1.11.1 (bru3p): Wirtschaftsprogramm.

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Wirtschaftsprogramm.

Der Reichskanzler führte zur Frage der Osthilfe aus, die Umschuldung der Landwirtschaft werde voraussichtlich nicht weiter durchgehalten werden können. Sanierte Unternehmungen würden nach zwei Jahren wieder sanierungsreif. Es bestehe die Gefahr, daß einzelne Persönlichkeiten bevorzugt würden.

Im Apparate der Oststelle seien stärkste Reibungen1. Auch die Bank für Industrieobligationen stehe mit den Landstellen nicht im besten Einvernehmen.

1

Vgl. Dok. Nr. 458 und Dok. Nr. 529.

Der Zinssatz der Hypotheken müsse herabgesetzt werden, sonst wäre es nicht möglich, die Landwirtschaft durchzuhalten. Eine zwangsweise Konvertierung der Pfandbriefe wäre wohl der offene und damit gebotene Weg. Allerdings bestehe die Gefahr einer Panik auf dem Pfandbriefmarkte. Den Gläubigern müsse aber klargemacht werden, daß sie ihr Kapital auf die Dauer nur retten können, wenn sie auf übermäßige Zinsen verzichten. Der Marktwert der Pfandbriefe werde allerdings zunächst heruntergehen.

Auch bei anderen Wegen entständen Schwierigkeiten. Es frage sich, ob diese Frage dem Wirtschaftsbeirat bereits vorgelegt werden könne. Dafür begännen seine Verhandlungen wohl etwas zu früh.

Die Deflationspolitik führe zum Zusammenbruch, wenn nicht ein Schlußstein gesetzt würde, und das sei die Zinsfrage.

Der internationale Finanzsachverständige Sprague habe seinerzeit bei den Bankenverhandlungen geäußert, alle Gesetze der Nationalökonomie müßten für einige Zeit außer Kraft treten. Würden nur die Preise und Löhne gesenkt, so könne die Wirtschaft aufrechterhalten werden. Die Löhne würden wohl noch unter den Stand von 1927 sinken. Käme dann die Kurzarbeit hinzu, so könne die Ruhe kaum aufrechterhalten werden.

Teilweise zahle der Staat bereits die Mieten für den Hausbesitz. Der Wirtschaftsbeirat werde die Schwierigkeiten im Zusammenhange sehen müssen.

Es sei nicht möglich, in Reparationsverhandlungen hineinzugehen, wenn nicht etwa innerhalb acht Tagen in der Zinsfrage Klarheit geschaffen werde. Frankreich träume noch immer von einer Stundung der Reparationen von 2–3 Jahren. Würden die Reparationen gefordert, so könnten die ausländischen Schulden nicht bezahlt werden.

[1856] Es werde möglich sein, die ersten städtischen Hypotheken zu retten, wenn die Hauszinssteuer radikal abgebaut werde.

Der Reichsverkehrsminister wies darauf hin, daß in verschiedenen Landesstellen, auch bereits in Schleswig-Holstein, Hannover und Westfalen, die Einstellung der Zinszahlungen der Landschaften in Frage käme2. In der Osthilfe seien 22–24 Millionen festgelegt. Die Industriebank habe einen Verwaltungsaufwand von 6 Millionen. Der Aufwand der Landstellen betrage 3 Millionen im Jahre. Mit Betriebsmitteln von 64 Millionen könne gerechnet werden. Der frühere preußische Finanzminister3 habe im allgemeinen geglaubt, den Wünschen des Reichs entgegentreten zu sollen. Manche Anweisungen der Zentrale würden draußen zunächst nicht ausgeführt. Es würde versucht, einen Ausweg zu finden. Die Regelung eines Falles nehme ein Jahr in Anspruch. Er schlage vor, den ganzen Apparat umzustellen. Mit der Hilfe für zweite und dritte hypothekarische Belastung sei nichts mehr zu erreichen. Nur eine generelle Zinssenkung brächte die nötige Entlastung. Die Nervenbelastung der Beteiligten sei so groß, daß mit Explosionen zu rechnen sei. Die Radikalisierung schreite vorwärts. Durch Stellung des Umschuldungsantrages würde der Besitzer kreditunfähig. Während der langen Dauer bis zur Entscheidung auf seinen Antrag wirke sich dies für ihn äußerst bedenklich aus. Die Frühjahrsbestellung werde ins Stocken kommen. Düngerwechsel würden nicht mehr eingeliefert oder nicht mehr abgedeckt. Neue Zwangsmaßnahmen würden getroffen. Die Betriebe wünschten selbst bereits die Zwangsverwaltung, um dem fortgesetzten Druck der Gläubiger zu entgehen.

