1.103.10 (vpa2p): 10. Außerhalb der Tagesordnung: Zeche Sachsen.

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10. Außerhalb der Tagesordnung: Zeche Sachsen28.

28

RegPräs. Pünder (Münster) hierzu in einem Schreiben an den RK vom 10.11.32 u. a.: Die Zeche Sachsen (in Heessen, Kr. Beckum), die „man ohne Übertreibung wohl als das modernste Kohlenbergwerk des ganzen Rheinisch-westfälischen Industriegebietes ansprechen“ könne, gehöre „bisher der Mansfeld A. G. [Kupfer-, Silber-, Kohlenbergwerke], die nun aber in den letzten Wochen wegen Zeche Sachsen einen Verkaufsvertrag mit der zum Haniel-Konzern gehörenden Gewerkschaft Rheinpreußen abgeschlossen hat. Die Mansfeld A. G., an der der Kölner Großindustrielle Otto Wolff maßgeblich beteiligt ist [vgl. unten Anm 30], erstrebt mit dem Verkauf, einen Teil ihrer Kohlenproduktion abzustoßen und damit ihre finanzielle Basis liquider zu gestalten, während auf der anderen Seite die Gewerkschaft Rheinpreußen durch den Zuerwerb der Zeche Sachsen ihre Quote im Kohlensyndikat um einige Prozent erhöhen will. Da die Kohleninteressen der Gewerkschaft Rheinpreußen am Niederrhein liegen und die Gewerkschaft ohne jede Schwierigkeiten diese ergänzende Quote aus ihren bisherigen niederrheinischen Kohlengruben herauswirtschaften kann, wird die völlige Stillegung der Grube Sachsen die selbstverständliche Folge dieses Verkaufes sein.“ Das wäre aber „nicht nur für die betroffenen Bergleute ruinös, sondern würde sich im Münsterlande und im ganzen Industriegebiet geradezu zu einem Skandal auswachsen“, dies besonders dann, wenn offenbar würde, daß „auf Grund rein egoistischer Quoteninteressen Tausende und Abertausende deutscher Arbeiter ins Elend gestürzt werden“ sollen. Was die rechtliche Seite angehe, „so liegt einstweilen nur erst ein – allerdings völlig fertiggestellter – Verkaufsvertrag zwischen den beiderseitigen Verwaltungen von Mansfeld und Rheinpreußen vor. Dieser Verkaufsvertrag bedarf nun natürlich noch der Genehmigung durch die beiderseitigen Aufsichtsorgane. Hierbei ist, soweit die Verkäuferin Mansfeld A. G. in Betracht kommt, die Reichs- und Preußische Staatsregierung stark beteiligt. Wie Ihnen, hochverehrter Herr Reichskanzler, gewiß bekannt ist, ist die Mansfeld A. G. als eine wesentliche Trägerin der deutschen Edelmetallproduktion vor einer Reihe von Jahren seitens der öffentlichen Hand unterstützt und saniert worden [vgl. unten Anm 29], was natürlich die Einräumung eines starken Einflusses der öffentlichen Hand in allen entscheidenden Fragen der Mansfeld A. G. zur Folge hatte. Äußerlich findet dies seinen Niederschlag darin, daß im Aufsichtsrat der Mansfeld A. G. verschiedene Beamte der Berliner Zentralstellen sitzen.“ Sonach liege die Entscheidung über die endgültige Genehmigung des Verkaufsvertrages und die Stillegung der Zeche Sachsen letzten Endes bei der Reichs- und Preußischen Staatsregierung, die den Verkauf unter allen Umständen verhindern sollte (R 43 I /2180 , Bl. 5–8).

[1021] Der Reichswirtschaftsminister machte eingehende Ausführungen über die Sachlage. Der Vertrag zwischen dem Reich und der Mansfeld A. G. laufe am 31. Dezember 1932 ab29. Verhandlungen über Verlängerung schweben.

