2.227 (mu21p): Nr. 227 Besprechung über das Reichs-Ländergesetz (Abrechnungsgesetz). 17. Juni 1929, 11.30 Uhr

Zum Text. Zur Fußnote (erste von 4). Zu den Funktionen. Zum Navigationsmenü. Zum Navigationsbaum

 

Bandbilder:

Kabinett Müller II. Band 1 Hermann Müller Bild 102-11412„Blutmai“ 1929 Bild 102-07709Montage  von Gegnern des Young-Planes Bild 102-07184Zweite Reparationskonferenz in Den Haag Bild 102-08968

Extras:

 

Text

RTF

Nr. 227
Besprechung über das Reichs-Ländergesetz (Abrechnungsgesetz). 17. Juni 1929, 11.30 Uhr

R 43 I /2335 , Bl. 124-127

Anwesend: Müller, Hilferding, PrMinPräs. Braun, PrFM Hoepker-Aschoff; StS Popitz, Weismann; MinDir. v. Hagenow, Brecht; Protokoll: MinR Vogels.

Der Reichskanzler bemerkte, daß ihm ein Brief des Preußischen Ministerpräsidenten vom 10. Juni […] Veranlassung zur Einladung für diese Besprechung gegeben habe1. Der Preußische Ministerpräsident habe in diesem Brief Einspruch gegen die beabsichtigte Regelung der Postabfindung für Bayern erhoben. Es sei richtig, daß vorgesehen sei, Bayern im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Reichshaushaltsplans 1929 auf die ihm zustehende Postabfindung einen Vorschuß von 20 Millionen Reichsmark zu bezahlen. Diese Summe komme nicht unmittelbar aus dem Reichsetat, solle vielmehr aus Postmitteln fließen. Die Reichsregierung habe zu dieser Regelung keinerlei Initiative entfaltet. Der bekannte Sparausschuß der Regierungsparteien, der die Streichungen im Entwurf des Reichshaushaltsplanes vorgenommen habe, habe der Reichsregierung erklärt, daß man sich im Sparausschuß im Kompromißwege auf diese Zahlung an Bayern geeinigt habe. Der Vorschlag sei ein wesentlicher Teil dieses Kompromisses. Er stelle eine Konzession an die Bayerische Volkspartei dar, deren Zustimmung zum Etat-Kompromiß nur für diesen Preis zu haben gewesen sei. Die Reichsregierung habe unter den obwaltenden parlamentarischen[742] Verhältnissen nicht anders gekonnt, als diesen Vorschlag anzunehmen2. Übrigens sei er der Reichsregierung nicht einmal gleichzeitig mit den Kompromißvorschlägen über die Streichungen im Etat mitgeteilt worden, vielmehr erst einige Zeit später. Die ganze Angelegenheit könne nur politisch beurteilt werden. Für die Reichsregierung könne es sich wohl nur um die Frage handeln, ob sie den speziellen Vorschlag der Parteien für Bayern allein ausführen oder ob sie jetzt mit dem bekanntlich im Entwurf fertiggestellten vollständigen Abrechnungsgesetz hervortreten wolle.

1

Der PrMinPräs. hatte sich auf eine Äußerung des RFM vor dem Haushaltsausschuß bezogen, daß nach einer Vereinbarung zwischen der RReg. und den RT-Parteien Bayern aus den Mitteln der Post eine Abschlagzahlung von 20 Mio RM auf die Postabfindung erhalten solle. Braun hatte dazu bemerkt, daß auf Grund einer Vereinbarung zwischen Preußen und dem RFM die bayerische Postabfindung gemeinsam mit anderen Abfindungsfragen hatte behandelt werden sollen (siehe dazu Dok. Nr. 128). Nach § 13 Abs. 1 des RP-Finanzgesetzes (RGBl. 1927 I, S. 287 ) sei eine Sondervereinbarung mit Bayern nicht zulässig (R 43 I /2335 , Bl. 122).

2

In Bayern hatten die Steuergesetze der RReg. im März lebhafte Kritik ausgelöst, und es war erwartet worden, daß von der BVP der RPM Schätzel zurückgezogen werde, wenn sie vom RT angenommen würden (Bericht von Haniels vom 8.3.29; R 43 I /2254 , Bl. 130).

