1.143.2 (ma32p): 2. Urteile des Staatsgerichtshofs über die Wahlgesetznovellen in Hamburg, Hessen und Mecklenburg-Strelitz.

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2. Urteile des Staatsgerichtshofs über die Wahlgesetznovellen in Hamburg, Hessen und Mecklenburg-Strelitz.

Der Reichskanzler führte aus, daß nach der Auffassung des Reichsministeriums des Innern die Urteile des Staatsgerichtshofs, die ja nur einzelne Bestimmungen der neuen Wahlgesetzgebung in Hamburg, Hessen und Mecklenburg-Strelitz zum Gegenstand hätten2, nicht die notwendige Folge haben könnten, daß die gesamte Wahlgesetzgebung ungültig sei. Vielmehr halte das[1197] Reichsministerium des Innern die Möglichkeit für gegeben, daß die Wahlgesetzgebung als Ganzes und infolgedessen auch die Neuwahlen in den genannten Ländern gültig seien3.

2

Um die Wahlbeteiligung sog. Splitterparteien zu erschweren, hatten Hessen, Hamburg und Mecklenburg-Strelitz vor den Landtagswahlen 1927 ihre Wahlgesetze durch den Erlaß neuer Bestimmungen geändert. Danach mußten solche Parteien, die im Landtag bisher nicht vertreten waren, für die Zulassung ihrer Wahlvorschläge eine verhältnismäßig große Zahl von Unterschriften beibringen und außerdem eine besondere Kaution hinterlegen, die der Staatskasse verfiel, falls die Parteien kein Abgeordnetenmandat erhielten (zu Hessen vgl. Dok. Nr. 327, P. 3). Daraufhin hatten verschiedene Parteien – in Hessen die Wirtschaftspartei und die NSDAP, in Hamburg und Mecklenburg-Strelitz die Volksrechtspartei – beim Staatsgerichtshof für das Dt. Reich die Ungültigkeitserklärung dieser Wahlrechtsbestimmungen beantragt. Der Staatsgerichtshof entschied durch Urteile vom 17.12.27 im Sinne der Antragsteller, daß die fraglichen Bestimmungen der Wahlgesetze von Hessen, Hamburg und Mecklenburg-Strelitz mit den in Art. 17 Abs. 1 Satz 2 der RV festgelegten Grundsätzen der allgemeinen, gleichen und geheimen Wahl nicht vereinbar und demgemäß ungültig seien. – Die Urteile des Staatsgerichtshofs sind abgedr. in: Lammers/Simons, Die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs für das Deutsche Reich, Bd. 1, S. 329 ff., 341 ff. und 398 ff.; Abschrift des Urteils betr. Mecklenburg-Strelitz in R 43 I /2276 , Bl. 72–86. Vgl. dazu Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, S. 132, Anm. 3.

3

Auf Grund der Urteile des Staatsgerichtshofs (siehe die vorige Anm.) wurden der am 3.7.27 gewählte Landtag von Mecklenburg-Strelitz und die am 9.10.27 gewählte Hamburger Bürgerschaft aufgelöst; es wurden Neuwahlen ausgeschrieben, die in Mecklenburg-Strelitz am 29.1.28 und in Hamburg am 19.2.28 stattfanden. Dagegen erklärte der Staatsgerichtshof von Hessen die Wahlen zum hess. Landtag vom 13.11.27 für rechtsgültig.

Im übrigen werde man aber den Eingang der Urteile des Staatsgerichtshofs beim Reichsministerium des Innern abwarten müssen.

Zeitungsnachrichten zufolge beabsichtigten auch einige Reichstagsparteien, nunmehr gegen die Splitterparteien auf gesetzlichem Wege vorzugehen und eventuell ergänzende Bestimmungen zum Artikel 17 der Reichsverfassung zu beschließen. Die wohl notwendige Zweidrittelmehrheit im Reichstage werde sich wahrscheinlich ohne große Schwierigkeiten erreichen lassen4, politisch bedenklich sei es aber, daß man durch den erwähnten Zusatzantrag die Wirtschaftspartei verstimmen könne, deren Stimme für die jetzige Regierungskoalition bei manchen Vorlagen von Bedeutung sein könnte. Die Angelegenheit werde also doch sehr zu überlegen sein5.

4

Am 22.12.27 berichtete der „Demokratische Zeitungsdienst“, daß bei fast allen Parteien des RT Neigung vorhanden sei, „Maßnahmen gegen die Splitterparteien auf gesetzlichem Wege durchzuführen. Der Spruch des Staatsgerichtshofs hat gezeigt, daß im Interesse der Gesundung des politischen Lebens hier noch eine Lücke ausgefüllt werden muß. Ob die Entscheidung des Staatsgerichtshofs von direkter oder indirekter Wirkung für das Reichswahlgesetz sein wird, muß abgewartet werden, da den zuständigen Stellen die Urteilsbegründung im Wortlaut noch nicht vorliegt. Was jedoch die Wahlgesetze der Länder angeht, so dürfte voraussichtlich ein Zusatzantrag zum Artikel 17 der Weimarer Verfassung die entstandenen Schwierigkeiten beseitigen. In diesem Antrag müßte zum Ausdruck gebracht werden, daß gewisse Maßnahmen gegen die Zersplitterung des politischen Lebens, z. B. die Stellung einer Kaution und die Notwendigkeit einer festzusetzenden Anzahl von Unterschriften bei Einreichung der Wahlvorschläge nicht mit dem Gedanken der allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahl in Widerspruch stehen. Ein solcher Zusatzantrag, auch wenn es sich nur um eine Interpretation handelt, bedarf allerdings der Zweidrittelmehrheit. Bei den kommenden Besprechungen wird sich zu zeigen haben, ob die Parteien eine Grundlage finden werden, auf der eine Einigung möglich ist.“ (R 43 I /1000 , Bl. 19).

5

Zum Fortgang siehe Dok. Nr. 404.

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