29

Hierbei handelt es sich um den am 30.1.31 unterzeichneten „Vertrag zwischen der Reichsregierung und der Preußischen Staatsregierung einerseits und der Mansfeld A. G. für Bergbau- und Hüttenbetrieb in Eisleben (Mansfeld) andererseits wegen Fortführung der Hilfsmaßnahmen für den Kupferbergbau“, während dessen bis zum 31.12.32 befristeter Laufzeit die Mansfeld A. G. ihr gehörende Betriebe und Betriebsteile nur mit Zustimmung der RReg. und der PrStReg. veräußern durfte. Nach dem Vertrag sollte die Mansfeld A. G. von Reich und Preußen je zur Hälfte ab 1.1.31 für die Dauer von zwei Jahren erhalten: „a) als Beitrag zum Ausgleich der Mindererlöse einen Jahreszuschuß von höchstens 5 640 000 RM, der in monatlichen, der jeweiligen Höhe der Erlöse für Kupfer und Silber angepaßten Beträgen vorschußweise gezahlt wird; b) zum Zwecke der Betriebsverbesserungen einen weiteren Jahreszuschuß von höchstens 1 400 000 RM.“ (Vertragstext in R 2 /15347 , Bl. 33–41).

Es sei mit Sicherheit anzunehmen, daß Otto Wolff den Prozeß gegen die Mansfeld A. G. gewinnen würde30. Die Firma würde dadurch umgeworfen. Insbesondere wegen ihrer Kupferproduktion müsse das aus Interessen der Landesverteidigung verhindert werden. Jetzt bereits gehe die Firma mit dem Plane um, die Kupfergewinnung stillzulegen.

30

Hierzu hatte Feßler am 18. 11. für den StSRkei vermerkt: „Otto Wolff hat Mansfeld auf Rückzahlung des Kaufpreises von Kuxen der Zeche Sachsen verklagt, weil der Kaufvertrag nichtig sei. Es ist ziemlich bestimmt damit zu rechnen, daß Mansfeld verurteilt würde, an ihn 11 Millionen RM zu zahlen. Damit wäre die Firma ruiniert. Deswegen hat sie die Zeche Sachsen an die Gewerkschaft Rheinpreußen (Haniel) verkauft, vorbehaltlich der Genehmigung des Aufsichtsrats und der Generalversammlung.“ (R 43 I /2180 , Bl. 35). – In einer erheblich präziseren, in Teilen hiervon allerdings abweichenden Darstellung, die der Landrat des Kreises Beckum, Fenner v. Fenneberg, am 22.11.32 an den RK übermittelte, heißt es u. a.: „Die 1000 Kuxe der Gewerkschaft ‚Sachsen‘ befanden sich ursprünglich im Alleinbesitz der Mansfeld A. G. für Bergbau und Hüttenbetrieb in Eisleben. Später übernahm die Firma Otto Wolff in Köln von der Firma Mansfeld einen Betrag von 500 Sachsenkuxen unter Anrechnung auf einen nach der Währungsstabilisierung an die Firma Mansfeld gewährten Kredit von angeblich 7 Millionen RM. Nach dem hierüber abgeschlossenen Vertrage übernahm die Mansfeld A. G. eine Reihe von Verpflichtungen, u. a. die, der Firma Otto Wolff im Kohlensyndikat das Selbstverbrauchsrecht zu verschaffen. Diese Bedingung wurde von der Mansfeld A. G. nicht erfüllt, worüber ein Rechtsstreit zu entstehen drohte. Bei der juristischen Untersuchung des Vertrages ergaben sich mancherlei Mängel, sodaß sich die Möglichkeit ergeben konnte, die Nichtigkeit der Verträge durchzusetzen. Es war aber der seit Jahren nur noch mit Reichs- und Staatshilfe fortgeführten Mansfeld-Gesellschaft nicht möglich, die 500 Sachsenkuxe zurückzunehmen und den Betrag von 7 Millionen Reichsmark zuzüglich seit 10 Jahren aufgelaufener Zinsen, also mehr als 10 Millionen RM an die Firma Otto Wolff zu vergüten. Unter diesen Umständen war man bestrebt, den Konflikt dadurch zu lösen, daß sowohl Mansfeld A. G. und Otto Wolff gemeinsam ihre je 500 Sachsenkuxe an die Gewerkschaft Rheinpreußen im Haniel-Konzern verkaufen wollen. Der Aufsichtsrat der Mansfeld A. G. soll am 5. November 1932 dem Verkauf bereits zugestimmt haben, sodaß es nur noch der Genehmigung der Generalversammlung bedarf.“ Die in der Tagespresse und in der Bevölkerung aufgestellte Behauptung, daß die Gruppe Haniel die Zeche Sachsen nur gekauft habe, um die Syndikatsquote auszunutzen, und daß infolgedessen die Stillegung der Zeche Sachsen beabsichtigt sei, könne er, Fenneberg, nicht direkt bestätigen, doch müsse er „nach den bisherigen Erfahrungen im Quotengeschäft der Zementindustrie des Kreises“ befürchten, daß es „doch zur Stillegung der Zeche Sachsen kommen kann“ (ebd., Bl. 50-51).