2

Vgl. auch Dok. Nr. 520.

3

Der PrFM Höpker Aschoff war am 12.10.31 zurückgetreten (Schultheß 1931, S. 229). Nachfolger Höpker Aschoffs wurde am 7.11.31 der Präs. der Preußenkasse, Klepper (Schultheß 1931, S. 250).

In manchen Fällen führe ein Teilverkauf von Grundstücken im Zusammenhang mit Siedlungsunternehmungen zur Sanierung.

Die Zinsen der Hypotheken müßten konvertiert werden.

Der Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft wies auf die Unterschiede in den Indizes hin. Die Zinsen betrügen im Durchschnitt für den ha 44 M bei einer Gesamtausgabe von 400 M auf den ha. Würden die Zinsen auf die Hälfte sinken, so wäre mit einer schwachen Rentabilität der Betriebe zu rechnen. Der erste Realkredit der Landwirtschaft belaufe sich auf insgesamt 3,5 Milliarden. Eine Senkung der Zinsen um 4% entlaste sie also um 120–130 Millionen im Jahre. Wenn es nicht möglich sei, an das Gesamtproblem der Zinsen heranzugehen, so müßten der Landwirtschaft in dieser Höhe Zuschüsse gegeben werden. Würde die Ostpolitik liquidiert, dann wäre es möglich, den gesamten Realkredit um 4% im Zins zu ermäßigen.

Dann würde es auch in Verbindung mit der Senkung anderer Lasten möglich sein, wieder mehr Gutsarbeiter einzustellen, Meliorationen könnten wieder beginnen, Vereinbarungen mit den Arbeitnehmern seien möglich. Jetzt gingen sie mit Willen des Besitzers im Winter stempeln.

Der Reichswirtschaftsminister hielt es für erforderlich, in erster Linie die ordnungsmäßige Frühjahrsbestellung der Betriebe zu sichern. Die Zinsfrage ließe sich[1857] von dieser Notwendigkeit nicht trennen. Viele Betriebe würden die Löhne für die Frühjahrsbestellung nicht mehr zahlen können.

Zur allgemeinen Zinslage führte er folgendes aus:

Die Wirtschaft sei von flüssigen Mitteln entblößt, weitere Abzüge fänden nach außen statt, im Innern würden Noten gehamstert, die Bankbetriebe schrumpften immer weiter ein.

Notwendig sei Ersatz für Betriebskapital. Bei den Banken seien die Kreditoren seit Mai um 30% gesunken, die Debitoren wären um 10% abgebaut. Die Illiquidität der Betriebe sei sehr stark.

Gesunde Betriebe könnten keine Kredite mehr erhalten. Die Sparkassenguthaben würden flüssig gemacht.

Im Verhältnis zu den langfristigen Anlagen seien die flüssigen Mittel unzulänglich. Die langfristigen Anlagen könnten aber nicht in Geld umgewandelt werden, sonst träten die Wirkungen der Inflation in die Erscheinung.

Dies müsse vermieden werden. Andererseits wäre aber der Wirtschaftsprozeß in Gang zu halten. Deswegen müsse die Reichsbank als Notenbank umkonstruiert werden. Auch die übrigen Banken müßten sich anders organisieren als bisher. Die langfristigen Forderungen dürften den Wirtschaftsprozeß nicht weiter belasten.

Das Geld, das der Konsument benötige, brauche nicht mit Gold und Devisen gedeckt zu werden. In England seien 5,6 Milliarden nur durch Schuldverschreibung des Staates gesichert. Noten- und Geldumlauf sei zu unterscheiden. Letzterer sei unabhängig von Außenverbindungen, wenn die Devisenregelung aufrechterhalten wird.

Aus diesen Gedankengängen heraus müsse eine Scheidemünze geschaffen werden, wie sie die Wirtschaft für den Konsumentenverkehr brauche. Die Produktionssphäre brauche anderes Geld. Das Geld für den reinen Konsumentenbedarf müsse vom Prinzip der Gold- und Devisendeckung abgelöst werden. Das Volumen der Deckung müsse im übrigen geringer sein.

