1.123.1 (bru3p): Reparationsfrage.

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Reparationsfrage.

Der Reichskanzler teilte mit, daß der englische Botschafter ihn am voraufgegangenen Tage noch spät abends um eine Unterredung gebeten habe, zu welcher er dann auch um ½ 11 Uhr erschienen sei1. Er habe sich auf ein soeben erhaltenes Telegramm des englischen Außenministers Simon berufen, welches ihn ersucht habe, möglichst sofort einen Versuch wegen dieser Besprechung zu machen. Der Botschafter habe zunächst das Gespräch wiedergegeben, welches er im Laufe des Tages mit Staatssekretär von Bülow gehabt, und über welches er seinem Minister berichtet habe. Das jetzt vorliegende Telegramm des Außenministers Simon sei indessen keine Antwort auf diesen Bericht. Bericht und Telegramm hätten sich offenbar gekreuzt. Über das Gespräch des Staatssekretärs von Bülow mit dem englischen Botschafter vom 19. d. Mts. besteht eine besondere, von Staatssekretär von Bülow gefertigte Aufzeichnung2.

1

Das vorliegende Dok. ist auch veröffentlicht in ADAP, Serie B, Bd. XIX, Dok. Nr. 198.

2

Vgl. die Aufzeichnung Bülows in R 43 I /336 , Bl. 17–19: Sir Horace Rumbold hatte im Auftrag seiner Reg. eine Verlängerung des Hoover-Moratoriums mit Zahlung der unaufschiebbaren Annuität und Rückkreditierung vorgeschlagen; ohne diesen Ausweg befürchte die Brit. Reg. einen Mißerfolg der Lausanner Konferenz. Bülow hatte eine Verlängerung des Hooverjahres abgelehnt und stattdessen ein Verhandlungsmoratorium unter Aussetzung des Youngplans vorgeschlagen.

Sachlich habe es sich bei dem erneuten Schritt des englischen Botschafters darum gehandelt, nochmals zu versuchen, die Zustimmung der Reichsregierung zu einer Verlängerung des Hooverjahres auf neun Monate zu erreichen3. Die Englische Regierung sehe die bisherigen Verhandlungen mit Frankreich als völlig festgefahren an4. Wenn Deutschland der Verlängerung nicht zustimme, sei die Englische Regierung zur Fortsetzung ihrer Vermittlertätigkeit außerstande und müsse Deutschland die Verantwortung für die kommenden Dinge überlassen. Der Botschafter sei innerlich bewegt und sorgenvoll gewesen.

3

Vgl. Dok. Nr. 629.

4

Vgl. hierzu den Bericht des Brit. Botschafters in Paris Lord Tyrrell an den Brit. AM Sir John Simon vom 18.1.32, Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Doc. No. 34.

Dem Botschafter habe er erwidert, daß die Reichsregierung sich zur Frage der Verlängerung des Hooverjahres nicht einstellen könne, solange nicht feststehe, daß die Juni-Konferenz, in welcher die Endlösung der Reparationsfrage beraten werden solle, gesichert sei. Der Reichsregierung liege es völlig fern, der Englischen Regierung sachliche Schwierigkeiten zu bereiten. Solange aber die Juni-Konferenz nicht feststehe, sei die Lage für Deutschland außerordentlich gefahrvoll. Für die Reichsregierung[2197] komme es in erster Linie entscheidend darauf an, jetzt die Juni-Konferenz festzulegen. Die Frage der Verlängerung des Hooverjahres komme erst in zweiter Linie. Eine Hinausschiebung der Konferenz bis zum November sei für die Reichsregierung schon aus innerpolitischen Gründen unannehmbar. Beim Abschied habe er dem Englischen Botschafter erklärt, daß er die Angelegenheit nochmals mit den Reichsressorts reiflich überlegen und daß er ihm im Laufe des heutigen Vormittags eine endgültige Antwort zukommen lassen wolle5.

5

Vgl. auch Sir H. Rumbolds Bericht an AM Sir John Simon vom 19.1.32, Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Doc. No. 42.

Nach der Besprechung mit dem Botschafter sei die Angelegenheit zwischen Staatssekretär Dr. Pünder und Staatssekretär Dr. von Bülow eingehend durchgesprochen worden. Dabei habe Staatssekretär von Bülow den Standpunkt vertreten, daß die Reichsregierung jetzt unter keinen Umständen auf eine Verlängerung des Hooverjahres eingehen könne. Der Zeitpunkt, darüber zu entscheiden, sei erst gekommen, wenn die Juni-Konferenz zusammengetreten sei, die sich alsbald darüber schlüssig werden müsse, was nach dem 1. Juli, das heißt dem Ablauf des Hooverjahres geschehen solle. Wenn Deutschland jetzt nachgebe, werde die Endlösung immer wieder weiter hinausgeschoben werden. Selbstverständlich müsse die jetzt zu erteilende deutsche Antwort in der Form ohne Schärfe sein.

