1.117.1 (bru3p): 1. Vorbereitung der Abrüstungskonferenz.

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1. Vorbereitung der Abrüstungskonferenz.

Botschafter Nadolny schilderte zunächst die auf deutscher Seite getroffenen Vorbereitungen, die in der Bereitstellung des Materials1 und der Festlegung der deutschen Verhandlungstaktik und Verhandlungsziele bestanden2. Als letztere bezeichnete er erstens die Beseitigung der Diskriminierung Deutschlands in der Abrüstungsfrage3 und damit auch die Beseitigung des Teiles V des Friedensvertrages von Versailles, soweit er eine unterschiedliche Behandlung Deutschlands hinsichtlich der Abrüstung herbeiführe4. Zweites Ziel sei die Vermehrung der Sicherheit Deutschlands. Auf der Konferenz müsse Deutschland an die Pflicht der anderen Nationen zur Abrüstung mahnen und Herstellung der Parität fordern5. Von der Aufrüstung Deutschlands und der Wehrfreiheit solle nicht gesprochen werden, nur[2174] unser Rechtsstandpunkt solle immer wieder betont werden6. Es werde zu berücksichtigen sein, daß von den 64 Mitgliedern des Völkerbundes nur 28 Staaten Kontrahenten des Friedensvertrages von Versailles seien. Man könne daher Teil V des Vertrages nicht zur Hauptbasis unseres Vorgehens machen, sondern Artikel 8 der Völkerbundssatzung7. Unsere Entwaffnung sei als ein erster Schritt zur allgemeinen Entwaffnung darzustellen, dem nun die Angleichung der anderen Staaten folgen müsse.

1

Das Material zur Abrüstungsfrage befindet sich in R 43 I /527 .

2

Die Genfer Abrüstungskonferenz wurde am 2.2.32 eröffnet (Schultheß 1932, S. 444).

3

Vgl. Dok. Nr. 265.

4

Teil V des VV, Bestimmungen über Landheer, Seemacht und Luftfahrt, beginnt mit der Präambel: „Um die Einleitung einer allgemeinen Rüstungsbeschränkung aller Nationen zu ermöglichen, verpflichtet sich Deutschland, die im folgenden niedergelegten Bestimmungen über das Landheer, die Seemacht und die Luftfahrt genau innezuhalten.“

5

Vgl. hierzu Dok. Nr. 158.

6

Vgl. auch Dok. Nr. 314.

7

Art. 8 der Völkerbundsatzung (Teil I des VV) lautet: „Die Bundesmitglieder bekennen sich zu dem Grundsatz, daß die Aufrechterhaltung des Friedens eine Herabsetzung der nationalen Rüstungen auf das Mindestmaß erfordert, das mit der nationalen Sicherheit und mit der Erzwingung internationaler Verpflichtungen durch gemeinschaftliches Vorgehen vereinbar ist. Der Rat entwirft unter Berücksichtigung der geographischen Lage und der besonderen Verhältnisse eines jeden Staates die Abrüstungspläne und unterbreitet sie den verschiedenen Regierungen zur Prüfung und Entscheidung. Von zehn zu zehn Jahren sind diese Pläne einer Nachprüfung und gegebenenfalls einer Berichtigung zu unterziehen. Die auf diese Weise festgesetzte Grenze der Rüstungen darf nach ihrer Annahme durch die verschiedenen Regierungen nicht ohne Zustimmung des Rates überschritten werden. Mit Rücksicht auf die schweren Bedenken, denen die private Herstellung von Munition und Kriegsgerät begegnet, beauftragen die Bundesmitglieder den Rat, Mittel gegen die daraus entspringenden schlimmen Folgen ins Auge zu fassen und zwar unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Länder, die nicht in der Lage sind, selbst die für ihre Sicherheit erforderlichen Mengen an Schießbedarf und Kriegsgerät herzustellen. Die Bundesmitglieder übernehmen es, sich in der offensten und erschöpfendsten Weise gegenseitig jede Auskunft über den Stand ihrer Rüstung, über ihr Heer- und Flottenprogramm und über die Lage ihrer auf Kriegszwecke einstellbaren Industrien zukommen zu lassen“.

Der Vertragsentwurf, der als einziges Ergebnis einer fünfjährigen Arbeit der Vorbereitenden Abrüstungskommission entstanden sei, müsse in seiner jetzigen Form von uns abgelehnt werden8. Es würde aber unzweckmäßig sein, nur diese Ablehnung vorzubringen; vielmehr werde Deutschland einen Gegenentwurf aufzustellen haben, der die für uns unannehmbaren Punkte, insbesondere die Verewigung der bestehenden Verträge beseitige.

8

Vgl. Dok. Nr. 205.