Der Reichsminister der Finanzen führte ergänzend aus, daß er bereits dem Interfraktionellen Ausschuß gegenüber Bedenken gegen den einseitig zu Gunsten Bayerns gefaßten Beschluß geäußert habe, daß er sich mit diesen Bedenken aber nicht habe durchsetzen können und sich mit dem Beschluß habe abfinden müssen, zumal da die Mittel nicht vom Reich unmittelbar, sondern von der Post gezahlt werden müßten. Die Post habe für den in Frage kommenden Zweck auch schon gewisse Rückstellungen gemacht. Er habe dem Ausschuß auch gesagt, daß die Abfindung an Bayern nur mit parlamentarischer Deckung erfolgen könne. Diese Deckung sei, soweit der Reichstag in Frage komme, gegeben. Es sei zuzugeben, daß auch die Zustimmung des Reichsrats erforderlich sei; und daß dieser wohl Schwierigkeiten machen werde. Im Haushaltsausschuß sei bereits von dem Abgeordneten Keil, der als Württemberger an der Angelegenheit wegen der württembergischen Postabfindung ein besonderes Interesse habe, die Anregung gegeben worden, den Posten von 20 Millionen RM in den Reichsetat als Durchlaufposten einzustellen, d. h. daß die Post die 20 Millionen an das Reich abzuführen habe und daß das Reich alsdann den Betrag an Bayern weiterleite. Nach seiner Meinung könne man die Angelegenheit nicht nur juristisch betrachten, man müsse sie vielmehr politisch sehen. Die Reichsregierung könne kaum anders handeln, als sich mit der Sache abzufinden, da sie integrierender Bestandteil des bekannten Kompromisses mit den Parteien über den Gesamthaushaltsplan sei3. Im Reichstag seien nicht nur die Regierungsparteien, sondern auch die Deutschnationalen für die Sache.

3

Vgl. Dok. Nr. 168.

Ministerpräsident Braun erklärte, in formaler Hinsicht liege die Sache ganz klar. Bayern könne die Abfindung nicht ohne Reichstag und Reichsrat erhalten. Im Reichsrat werde Preußen niemals zustimmen. Für die politische Beurteilung der Sache sei ausschlaggebend, daß vor einigen Monaten eine Besprechung des Reichs mit den Ländern stattgefunden habe, bei der man sich nach schwierigen Verhandlungen dahin geeinigt habe, daß alle Ansprüche der Länder gegen das Reich nur einheitlich und zwar in einem einheitlichen Gesetz befriedigt werden sollten4. Die jetzige bevorzugte Behandlung Bayerns verstoße gegen das damalige Verhandlungsergebnis. Preußen könne sich unmöglich damit abfinden. Übrigens sei die einheitliche Regelung auch für das Reich erheblich billiger als der Weg, den man jetzt zu beschreiten im Begriff sei. Bei[743] den vorerwähnten Verhandlungen des Reichs mit den Ländern sei für die Befriedigung der Länderansprüche die Leistungsfähigkeit des Reichs als ausschlaggebender Faktor in den Vordergrund geschoben worden. Das Reich könne von dem Gesichtspunkt seiner beschränkten Leistungsfähigkeit viel wirksamer Gebrauch machen, wenn er einheitlich gegenüber der Summe der Länderansprüche ins Feld geführt werde und nicht nur gegenüber den Ansprüchen eines Landes allein. Nach seiner Meinung müsse im Reichstag mit aller Deutlichkeit gesagt werden, daß der Weg, den er im vorliegenden Falle bezüglich Bayerns vorgeschlagen habe, nicht gangbar sei.

4

Siehe Dok. Nr. 112.

Der Reichsminister der Finanzen erwiderte, daß das Reich an dem Abrechnungsgesetz nach wie vor festhalte. Wenn dieses Gesetz noch nicht beim Reichstag eingebracht worden sei, so habe dies seinen Grund nur darin, daß man die ohnehin überaus schwierigen Reparationsverhandlungen mit einem solchen Gesetz nicht habe belasten wollen. Es sei reparationspolitisch nicht vertretbar, während der Pariser Verhandlungen mit einem Gesetz hervorzutreten, in welchem des Reich sich zu erheblichen Zahlungen an die Länder bereit erklärte. Bayern erhalte auch jetzt nur einen Vorschuß auf das, was ihm im Abrechnungsgesetz zugedacht sei. Es sei auch erwogen worden, ob man Bayern nicht statt des Vorschusses eine Anleihe aus Postmitteln in Höhe von 20 Millionen RM geben wolle. Der Verwaltungsrat sei zur Genehmigung einer derartigen Anleihe berechtigt.

