1.119.1 (bru3p): Stillhalteverhandlungen.

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Stillhalteverhandlungen.

Der Reichskanzler dankte den Herren Jeidels, Schlieper und Kastl für ihre bisherige Tätigkeit bei den Stillhalteverhandlungen, insbesondere für die Bereitwilligkeit, dem in Aussicht genommenen Ausschuß für Auslandsschulden beizutreten.

Er berichtete sodann über seine Unterhaltung mit dem Amerikaner Wiggin und dem Engländer Tiarks zur Frage der Bildung eines neuen deutschen Organs für die Bewirtschaftung der Auslandsverschuldung1. Der Plan zur Schaffung dieses Organs sei von Gläubigervertretern lebhaft begrüßt worden. Sie hätten sich auch mit der ihm zugedachten Zuständigkeit durchaus einverstanden erklärt.

1

Vgl. Dok. Nr. 625.

Der Reichsbankpräsident bat sodann, zwei Fragenkomplexe zur Erörterung stellen zu können, die bei den schwebenden Verhandlungen eine besonders wichtige Rolle spielen, nämlich:

1.

der sogenannte Schweizer Vorschlag über die Umwandlung kurzfristiger Kredite in langfristigen Anlagen2,

2.

die Einfügung einer „politischen Klausel“ in das neue Abkommen.

2

Vgl. auch Dok. Nr. 618.

[2185] Schweizer Vorschlag.

Herr Schlieper trug sodann vor, daß von seiten der Gläubigervertreter der Vorschlag gemacht worden sei, Möglichkeiten zu schaffen, daß kurzfristige Kredite unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 15–30 Tagen abgezogen werden können zwecks Umwandlung in feste deutsche Anlagen. Die so umgewandelten Anlagen sollen für fünf Jahre gesperrt sein. Der Reichsbank soll ein Vetorecht gegen die Umwandlung zustehen, von diesem Vetorecht soll jedoch nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn die Umwandlung allgemeinen deutschen volkswirtschaftlichen Interessen zuwider läuft.

Herr Schlieper trug weiter vor, daß er und seine beiden Kollegen Jeidels und Kastl nur dann in der Lage seien, auf diese Vorschläge der Gläubigerseite einzugehen, wenn zuvor zwischen der Reichsbank und der Reichsregierung die Richtlinien vereinbart seien, die für die Ausübung des Vetorechts maßgebend sein würden, und wenn ihnen von diesen Richtlinien Kenntnis gegeben werde. Durch die Richtlinien müsse Vorsorge dagegen getroffen werden, daß die deutsche Privatwirtschaft durch die Umwandlungsmöglichkeit Gefahr laufe, in unerwünscht starkem Maße von Geldabzügen betroffen zu werden. Er erwähnte beispielsweise, daß ein Gläubigerkonsortium mit der Bayerischen Staatsregierung wegen einer langfristigen Staatsanleihe verhandele, wozu die Mittel aus gekündigten kurzfristigen Industrie-Krediten verfügbar gemacht werden sollen. Der Privatwirtschaft werde mithin für den Fall des Abschlusses eines derartigen Geschäftes notwendiges Betriebskapital zugunsten der öffentlichen Hand entzogen. In den zu erlassenden Richtlinien müsse beispielsweise die Möglichkeit der Umwandlung kurzfristigen Kredits der Privatwirtschaft in Anleihen der öffentlichen Hand ausgeschlossen sein.

Herr Kastl führte ergänzend aus, daß auch die Umwandlung in Aktienbesitz in vielen Fällen sehr bedenklich sein könne, da man ja nicht wisse, in welchem Ausmaß der Gläubiger sich bereits anderweitig in den Besitz von Aktien der in Frage kommenden Gesellschaft gesetzt habe.

Reichsbankpräsident Dr. Luther bemerkte hierzu, daß im allgemeinen wohl nur die Umwandlung in Hypotheken, Pfandbriefe und Hausbesitz unbedenklich sein werde.

Staatssekretär Dr. Trendelenburg meinte, daß es schwer sein werde, allgemeingültige Richtlinien zu formulieren. Die Reichsbank werde in jedem einzelnen Falle das Für und Wider der Umwandlung individuell zu prüfen haben.

Herr Kastl pflichtete dieser Auffassung bei, indem er ausführte, daß starre Richtlinien wohl nicht in Frage kommen könnten. Es müsse aber Gewißheit darüber bestehen, daß die Reichsbank und die Reichsregierung bei der Ausübung des Vetorechts das gleiche Ziel verfolgen, andernfalls könne von ihnen als den Vertretern der Schuldnergruppe die Verantwortung für die grundsätzliche Zustimmung zur Umwandlungsmöglichkeit nicht getragen werden.

