1.50.2 (vpa2p): 3. Politische Frage.

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3. Politische Frage.

Oberst von Bredow führte aus, daß er den Reichsminister des Innern vor kurzem auf einige Veröffentlichungen der letzten Zeit aufmerksam gemacht habe, die ihm Schulbeispiele für den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 4 der Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 14. Juni d. Js.4 zu sein schienen5. Leider habe sich herausgestellt, daß die zuständigen Stellen die Verordnung vom 14. Juni 1932 noch nicht anwendeten, wie es dem Willen der Verordnung entspreche und im Interesse des Staatswohls unbedingt geboten sei.

4

Die angezogene Vorschrift lautet: „Periodische Druckschriften können verboten werden, […] wenn in ihnen eine Veröffentlichung enthalten ist, die lebenswichtige Interessen des Staates dadurch gefährdet, daß unwahre oder entstellte Tatsachen behauptet oder verbreitert werden“ (RGBl. 1932 I, S. 297 ).

5

Bredow bezieht sich auf sein Schreiben an den RIM vom 21. 10.32, worin er hingewiesen hatte 1) auf zwei Artikel der Zeitschrift „Vom frohen Leben“ (Heft 10/11, Juli/August 1932), „die durch völlig einseitige Zusammenstellung von Nachrichten das entstellende Bild ergeben […], daß das Deutsche Reich durch sinnlose Zerstörungen im Kriege die ihm auferlegten Reparationen verdient und daß es durch Rüstungslieferungen an das Ausland dauernd den Friedensvertrag verletzt“ habe; 2) auf die Wochenzeitung „Das Andere Deutschland“ (Nr. 41 vom 8.10.32), die u. a. einen Brief F. W. Foersters veröffentlicht habe, in dem es heiße: 1914 habe der pr. „Militarismus ganz allein den Weltkrieg entfesselt“ und gegenwärtig arbeiteten „bestimmte machthabende deutsche Kreise zielbewußt auf einen neuen Krieg“ hin (Abschrift in R 43 I /1217 , Bl. 435–437).

Im übrigen sei es jedoch dringend erforderlich, die Frage erneut zu prüfen, ob nunmehr nicht beschleunigt eine Verordnung gegen Staatsverleumdung zu verabschieden sei. Er habe den Reichsminister der Justiz vor kurzem schriftlich gebeten, diese Frage erneut zu prüfen6.

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Schreiben an den RJM vom 21. 10., in dem Bredow daran erinnert hatte, daß bei den Kabinettsberatungen über die vom RWeM „beantragte Verordnung gegen die Staatsverleumdung im Juni 1932 [vgl. Dok. Nr. 24, P. II und 38, P. 8] in Aussicht genommen wurde, auf diese Verordnung zurückzukommen, falls erneute Fälle diese Notwendigkeit gegeben erscheinen lassen würden. Die im Schreiben an den Herrn Reichsminister des Innern aufgeführten Veröffentlichungen, mit denen einige besonders krasse Fälle von Staatsverleumdung herausgegriffen werden [vgl. oben Anm 5], scheinen mir die Voraussetzungen hierfür voll zu erfüllen. Ich darf daher ergebenst bitten, den Erlaß der Verordnung gegen die Staatsverleumdung nunmehr betreiben zu wollen, wobei ich auf die Bedeutung besonders hinweisen möchte, die diese Frage angesichts der Verhandlungen des Reichs um die wehrpolitische Gleichberechtigung zur Zeit besitzt und im weiteren Verlauf zunehmend gewinnen wird.“ (Abschrift in R 43 I /1217 , Bl. 439).

[815] Der Reichsminister der Justiz wies auf die Bedenken hin, die einer derartigen Verordnung entgegenständen. Er betonte, daß die Verordnung vom 14. Juni 1932 nicht angewendet werde. Die Presseabteilung der Reichsregierung müsse die in Betracht kommende Literatur sorgfältig überwachen.

Der Reichsminister des Innern vertrat gleichfalls die Auffassung, daß § 6 Nr. 4 der Verordnung des Reichspräsidenten vom 14. Juni 1932 nicht genügend angewendet werde.

Der Reichsminister des Auswärtigen führte aus, daß man auch mit einem Gesetz gegen Staatsverleumdung den an sich gewiß beklagenswerten Vorgängen nicht richtig werde beikommen können. Außerdem sei zu bedenken, daß die Schaffung eines derartigen Gesetzes jedenfalls bei der jetzigen außenpolitischen Situation unangemessen sein werde.

Der Reichskanzler betonte die Notwendigkeit einer schärferen Beobachtung der in Betracht kommenden Presse daraufhin, ob auf Grund von Veröffentlichungen lebenswichtige Interessen des Staates dadurch gefährdet würden, daß unwahre oder entstellte Tatsachen behauptet oder verbreitet würden; vor allem müßten auch die preußischen Ressorts in diesem Sinne angewiesen werden.

Reichskommissar Dr. Bracht erklärte, daß am 4. November die preußischen Ober-, Regierungs- und Polizeipräsidenten in Berlin zu einer Besprechung versammelt seien. Er wolle bei dieser Gelegenheit auf den Tatbestand hinweisen.

Es werde jedoch notwendig sein, auch die nichtpreußischen Länder entsprechend zu informieren.

Der Reichskanzler stellte Übereinstimmung über folgende Punkte fest:

a) Der Reichsminister des Innern wird ein Rundschreiben an die Länder in dem Sinne ergehen lassen, daß es notwendig sei, mehr als bisher die periodischen Druckschriften daraufhin zu beobachten, ob in ihnen eine Veröffentlichung enthalten sei, die lebenswichtige Interessen des Staates dadurch gefährde, daß unwahre oder entstellte Tatsachen behauptet oder verbreitet würden. Im Fall des Vorliegens eines derartigen Tatbestandes seien die periodischen Druckschriften sofort gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 der Verordnung des Reichspräsidenten gegen politische Ausschreitungen vom 14. Juni 1932 (Reichsgesetzbl. I, S. 297) zu verbieten7.

7

Ein solches Rundschreiben des RIM nicht ermittelt.

b) Auch die Reichsressorts sind in dem Sinne zu a) zu unterrichten.

c) Ein besonderer Referent in der Presseabteilung der Reichsregierung hat die periodischen Druckschriften gemäß den zu a) dargelegten Gesichtspunkten zu beobachten8.

8

Über den Kabinettsbeschluß berichtete Bredow dem RWeM mit Schreiben vom 29. 10. u. a.: „In der Staatsverleumdungssache hatte ich keinen Erfolg. Zunächst einmal waren Gayl und Bracht keineswegs die Sekundanten, als die sie sich angepriesen hatten. Dann kam es aber auch daher, daß Gürtners und Neuraths Bedenken eine breite Resonanz gefunden hatten. […] Neurath wollte unter keinen Umständen aus außenpolitischen Rücksichten an das neue Gesetz heran. Alle Kabinettsmitglieder betonten, daß mit dem bisherigen Gesetz etwas erreicht werden könnte, und das gab den Ausschlag.“ Es sei noch erwähnt worden, „das der Völkische Beobachter außerordentlich milde behandelt werde. Bringt er üble Sachen, so bringt es die gesamte NSDAP-Presse, und sie sagt, wir haben es nachgedruckt. Kanzler meinte, daß erst nach den Wahlen schärfer gegen die NSDAP-Presse losgegangen werden könne.“ (NL Bredow  2, Bl. 75–77).

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