Die eingefrorenen Bankkredite müßten durch Emissionen liquidiert werden, soweit es möglich sei. Allerdings würden diese Schuldscheine bald einen schlechten Kurs haben. Die Grenze des Geldes für den Konsum müsse festgelegt werden in Höhe von etwa 2 Milliarden. Dann würden inflatorische Wirkungen ausgeschlossen sein. Im übrigen könnte an 8%ige Hypothekenpfandbriefe mit Goldklausel gedacht werden für die Flüssigmachung eingefrorener Kredite.

Der Reichsbankpräsident erklärte hierzu folgendes: Wenn die 1 Milliarde RM, die an die Sparkassen geflossen sei, in Scheidemünzen gegeben worden wäre, dann hätte sich eine Besserung des Status der Reichsbank, aber weiter nichts, ergeben. Es bestände aber die Gefahr, daß die Summe, die vorgesehen sei, keine feste Grenze wäre. Bei der nächsten schwierigen politischen Lage würde dann voraussichtlich zu einer Wiederholung der Maßnahmen geschritten. Sobald der Betrag der Umlaufmittel steige, würde es sich um Inflation handeln. Wenn die Deckung eines Zahlungsmittels auf einem Werte beruhe, der vermehrbar sei, läge diese Gefahr stets vor.

Die Gefahr politischer Einflußnahme auf die Währung habe sich gerade aus der Entwicklung der letzten Monate ergeben. Im übrigen sei es nicht möglich, den Vorschlag ohne internationale Zustimmung durchzuführen.

[1858] Die Flüssigmachung eingefrorener Kredite bei den Banken durch ihre Umwandlung in Effekten sei denkbar. Dadurch würde für die Währung keine Gefahr entstehen. Dieser Weg käme für die Sparkassen, aber vielleicht auch für die Banken in Frage, wenn eine Lombardierung von Effekten bei der Reichsbank möglich wäre. Dann wäre auch die Kreditschöpfung mengenmäßig begrenzt. Für die Kommunen seien 270 Millionen zugesagt.

Es sei nicht möglich, bei Forderungen zwischen Kasse und Kapital einwandfrei zu unterscheiden. Darauf beruhen die Schwierigkeiten bei den Sparkassen. Ihre Einlagen würden lediglich als Kapital angesehen. Das sei eine starke Schädigung des Spartriebes.

Wenn die ländlichen Hypothekenzinsen gesenkt werden sollten, so müßten Kündigungsverbote und Höchstzinsen für neue Hypotheken bestimmt werden. Vorläufig litten die ersten Hypotheken der Hypothekenbanken noch nicht not. Die Zinsrückstände seien jetzt nicht größer als in normalen Lagen. Deswegen bestände keine Veranlassung zu genereller Zinssenkung, insbesondere nicht in Süddeutschland, wo die Eingänge der Zinsen regelmäßig seien, generelle Maßnahmen würden auf den Kredit schlechte Wirkungen ausüben. Eine gesetzliche Regelung dahin, daß Pfandbriefe zusammengelegt werden sollten, würde staatlich organisierten Konkurs bedeuten. Mit weiteren Einzahlungen wäre nicht zu rechnen. Anders läge das Problem der generellen Zinssenkung.

Der Reichswirtschaftsminister hielt dann nur noch für möglich, 2 Milliarden schlechte Risiken der Banken herauszunehmen und sie gesondert zu behandeln.

Der Reichsbankpräsident meinte, in diesem Sinne könne hinsichtlich einer einzelnen Bank, nicht aber hinsichtlich des ganzen Bankgewerbes mit Anmeldepflicht für festgefrorene Forderungen vorgegangen werden. Bei der Gesamtlage müsse versucht werden, auf der ganzen Linie Gehälter, Löhne, Preise und Zinssätze in ihrer Totalität zu senken. Schließlich sei aber ein großes Reformprogramm ohne einen Neubau des gesamten Reiches nicht ausführbar. Es werde nicht möglich sein, die Verhältnisse nur von einer Seite aus zu bessern.

Würde bei einer Zinssenkung kein Höchstzinssatz und kein Kündigungsverbot für neues Geld festgelegt, so würden sämtliche Hypotheken gekündigt und das Geld an anderer Stelle untergebracht werden. Es würde nicht möglich sein, neues langfristiges Hypothekengeld zu beschaffen. Ähnliche Probleme wie bei der Aufwertung würden in die Erscheinung treten. Es würde notwendig sein, einzelnen Gläubigern durch eine Schiedsstelle zu ihrem Gelde zu verhelfen, nur wäre fraglich, woher das Geld genommen werden sollte.