Herr Jeidels formulierte seine Wünsche dahin, daß vor der Zulassung der Kündigung von Krediten zum Zwecke der Umwandlung in jedem Einzelfalle geprüft werden müsse, wo das Geld herkomme und wohin es geleitet werden solle. Erst wenn die Reichsbank das Geschäft geprüft und für unbedenklich erklärt habe, dürfe die Kündigung zulässig sein. Die Reichsbank müsse Vorkehrungen dagegen treffen,[2186] daß eine Ausplünderung einzelner Schuldner eintrete. Auf der Gläubigerseite werde naturgemäß das Bestreben vorherrschen, das Geld gerade von den schwächeren Schuldnern abzuziehen. Nur wenn die Gewißheit bestehe, daß die Reichsregierung und die Reichsbank sich darüber einig seien, daß das Vetorecht nach allgemeinen wirtschaftlichen Gesichtspunkten zum Schutz des wirtschaftlich Schwachen eingesetzt werde, sei ein Eingehen auf die Umwandlungsklausel vertretbar.

Der Reichsbankpräsident erklärte, daß er von den Bedenken der Herren Jeidels, Schlieper und Kastl Kenntnis genommen und ihnen in Zukunft Rechnung tragen werde. Er bat jedoch, von einer formulierten Vereinbarung abzusehen, denn er befürchtete, daß eine derartige Formulierung nicht geheimbleiben werde und möglicherweise dahin führen könne, daß sich die Gläubigerseite noch vor der Unterzeichnung des neuen Stillhalteabkommens in das interne deutsche Verhältnis des Schuldnerkomitees zur Reichsbank in unerwünschter Weise einschalten könnte3.

3

Vgl. zu dieser Sitzung auch Luthers Tagebuchaufzeichnung vom 16.1.32, Nachl. Luther  Nr. 367, Bl. 223–225.

Mit Rücksicht auf diese Bitte des Reichsbankpräsidenten wurde von einer schriftlichen Bindung Abstand genommen.

Staatssekretär Schäffer bemerkte noch, daß eine derartige schriftliche Festlegung nicht nötig sei, da ja die Reichskanzlei über den Inhalt der Besprechung den vorliegenden Vermerk zu ihren Akten nehmen werde.

Politische Klausel.

Der Reichsbankpräsident teilte mit, daß bei den Verhandlungen der Vorschlag gemacht worden sei, folgende Klausel in das neue Abkommen aufzunehmen:

„Dieses Abkommen ist eine Vereinbarung, nach der sich für die Zukunft die finanziellen und geschäftlichen Beziehungen zwischen den ausländischen Gläubigern und den deutschen Schuldnern frei von jeglichen politischen Einflüssen regeln sollen. Die Parteien sind sich aber darüber einig, daß dieses Abkommen nur dann durchführbar ist, wenn in der Zukunft der internationale Waren- und Kapitalausgleich wieder hergestellt wird und wenn es Deutschland möglich ist, einen ausreichenden Überschuß aus seiner Handels- und Zahlungsbilanz zu erzielen.“

Es folgte sodann ein Schlußsatz, der auf Anregung von Staatssekretär Dr. Trendelenburg wie folgt gefaßt werden soll:

„Das Abkommen kann für beendet erklärt werden, falls in der Zukunft internationale finanz-wirtschaftliche Entscheidungen eine heute nicht voraussehbare Lage schaffen sollten, durch welche die Durchführung des Abkommens verhindert wird4.“

4

Vgl. P. 2 Abs. 3 des Deutschen Kreditabkommens von 1932 vom 23.1.32, engl. Ausfertigung in R 43 I /317 , Bl. 270–340, hier Bl. 276.

Die Teilnehmer an der Besprechung waren sich darüber einig, daß gegen die Aufnahme einer derartigen Klausel in das neue Abkommen Bedenken nicht bestehen. Die Herren Jeidels, Schlieper und Kastl erklärten, daß sie versuchen wollten, etwaige weitergehende Wünsche der Gläubigerseite abzulehnen5.

5

Das Deutsche Kreditabkommen vom 23.1.32 wurde am 23.1.32 paraphiert. Es trat am 1.3.32 mit einjähriger Laufzeit in Kraft und ersetzte das Dt. Kreditabkommen von 1931 (Dok. Nr. 448 und Dok. Nr. 454, P. 4). Englischer Text in R 43 I /317 , Bl. 270–340, dt. Text a.a.O., Bl. 393–410.

[2187] Bei den Beratungen über die politische Klausel war der Reichskanzler nicht mehr anwesend6.

6

Der RK empfing zu diesem Zeitpunkt den Schweizer Gesandten Rüfenacht (Nachl. Pünder  Nr. 44, Bl. 135).

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