Käme Mansfeld zum Konkurs, so würden 12 000 Arbeiter erwerbslos, die[1022] nicht anders untergebracht werden könnten. Es entstände ein Notstandsgebiet besonderer Bedeutung. Das Reich müßte Mansfeld kaufen. Die Firma wäre zum Schrottwert von 8–10 Millionen zu haben.

Bei dieser Sachlage müsse sich Mansfeld für die Stillegung der Zeche Sachsen erklären. Deren Quote im Kohlensyndikat sei relativ klein. Haniel hoffe, durch Kauf der Quote für die Zeche Rhein–Preußen eine bessere Beschäftigung dieser Anlage zu ermöglichen. Der Übergang soll am 1. April 1933 erfolgen. Bekäme Haniel die Quote nicht, so würde das bei der Zeche Rhein–Preußen durch Minderbeschäftigung in die Erscheinung treten.

Es bestehe keine rechtliche Möglichkeit für die Reichsregierung einzugreifen, ähnlich wie bei der Wenceslausgrube in Schlesien31.

31

Hierzu vgl. Dok. Nr. 13, P. 1.

Nach den Demobilmachungsbestimmungen32 könne die Stillegung dadurch verhindert werden, daß die Landesregierung die Zeche Sachsen gegen Entschädigung enteignet. Ihr Betrieb leide darunter, daß er in einer Teufe von 1000 m arbeite; die Temperatur sei in den Schächten so hoch, daß die Arbeitszeit um eine Stunde verkürzt werden müßte. Bisher habe die Zeche nur mit Verlust gearbeitet. Bei einer Enteignung würden die Verluste noch größer werden, weil sie jetzt bei dem Verkauf von Kohle an die Mansfeld A. G. Vorzugspreise erhalte.

32

Vgl. die „Verordnung über die wirtschaftliche Demobilmachung“ vom 7.11.18 (RGBl., S. 1292 ) und die pr. „Anordnung, betreffend ein vereinfachtes Enteignungsverfahren“ vom 17.11.18 (Pr. Gesetzsammlung, S. 179).

Damit würde das Defizit jährlich auf 1 Million steigen. Auch bei besserer Konjunktur würde die Zeche ein Zuschußbetrieb bleiben. Das Reich müßte etwa 8–10 Millionen Aufwenden, um die Zeche aufrechtzuerhalten und die Verluste zu übernehmen. Das sei wirtschaftlich nicht zu vertreten.

Verhandlungen mit den preußischen Stellen über die anderweitige Unterbringung der 1400 Arbeiter seien im Gange. Ein Teil könne bei Neueinstellungen im Ruhrgebiet berücksichtigt werden. In letzter Zeit seien dort 6000 Arbeiter neuangelegt worden. Andere könnten bei Mansfeld Beschäftigung finden. Allerdings würde ein Unruheherd für längere Zeit bestehen bleiben.

Würde die Zeche gestützt, so würden andere Zechen in der Gegend mit Recht den gleichen Anspruch erheben.

Der Reichsminister des Innern stellte fest, daß das Kabinett den Ausführungen des Reichswirtschaftsministers zustimmt. Es solle alles versucht werden, um die Arbeiter anderweitig unterzubringen.

Der Reichskanzler bat nach seiner Rückkehr in die Sitzung, den Beschluß des Kabinetts nicht in die Öffentlichkeit zu bringen. Die endgültige Entscheidung müsse zunächst in der Schwebe bleiben33.

33

Die Bemühungen um Sicherung des Fortbestandes der Zeche wurden in den folgenden Monaten in vielfältiger Weise (Eingaben, Sachverständigengutachten, Korrespondenzen hierzu in R 2  /15350 , 15371  und 15372 ; R 43 I /2180 ; NL Pünder  188) fortgesetzt; zur erneuten Behandlung der Angelegenheit auf Kabinettsebene kam es in einer Ministerbesprechung am 21.12.32 und in einer Chefbesprechung am 15.3.33, in der Hitler sich für „Einwirkung auf Wolff“ aussprach. Die daraufhin zwischen diesem und Vertretern des RWiMin. alsbald aufgenommenen Verhandlungen führten Ende April/Anfang Mai 1933 zur Einigung über den Weiterbetrieb der Zeche Sachsen. Vgl. diese Edition: Das Kabinett Schleicher, Dok. Nr. 33, P. 5; Die Regierung Hitler 1933/34, Dok. Nr. 24, P. 5; 62.

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