Der Preußische Finanzminister Hoepker-Aschoff führte aus, daß der Weg, Bayern ein Darlehen aus Postmitteln zu gewähren, auch für Preußen tragbar erscheine. Man täusche sich selbst, wenn man sage, Bayern erhalte durch den Vorschlag des Interfraktionellen Ausschusses ja nur einen Vorschuß auf das Abrechnungsgesetz. Es stehe schon jetzt fest, daß Bayern mit den Beträgen, die ihm im Abrechnungsgesetz zugedacht seien, unter keinen Umständen zufrieden sei. Die Reichsregierung müsse daher, wenn sie Bayern jetzt einen Vorschuß bezahle, zum mindesten danach trachten, daß Bayern die Abfindungssätze des Abrechnungsgesetzes grundsätzlich anerkenne. Ein derartiges Anerkenntnis werde Bayern aber doch niemals geben.

Der Reichsfinanzminister erklärte, daß er das Abrechnungsgesetz im Haushaltsausschuß des Reichstags bereits angekündigt habe, allerdings, ohne Summen zu nennen. Er halte die Nennung von Summen auch für zwecklos, da jetzt eine Verständigung über sie im Haushaltsausschuß doch nicht erreichbar sei. Ein Streit darüber werde nur die Gefahr heraufbeschwören, daß der Reichshaushaltsplan nicht fertig werde.

Auch der Reichskanzler bemerkte, daß kaum damit zu rechnen sei, daß die Ziffern des Abrechnungsgesetzes schon jetzt die Billigung des Reichstags finden würden.

Der Preußische Ministerpräsident erklärte, daß die einzige annehmbare Lösung der Schwierigkeiten darin bestehe, daß Bayern von der Post ein Darlehen bekomme. Durch diese Form des Vorgehens werde der Entschädigungsregelung nicht vorgegriffen. Formal werde nichts verbaut, und Bayern bekomme das Geld, das es beanspruche.

[744] Der Reichskanzler erklärte, daß man den Reichstag von seinem jetzigen Vorschlag wohl durch den Hinweis werde abbringen müssen, daß zu seiner Verwirklichung die Zustimmung des Reichsrats gemäß § 13 des Postabfindungsgesetzes erforderlich sei und daß diese Zustimmung am Widerstande Preußens scheitern werde.

Staatssekretär Popitz sprach sich gleichfalls dafür aus, daß die Post an Bayern ein Darlehen gebe, wobei man dann Aussicht nehmen könne, daß die Rückzahlung dieses Darlehens demnächst mit der Abfindung aus dem Abrechnungsgesetz verrechnet werde. Dies sei übrigens der Weg gewesen, den die Reichsregierung ursprünglich dem Reichspostminister vorgeschlagen habe. Der Reichspostminister habe aber Bedenken gehabt, diesen Weg zu gehen; er habe die damit verbundene Verantwortung gescheut.

Abschließend stellte der Reichskanzler fest, daß es nunmehr Sache des Reichsfinanzministeriums sei, die erforderlichen Besprechungen mit der Post über die Darlehensgewährung an Bayern zu führen.

Der Preußische Ministerpräsident schloß mit der Empfehlung, daß dem Interfraktionellen Ausschuß des Reichstags baldigst ein Bild von der im Entwurf des Abrechnungsgesetzes vorgesehenen Regelung gegeben werde, damit er wisse, worauf er sich in der ganzen Sache einzustellen habe.

Der Reichsminister der Finanzen sagte, daß er im Hauptausschuß wegen des Abrechnungsgesetzes schon ziemlich deutlich geworden sei. Das Gesetz werde in dem größeren Rahmen des Gesamtfinanzprogramms zur Verabschiedung gebracht werden müssen, welches demnächst von der Reichsregierung in Auswirkung des Young-Planes aufgestellt werde.

Extras (Fußzeile):