In der Sicherheitsfrage müsse von Deutschland dargelegt werden, daß der gegenwärtige Sicherheitsstand schon hinreiche, um mit der Abrüstung zu beginnen. Schiebe Frankreich die Sicherheitsfrage in den Vordergrund, so werde Deutschland etwa durch Überweisung an eine Unterkommission bemüht sein, dafür zu sorgen, daß hierdurch nicht die eigentliche Abrüstungsarbeit verdrängt werde.

Was wir im Fall eines Scheiterns der Konferenz tun würden, dürfe noch nicht öffentlich gesagt werden. Deutschland müsse sich alle Möglichkeiten vorbehalten. Das völlige Scheitern könne allerdings zu schwerwiegendsten Konsequenzen führen und die Existenz des Völkerbundes ernstlich bedrohen. Deutschland müsse nicht gleich auf Biegen oder Brechen vorgehen. Die öffentliche Meinung der Welt habe sich zu seinen Gunsten gewandelt. Das müsse ausgenutzt werden. Keinesfalls dürfe sich Deutschland in eine außenpolitische Isolierung drängen lassen. Vielmehr müsse es eine breite Front gegen Frankreich und seine Vasallen schaffen, andererseits aber auch Verständnisbereitschaft unter Wahrung seiner Rechtsgrundsätze zeigen. Botschafter Nadolny verlas sodann die beiliegenden, von den hauptbeteiligten Ressorts bereits genehmigten Richtlinien9.

9

Die „Richtlinien für die Deutsche Delegation zur Abrüstungskonferenz“ befinden sich in Durchschrift in R 43 I /519 , Bl. 39–42; abgedruckt in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 191. Die Ausführungen Nadolnys faßten den Inhalt der Richtlinien zusammen.

[2175] Der Reichswehrminister erklärte, keinesfalls dürften ein Scheitern der Konferenz oder unzulängliche Ergebnisse auf Deutschlands Konto kommen. Jeder Mißerfolg müsse in den Augen der Welt Frankreich zu Lasten fallen. Im Verlauf der wahrscheinlich auch zeitlich sehr ausgedehnten Verhandlungen seien auch für Deutschland sehr unangenehme Erörterungen möglich. Weitgehendste Vorbereitung an Material sei hierfür erwünscht. Deutschland müsse bestrebt sein, mit den anderen ähnlich gesinnten Mächten, insbesondere auch Amerika, engstens zusammenzuarbeiten.

Botschafter Nadolny wies darauf hin, daß eine innerdeutsche Einheitsfront für die Forderung der „Abrüstung der anderen“ erfreulicherweise zustande gekommen sei. Auch im Auslande sei unser Rechtsstandpunkt und unsere wahre Rüstungslage wohl bekannt. Das Echo in der Welt sei befriedigend. Mit etwa 40 Staaten habe man diplomatisch Fühlung aufgenommen. Sehr scharf seien die Meinungsäußerungen gegen Frankreich besonders in Amerika, das ja ein gewisses Autorrecht in der Abrüstungsfrage habe10. Auch Italien stehe auf unserer Seite und werde ein sicherer Verbündeter in dieser Frage sein, soweit es überhaupt Wirkungsmöglichkeiten habe11. Die englische Haltung sei noch recht unsicher. Rußland, das eine Sonderstellung einnehme, sei in den Hauptfragen auf unserer Seite, werde aber kaum sehr viel Stoßkraft haben12. Die skandinavischen Mächte verhielten sich vorsichtig und würden mit der Majorität gehen. Holland stehe auf unserer Seite. In Südamerika herrsche kein Interesse für Abrüstungsfragen. Japan werde voraussichtlich gegen uns stehen.

10

US-UStS Rogers wies am 29.1.32 vor der Außenpolitischen Vereinigung Chicagos auf den Anteil der USA am Zustandekommen der Abrüstungskonferenz hin, wobei er auf Präsident Wilsons 14 Punkte und den Friedensvertrag mit Dtld. von 1921 hinwies (WTB-Nr. 218 vom 30.1.32, R 43 I /519 , Bl. 57).

11

Vgl. Dok. Nr. 227 und das Interview des RWeM mit der ital. Zeitung Popolo d’Italia vom 22.1.32, das WTB Nr. 152 am 22.1.32 unter der Schlagzeile veröffentlichte: „Deutsch-italienische Zusammenarbeit für den Erfolg der Abrüstungskonferenz“ (R 43 I /519 , Bl. 53).

12

Vgl. Dok. Nr. 652.

Der Reichswehrminister vermutete, daß Adolf Hitler die Stellung der Reichsregierung zu schwächen bestrebt sein werde13. Etwaige Erfolge werde er sich oder seiner Partei zuschreiben, Mißerfolge der Reichsregierung zum Vorwurf machen.

13

Vgl. Hitlers Äußerung am 4.12.31 über die Abrüstungskonferenz in Dok. Nr. 591, Anm. 4.

Botschafter Nadolny erklärte hierzu, auch mit den Nationalsozialisten habe er Fühlung genommen, was nicht ganz erfolglos geblieben sei. Äußerungen des Herrn Rosenberg und des Grafen Reventlow, sowie im „Angriff“, bestätigten dies.

