunächst die beiliegende Formulierung für unsere Haltung vorlesen und sie ihm, als er den deutschen Text nicht recht verstehen konnte, auch in die Hand gegeben6. Erläuternd habe ich ihn darauf hingewiesen, daß das Problem doch schon sehr lange in der Luft gelegen habe und er übrigens auch am 13. März schon weitgehende Andeutungen persönlich erhalten habe, was Sir Horace Rumbold übrigens sogleich bestätigte7. Ich habe ferner darauf hingewiesen, daß weder Deutschland noch Österreich an politische Abmachungen gedacht hätten. Ich könne den interessierten Mächten nur ein eingehendes Studium des Textes unseres Protokolls empfehlen.

6

Die Formulierung hatte folgenden Wortlaut: „Die deutsch-österreichische Vereinbarung hält sich ganz im Rahmen des Genfer Protokolls vom 4. Oktober 1922, deshalb ist für den Völkerbundsrat nach unserer Auffassung kein Anlaß gegeben, sich mit der Angelegenheit zu befassen. Wenn von anderen Regierungen eine Prüfung der Rechtsfrage angestrebt wird, so brauchen die Deutsche und die Österreichische Regierung diese nicht zu scheuen. Eine Prüfung des Abkommens durch den Völkerbundsrat unter politischen Gesichtspunkten hält die Deutsche Regierung nicht für zulässig, da die Vereinbarung rein wirtschaftlichen Charakter hat. Die Verhandlungen müssen natürlich ihren Fortgang nehmen und können, wie von vornherein feststand, mit Rücksicht auf die zahlreichen zu regelnden technischen Einzelheiten nicht vor zwei oder drei Monaten zum Abschluß gelangen“ (Abschrift in R 43 I /114 , Bl. 71).

7

Rumbold hatte am 13.3.31 über ein Gespräch mit StS v. Bülow berichtet, in dem dieser das Projekt der Zollunion erwähnt hatte (Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. I, Doc. No. 358).

Der Britische Botschafter erwiderte, Herr Henderson sei besonders bestürzt darüber gewesen, daß unser Schritt im Augenblick seiner Reise nach Paris erfolgt sei. Ich habe demgegenüber erklärt, auch das Reichskabinett habe infolge einer Indiskretion8 nur zwei Tage Zeit gehabt, seine Entscheidungen zu vollziehen. Ich habe dann dem Botschafter mein Bedauern über die starke Sprache ausgesprochen, die in bezug auf unser Vorgehen geführt werde. Nicht nur die Sicherung der Stellung Briands, sondern auch die Sicherung des gegenwärtigen deutschen Reichskabinetts liege im Interesse des europäischen Friedens. Sollte im Gegensatz zu den bisherigen Schritten etwa eine scharfe Demarche in Berlin wegen der deutsch-österreichischen Verhandlungen erfolgen, so könne das eine gefährliche Explosion in der deutschen öffentlichen Meinung hervorrufen9.

8

S. Dok. Nr. 263, Anm. 4.

9

AM Henderson verlas am 30.3.31 im Unterhaus eine abgewogene Erklärung, in der er die Antworten der RReg. auf die Fragen der Brit. Reg. zur Zollunion als genügend bezeichnete (Schultheß 1931, S. 324 f.).

[986] Sir Horace Rumbold berief sich demgegenüber auf Theodor Wolff, der doch etwa im Sinne Hendersons geschrieben habe10. Ich habe ihm erklärt, daß Theodor Wolff nicht einmal ein Viertel der deutschen Nation hinter sich hätte. Auch über die Stimmung in der Sozialdemokratischen Partei solle man sich im Ausland keine Illusionen machen, mir seien die Strömungen in dieser Partei bezüglich der Zollunionsfrage wohlbekannt, und es sei kein Zweifel, daß auch in der Sozialdemokratischen Partei eine entschiedene Mehrheit für den jetzt beschrittenen Weg vorhanden sei. Ich fügte hinzu, daß ich doch davor warnen möchte, in einem Punkt, wo das Recht Deutschlands unbestritten sei, den Versuch zu machen, Deutschlands Bewegungsfreiheit noch weiter einzuengen. Einen solchen Eingriff werde man hier nicht ertragen.

10

Th. Wolff hatte im Berliner Tageblatt vom 24.4.31 die Ankündigung der Zollunion ohne vorherige Konsultation des RT kritisiert und zu bedenken gegeben, daß die dt. Außenpolitik unter dem Druck des Rufs nach Aktivität gleichzeitig zu viele Ziele, z. B. in Österreich, Frankreich und Rußland verfolge und damit riskiere, den einen Weg zu blockieren, während sie auf einem anderen voranschreite (Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. II, Doc. No. 7, Anm. 1).

Der Britische Botschafter erwiderte hierauf nichts; er brachte andererseits als dringlichen Wunsch Hendersons zum Ausdruck, daß nichts geschehen möchte, was der kommenden Abrüstungskonferenz Schwierigkeiten bereiten würde, wobei er nochmals die Möglichkeit des Sturzes von Briand erwähnte.

Hiermit fand die Unterredung, die etwa 40 Minuten gedauert hatte, ihr Ende.

gez. Dr. Brüning

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