Staatssekretär Dr. von Bülow ergänzte diesen Bericht dahin, daß Deutschland vom Young-Plan nie loskommen werde, wenn es die gegenwärtige Situation nicht dazu ausnutze, eine Unterbrechung des Young-Plans zu erreichen.

Der Reichswirtschaftsminister erklärte sich in sachlicher Hinsicht mit der Auffassung des Staatssekretärs von Bülow einverstanden und empfahl, in der Form möglichst vorsichtig zu prozedieren. Auch er meinte, daß man in erster Linie auf den Juni-Termin losgehen müsse. Bis dahin könne man die Frage der Verlängerung des Hoover-Jahres in der Schwebe lassen. Daß Deutschland zur Zeit zahlungsunfähig sei, stehe aufgrund der Baseler Berichte fest.

Der Reichsminister der Finanzen stellte Erwägungen darüber an, was eintreten werde, wenn sowohl die Lausanner Konferenz wie auch die Juni-Konferenz nicht zustande kommen. Er stellte fest, daß alsdann nach dem 1. Juni die ungeschützten Annuitäten fortgesetzt werden müßten, und daß für die geschützten Annuitäten ein Transfer-Moratorium erklärt werden könne.

Der Reichswirtschaftsminister wies demgegenüber erneut darauf hin, daß in den Baseler Berichten die deutsche Zahlungsunfähigkeit festgestellt sei, und daß die Gläubiger daher unmöglich von uns verlangen können, daß wir uns schon jetzt zu irgendwelchen Zahlungen verpflichten. Eine Verlängerung des Hooverjahres schließe aber die Übernahme gewisser Zahlungen in sich. Zum mindesten seien nach dem 1. Juli Zinsen für die Reichsbahn-Obligationen zu zahlen.

Staatssekretär Dr. von Bülow empfahl nochmals, auf die englische Anfrage ausweichend zu antworten und zu erklären, daß sich für uns die Frage nicht so stelle, wie sie an uns herangebracht sei.

Aufgrund des Ergebnisses der Aussprache ersuchte der Reichskanzler Herrn Staatssekretär von Bülow, den englischen Botschafter auf 12 Uhr zu sich zu bestellen und ihm in folgendem Sinne zu antworten:

[2198] Die Reichsregierung habe sich den Vorschlag nochmals reiflich überlegt und sei sich des Ernstes der Lage bewußt. Der wesentlichste Punkt bleibe für Deutschland das Zustandekommen einer Konferenz im Juni zum Zwecke der Beratung der Endlösung. Eine Verlängerung des Hooverjahres unter den Londoner Bedingungen erscheine Deutschland unmöglich, einmal, weil wir nicht in der Lage seien, die erforderlichen Zahlungsverpflichtungen abzugeben, vor allem aber, weil derartige Zahlungen oder Versprechungen einigen der wesentlichsten Punkte der ‚Baseler Berichte‘ zuwiderlaufen würden. Im übrigen erlaube unsere Finanz- und Etatslage keine weitere Belastung. Wir seien daher zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Stellungnahme zur Verlängerung des Hooverjahres notwendig werde. Da dies noch innerhalb des laufenden Hooverjahres geschehen müsse, so müsse es der Konferenz vorbehalten bleiben, darüber zu bestimmen, was nach Ablauf des Hooverjahres erfolgen solle6.

6

Vgl. den Vermerk v. Bülows vom 20.1.32 über die Unterredung mit Rumbold. Bülow wies vor allem auf die Stellen des Basler Gutachtens vom 23.12.31, die die dt. Zahlungsunfähigkeit feststellten, hin. Rumbold sei von der Bemerkung Bülows sehr beeindruckt gewesen, daß Laval nach seiner Rückkehr aus Washington der Dt. Reg. eine Regierungskonferenz fest zugesagt habe (R 43 I /336 , Bl. 28–30).

Vgl. auch den Bericht Sir Horace Rumbolds über diese Unterredung vom 20.1.32 in Documents on British Foreign Policy, Second Series, Vol. III, Doc. No. 44.

In einem gemeinsamen Schritt der Brit. und Frz. Reg. wurde daraufhin am 21.1.32 die für den 25.1.32 vorgesehene Lausanner Konferenz verschoben: Vermerk v. Bülows über eine Unterredung mit dem Frz. Botschafter François-Poncet vom 21.1.32 (R 43 I /336 , Bl. 23, WTB Nr. 137 vom 21.1.32, a.a.O., Bl. 24).

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