Der Reichskanzler bezweifelte, ob diese Besserung von Dauer sein werde.

Der Reichswirtschaftsminister bat, besonders auch auf die Nachteile für Deutschland in dem jetzt gültigen Kriegsgerätegesetz14 hinzuweisen und den Versuch zu machen, sie zu beseitigen.

14

Gesetz, betreffend die Ein- und Ausfuhr von Kriegsgerät vom 22.12.20 (RGBl., S. 2167 ), geändert durch das Gesetz vom 26.6.21 (RGBl., S. 767 ).

Botschafter Nadolny sagte dies zu.

Der Reichswehrminister wies darauf hin, daß bei den deutschen Pazifisten eine ähnlich große Gefahr liege wie bei den Nationalsozialisten. Man werde bemüht[2176] sein müssen, die Meinungsäußerungen der unverbesserlichen Pazifisten möglichst einzuschränken15.

15

Gegenüber der frz. Zeitung Volonté hatte der RWeM über die dt. Pazifisten folgende Bemerkungen gemacht: „Ich will mich über den Pazifismus als Weltanschauung nicht äußern. Ich bin aber dazu verpflichtet, Leute zu bekämpfen, welche die Atmosphäre zwischen Deutschland und dem Auslande durch angebliche ‚Enthüllungen über deutsche Vertragsverletzungen‘ vergiften. Wer dem Auslande zuruft: ‚Rüstet nicht ab, sondern rüstet auf!‘, den kann ich nicht als Pazifisten ansehen. An mich hat sich noch nie ein französischer Pazifist mit Mitteilungen über die französische Wehrmacht gewandt. Sogenannte deutsche Pazifisten aber sind es, die in den engsten Beziehungen zum französischen Generalstab und zu den französischen nationalistischen Parteien stehen. Das ist ein Unterschied, den man in Frankreich wohl bedenken möge, wenn man glaubt, für die ‚deutschen Pazifisten‘ eintreten zu müssen“ (Text des Interviews in R 43 I /519 , Bl. 58–61, Zitat Bl. 60, auch in WTB Nr. 172 vom 25.1.32, a.a.O., Bl. 54–55, Zitat Bl. 55).

Botschafter Nadolny trug sodann die beabsichtigte Zusammensetzung der deutschen Delegation vor16. Als zeitweilig anwesende Delegierte seien der Reichskanzler, der Reichswehrminister und Staatssekretär Dr. von Bülow genannt. Ferner seien sechs ständige Delegierte vorgesehen, nämlich Botschafter Nadolny (Vorsitzender), Botschafter Graf von Welczeck (dessen Vertreter), Staatssekretär z. D. Freiherr von Rheinbaben, Unterstaatssekretär z. D. von Moellendorff sowie die Gesandten Dr. Göppert und Freiherr von Weizsäcker. Für die politische Kommission seien vorgesehen die Herren Nadolny, Welczeck und Göppert, für die Marine-Kommission Freiherr von Rheinbaben, für die Landabrüstung Freiherr von Weizsäcker, für die Luftabrüstung Herr von Moellendorff17. Vom Auswärtigen Amt würden die Herren Frohwein, Feine und Kordt zum Stabe der Delegation gehören. Ferner sei vorgesehen, eine Reihe von Sachverständigen sofort oder später zuzuziehen. An angemeldeten Mitgliedern der Delegation seien 19 ständige und 10 vorübergehende Mitglieder benannt. Als nicht angemeldete Teilnehmer habe das Auswärtige Amt neunzehn dauernde und zehn vorübergehende Teilnehmer vorgesehen.

16

Eine Durchschrift der Delegiertenliste zur Abrüstungskonferenz befindet sich in R 43 I /519 , Bl. 35–38.

17

Mit Schreiben vom 8.12.32 hatte RVM versucht, als Delegierter für Luftfahrtfragen GehR Fisch zu ernennen; GehR Fisch sei seit 1910 Armeeflieger gewesen und habe an allen internationalen Verhandlungen der letzten Jahre führend teilgenommen. Seine Entsendung entspreche auch einem vertraulichen Wunsch des RWeMin. (R 43 I /519 , Bl. 11). StS v. Bülow hatte diese Bitte des RVM in seinem Schreiben vom 9.1.32 mit der Begründung abgelehnt, daß GehR Fisch nicht den einem Delegierten zustehenden Rang habe (Durchschrift in R 43 I /519 , Bl. 13–15).

Der Reichskanzler stellte fest, daß das Reichskabinett mit den vorgetragenen Richtlinien und der vom Auswärtigen Amt vorgeschlagenen Zusammensetzung der Delegation einverstanden sei18.

18

Zum Beginn der Abrüstungskonferenz siehe Dok. Nr. 668, Anm. 2. Vgl. auch Dok. Nr. 727 und Dok. Nr. 732, P. 1.

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