Auch diese Probleme hängen mit den Löhnen zusammen. Für das freie Wirken der Wirtschaftsgesetze müsse die Bahn geschaffen werden auf seiten der Kartelle und der Löhne.

Es sei eine alte Erfahrung, daß die Zinsbewegung in entgegengesetzter Richtung laufe wie die der Löhne und Preise. Es sei Mangel an Kapital vorhanden, nicht aber an Arbeitskraft und Ware. Deswegen könnten die beiden Tendenzen nicht einheitlich betrachtet werden.

An barem Gelde und an Kredit bestände kein Mangel. Selbst wenn 1 Milliarde abgezogen werde, sei noch Überfluß an Umlaufmitteln vorhanden.

[1859] Der Druck auf die Devisen würde verstärkt, wenn der Eindruck erweckt würde, als wenn die Währung in Deutschland nicht mehr in Ordnung wäre.

Gegenüber dem Vorschlage, die Zinsen für erste Hypotheken zum Teil aus öffentlichen Mitteln zu zahlen, sei zu bedenken, daß das Geld nicht werde aufgebracht werden können. Die Landschaften würden sich dagegen sträuben, die Schulden weiter zu stunden.

Der Reichsarbeitsminister erklärte sein Einverständnis mit einem Gesamtvorgehen, warnte aber davor, mit Währungsspielerei zu beginnen.

Der Reichswirtschaftsminister wollte ebenfalls die Zinsfrage aus dem Gesamtprogramm nicht ausschließen. Er sah aber noch keinen Weg, sie zu lösen.

Die Sparer wollten Kapital in Geld verwandeln. Bei den großen in Frage kommenden Summen sei dies nicht möglich. Bei dem allgemeinen Abwertungsprozeß würden auch die Einlagen ergriffen. Die Abhebungen hätten zum Ziel, dieser Entwicklung vorzubeugen.

Ziel müsse sein, die gesamte innere Kreditwirtschaft zu sanieren.

Der Reichsminister der Finanzen sah in der Diskontpolitik der Reichsbank den entscheidenden Faktor. Nur über die Zinsfrage werde es möglich sein, zu geordneten Verhältnissen zu kommen. Wegen der Weltmarktschwierigkeiten aber könne der Diskont jetzt nicht verbilligt werden. Die Auslandsverschuldung müsse bis Ende Februar in Ordnung gebracht werden. Dann werde die Reichsbank in ihrer Diskontpolitik freier werden. Dann würde es auch möglich sein, den mangelnden Geldumlauf in irgendeiner Weise zu ersetzen. 1 Milliarde Mark läge unnötig fest. Wenn die Warenpreise anzögen, würde das Geld herauskommen.

Staatssekretär Schäffer ergänzte die Ausführungen noch dahin, daß die Auslandspapiere, insbesondere die Dollaranleihe und andere Emissionen mit der Zinsfrage in engem Zusammenhang ständen. Wenn Erörterungen darüber stattfänden, würden große Wirtschaftskreise versuchen, in diese Papiere zu flüchten. Ein Ansturm auf die Devisen wäre die Folge.

Der Reichskanzler hielt es nicht für möglich, abzuwarten, bis die landwirtschaftlichen Hypotheken zusammenbrächen. Wenn Löhne, Mieten und Preise sänken, müsse auch eine Zinsherabsetzung verstanden werden. Andernfalls bestände die Gefahr, daß die Mieten nicht mehr bezahlt würden und breite Massen den Unterhalt nicht mehr kaufen könnten.

Bei der Aussprache im Wirtschaftsbeirat müsse er über die Zinssenkung eine Erklärung abgeben4.

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Siehe Dok. Nr. 526.

Die Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten habe bei den Sparkassen und Banken angefangen, sei dann auf die Kreditbanken übergegangen. Ohne zahlreiche Zusammenbrüche wäre eine Heilung nicht möglich. Wenn aber die landwirtschaftliche Erzeugung dadurch zurückgehe, so sei das nicht zu ertragen.

Eine Reichsreform sei dringlich, aber würde Widerstände in allen Richtungen zur Folge haben, die ein geordnetes Arbeiten der Regierung unmöglich machen würden.

Er werde bei der Ansprache mit aller Vorsicht auf das Zinsproblem zu sprechen kommen und es als einen Angelpunkt der Lage bezeichnen.

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